Schlagwort-Archive: Mittelhochdeutsch

Ich steh’ an deiner Krippen hier

Von Kristin Kopf

Vielle­icht erin­nert sich ja die eine oder der andere hier noch an die lin­guis­tis­che Wei­h­nacht­slied­analyse anno 2008: Damals habe ich mir angeschaut, warum die Alten sun­gen und nicht san­gen und wieso die Kinder­lein kom­men sollen, nicht die Kindlein. In der diesjähri­gen Neuau­flage geht es um die Krip­pen, die uns dann nach eini­gen Schlenkern auch ver­rat­en wird, warum wir Elisen­le­bkuchen essen:

 Ich steh an dein­er Krip­pen hier,
O Jesulein, mein Leben,
Ich komme, bring und schenke dir,
Was du mir hast gegeben.
Nimm hin, es ist mein Geist und Sinn,
Herz, Seel und Muth, nimm alles hin,
Und laß dirs wohlgefallen.

(Und zum Anhören. Text: Paul Ger­hardt, 1656) ((Wer, wie ich, von der Melodie ver­wirrt ist: Da gibt es zwei.))

Jeder nur eine Krippe!

Ganz offen­sichtlich ist hier von nur ein­er Krippe die Rede — trotz­dem ste­ht da Krippen! Und beim weit­eren Durch­forsten des Lied­textes tauchen noch mehr solch­er Fälle auf:

Zur Seit­en will ich hie und dar / Viel weiße Lilien stecken

Suchst mein­er See­len Her­rlichkeit / Durch Elend und Armseligkeit

Was ist da los? Wenn wir die For­men nach der heuti­gen Gram­matik analysieren, ist alles klar: Weit­er­lesen

Reklame: Hell und klar

Von Kristin Kopf

Beim Herum­blät­tern in den Suchan­fra­gen, mit denen das Sprachlog so gefun­den wird, find­et man neben den immer­gle­ichen (»läng­stes wort deutsche sprache«, »läng­stes wort deutsch­land«, »läng­stes deutsches wort der welt« …) auch Fra­gen, die hier noch nicht beant­wortet wur­den. Zum Beispiel:

aus welcher sprache ist das wort reklame

Aus dem Franzö­sis­chen. Fer­tig. Aber hm, wenn wir ein wenig in sein­er Ver­gan­gen­heit herum­graben, wird es erst richtig span­nend — da taucht näm­lich jede Menge erwart­bare, aber auch uner­wartete Ver­wandtschaft auf!

Von der Reklame zur Reklamation

réclame wurde im Franzö­sis­chen vom Verb réclamer abgeleit­et, das neben ‘zurück­rufen’ auch ‘lock­en’ bedeuten kon­nte. Das Wort gelangte im 19. Jahrhun­dert ins Deutsche und gemeint war damit anfangs nur Wer­bung in Zeitun­gen. Bald fand es sich aber auch in weit­eren Anwen­dungs­bere­ichen — zum Beispiel im fol­gen­den Rant gegen schlechte Orch­ester­musik in Kurorten: Weit­er­lesen

Witwe vs. Witwerin

Von Kristin Kopf

Im Sprachlog geht es zur Zeit um die Form Witwerin (statt Witwe) und ihre möglichen Ursachen. (Kurzver­sion: Es han­delt sich um eine Analo­giebil­dung zu all den anderen abgeleit­eten For­men auf -in, die an Per­so­n­en­beze­ich­nun­gen auf -er ange­hängt werden.)

In den Kom­mentaren kam die Frage auf, ob Witwe und Witwerin ein­mal gle­ich­berechtigt nebeneinan­der existierten:

Waren damals die Witwerin ein gle­ci­h­berechtigtes Syn­onym zur Witwe? Oder war Witwe immer das Grund­wort und die Witwerin war immer eine zweifel­hafte Neben­form. Wann und warum set­zte sich die Witwe durch?

Nun haben wir lei­der keine per­fek­ten his­torischen Kor­po­ra, aber ich glaube, dass das, was es so gibt, auch ein ganz gutes Bild ver­mit­telt.1 Ich habe mal bei Google­Books alle deutschsprachi­gen Büch­er nach Jahrhun­derten getren­nt durch­sucht, begin­nend mit dem 16. Jahrhun­dert. (Vorher sah es ja bekan­ntlich mau aus mit dem Buchdruck.)

Kaum einer mag die Witwerin

Die Ergeb­nisse zeigen recht deut­lich, dass Witwerin immer nur eine (mit gutem Willen) Neben­form war: Weit­er­lesen

Auf dem Holzweg mit dem Holzweg

Von Kristin Kopf

Das Bild­blog hat einen taz-Blog­a­r­tikel über Ter­ror­ex­perten ver­linkt, der den Titel »Plä­doy­er zur Abschaf­fung des Ter­ror­ex­perten. Sel­ten waren so viele so schnell auf dem Holzweg« trägt und eine beze­ich­nende Illus­tra­tion besitzt: Einen Steg aus Holz, der durch ein Moor führt.

Die Bild­wahl ist ein schön­er Hin­weis darauf, wie die Bedeu­tung der Wen­dung auf dem Holzweg sein ‘sich irren’ mit der Zeit intrans­par­ent wurde – und zwar, weil das zuge­hörige Konzept für die bre­ite Bevölkerung immer unwichtiger wurde und den meis­ten Leuten heute unbekan­nt ist.

Ein Holzweg, wie in der Wen­dung gebraucht, ist näm­lich nicht ein ‘Weg aus Holz’, son­dern ein ‘Weg für Holz’. Also wie ein Hol­zlager, nicht wie ein Holzbein. Und das kam so: Weit­er­lesen

Schschschschschschschschschsch

Von Kristin Kopf

Beim Herum­le­sen in früh­neuhochdeutschen Tex­ten habe ich eine char­mante Betra­ch­tung über das Graphem <sch> gefunden:

In: Der Hochdeutsche Schlüszel Zur Schreib­richtigkeit oder Rechtschrei­bung (Leipzig, 1648)

Wann das (ch) auf ein (s) folget/so wird ein grobzis­chen­der Laut daraus/daß es fast seltzsam ist / wie doch solche drey Búch­staben sich zu der zis­chen­den Stimme gefun­den haben ; weil wed­er ein­er alleine/noch sie zusam­men solchen Tón zugében ver­mö­gen : wer­den dem­nach aus­ge­sprochen wie das Hebrais­che ש, als: erfrischen/&c.

Das <sch> ist ein soge­nan­nter “Tri­graph”: Man benutzt drei Buch­staben, um einen bedeu­tung­sun­ter­schei­den­den Laut (“Phonem”) aufzuschreiben. Das heißt man schreibt z.B. <Sau>, aber <Schau>, dabei wer­den bei­de Wörter nur mit jew­eils zwei Laut­en (einem Frika­tiv und einem Diph­thong) aus­ge­sprochen: /za̯ʊ/ und /ʃa̯ʊ/. Ähn­lich geht es mit <ch> (<Bach>, gesprochen /χ/) und <ng> (<hängen>, gesprochen /ŋ/).

Und, wie klug bemerkt, andere Schrift­sys­teme machen keine der­ar­ti­gen Umstände. Das hebräis­che Alpha­bet hat das z.B. <ש> (das allerd­ings sowohl als [s] als auch als [ʃ] aus­ge­sprochen wer­den kann), das ara­bis­che das <> und das kyril­lis­che das <ш>. Und auch das lateinis­che Alpha­bet kann man pri­ma anpassen, wie zum Beispiel das Rumänis­che mit <ș> zeigt.

Der Autor wun­derte sich über die selt­same Schreibprax­is, mit <s>, <c> und <h> einen Laut aufzuschreiben, der sich nicht aus den dreien zusam­menset­zt. Das ist aber gar kein so großes Hex­en­werk – in Wirk­lichkeit reflek­tiert sie eine ältere Aussprache. Unser heutiger Laut /ʃ/ kommt durch zwei Laut­wan­del­prozesse zus­tande: Weit­er­lesen

[Linktipp] Keine Aufnahme der deutschen Sprache ins Grundgesetz

Von Kristin Kopf

Ich war mir erst nicht sich­er, ob ich Ana­tol Ste­fanow­itschs Peti­tion gegen die Auf­nahme der deutschen Sprache ins Grundge­setz mitze­ich­nen sollte. Ich fand die ganze Kam­pagne von BILD und VDS so albern, dass es mir unnötig erschien, denen noch weit­ere Aufmerk­samkeit in Form von Gege­nak­tio­nen zukom­men zu lassen.

Dann habe ich die Kom­mentare gele­sen. Und eine Nacht drüber geschlafen. Heute mor­gen habe ich gle­ich als erstes unterschrieben.

Es ist skur­ril, krass, abar­tig und lei­der über­haupt nicht über­raschend, wie sich die Befür­worter der Deutsch-ins-GG-Aktion gebär­den. Da haben wir, ganz typ­isch, den Ver­weis darauf, dass Ana­tol Ste­fanow­itsch keinen deutschen Namen habe – was schon mal über­haupt keine Rel­e­vanz hat –, daraus resul­tierend dann der Schluss, dass er kein Deutsch­er sei, und daraus wird dann abgeleit­et, dass er eh nichts zum The­ma zu melden habe bzw. dass er ja dann inhärent “gegen” das Deutsche sei. Das ken­nt man. Bei der StuTS hat Prof. Wiese, die ja Unter­suchun­gen zu Kiezdeutsch macht, von Drohmails erzählt, die sie bekommt. Ein Beispiel waren Aus­sagen wie “Sie haben zwar einen deutschen Namen, aber wahrschein­lich sind Sie …” und ähn­lich­es. Ein deutsch­er Name scheint für solche Leute un-glaub-lich wichtig zu sein.

Dann gibt es die Leute, die die Ver­ankerung im Grundge­setz nicht für eine rein sym­bol­is­che Hand­lung hal­ten, son­dern für eine konkrete Hand­habe, z.B. gegen Anglizis­men, dage­gen, dass Geschäfte ihre Pro­duk­te auss­chließlich in ein­er Fremd­sprache beschriften (was zumin­d­est für Lebens­mit­tel Unsinn ist), gegen die “Kre­olisierung” des Deutschen, oder gar gegen den Sprach­tod. Wie A.S. schon gründlich aus­ge­führt hat, ist das alles entwed­er absurd oder irrelevant.

Eine Ver­ankerung des Deutschen im Grundge­setz definiert zudem noch lange nicht, was Deutsch eigentlich ist. Wie jede natür­liche (und auch die meis­ten kün­stlichen) Sprache(n) verän­dert sich das Deutsche per­ma­nent. Meist sind dabei die Dinge, die in der Öffentlichkeit als sehr große Verän­derun­gen wahrgenom­men wer­den, eher irrel­e­vant für das Sprach­sys­tem (z.B. Rechtschreibre­form). Aber egal welche Rolle sie für den Sprach­wan­del spie­len: Er ist unaufhalt­bar. Und warum sollte man ihn auch aufhal­ten wollen? Was ist denn so schlimm daran, dass sich eine Sprache verän­dert? Eine Sprache, die sich nicht mehr verän­dert, ist tot.

Und: Eine Sprache kann man nicht auf ihren Aus­gangszu­s­tand zurück­führen. Was wäre das denn? Für die Leute, die sich da ereifern, ist in der Regel das Deutsch ihrer Schulzeit das Maß aller Dinge. Bedenkt man aber, dass die alle ganz unter­schiedlichen Alters sind, und dass sich auch schon vor langer Zeit Leute der­art ereifert haben, wird langsam klar, dass man immer weit­er zurück­ge­hen müsste … ins Früh­neuhochdeutsche, wo es noch gar keine Stan­dard­sprache gab, ins Mit­tel­hochdeutsche, wo die Sit­u­a­tion noch unein­heitlich­er war, ins Althochdeutsche und dann … dann kom­men die Sprach­stufen, für die wir keine schriftlichen Quellen haben. Wird schw­er, das zu sprechen. (Zumal, komm, schriftliche Quellen als Vor­bild für gesproch­ene Sprache? Haha.)

Ich kön­nte mich noch weit­er ereifern, aber das spare ich mir lieber. Meine Bitte: Schaut euch die Links an, bildet euch eine Mei­n­ung und entschei­det euch ganz bewusst, ob ihr die Peti­tion mitze­ichen wollt oder nicht. Ich habe es getan, unter anderen als bewusstes State­ment gegen diesen ganzen Kommentarmüll.

[Update 25.1.2011: Suz hat einen sehr klu­gen Beitrag geschrieben, in dem sie die Argu­mente der Befür­worter und Geg­n­er von allen Seit­en beleuchtet.]

Wörter auf ‑nf

Von Kristin Kopf

Vor ein­er Weile kam jemand mit der Suchanfrage

wörter mit endung nf

hier­her. Offline kön­nte man so etwas mit einem soge­nan­nten “rück­läu­fi­gen Wörter­buch” her­aus­find­en. Aber was’n Stress!

Meine Online-Stan­dard­lö­sung in solchen Fällen ist canoo.net. Ging hier aber erst­mal nicht, denn da muss man min­destens drei Buch­staben eingeben. Die Anfrage *nf führt zu “Bitte seien Sie genauer: Wild­cards sind erst ab 3 Buch­staben erlaubt”. Wie nervig, es will ja kein­er tausend (= 30) Abfra­gen mit *anf, *bnf, … machen!

Aber elexiko vom Insti­tut für Deutsche Sprache ist koop­er­a­tiv, es spuckt 15 Tre­f­fer aus. Sucht man sich davon nur die ein­fachen Wörter aus, schnur­rt die Zahl der­er auf -nf ganz schnell auf vier zusam­men: Hanf, Senf, fünf und der Eigen­name Genf. Sind das schon alle? Weit­er­lesen

Herrliche Etymologie, dämliche Aufgabe

Von Kristin Kopf

Auf der Suche nach Auf­gaben zur Wort­bil­dung bin ich vor eini­gen Wochen auf die fol­gende Frage gestoßen:

Quelle: Bach­e­lor­wis­sen Ger­man­is­tis­che Lin­guis­tik (Busch/Stenschke)

Beschreiben Sie aus­ge­hend von der zugrunde liegen­den Wort­bil­dung den Bedeu­tungswan­del bei den Adjek­tiv­en däm­lich und her­rlich.

Erst fand ich’s lustig, aber dann hat mich das Mitleid mit den armen Bach­e­lors gepackt. Das ist näm­lich eine ganz gemeine Falle. Weit­er­lesen

Einhällig und aufwendig

Von Kristin Kopf

Ich habe eben einen (übri­gens aus­geze­ich­neten!) Blog­beitrag von Ana­tol Ste­fanow­itsch zum iPad gele­sen und darin fol­gende Schrei­bung entdeckt:

Schon damals habe ich mich darüber gewun­dert, dass die Presse hier so ein­häl­lig einen Humor pflegt (oder auf­greift), der auf der krampfhaften Suche nach anstößi­gen Dop­peldeutigkeit­en beruht und der mir seit der sech­sten Klasse nicht mehr begeg­net ist.

Ein großar­tiger Satz, ganz neben­bei. Mir geht’s aber um das <ä> in ein­häl­lig. Das ist zwar ein Rechtschreibfehler, aber er deutet auf etwas span­nen­des hin: eine gelehrte Volk­se­t­y­molo­gie, denn hier wurde ein­hel­lig wahrschein­lich an hallen angeschlossen und entsprechend mit <ä> geschrieben.

In Wirk­lichkeit stammt’s vom althochdeutschen Verb hel­lan ‘tönen’. Das ist heute aus­gestor­ben, an sein­er Stelle hat sich hallen durchge­set­zt, das seit dem 15. Jahrhun­dert belegt ist und vom mit­tel­hochdeutschen Sub­stan­tiv hal ‘Hall’ abgeleit­et wurde (welch­es wiederum doch auf hel­lan zurück­ge­ht, aber den Schlenker ers­pare ich euch lieber).

ä‑tymologische Schreibung

Dass man Wörter an ver­wandte Wörter mit <a> anschließt und entsprechend <ä> statt <e> schreibt, ist eine beliebte Prax­is. Ihr erin­nert euch vielle­icht dran, wie’s bei der Rechtschreibre­form hieß, dass man jet­zt <aufwändig> mit <ä> schreibt, weil es von <Aufwand> kommt und <Stängel> wegen <Stange>. Das Prinzip, das man damit ver­fol­gt, heißt “Mor­phemkon­stanz” – zusam­menge­hörige Wörter sollen auch durch die Schrei­bung als solche markiert werden.

Das ist ganz deut­lich bei den Umlaut­plu­ralen, wo man niemals <Hand> – <Hende> schreiben würde (aber dur­chaus mal getan hat), oder bei den Weit­er­lesen