Bahnbashing II

Von Anatol Stefanowitsch

Der deutschen Bahn wirft man ja gerne vor, zuviele Anglizis­men zu ver­wen­den. Der Vor­wurf ist nicht ganz aus der Luft gegrif­f­en, aber mich stört das nicht weit­er. Aber warum regt sich eigentlich nie­mand über Durch­sagen wie die Fol­gende auf, die ich vorgestern in Osnabrück gehört habe:

Der ICE … aus … nach … über … wird auf­grund ein­er Verzögerung im Betrieb­sablauf voraus­sichtlich acht Minuten später eintreffen.

Sehe ich es richtig, dass man das para­phrasieren kön­nte als „Wir ver­späten uns, weil wir uns ver­spätet haben?“ Da bekomme ich als Begrün­dung doch lieber die üblichen Böschungs­brände und ver­wirrten Per­so­n­en im Gleis vorgesetzt.

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Über Anatol Stefanowitsch

Anatol Stefanowitsch ist Professor für die Struktur des heutigen Englisch an der Freien Universität Berlin. Er beschäftigt sich derzeit mit diskriminierender Sprache, Sprachpolitik und dem politischen Gebrauch und Missbrauch von Sprache. Sein aktuelles Buch „Eine Frage der Moral: Warum wir politisch korrekte Sprache brauchen“ ist 2018 im Dudenverlag erschienen.

29 Gedanken zu „Bahnbashing II

  1. Dünenwanderer

    Mir klin­gen bei ICE-Ver­spä­tun­gen immer die “Per­so­n­en­schä­den” in den Ohren. Und je nach mein­er Stim­mung auf dem Bahn­steig ist mir da ein ein­fach­es “weil” als Begrün­dung wesentlich lieber. Außer­dem: Acht Minuten sind nun wirk­lich nicht der Rede wert… 😉

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  2. Jan

    Man kön­nte vieles para­phrasieren. Da es aber auch z.B. “wegen eines Per­so­n­en­schadens” oder “wegen eines Triebkopf­schadens” zu Ver­spä­tun­gen kom­men kann, scheint “eine Verzögerung im Betrieb­sablauf” eine engere Bedeu­tung zu haben als “Ver­spä­tung”. In diesem Fall ist für mich als Kun­den die Infor­ma­tion inter­es­sant, dass es kein prinzip­ielles Prob­lem mit dem ICE gibt. Bei einem Triebkopf­schaden würde er z.B. auch nur langsamer weiterfahren.

    Schön ist der Satz trotz­dem nicht. Wenn durch eine Pri­vatisierung das Behör­den­deutsch abgeschafft würde, kön­nte ich vielle­icht doch noch für die Idee erwärmen.

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  3. HansWerner

    Wahrschein­lich wollte man sagen “auf­grund ein­er Störung…”. Aber Störung klingt so neg­a­tiv. Bei der Bahn ist nie­mand gestört — na ja.

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  4. Nicolas Graf

    Ja, das dachte ich mir in Han­nover auch neulich… Wobei es da auf­grund des vol­lau­toma­tis­chen Ansagesys­tems (das mein­er Mei­n­ung nach eh sehr merk­würdig klingt) noch ver­ständlich­er ist — wahrschein­lich ken­nt das Sys­tem nur diesen einen “Grund” für Verspätungen.

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  5. Klaus Jarchow

    Hihi — vor drei Tagen kam ich aus eben dem­sel­ben Osnabrück: Der Abendzug um 20.23 Uhr hat­te bei der ersten Durch­sage cir­ca eine halbe Stunde Ver­spä­tung ‘wegen Bauar­beit­en auf der Strecke’, bei der zweit­en dann ‘wegen unvorherse­hbar­er Störun­gen im Betrieb­sablauf’, bei der drit­ten und let­zten ‘wegen eines Schadens an der Triebein­heit’. Wer sich da als Pas­sagi­er nicht veräp­pelt vorkam, der war glück­lich und vol­lends merkbefreit …

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  6. Tim

    Ja, ist mir auch schon aufge­fall­en. Ich kenne es aber als “Störung im Betrieb­sablauf”. Allerd­ings gibt es Bahn-Durch­sagen, die mich weitaus stärk­er stören: “Wie wäre es mit ein­er knack­i­gen Cur­ry­wurst und einem frischen Pils? Jet­zt für nur 4 Euro 20 im Bor­d­bistro”. Oder die elend lan­gen Durch­sagen für ger­ade eingestiegene oder dem­nächst aussteigende Fahrgäste. 

    In der Schweiz ist das alles viel ele­gan­ter: “Näch­ster Halt: Olten”. Punkt und Ruhe.

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  7. Bla

    Bei Mc Don­alds wird man heutzu­tage schon gefragt ob man die Pommes in “Small” oder “Big” haben möchte, außer­dem kann man dort “Amer­i­can Fries” bestellen, also ich fand das schon arg seltsam.

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  8. Carl Fredrich Bolz

    Ich finde das größere Prob­lem mit dieser Art Ansage ist, dass die entschei­dende Infor­ma­tion, näm­lich die Länge der Ver­spä­tung, ganz zum Schluss kommt. Zuvor muss man sich eine große Anzahl an Infor­ma­tio­nen anhören, die man ver­mut­lich sowieso schon weiß, was beson­ders bei wieder­holten Ansagen recht ermü­dend ist. Zumal man nicht weiß, ob der Satzan­fang “Der ICE … aus … nach … über … ” vielle­icht mit “fährt jet­zt ein” endet :-).

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  9. hara242

    Diese Mel­dung gibt es jet­zt schon seit min­destens zwei Jahren, endlich mal jemand, der sich darüber auch wun­dert (naja, ich wun­dere mich weniger als ich mich aufrege, weil zur Ver­spä­tung ja noch diese offen­sichtliche Kun­den­ver­al­berung dazukommt. Da geht mein Puls zuver­läsig hoch.). “Anglizis­men” ist übri­gens auch eine schöne Beze­ich­nung für das, was das ICE-Per­son­al in der Bemühung um Zweis­prachigkeit produziert.

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  10. Anatol Stefanowitsch

    Tim, hier geht es nicht um „Störun­gen“ im Betrieb­sablauf, son­dern um „Verzögerun­gen“. Ich nehme aber natür­lich nicht in Anspruch, als erster darüber berichtet zu haben — Google hat über 1000 Tre­f­fer für diese Phrase. Unter anderem taucht sie in diesem sehr lesenswerten Ausre­denkat­a­log der deutschen Bahn auf.

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  11. Christoph Päper

    Die Über­set­zung, die ich mir für diese Phrase zurecht­gelegt habe, ist: „Dieser Zug war pünk­tlich bis er wegen eines unpünk­tlichen Zuges warten musste.“

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  12. P.Frasa

    @Tim: So schön ist es lei­der nicht. Das ist ja mehr so “Meine Damen und Her­ren, wir begrüßen Sie im Inter­ci­ty nach Bern, Thun, Spiez, Inter­lak­en West, Inter­lak­en Ost. [weit­eres Labern über Restau­rantabteil und ähn­lich­es] Näch­ster Halt: Olten.”

    Und dann noch auf Englisch und Französisch.

    Etwas später: “Im Oberdeck dieses Wagens bedi­ent Sie jet­zt die elvetino Rail­bar.” Dreisprachig.

    Und ich empfinde btw 8 Minuten Ver­spä­tung als viel für einen Zug. Aber hier ist man sich das ja auch nicht gewöhnt.

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  13. jan

    Mein Zug kam let­ztens nicht “wegen Brück­e­nan­fahrschaden”. Auflö­sung (nach Zeitungsle­sen am näch­sten Tag): Ein LKW war gegen eine Eisen­bahn­brücke gefahren, die danach ges­per­rt wer­den musste, um erst mal zu unter­suchen, ob sie beschädigt wor­den war.

    Die “Ver­spä­tun­gen auf­grund von Verzögerun­gen im Betrieb­sablauf” sind auch deshalb so schön, weil man sie ein­fach umdrehen kann: “Verzögerun­gen im Betrieb­sablauf auf­grund von Ver­spä­tun­gen”. Aber so kreativ sind die Ansagerin­nen zumin­d­est auf dem Ham­burg­er Haupt­bahn­hof nicht.

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  14. NvonX

    Nicht, dass ich so etwas frei­willig in die Hand nehmen würde, aber mir ist neulich auf ein­er Win­dows XP Instal­la­tions CD in etwa fol­gen­der Text aufge­fall­en: „Sie sind nicht berechtigt, unrecht­mäßige Kopi­en dieser Soft­ware zu erstellen”. Da kön­nte man ja auch para­phrasieren, „Es ist ver­boten diese CD zu kopieren weil es ver­boten ist” — das hat doch eine gewisse Ähn­lichkeit zu der Durch­sage der Bahn.

    Vielle­icht ken­nt Microsoft aber auch die men­schliche Psy­che so gut, dass sie weiß das der Men­sch dazu neigt zu meinen, Regeln gel­ten für alle, nur nicht für einen selb­st — nur dann hätte der Text ja eigentlich laut­en müssen: „Auch Sie sind nicht berechtigt…”

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  15. Connie

    Auf http://www.postprivatisierung.de/archives/post_archiv_2008-m03.php#e66 hab ich schon über so etwas berichtet und wie ich hier bei den Vorkom­men­tier­ern lese, hat wohl jed­er Bah­n­fahrer schon solche Durch­sagen erlebt.

    Aber das hier haben wohl noch nicht viele von Ihnen erlebt: 

    vor 4 oder 5 Wochen wieder so ein Katas­tro­phen­zug von Frank­furt nach Ham­burg am Freitagnachmittag:

    - erst 30 Minuten Verspätung

    - dann ist es ein Ersatz-ICE: halbe Länge, keine Platzre­servierun­gen etc.

    - dann ste­ht er vor Ful­da 40 Minuten auf der Strecke, Durch­sage: “Tiere im Gleis”(sic!), aber die braven Tiere standen nur in unserem Gleise, auf dem Gegen­gleis fuhren die Züge durch…

    - dann vor Ham­burg-Har­burg die Ansage der Verbindun­gen ab Ham­burg-Har­burg + senky­oufortrev­el­ling… + dann nichts.…

    - dann kurz vor dem Ham­burg­er Hbf: die resig­nierteste Zugführerstimme, die ich je gehört habe: “Meine Damen und Her­ren, lei­der haben wir vergessen in Ham­burg-Har­burg zu hal­ten. Ihre näch­sten Verbindun­gen nach Cux­haven und Stade mit der S‑Bahn.…

    ich war heil­froh, daß die nicht im Kopf­bahn­hof Altona vergessen haben zu halten ;=)

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  16. Wolfgang Hömig-Groß

    @Connie: Also, wenn man nicht in dem Zug drin sitzt und auch nicht in Ham­burg-Har­burg aussteigen will, dann ist es wirk­lich zum Lachen.

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  17. Rowboat

    Ich hätte da noch eine kaum rel­e­vante, aber mein­er Mei­n­ung nach nicht vol­lkom­men unin­ter­es­sante Beobach­tung: an manchen Meck­len­burg­er Bahn­höfen (Bad Kleinen, um genau zu sein) hört man bisweilen eine Ansagerin, die die Ankun­ft des “Regional­ex­preck” nach Sound­so verkün­det. Das Wort höre ich, soweit ich fest­stellen kann, so von nie­man­dem son­st — auf die Schnelle finde ich auch über Google (expreck, exprek etc.) nur einen Haufen OCR-Fehler. Es mag sich hier um eine per­sön­liche Beson­der­heit jen­er Dame han­deln, aber irgend­wie kommt es mir vage bekan­nt vor, als ob es sich irgend­wie in den Dialekt einpaßt.

    Was “Verzögerun­gen im Betrieb­sablauf” bet­rifft — ich glaube, oft han­delt es sich dabei tat­säch­lich, wie oben von Christoph Päper bemerkt, um ander­er Züge Ver­spä­tun­gen… ich denke, Reisen mit dem Zug wären nur noch ärg­er­lich­er, wenn Anschlußzüge sich immer gnaden­los fahrplan­mäßig aus dem Staub macht­en*. Mehr Details wären aber doch ab und zu hil­fre­ich. Ich habe da manch­mal den Ein­druck, daß es da bah­n­in­tern an der Kom­mu­nika­tion mangelt.

    (* dies ist mir ein­mal passiert, und wenn ich da (als armer Zivi) kein Geld für ein Taxi gehabt hätte, hätte ich in Eck­ern­förde am Bahn­steig über­nacht­en dür­fen. Danke, Bahn.)

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  18. Hiro

    In Logis­tiksys­te­men lösen Ver­spä­tun­gen regelmäßig weit­ere, andere Ver­spä­tun­gen aus. Darin kön­nte ein sach­lich­er Grund für die Häu­figkeit liegen, mit der die Durch­sage zu vernehmen ist.

    Mir bringt sie jeden­falls die erfreuliche Bestä­ti­gung, dass mit meinem Zug und mein­er Strecke alles in Ord­nung ist. Rein tech­nisch wenigstens.

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  19. David Marjanović

    aber irgend­wie kommt es mir vage bekan­nt vor, als ob es sich irgend­wie in den Dialekt einpaßt.

    Hawai­ian­isch.

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  20. Soryaan

    @ Dünen­wan­der­er

    Ich möchte an dieser Stelle nur darauf hin­weisen, dass in Japan ein Zug als ver­spätet gilt wenn er eine (1) Minute Ver­spä­tung hat. Ausser­dem bekommt man ein Kärtchen auf dem ste­ht “Die Bahn entschuldigt sich für die Ver­spä­tung”, das man seinem Arbeit­geben geben kann damit dieser sieht das man nicht an der Ver­spä­tung schuld ist. 

    Vol­lkom­men falsches The­ma ich weiss, aber seit dem ich dort war sehe ich ein­fach “Ach sind eh nur 10 Minuten” aus­sagen ein­fach anders. 

    Wobei man sagen muss, dass in Deutsch­land ein Zug nach 5 Minuten ver­spätet gilt in Eng­land aber erst nach 10 Minuten.

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  21. Tümmler

    Tja, Sick hat glaube ich mal “dieser Zug endet hier” kri­tisiert, aber der ist ja nur Sprach­nör­gler. Ihr Nörgeln ist natür­lich viel begrün­de­ter, weil … Huch, jet­zt fällt mir nicht ein, wie ich den Satz zuende brin­gen soll. Helfen Sie mir.

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  22. David Marjanović

    Sagen die das dort wirk­lich? Ich kenne nur “bitte alle aussteigen”.

    Franzö­sisch übri­gens: tous les pas­sagers sont invités à descen­dre. Mir scheint, die Fran­zosen sind ziem­lich belei­digt, wenn man ihre Ein­ladun­gen nicht annimmt 😉

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