Heilige Gespenster

Von Anatol Stefanowitsch

Auf der Face­book-Seite des Sprachlogs (auf der man die neuesten Beiträge aus dem Sprachlog, der Sprachlog-Außen­stelle sowie gele­gentliche Lek­türetipps bekommt, also unbe­d­ingt Fan wer­den!), fragt Felix Rauch folgendes:

Bei der royalen Hochzeit fiel mir auf, dass es in der Ref­erenz auf die Trinität „the father, the son and the holy ghost“ heißt, son­st aber auf „the holy spir­it“ Bezug genom­men wird. Was hat es denn damit aus lin­guis­tisch-ety­mol­o­gis­ch­er Sicht auf sich? 

Diese Frage beant­worte ich gern, denn so bekommt die rät­sel­hafte öffentliche Hys­terie um die gestrige Traumhochzeit doch noch einen Sinn.

Holy ghost ist die ältere Beze­ich­nung, die sich in allen englis­chsprachi­gen Bibelüber­set­zun­gen bis in die früh­neuenglis­che Zeit find­et — sowohl in der anglikanis­chen „Autho­rized King James Ver­sion“ von 1611 als auch in der katholis­chen „Douay–Rheims Bible“ von 1582 (Neues Tes­ta­ment) bzw. 1609 (Altes Tes­ta­ment) ist es die klar bevorzugte Form, obwohl in bei­den Über­set­zun­gen vere­inzelt auch der Aus­druck holy spir­it auftaucht.

In den heute am weitesten ver­bre­it­eten englis­chen Bibelüber­set­zun­gen wird dage­gen durchgängig der Aus­druck holy spir­it ver­wen­det, und auch im all­ge­meinen Sprachge­brauch ist es die deut­lich häu­figere Form: Im Cor­pus of Con­tem­po­rary Amer­i­can Eng­lish ist sie fünf­mal häu­figer als Holy Ghost, im British Nation­al Cor­pus sog­ar mehr als zehn­mal häufiger.

Was hat es damit auf sich? Ich kann nur ver­muten, dass es etwas mit dem Bedeu­tungswan­del zu tun hat, den das Wort ghost durch­laufen hat.

Das Wort geht auf das Pro­to-Ger­man­is­che *gaisto‑z zurück, das ver­mut­lich ursprünglich so etwas wie „Zorn“ bedeutete, sich aber in allen west­ger­man­is­chen Sprachen mit dem heuti­gen Bedeu­tungsspek­trum find­et (z.B. nieder­ländisch geest, deutsch Geist, friesisch gâst).

Die früh­este im Englis­chen nachgewiesene Bedeu­tung ist die der „Seele“ oder des „Lebens­geistes“, also der Vorstel­lung von einem imma­teriellen Aspekt eines Men­schen. Diese Bedeu­tung find­et sich schon im 10. Jahrhun­dert, sie wird aber schon im 14. Jahrhun­dert sel­ten und find­et sich im Neuenglis­chen — von einzel­nen Ver­wen­dun­gen bis ins 19. Jahrhun­dert abge­se­hen — nicht mehr. Sie existiert heute nur noch in der fest­ste­hen­den Redewen­dung to give up the ghost („den Geist aufgeben“).

Gegen Ende des 14. Jahrhun­derts nimmt das Wort die heute dom­i­nante Bedeu­tung „Totengeist“ an, beze­ich­net also zunehmend die Vorstel­lung von der Seele eines Ver­stor­be­nen in ein­er sicht­baren (oder hör­baren) Form, die erste doku­men­tierte Ver­wen­dung stammt aus Geof­frey Chaucers „Leg­end of Good Women“ (1385): This night my fadres gost Hath in my sleep so sore me tor­ment­ed („Heute Nacht hat mich der Geist meines Vaters schmer­zlich gequält“).

Eben­falls im 14. Jahrhun­dert find­et das nor­man­nisch-franzö­sis­che Lehn­wort spir­it seinen Weg in die englis­che Sprache und übern­immt die frühere Bedeu­tung von ghost, wird also ver­wen­det, um den Lebens­geist oder die Seele eines Men­schen zu beze­ich­nen. Außer­dem find­en sich von Anfang an auch Ver­wen­dun­gen, die sich auf über­natür­liche Wesen beziehen, aber nur sel­ten auf wahrnehm­bare Man­i­fes­ta­tio­nen der See­len Verstorbener.

Der Wech­sel von holy ghost zu holy spir­it im kirch­lichen Sprachge­brauch begin­nt zur gle­ichen Zeit: holy spir­it find­et sich ab dem Beginn des 14 Jahrhun­derts, und auch wenn holy ghost in den oben erwäh­n­ten Bibelüber­set­zun­gen aus dem 17. Jahrhun­derts noch die häu­figere Form ist und sich vere­inzelte Ver­wen­dun­gen bis heute find­en, wird holy spir­it in der Fol­gezeit die bevorzugte Form.

Der Grund dafür dürfte darin liegen, dass die neue Bedeu­tung von ghost, die sicht­bare Man­i­fes­ta­tion der See­len Tot­er, mit der bib­lis­chen Vorstel­lung des Heili­gen Geistes als göt­tlichem Prinzip nicht vere­in­bar war — holy ghost muss außer­halb der über­liefer­ten religiösen Texte zunehmend den Klang eines „heili­gen Gespen­stes“ angenom­men haben.

Und heilige Gespen­ster gibt es ja tat­säch­lich — zum Beispiel das Gespenst des europäis­chen Adels, das offen­sichtlich so inten­siv durch die Fan­tasie der Deutschen spukt, dass die Eheschließung eines möglichen zukün­fti­gen, nicht demokratisch legit­imierten aus­ländis­chen Staat­sober­hauptes auf bei­den öffentlich-rechtlichen und den bei­den größten pri­vat­en Fernsehsendern par­al­lel über­tra­gen wer­den kann, ohne dass eine Schuhe schwenk­ende Men­schen­menge die Sendeanstal­ten stürmt.

 

OED (2010) Oxford Eng­lish Dic­tio­nary. Dritte Auflage.

 

[Dieser Beitrag erschien ursprünglich im alten Sprachlog auf den SciLogs. Die hier erschienene Ver­sion enthält möglicher­weise Kor­rek­turen und Aktu­al­isierun­gen. Auch die Kom­mentare wur­den möglicher­weise nicht voll­ständig übernommen.]

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Über Anatol Stefanowitsch

Anatol Stefanowitsch ist Professor für die Struktur des heutigen Englisch an der Freien Universität Berlin. Er beschäftigt sich derzeit mit diskriminierender Sprache, Sprachpolitik und dem politischen Gebrauch und Missbrauch von Sprache. Sein aktuelles Buch „Eine Frage der Moral: Warum wir politisch korrekte Sprache brauchen“ ist 2018 im Dudenverlag erschienen.

7 Gedanken zu „Heilige Gespenster

  1. Michael Blume

    Klasse!
    Über diese Stelle der Liturgie bin ich auch zunächst gestolpert, da im Amerikanis­chen m.W. fast durchgängig vom “holy spir­it” die Rede ist, habe aber die Hin­ter­gründe noch nicht nach­schla­gen kön­nen. Das ist nun dank dieses gelun­genen Blog­posts auch unnötig geworden…

  2. Natur des Glaubens

    Das Spek­takel der königlichen Hochzeit — Ein lehrre­ich­er Anachro­nis­mus­Mor­gen ist es also soweit: Kate Mid­dle­ton und Prinz William geben sich das königliche Jawort! Während sich Fernsehsta­tio­nen weltweit auf Hun­derte von Mil­lio­nen Zuschauern ein­stellen, gehört es unter deutschen Gebilde­ten in diesen Tagen z…

  3. Klausi

    Demokratie, Stock und Tampon
    Und heilige Gespen­ster gibt es ja tat­säch­lich — zum Beispiel das Gespenst des europäis­chen Adels, das offen­sichtlich so inten­siv durch die Fan­tasie der Deutschen spukt, dass die Eheschließung eines möglichen zukün­fti­gen, nicht demokratisch legit­imierten aus­ländis­chen Staat­sober­hauptes auf bei­den öffentlich-rechtlichen und den bei­den größten pri­vat­en Fernsehsendern par­al­lel über­tra­gen wer­den kann, ohne dass eine Schuhe schwenk­ende Men­schen­menge die Sendeanstal­ten stürmt.
    Demokratisch legit­imiert ist er, unser Bun­de­spräsi­dent, aber was haben wir davon und vor allem, was haben wir von ihm? — Ein Ver­legen­heit­skan­di­dat, ohne Aus- und Vor­bil­dung in’s Amt gekom­men, Unter­hal­tungswert gle­ich Null, stiefelt er nun seit gefühlten 100 Jahren so steif, als hätte er einen Stock im Hin­tern, durch die Gegend.
    Im Gegen­satz dazu die englis­che Königs­fam­i­lie. Von Gottes Gnaden erko­ren und auf Thron­fol­gen­rei­hen­recht gestützt präsen­tiert sich die ganze Sippe als eine Fam­i­lie wie du und ich sie auch haben (kön­nten). Die Oma vom Karl hat­te zu Lebzeit­en gerne einen getrunk­en und sorgte für Stim­mung im Hause, die noch voll beruf­stätige Mama hat nicht nur zuhause die Hosen an und der vorver­entet wirk­ende Papa dack­elt deshalb den ganzen lieben lan­gen Tag miss­mutig hin­ter ihr her und beklagt sich über Karl und die anderen mis­s­rate­nen Bla­gen. Von den bei­den enke­li­gen Hoff­nungsträgern (Söhne der früh ver­stor­be­nen ersten Frau und des deshalb früh ver­witweten Karls) hat sich ein­er schon in jun­gen Jahren als eher untauglich für die angedachte Nach­folge auf dem Fir­men­sitz her­aus­gestellt, weil der lieber feste feiert als feste arbeit­et und sich darüber hin­aus auch noch oft und gerne kostümiert. Dabei haben es ihm vor allem his­torische Per­so­n­en aus deutschen Lan­den ange­tan. Kein Wun­der ist, stellt doch sein gesamter Stamm­baum so etwas wie eine deutsche Fes­t­lande­iche dar. Mit seinem Uronkel(?) Eduard VIII hätte er sich sicher­lich prächtig verstanden.
    Fremdgänger Papa Karl selb­st ste­ht auf Tam­pons beim Verkehr und gilt nicht nur deshalb als ver­schroben und schwarzes Schaf der Fam­i­lie. Seit Omas Ableben, so sagt man, wid­met er sich ganz seinen zahlre­ichen Steck­enpfer­den wie Polo, Architek­tur und Umwelt. Seine hun­dertzwanzigjährige Mama und Immer­nochstel­len­in­hab­erin will nicht abtreten oder ster­ben, sein Papa macht darüber schlechte Witze. Hoff­nungträger zwei, Wil­helm, hat nun geheiratet und alle Welt hofft, dass er nicht Intel­lizenz und Humor von Mama (“Was stinkt mehr als ein Fisch? — Das Arschloch von einem Fisch!”) geerbt hat, sollte er Papa Karl über­sprin­gen müssen wollen.
    Ich höre an dieser Stelle nun auf, obwohl ich schi­er end­los weit­er­ma­chen kön­nte, denn eines dürfte klar gewor­den sein, mit den isolierten Insu­lan­ern da drüben kann es kein deutsch­er Bun­de­spräsi­dent jemals aufnehmen, gewählt hin — von Gottes Gnaden her. Und ein Chris­t­ian Wulff schon gar nicht, selb­st wenn sich seine Ange­traute auch noch Brust und Hin­tern tätowieren ließe.

  4. Kathi

    nor­man­nis­che Lehnworte
    Ist eigentlich etwas dran an der (ich meine gele­gentlich von Stephen Fry geäußerten) The­o­rie, dass die nor­man­nis­chen Lehn­worte sozusagen die gute Seite ein­er Sache beze­ich­nen? Also das immer Esszweck­en dienende beef statt meat, oder die anständi­ge labour anstelle der mal­ocherischen work? Ich denke, da gibt es noch mehr Beispiele, die mir ger­ade nicht ein­fall­en, aber der unheim­liche ghost gegen den inspiri­eren­den spir­it passte ganz gut in diese Reihe…

  5. Dierk

    @Kathi
    Zumin­d­est im Mit­te­lenglis­chen teilt sich das nach Altenglisch = pop­ulär, Franzö­sisch = lit­er­arisch, Latein = intellek­tuell.* Das hat sich m.E. bis heute gehalten.
    *Ich habe das im Moment von David Crys­tal, das ist keine empirische Eigen­leis­tung meinereiner.

  6. Kathi

    @Dierk
    Danke! Ich muss mich auch noch kor­rigieren: Die arbeit­sre­iche Seite am beef ist natür­lich die cow… Weiß jemand noch mehr?

  7. Achim

    Steigerun­gen
    Um auch mal ein wenig zu nörgeln: Ich störe mich schon länger an For­mulierun­gen wie dieser hier:

    fünf­mal häufiger

    Meinere­in­er hätte ja fünf­mal so häu­fig gesagt. Mein Sprachempfind­en sträubt sich gegen die Ver­wen­dung von Kom­par­a­tiv­en mit “mal”. Ist das eine regionale Sache, ver­weigere ich mich hier ein­fach dem Sprach­wan­del oder was ist hier los?

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