Archiv für das Jahr: 2011

Wortschatzerweiterungen

Von Anatol Stefanowitsch

Ab und zu fehlen selb­st den elo­quentesten Mit­gliedern ein­er Sprachge­mein­schaft die Worte — dann näm­lich, wenn deren Sprache für einen bes­timmten Sachver­halt schlicht kein Wort bere­it­stellt. In der Sprach­wis­senschaft spricht man hier all­ge­mein von lacu­nae, oder, weniger latin­isiert, von „lexikalis­chen Lücken“.

Inter­es­sant sind diese Lück­en natür­lich nur dann, wenn ein Wort für einen an sich bekan­nten Sachver­halt fehlt, und nicht dann, wenn ein Wort fehlt, weil das zu Beze­ich­nende selb­st unbekan­nt ist. Das Deutsche hat­te bis in die 1990er Jahre kein Wort für Sushi, aber weil nie­mand das damit beze­ich­nete Gericht über­haupt kan­nte, fehlte das Wort ja nicht im eigentlichen Sinne. Man kön­nte also etwas präzis­er von „Ver­sprach­lichungslück­en“ sprechen (aber das ist eine Eigenkreation, kein anerkan­nter Fachbegriff).

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Der Ekel des Hofmedicus vor kecken Studentinnen

Von Anatol Stefanowitsch

Im Zusam­men­hang mit mein­er kleinen Unter­suchung zu Auf­stieg und Fall des Wortes Studierende habe ich auch nach frühen Ver­wen­dun­gen des Wortes Stu­dentin gesucht, und dabei dieses Juwel ent­deckt: Hen­rich Matthias Mar­card, Königlich Großbrit­tanis­ch­er Hofmedicus zu Han­nover, Mit­glied der Königlichen Großbrittannischen
und Königlichen Dänis­chen Gesellschaften der Aerzte zu Edin­burg und zu
Copen­hagen, der Goet­tingis­chen Soci­etät der Wissenschaften
Cor­re­spon­den­ten
, beschreibt junge Men­schen, die er in Pyr­mont beobachtet hat.

Um es mal so zu sagen, er hat für junge Leute nicht viel übrig — und für kluge Frauen schon gar nicht: 

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Langlebige Studierende

Von Anatol Stefanowitsch

In einem kurzen Anflug von Ver­wal­tungs­frust habe ich gestern nos­tal­gisch fol­gen­den Satz getweet­ed: „Wisst ihr noch, früher, als die Uni­ver­wal­tung für die Lehren­den und Studieren­den gear­beit­et hat?“. Kein bedeut­samer Satz, denn einen kurzen Anflug von Ver­wal­tungs­frust hat jede/r Universitätsmitarbeiter/in (inklu­sive der­er in der Ver­wal­tung) etwa drei Mal pro Minute. Neben viel Zus­tim­mung kam kurz darauf aber auch die Antwort „Früher hießen die auch noch Pro­fes­soren und Stu­den­ten und nicht Lehrende und Studierende.“

Denn nichts löst so zuver­läs­sig Kopf­schüt­teln aus, wie mein Ver­such, möglichst durchgängig eine wenig­stens ober­fläch­lich geschlecht­sneu­trale (oder zumin­d­est geschlecherg­erechte) Sprache zu ver­wen­den. Das ist ja Polit­i­cal Cor­rect­ness, und irgend­wie scheinen viele anson­sten nette und kluge Men­schen der Mei­n­ung zu sein, dass aus­gerech­net diese Art der Kor­rek­theit abzulehnen sei. Weil es doch nur Sprache ist, und man über die Sprache nicht die Welt ändern kann. Und weil die Welt auch gar nicht geän­dert wer­den muss, weil sie doch längst ger­cht ist. Oder eben, weil geschlecht­sneu­trale und/oder geschlechterg­erechte Sprache irgend­wie nicht so ist wie früher, wo alles bess­er war.

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Anglizismus des Jahres 2011

Von Anatol Stefanowitsch

Zugegeben, der „Anglizis­mus des Jahres“, den wir 2010 erst­ma­lig gekürt haben, ist nicht auf ein­hel­lige Begeis­terung gestoßen. Der Redak­tion­sleit­er des „wochenkuri­er Ennepe-Ruhr“, zum Beispiel, reagierte auf die Pressemel­dung, in der die Jury ihre Entschei­dung für das Wort leak­en bekan­nt­gab, mit der „her­zlichen“ Bitte, „kün­ftig von solchen Zusendun­gen abzuse­hen“. Seine Zeitung, ließ er uns wis­sen „ver­sucht aus Überzeu­gung, Anglizis­men weitest­ge­hend aus dem Blatt her­auszuhal­ten.“ Außer­dem wisse er nicht, was „Leak­en“ über­haupt bedeuten solle.

Auch in der Poli­tik stießen wir auf vere­inzelte Unmut­säußerun­gen. Hans-Peter Fan­ti­ni, Stadtverord­neter der FDP in Neuss am Rhein, beschuldigte uns per E‑Mail, mit der Wahl des Wortes leak­en „einen weit­eren Beitrag zur Verun­sicherung der­er geleis­tet [zu haben], die ver­suchen sich in die Fein­heit­en der deutschen Sprache einzuarbeiten.“ 

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Deutsch und das Grundgesetz

Von Susanne Flach

Gestern war’s soweit: Die Peti­tion gegen die Auf­nahme von Deutsch ins Grundge­setz wurde vor dem Peti­tion­sauss­chuss­es des Bun­destages ange­hört — also genau genom­men die Peti­tion gegen die Peti­tion für die Auf­nahme von Deutsch ins Grundge­setz. Ergo: Bei­de Peten­ten für und wider durften ihre Anliegen vortragen.

Hier gibt es die Diskus­sion (ca. 60 Minuten, ab 1:00:30) zum Anguck­en: Peti­tion­sauss­chuss, 7. Novem­ber 2011

Ich war live dabei — eine sehr inter­es­sante Erfahrung. Und ich glaube nicht, dass es zu hoch gegrif­f­en ist zu sagen, dass das eine doch recht ein­seit­ige Angele­gen­heit war. Der Bun­destag schreibt auf sein­er Web­seite: “Deutsch ins Grundgesetz”-Petition stößt auf Skepsis.

Aber sehen Sie selbst.

*Nein, ich bin nicht zu sehen. Ich sitze hin­ter dem Vide­owür­fel auf dem Ober­rang. Ich habe nicht gewusst, dass eine Stunde nicht aus­re­icht, mit der BVG von Moabit nach Tier­garten zu kom­men (für Nicht-Berlin­er: Moabit ist ein Teil von Tier­garten; je nach Def­i­n­i­tion liegt es ein­fach nur direkt daneben.)

Die Staatssprache Deutsch vor dem Petitionsausschuss

Von Anatol Stefanowitsch

Wer die gestrige Sitzung des Peti­tion­sauss­chuss­es zu den Peti­tio­nen für und gegen die Auf­nahme der Deutschen Sprache ins Grund­getz ver­passt hat, kann sich die Aufze­ich­nung jet­zt auf der Web­seite des Bun­destages anse­hen (die Diskus­sion der Peti­tio­nen begin­nt bei 1:00:32).

Ich werde in den näch­sten Tagen noch einige Aspek­te in eige­nen Blog­beiträ­gen auf­greifen. Hier zunächst der Text mein­er Rede (in der Aufze­ich­nung fol­gt die der Rede des VDS-Vor­sitzen­den Wal­ter Krämer und begin­nt bei 1:10:24).

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Geschmacklich begründete Forderung nach einem Verbot von Anglizismen“ – Ein Interview mit Falco Pfalzgraf

Von Anatol Stefanowitsch

Sprach­puris­mus und sprach­puris­tis­che Vere­ine haben im deutschen Sprachraum eine lange Tra­di­tion, die immer wieder selb­st zum Forschungs­ge­gen­stand von Sprach­wis­senschaftlern gewor­den ist. Ein­er der derzeit führen­den Experten auf diesem Forschungs­ge­bi­et ist Fal­co Pfalz­graf, dessen Buch „Neop­uris­mus in Deutsch­land nach der Wende“ ein Stan­dard­w­erk für jeden ist, der sich wis­senschaftlich mit dem Vere­in Deutsche Sprache und anderen sprach­puris­tis­chen Vere­inen auseinan­der­set­zen will (oder muss).

Pfalz­graf beobachtet die Bestre­bun­gen des VDS und ander­er Grup­pierun­gen nach einem geset­zlichen Schutz der deutschen Sprache seit vie­len Jahren und hat eine Rei­he von Forschungsar­beit­en zu diesem The­ma vorgelegt. Ich freue mich, dass ich zur Vor­bere­itung auf meinen Auftritt vor dem Peti­tion­sauss­chuss des Deutschen Bun­destages am kom­menden Mon­tag das fol­gende E‑Mail-Inter­view mit ihm führen konnte.

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Petitionsausschuss berät über die Aufnahme der deutschen Sprache ins Grundgesetz

Von Anatol Stefanowitsch
Petition "Keine Aufnahme der deutschen Sprache ins Grundgesetz"

Peti­tion “Keine Auf­nahme der deutschen Sprache ins Grundgesetz”

Der Peti­tion­sauss­chuss des Deutschen Bun­destages berät in ein­er öffentlichen Sitzung am 7. Novem­ber 2011 über zwei Peti­tio­nen zur Ver­ankerung der deutschen Sprache im Grundge­setz. Für eine solche Ver­ankerung wirbt die Peti­tion Deutsch als Lan­dessprache ins Grundge­setz, die der Vor­sitzende des Vere­ins Deutsche Sprache, Wal­ter Krämer, ein­gere­icht hat. Gegen eine solche Ver­ankerung wirbt die Peti­tion Keine Auf­nahme der deutschen Sprache ins Grundge­setz, die ich selb­st als Reak­tion auf die VDS-Peti­tion ein­gere­icht habe.

Es ist mir eine große Ehre, mein Anliegen auf dieser Sitzung noch ein­mal per­sön­lich vor­tra­gen zu dür­fen. Wer Inter­esse hat, die Sitzung direkt oder per Par­la­ments­fernse­hen mitzu­ver­fol­gen, find­et am Ende dieses Beitrags alle rel­e­van­ten Infor­ma­tio­nen dazu.

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Der Mythos vom Tal zwischen den Brüsten

Von Anatol Stefanowitsch

Vor einiger Zeit habe ich hier im Sprachlog eine Rei­he von „Sprachtipps“ von Bild.de disku­tiert, unter denen auch diese Per­le war:

Busen oder Brüste – wo liegt der feine Unter­schied? Antwort: In der Mitte liegt er, genau in der Mitte. Denn der Busen ist in sein­er Ursprungs­be­deu­tung nichts anderes als das Tal zwis­chen den Brüsten. Das Dekol­leté, mit anderen Worten. [10 falsch ver­wen­dete Wörter, Bild.de, 23. Mai 2011]

Ich habe diese Behaup­tung sein­erzeit umfassend entkräftet und dem Ver­fass­er der Sprachtipps dann vorge­wor­fen, die Geschichte vom Busen als „Tal zwis­chen den Brüsten“ von der Rück­seite ein­er Corn­flakespack­ung abgeschrieben zu haben. Ein besorgter Leser hat mich kurz darauf in einem Kom­men­tar zu einem anderen Beitrag ermah­nt, ich solle die „Gegen­seite“ nicht immer „als nur aus Vol­lid­ioten beste­hend hin­stellen, denen jeglich­er Sachver­stand abgeht“.

Diese Ermah­nung nehme ich natür­lich sehr ernst, denn ich will keines­falls für einen Ver­fall der hohen Diskus­sion­skul­tur im Inter­net ver­ant­wortlich sein. Ich möchte mich für meine Gemein­heit deshalb entschuldigen: Verzei­hung, liebe Corn­flakes-Pro­duzen­ten, ich weiß natür­lich, dass ihr der­ar­ti­gen Unfug niemals auf eure Ver­pack­un­gen druck­en würdet.

Bleibt die Frage, woher die Idee vom Busen als „Tal zwis­chen den Brüsten“ denn dann kommt.

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For You, Verbohrt

Von Anatol Stefanowitsch

Deutsche Fir­men, die sich für englis­che (oder deutsch-englis­che) Fir­men­mot­tos und Werbeslo­gans entschei­den, kön­nten natür­lich ein­fach dazu ste­hen. Sie wer­den sich ja etwas dabei gedacht haben.

Nehmen wir zum Beispiel die Fir­ma Schleck­er, die mit dem Mot­to „FOR YOU. VOR ORT.“ von sich reden gemacht hat. Wenn denen jet­zt jemand einen empörten Brief schreiben würde, in dem die mögliche Rolle dieses harm­losen Wort­spiels bei einem endgülti­gen Unter­gang der deutschen Sprache ange­sprochen und eine sofor­tige Erset­zung des­sel­ben durch einen rein deutschen Werbe­spruch gefordert würde, kön­nte Schleck­er wie fol­gt antworten:

Vie­len Dank für Ihre Anfrage. Wir ver­ste­hen, dass nicht jed­er unseren deutsch-englis­chen Slo­gan mag, aber uns und unseren Kun­den gefällt er. Er ist einzi­gar­tig, er fällt auf, er bleibt im Gedächt­nis hän­gen — kurz, er erfüllt alle Anforderun­gen an ein präg­nantes Fir­men­mot­to. Die deutsche Sprache hat die Auf­nahme hun­dert­er von lateinis­ch­er, franzö­sis­ch­er und englis­ch­er Fremd­wörter glänzend über­standen, und wir glauben nicht, dass sie aus­gerech­net an diesem harm­losen Wort­spiel zugrunde gehen wird. [Hypo­thetis­ch­er Antwort­brief der Fa. Schlecker] 

Aber man muss natür­lich nicht zu seinen Slo­gans ste­hen. Man kön­nte beim Erhalt eines sprachkri­tis­chen Briefes auch sofort einknick­en, dem Brief­schreiber zus­tim­men, dass die Pflege der deutschen Sprache ein hohes gut ist, dass die eige­nen Kun­den aber lei­der zu dumm sind, um das einzuse­hen. Dass die Kun­den in ihrer Beschränk­theit eben auf deutsch-englis­chem Sprach­mis­chmasch beste­hen und man nicht umhin komme, ihnen genau das zu liefern. 

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