Bücher freestyle

Von Anatol Stefanowitsch

Es entste­ht vielle­icht manch­mal der Ein­druck, ich würde das Ein­streuen englis­chen Wortguts in deutschsprachi­gen Zusam­men­hän­gen immer und über­all gutheißen. Das ist nicht der Fall: Mir geht es bei der Beobach­tung dieses Phänomens über­haupt nicht darum, ob ich es „gut“ oder „schlecht“ finde, son­dern darum, ob es die deutsche Sprache bedro­ht (tut es nicht), was für Motive dahin­ter­ste­hen (sich­er keine Scham der deutschen Sprache gegenüber) und was für kom­mu­nika­tive Wirkun­gen damit erzielt werden.

Die let­zte dieser drei Fra­gen beschäftigt mich im Zusam­men­hang mit einem Artikel, den ich let­zte Woche in der Online-Aus­gabe der Tageszeitung „Freies Wort“ gefun­den habe. Darum geht es um den Ver­such der Stadt­bib­lio­thek von Suhl, mehr junge Men­schen für das Lesen zu begeistern:

Durch aufgepeppte Lesemöglichkeit­en sollen Jugendliche in der Stadt­bücherei zum Buch greifen. Noch ste­hen einige Regale im ersten Obergeschoss der Bücherei leer, doch schon bald wird die bunte Mis­chung des neuen Pro­jek­tes „freestyle“ sie füllen.

Der Weg zu den „aufgepeppten Lesemöglichkeit­en“ führt über „neue Medi­en“ und jede Menge englis­che Sprachschnipsel:

Von dem Geld kaufte die Stadt­bib­lio­thek die Regale im mod­er­nen Design und Jugend­büch­er, sowie DVDs und CDs. „Wir woll­ten nicht ein­fach nur einen oder mehrere Com­put­er kaufen, son­dern etwas Neues machen, um Leser, eine neue Ziel­gruppe und neue Nutzer anzu­lock­en“, sagt Lei­t­erin Irmhild Rosch­er. Das Pro­jekt „freestyle“ bot genau diese Möglichkeit. In den jugendlichen Regalen wer­den ver­schiedene Medi­en in ein­er abwech­slungsre­ichen Mis­chung präsen­tiert. Zudem sind sie in ver­schiedene Inter­essen­bere­iche wie „just music“, „fan­ta­sy und sci­fi“, „Boys‘n girls“ und „action + fun“ eingeteilt. Ein Man­ga und Com­ic-Regal entste­ht und auch Mys­tery-Büch­er, sowie Büch­er über die erste Liebe seien sehr gefragt. Außer­dem ste­hen in den Kat­e­gorien „jobs“, „real­i­ty“ und „help“ beispiel­sweise Büch­er und DVDs zu The­men wie Bewerbungen.

Und diese englis­chen Sprach­schnipsel sind kein Versehen:

Mit Absicht wur­den die einzel­nen The­men in Englisch betitelt. „Es wur­den bewusst Anglizis­men gewählt, weil es die Sprache der Jugendlichen ist, auch wenn es unter den Bib­lio­thekaren eine große Diskus­sion gibt“, sagt Roscher.

Damit wären wir erst ein­mal bei den Motiv­en: Die Stadt­bib­lio­thek hat sich bewusst für die Ver­wen­dung englis­ch­er Beze­ich­nun­gen entsch­ieden, um damit die Ziel­gruppe anzus­prechen. Das ist zunächst völ­lig ratio­nales Ver­hal­ten, nicht so sehr, weil „Anglizis­men … die Sprache der Jugendlichen“ sind, son­dern, weil viele an junge Men­schen gerichtete Pro­duk­te auf diese Weise bewor­ben wer­den. Englisch sug­geriert eine Teil­habe an ein­er glob­alen Kul­tur begehrenswert­er Kon­sumgüter, und wenn die Stadt­bib­lio­thek Englisch ver­wen­det, hofft sie, als Teil dieser Kul­tur wahrgenom­men zu wer­den. Und anscheinend — und damin kom­men wir zur kom­mu­nika­tiv­en Wirkung — funk­tion­iert das auch:

[D]er Erfolg spricht für sich. In anderen Bib­lio­theken haben sich die Nutzerzahlen ver­dop­pelt, die Anzahl der Entlei­hun­gen ver­dreifacht, so Rosch­er. Die Stadt­bücherei hat­te 2008 ins­ge­samt 4 126 Nutzer. 44 Prozent davon sind zwis­chen sechs und 24 Jahren alt. Also etwa die Ziel­gruppe von „freestyle“, das 14- bis 24-Jährige ansprechen soll. Im Jahr 2008 kamen 83.200 Besuch­er, wenn „freestyle“ läuft, kön­nte die Zahl für 2009 steigen.

Das ist es, was die Sprach­nör­gler oft nicht ver­ste­hen: „Anglizis­men“ wer­den in der Wer­bung ver­wen­det, weil sie funk­tion­ieren. Daran ändert auch die nicht tot zu kriegende End­mark-StudiePDF nichts, die „bewiesen“ hat, dass die Men­schen Come in and find out mit „Komm here­in und finde wieder her­aus“ über­set­zen. Denn ob die Kon­sumenten englis­che Slo­gans ver­ste­hen ste­ht in keinem Zusam­men­hang damit, welche Leben­sart sie mit ihnen verbinden.

Allerd­ings lässt sich das Pres­tige der englis­chen Sprache nicht beliebig einsetzen:

Ger­ade für das große Ange­bot an Musik und Fil­men inter­essieren sich junge Men­schen. Über ihre Inter­essen sollen sie langsam an die Bücher­welt herange­führt wer­den. „Lese­förderung ist nach wie vor unser Ziel, aber dazu muss man erst ein­mal das Inter­esse, die Freude und den Spaß wecken.“

Und das ist es, was allzu arg in die englis­che Sprache ver­liebte Wer­beleute oft nicht ver­ste­hen: Nicht jedes Pro­dukt kann glaub­haft in die bunte, glob­al­isierte Wun­schwelt einge­bun­den werden.

Filme und Musik? Natürlich.

Aber Büch­er? Wohl kaum.

11 Gedanken zu „Bücher freestyle

  1. Daniel

    Wieso koen­nen Buech­er nicht glaub­haft in diese Anglizis­men-Kam­pagne einge­bun­den wer­den? Action, Sci­Fi, Mys­tery etc. sind doch zu 100% etablierte Genre-Beze­ich­nun­gen. Wenn die Kids keinen Bock auf Lesen haben liegt das doch wohl nicht daran dass sie das “boys+girls”-Regal nicht fuer glaub­haft genug halten.

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  2. Gareth

    Ich wollte ger­ade sagen, so viele Anglizis­men hat diese Bib­lio­thek dann nun wirk­lich nicht ver­wen­det. Ger­ade im Kul­tur- und Medi­en­bere­ich sind sowohl die von Daniel genan­nten Begriffe als auch Fan­ta­sy, Fun und Real­i­ty gängig und etabliert. Jobs ist sowieso ein ganz nor­males Wort. So bemerkenswert finde ich den Vorstoß aus Suhl daher nicht.

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  3. Nörgler

    [D]er Erfolg spricht für sich. In anderen Bib­lio­theken haben sich die Nutzerzahlen ver­dop­pelt, die Anzahl der Entlei­hun­gen ver­dreifacht, so Rosch­er. Die Stadt­bücherei hat­te 2008 ins­ge­samt 4 126 Nutzer. 44 Prozent davon sind zwis­chen sechs und 24 Jahren alt. Also etwa die Ziel­gruppe von „freestyle“, das 14- bis 24-Jährige ansprechen soll. Im Jahr 2008 kamen 83.200 Besuch­er, wenn „freestyle“ läuft, kön­nte die Zahl für 2009 steigen.

    Aus diesem merk­würdi­gen Absatz kann ich nicht so recht erse­hen, wo “der Erfolg für sich spricht”. Aus den Zahlen des Vor­jahres kann man das doch wohl nicht erschließen. Was sind das denn für “andere Bib­lio­theken”? Die bloße Ver­mu­tung, daß “die Zahl für 2009 steigen []kön­nte]”, ist noch kein Erfolg, der für sich spricht. Daß es einen meßbaren Erfolg noch gar nicht geben kann, geht doch klar aus der weit­er unten ste­hen­den Fest­stel­lung her­vor: “Noch müssen sich neugierig gewor­dene Jugendliche etwas gedulden. Am 19. Mai wird ‘freestyle’ in der Stadt­bücherei vorgestellt.” 

    Ich wün­sche der Stadt­bib­lio­thek möglichst großen Erfolg. Daß man mehr Jugendliche gewin­nt, wenn man mehr DVD’s, CD’s, Comics usw. anbi­etet, ist ja nicht unplau­si­bel. Ob dadurch aber junge Men­schen “langsam an die Bücher­welt herange­führt wer­den” kön­nen, oder ob sie dadurch eher vom Lesen abge­hal­ten wer­den, wird sich noch erweisen müssen.

    Und selb­st wenn der erwün­schte Erfolg ein­träte, wäre es ja noch völ­lig unklar, ob die englis­che Beschrif­tung der Regale damit auch nur das ger­ing­ste zu tun hat. Als ich selb­st noch Jugendlich­er war, habe ich Bemühun­gen von Erwach­se­nen, sich durch Ver­wen­dung ange­blich­er “Jugend­sprache” anzu­biedern, als höchst lächer­lich emp­fun­den. So etwas hat mich eher abgestoßen als angelockt.

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  4. Dierk

    Wäre es nicht für uns altherkömm­lich gebildete bess­er, die “kids” wür­den gar nicht lesen ler­nen? Ich meine, nicht nur dass wir dann automa­tisch zur immer klein­er wer­den­den Elite wür­den, wir hät­ten auch die Möglichkeit, über die ‘blö­den Kinder von heute’ zu schimpfen. Ist doch gar nicht einzuse­hen, dass Aris­tote­les sich über die Jugend von damals beschw­eren kann, unsere Großel­tern, unsere Eltern das kon­nten — wir aber nicht!

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  5. Kristin

    @Nörgler: Das Pro­jekt gibt es in anderen Bib­lio­theken bere­its, die Erfol­gszahlen stam­men also wohl daher. (Eine kurze Google-Suche ver­weist z.B. auf Biele­feld, Düsseldorf, …)

    Konzip­iert in ein­er Pro­jek­t­part­ner­schaft mit der Stadt­bib­lio­thek Mönchenglad­bach und der ekz Bib­lio­theksser­vice GmbH, wird bei “freestyle” kon­se­quent der Grund­satz des Out­sourcings bib­lio­thekarisch­er Tätigkeit­en umge­set­zt. Mod­ellcharak­ter erhält “freestyle” durch die bun­desweite Ver­mark­tung, die bei Bedarf eine unkom­plizierte Nach­nutzung durch andere Bib­lio­theken als Kom­plettver­sion oder in einzel­nen Mod­ulen ermöglicht.”

    Quelle

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  6. David Marjanović

    Es wur­den bewusst Anglizis­men gewählt, weil es die Sprache der Jugendlichen ist […]“

    Nicht schon wieder Erwach­sene, die glauben, sie wis­sen, was… <head­desk>

    Da hat Nör­gler recht.

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  7. P.Frasa

    Hat er.

    Und wieso soll Musik prob­lem­los in die bunte, glob­al­isierte Welt über­tra­gen wer­den kön­nen? Etwas pauschal­isiert, nicht? Oder wie muß man sich das vorstellen — “Gun­ther, dein­er Bitch ist übel”?

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  8. Victor Persien

    Ich als “Ziel­gruppe” entwick­le per­sön­lich immer eine Art fremd­schä­men, wenn ich sehe, wie irgendwelche Ein­rich­tun­gen, die um ihr junges Pub­likum, bzw. um dessen Nichter­scheinen, fürcht­en, beina­he schon krampfhaft ver­suchen “hip” und “cool” zu wirken. Da kom­men dann so Slo­gans zusam­men wie “Check das aus!”, die völ­lig an der All­t­agssprache der Jugendlichen vorbeiziehen.

    Ich schätze mal, dass die jun­gen Leute jet­zt nicht diese Bücherei besuchen, weil sie so ein mod­ernes (= amerikanisches/intarnationales) Auftreten an den Tag legt, son­dern weil sie sehen, DASS etwas für sie getan wird.

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