Quizzen ohne Wissen

Von Susanne Flach

Der Men­sch liebt Wis­sensquizze. Warum also nicht mal als eben exam­iert­er Sprach­wis­senschaftler an einem Quiz über Sprache teilnehmen?

Ich war ja selb­st mal Quiz­mas­ter, also liegt es mir fern, mit den Mach­ern des Quiz all zu hart ins Gericht zu gehen, geschweige­denn das Quiz auf dem Nachricht­en­por­tal Rhein­Neckar für bare Münze zu nehmen. Aber der Witz ist, dass man mit Wis­sen über Sprache bei dem Quiz gar nicht die volle Punk­tzahl erre­ichen kon­nte — ist man gnädig, dann sei ange­merkt, dass die Fra­gen zumin­d­est sehr missver­ständlich for­muliert waren.

Schre­it­en wir zur Analyse:

Das ist eigentlich keine Frage von richtig oder falsch, son­dern lediglich eine der Def­i­n­i­tion. Wann muss eine Sprache ver­mut­lich ausster­ben, um jet­zt als bedro­hte Sprache ange­se­hen zu wer­den? 2050 oder 2100? Wie wenige Sprech­er muss eine Sprache haben, um als bedro­ht zu gel­ten? 100? 1000? Oder keinen mono­lin­gualen Sprech­er mehr? Oder nur noch Mut­ter­sprach­ler über, sagen wir, 30 oder 50 Jahren (mori­bunde Sprachen, oft sog­ar unab­hängig von der Anzahl sein­er Sprech­er)? Ist Irisch, das so gut wie keine mono­lin­gualen Sprech­ern mehr hat, ähn­lich stark bedro­ht wie kleinere Sprachen, die ohne Schutz oder Förderung auf insi­tu­tioneller Ebene mit ihren let­zten Sprech­ern ausster­ben? Wie wird eine gefährdete Sprache noch weit­erg­ere­icht: als Zweit­sprache oder als exk­lu­sive Sprache des famil­iären Gebrauchs? Ist Deutsch eine bedro­hte Sprache, weil sie in Rus­s­land von immer weniger Sprech­ern als Mut­ter­sprache gesprochen wird? Sicher­lich nicht.

Dieses The­ma eignet sich übri­gens beson­ders gut, mit Zahlen seinen Stand­punkt zu manip­ul.… unter­mauern: schätzt man das Schick­sal kleiner­er Sprachen pes­simistisch ein, ist fol­gende Auf­stel­lung bom­bastisch und ein­drucksvoll: weniger als 6% der weltweit­en Sprachen wer­den von fast 95% der Welt­bevölkerung gesprochen. Tja, wirft der Opti­mist ein, diese Sta­tis­tik sagt aber nichts über die Zwei- und Mehrsprachigkeit der Sprech­er aus, wie sie für nicht anglo-europäis­che Gesellschaftss­chicht­en eigentlich die Regel ist (von der Funk­tion welch­er Sprache in welch­er Sit­u­a­tion ganz zu schweigen). Oder wie wär’s mit diesen Zahlen: 94% der Sprachen haben weniger als eine Mil­lion Sprech­er. Klingt bedrohlich? Aber auch hier ver­schleiern nack­te Zahlen den Sta­tus, den eine kleine Sprache in seinem Ver­bre­itungs­ge­bi­et genießt oder eben auch nicht. (Zahlen: Eth­no­logue, Dat­en basieren auf der Erstsprache.)

Ich habe für meine Antwort im Quiz lediglich die pes­simistis­che Per­spek­tive gewählt.

Näch­ste Frage:

Hier habe ich zwar richtig geant­wortet, aber wohl eher die Fragestel­lung (je nach Per­spek­tive auch den Mythos) durch­schaut, als mich auf eine defin­i­tive Antwort auf diese Frage berufen. Denn diese Frage ist missver­ständlich: gemeint war ver­mut­lich der Mut­ter­sprachen­sta­tus. Aber damit berührt sie auch einen ganz alten Zankapfel: ab wann ist eine Sprache eine Sprache und ab wann ver­fällt sie in mehr oder weniger untere­inan­der nicht ver­ständliche Dialek­te? Was genau ver­ste­ht man unter Man­darin: ein stan­dar­d­isiertes Hochchi­ne­sisch oder die Gesamtheit der Man­darindi­alek­te? Und wirkt die fol­gende Frage in diesem Kon­text nicht irgend­wie deplaziert und beina­he absurd: wieviele Sprech­er hat Indo-Europäisch? Und wenn ja, wieso? (Tipp: Die Frage ist ver­mut­lich nur aus syn­chroner Per­spek­tive absurd.)

Gibt man die Mut­ter­sprachen­per­spek­tive für diese Quizfrage auf und fragt nach gesproch­en­er Sprache all­ge­mein, ste­ht man vor einem nicht weniger ern­sten Def­i­n­i­tion­sprob­lem: oft hört man, Englisch sei die am meis­ten gesproch­ene, weil am häu­fig­sten gel­ernte Sprache. Aber ab wann ist man ein Sprech­er des Englis­chen? Bei mut­ter­sprach­lich­er Kom­pe­tenz, bei funk­tionaler Beherrschung für eingeschränk­te Zwecke oder bei der Ken­nt­nis über ein paar Begriffe und Phrasen? Und ist ein Sprech­er von Tok Pisin, ein­er englis­chbasierten Kre­ol­sprache in Papua-Neuguinea, kein Sprech­er des Englis­chen, ein Sprech­er eines ent­fer­n­ten Man­darindi­alek­ts aber Sprech­er der “am häu­fig­sten gesproch­enen Sprache” ‘Man­darin’?

Auch hier: keine defin­i­tive Antwort, weil keine Grenzziehung.

Die let­zte hier disku­tierte Frage ist aber keine Frage der Per­spek­tive, son­dern schlicht klar definiert und lässt kein­er­lei Zweifel am Unwis­sen oder der Recherchefaul­heit der Quiz­mas­ter aufkommen:

Wie die Quiz­mas­ter hier auf 45 kom­men, ist nicht nachvol­lziehbar. (Noch nicht mal die beliebte Ver­wech­slung von Europäis­ch­er Union und Europarat kann hier Mod­ell ges­tanden haben. Immer­hin war ‘23’ aber eine von drei Auswahlmöglichkeit­en.) Gefragt war nach Amtssprachen der EU — Ende der Diskussion.

Fort­set­zung fol­gt: The Mus­tache Hoax.

2 Gedanken zu „Quizzen ohne Wissen

    1. suz Beitragsautor

      Ja eben nicht… Drei Wochen ohne Beitrag — das werde ich nicht noch mal zulassen 🙂

      [Da sind so unendlich viele Beiträge in der Mache — allein, es fehlt das I‑Tüpfelchen.]

      Antworten

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