Am Samstag morgen in Marburg im Café an einem Nachbartisch voller Literaturwissenschaftler gehört:
Des Schwäbsche, des is e Schbraach, die wo man net ernscht nemme kann. Genau wie’s Ostdeutsche.
Ja, wo hätte ich da anfangen sollen?
Am Samstag morgen in Marburg im Café an einem Nachbartisch voller Literaturwissenschaftler gehört:
Des Schwäbsche, des is e Schbraach, die wo man net ernscht nemme kann. Genau wie’s Ostdeutsche.
Ja, wo hätte ich da anfangen sollen?
Nachdem mein neuster Beitrag die Tausend-Wort-Grenze überschritten hatte, habe ich beschlossen, ihn in mehrere Teile (mir schweben drei vor) zu unterteilen. In diesem ersten Teil will ich ein paar Grundlagen klären:
Was wir im Deutschen als <ch> schreiben, kann je nach Position im Wort unterschiedlich klingen — wenn man sich die Wörter mich, Bach und Buch vorspricht, merkt man’s. Drei verschiedene <ch>s. Zur Unterscheidung kann man IPA-Zeichen benutzen, also Lautschrift:
Normalerweise ist es aber gar nicht nötig, diese Zeichen zu benutzen, wenn man eine simple Regel beherrscht — und wer muttersprachlich Hochdeutsch spricht, tut das. Der vorhergehende Laut bestimmt über die Aussprache. Komisch? Nein, logisch.
Assimilation ist in der Sprachwissenschaft die Bezeichnung dafür, dass ein Laut einem anderen ähnlicher wird. Wenn wir uns den <ch>-Fall anschauen, ist wichtig zu wissen, dass man Vokale (denn das sind in den Beispielen ja die vorhergehenden Laute) nach bestimmten Kriterien einteilt — unter anderem danach, wo im Mund sich die Zunge bei der Aussprache befindet. Das ist schematisch im nächsten Bild zu sehen, stark vereinfacht (für IPA-Kundige gibt es eine Extraversion ganz unten):
Die Vokale sind ungefähr dort eingetragen, wo sich die Zunge bei der Aussprache befindet. Es gibt drei Gruppen, nämlich vordere (i, ü, e, ö, ä), zentrale (a) und hintere (u, o) Vokale.
Wenn man sich jetzt anschaut, wo die Zunge bei den jeweiligen <ch>s ist, fällt auf: Nach den hinteren Vokalen ist sie weiter hinten im Mund! Das <ch> passt sich also an den Artikulationsort der Vokale an. So verkürzt sich der Weg, den die Zunge zwischen den beiden Lauten zurücklegen muss.
Über die Assimilationsrichtung streitet man sich in der Sprachwissenschaft — es könnte sein, dass der ach-Laut der ursprüngliche Laut war, und alle ich-Laute Assimilationen sind, oder aber, dass der ich-Laut der ursprüngliche war, und alle ach-Laute Assimilationen sind. Für letzteres argumentiert z.B. T. Alan Hall weil der ich-Laut in wesentlich mehr Positionen auftritt als der ach-Laut. Die Sprachgeschichte deutet eher auf den ach-Laut hin.
Ja, genau: Jetzt zu den Rrrregeln für das <ch>:
Diese Aussprachevarianz nennt man Allophonie.
Weitergehen wird es mit einem kleinen Ausblick in Dialekte und Umgangssprache — wo es sich manchmal etwas anders verhält, mit dem ich- und dem ach-Laut. Vielleicht morgen schon, aber eher erst nächste Woche.
Fußnoten:
1Ausnahme: die Verkleinerungssilbe -chen hat immer [ç].
2Am Wortanfang gibt es wilde Variationen, das Spektrum reicht von [k] über [ʃ] <sch> zu [ç] — aber den ach-Laut gibt es im Standarddeutschen an dieser Stelle nie!
Und hier das “richtige” Vokaltrapez:
Vokaltrapez des Deutschen
Judith Holofernes von Wir sind Helden ist ein poetisches Genie, und „Kaputt“ vom Album „Soundso“ ist einer ihrer besten Texte (Nörgler, dibbedabb & Co: das ist keine wissenschaftliche Aussage, sondern eine Meinung — die dürfen Wissenschaftler auch haben).
Aber der Refrain des Liedes birgt ein kleines sprachwissenschaftliches Rätsel. So wird er auf der Webseite der Band zitiert: Weiterlesen
Es gibt auf der Welt ja auch noch andere Blogs — und eines davon will ich heute empfehlen: Wunderland Deutsch von Barbara Bauer. Eine sehr schön gemachte Seite, auf der es um die deutsche Sprache geht. Die Beiträge sind meistens kurz, sehr übersichtlich und sehr gut zu lesen. Ich bin Anfang des Jahres drübergestolpert und habe ein bißchen herumgestöbert.
Aus dem ersten Beitrag, darüber, was das Blog nicht will:
“Zum anderen sind derzeit Strömungen zu bemerken, deren Zugang zur Sprache sich dadurch definiert, Fehler jeglicher Art anzuprangern, sich darüber lustig zu machen und sich dadurch selbst zu profilieren. Beispiele sind etwa die Zwiebelfischkolumnen von Bastian Sick, Langenscheidts „Übelsetzungen“ und diverse Internetseiten, die sich über „Deppenapostrophe“, „Deppenleerzeichen“ usw. lustig machen. Nicht zu vergessen sind die ewigen Jammereien wegen des angeblichen Verfalls der deutschen Sprache, die gleichfalls hierher gehören.”
Ja! Ja! Ja! An mein Herz!
Zum Einstieg empfehle ich:
Der digitale Wenker-Atlas (DiWA) ist ein Projekt, das den (über hundert Jahre alten) “Sprachatlas des deutschen Reichs” digitalisiert und im Internet zugänglich macht. Die Daten des Sprachatlas’ wurden mit den sogenannten Wenkersätzen erhoben.
Gestern habe ich mich bei der URL vertippt …
Heute ein Verweis auf das Language Log — und zwar genauer auf diesen Eintrag mit einem Diagramm (gefunden via StrangeMaps), das zeigt, welche Sprachen in welchen Sprachen als prototypisch unverständlich betrachtet werden. Als Quelle dient ein entsprechender Wikipedia-Eintrag.
Es geht also darum, dass man sagt “Das klingt X für mich”, wobei X irgendeine als unverständlich empfundene Sprache ist, und damit ausdrückt, dass man etwas nicht versteht. Im Englischen ist es z.B. That’s Greek to me!
Das sieht alles sehr spannend aus, allerdings fürchte ich, dass die einzelnen Einträge noch einmal überprüft werden müssten. Für Deutsch ist z.B. Spanisch eingetragen, wegen Das kommt mir Spanisch vor — aber Das kommt mir Spanisch vor hat eigentlich nicht die Bedeutung ‘Ich verstehe das nicht’, sondern ‘Das ist mit suspekt, das kommt mir komisch vor’. (Ärgerlicherweise kommt das auch in der deutschen Wikipedia nicht richtig raus.)
Strange Maps hat zum Deutschen noch Kauderwelsch anzubieten und spekuliert, es bezeichnete vielleicht Rätoromanisch. Das ist gar nicht so abwegig, Kluge kennt die Theorie auch — Welsch ist ja ein altes Wort für romanische Sprachen. Im Deutschen wurde es eher abwertend gebraucht, in der Schweiz wohl neutral. Trotzdem ist es kein besonders gutes Beispiel für die Sprachensammlung, denn erstens stellt man heute keinen Bezug zu einer bestimmten Sprache mehr her, und zweitens hat es die zusätzliche Bedeutung ‘Ich verstehe es nicht weil es schlecht formuliert/ausgesprochen/… ist’. Entsprechend findet es sich auch meist in abwertenden Kontexten wie So ein Kauderwelsch! (Eine positive Verwendung ist z.B. bei der Reihe Kauderwelsch gelungen.)
Die gängigste Wendung bei uns ist völlig ohne Bezug zu Fremdsprachen — Ich versteh nur Bahnhof. Die deutsche Sprache scheint im Gegenzug auch von keiner anderen Sprache als besonders unverständlich wahrgenommen zu werden …
In der Gesamtsicht scheinen Griechisch und Chinesisch sehr beliebt zu sein. (Fachchinesisch gibt’s bei uns ja auch. Und Angler‑, Jäger‑, …latein.) Interessant, dass es beides Sprachen mit anderen Schriftsystemen sind.
Der Konferenzstress verhindert es derzeit, dass ich regelmäßiger blogge, aber ich verspreche, dass sich das bald wieder ändert. Zum Glück brauchen die Sprachblogleser/innen mich nicht, um laut über Sprache nachzudenken: die Diskussion zu meinem letzten Eintrag hat gerade die in diesem bescheidenen Blog eher seltene Grenze von 40 Kommentaren erreicht. Die Diskussion hat sich vom ursprünglichen Thema wegentwickelt (der Frage nach dem Verfassungsrang des Deutschen) und dreht sich nun um die Vor- und Nachteile von Lehnwörtern (ich werde darauf verweisen, wenn ich das nächste Mal dafür kritisiert werde, dass ich zu viel über Anglizismen schreibe).
Ein Argument, das die Lehnwortgegner in dieser Diskussion breittreten ist das der Verständlichkeit: Anglizismen (und andere Lehnwörter) seien deshalb schlecht, weil diejenigen, die deren Ursprungssprache nicht beherrschen, sie nicht verstehen könnten. Weiterlesen
Heute will ich ein ganz altes Buch vorstellen: Das Buch der Natur. Konrad von Megenberg beantwortet alle Fragen, die die Menschen im Mittelalter quälten, häufig mithilfe zuverlässiger Autoritäten wie Plinius oder Aristoteles. Darunter zum Beispiel:
Wie sieht es bei Tieren mit der Vermehrung aus?
- diu kränchinn stêt, wenne si der kranch vogelt.
- diu äffinn hât ain ding sam ain weip und der aff ainz sam ain hunt.
- die störch tœtent iriu weip, diu êbrecherinn sint und sich niht gereinget habent in den wazzern nâch irr pôshait.
Warum bekommt man graue Haare?
daz hâr grâwet von der kelten des hirns, wenne diu nâtürleich hitz sô krank wirt, daz si des hirns kelten nicht mag gesenftigen, ez sei von alter oder von sorgen oder von unfuor.
Und warum werden Männer kahl, Frauen aber nicht?
dar umb auch werdent die haizen man kal wenne si unkäusch pflegent, aber die frawen kalwent niht, dâ von daz si kelterr nâtûr sint wan die man.
Wozu braucht man Augenbrauen?
Die augenprâwe sint den augen nôtdürftig, dar umb, wenn daz tier slâf, daz kain auzwendigz dinch in daz aug valle.
Was ist ein Echo?
Die stimm sint zwaierlai: aineu ist hinlaufend, diu ander herwiderlaufend. diu hinlaufend ist die von dem gestimten tier gêt hindan; diu widerlaufend die haizet ze latein echo, und geschiht wenn der gestimt luft sich widerstôzt an paumen oder an häusern, die in ainem tal derhœht sint und sô gelegen sint, daz si den gestimten luft ze samen haltent, daz er under der stimm form beleiben muoz.
Wozu ist eine Speiseröhre gut?
Diu sluntrœr haizt ze latein ysophagus oder mery und ligt hinden gegen dem hals. die rœrn haizt Aristotiles des magen munt, dar umb, daz si rüert unz an der zungen ursprunch und nimt daz ezzen und daz trinken und tregt ez in den magen, daz ez diu nâtûr kocht und beraitt, daz ez nütz allen gelidern.
Und wie war das mit der ausgleichenden Gerechtigkeit?
ez gêt auch daz kindel in die werlt des êrsten mit dem haupt. aber ez gêt wider auz der werlt des êrsten mit den füezen, wan man kêrt im die füez für, sô man ez ze grab tregt.
Das Buch ist ein wahrer Schatz, und ich habe den Eindruck, dass man auch ein bißchen was davon verstehen kann, wenn man keine Ahnung von Mittelhochdeutsch hat.
Ein paar Hinweise zur Schreibung:
Oh, und noch ein Disclaimer, nicht dass ich mich Verstorbenen gegenüber politisch inkorrekt verhalte: Ich weiß, dass Konrad das nicht komisch gemeint hat und ernstzunehmendes Wissen zusammengetragen hat. Die verflossenen Jahrhunderte haben allerdings einen gewissen Lustigkeitsfaktor ins Spiel gebracht.
Aschermittwoch kommt von der Asche, die man auf’s Haupt streut, soweit, so transparent. Warum aber Aschermittwoch? Warum nicht Aschenmittwoch oder Aschemittwoch?
Synchron betrachtet, d.h. wenn man nur das heutige Deutsch anschaut, ist es nicht weiter verwunderlich. Ein Verfahren der Wortbildung ist es, zwei Wörter zu einem neuen zusammenzusetzen. Das nennt man “Komposition”. Häufig steckt aber zwischen diesen beiden Wörtern noch etwas — das Fugenelement. Laut Grammatik-Duden kommt es bei 30% der deutschen Wörter vor (allerdings scheint es mir fraglich, wie man die Zahl der deutschen Wörter messen will, da Komposition ja produktiv ist). Fugenelemente nennt man all diese Heizungskeller, Rinderställe, Lampenschirme und Donaudampfschifffahrtsgesellschaftskapitänsmützen.
Vielen von ihnen sieht man ihre Herkunft noch an — sie sehen alten Genitivformen ähnlich, wie zum Beispiel des Teufels Kerl > Teufelskerl. Die Uminterpretation als Erstglied des Kompositums nennt man “Reanalyse”. Heute hat das Fugenelement keine grammatische Funktion mehr.
Allerdings kommen die Fugenelemente bei weitem nicht alle von alten Genitiven — bei Heizungskeller sieht man es ganz gut, der Genitiv würde der Heizung heißen, im Plural Heizungen. Kein s weit und breit. Es muss nach dem Vorbild anderer Wörter, die ein Genitiv‑s hatten, in den Heizungskeller eingewandert sein. (Das nennt man “Analogie”.)
Bei Lampenschirm ist es mehr eine Sinnfrage. Zwar heißt es der Lampen, aber ist ein Schirm wirklich für mehrere Lampen da? Doch wohl kaum? Warum hätte es jemand mit dem Plural bilden sollen?
Warum wird also nur der Aschermittwoch dem Vorwurf ausgesetzt, dass er sich zu Unrecht mit seinem r schmückt, wenn doch sehr viele Komposita zu fremdem Material greifen?
Weil er eine alte Form ist. Der Aschermittwoch hatte sein r schon immer. Wie kann das sein, wenn es der Asche, Aschen heißt? Kluge erklärt: Es ist eine regionale Pluralform. Ein Blick ins mittelhochdeutsche Wörterbuch macht nicht viel schlauer — außer dass Asche damals zwar meist feminin war, aber auch maskulin sein konnte. Ich habe mich auf die Suche gemacht und ins rheinische, pfälzische, elsässische, elsässisch-lothringische und luxemburgische Wörterbuch geschaut — nichts, immer mit n. Der digitale Wenker-Atlas hat auch nicht geholfen, da steht keine Asche drin. Schweren Herzens gebe ich also auf … zumindest vorerst.
Grimms Wörterbuch kennt mit r übrigens auch Ascherbrödel, ascherfarbig, Ascherkleid und Ascherkuchen.
Im rheinischen Wörterbuch von gestern finden sich neben der hochdeutschen Form Aschermittwoch auch r‑lose Formen: Öschemeppeg und Äischemettwouch.
Den Rosenmontag habe ich in weiser Voraussicht fern von Mainz verbracht — was mich nicht daran hindert, mal wieder ein Blick ins etymologische Wörterbuch zu werfen. (Bei Olschansky steht auch was dazu, ich hab sie nur nicht mit auf die Flucht genommen. Und, natürlich, bei den Grimms.)
Man ahnt es schon, mit Rosen hat der Tag nichts zu tun — im Rheinischen hieß er, laut Kluge, ursprünglich rasen(d)montag, wobei das Partizip Präsens rasend soviel wie ‘tollend’ bedeutete.1 Komisch, dass das a im Hochdeutschen zum o wurde? Das Rheinische Wörterbuch hilft: es gibt als Aussprache rōsənt an, und unter diesem Lemma findet sich auch:
“rose Mondag Fastnachtsmontag Rip2 noch vielfach auf dem Lande, aber schon vielfach unter dem Einfluss der Stadt Köln Rusemondag ‘Rosenmontag’ ”
Wahrscheinlich ist ruse einfach eine Aussprachevariante, das konnte ich bisher noch nicht verifizieren.
Das Rheinische Wörterbuch kennt auch noch ein paar andere Montage: