Unter Schneeblinden

Von Anatol Stefanowitsch

Es ist völ­lig egal, wie oft man den Mythos von den „vie­len Eski­mowörtern für Schnee“ wider­legt — wie aus­führlich man z.B. die Struk­tur der Eki­mo-Aleut-Sprachen erk­lärt, wieviele all­t­agsmythol­o­gis­che Quellen man durch­forstet, wievie­len Auswe­ich­mythen man nachge­ht. Es gibt immer Leute — einen drit­tk­las­si­gen Krim­i­au­tor, zum Beispiel, oder seine folk­lorisierende Bürokraft — die das alles bess­er wis­sen. Denn sie kan­nten mal jeman­den, der einen kan­nte, der vielle­icht ein Eski­mo war oder zumin­d­est einen dick­en Anorak besaß, und der hat es ihnen gesagt. Außer­dem haben sie eine Liste! Mit ganz vie­len Eskimoschneewörtern!

Nun kön­nte so eine Wörterliste ja sog­ar bei der Beant­wor­tung der Frage weit­er helfen, ob die Eski­mos ent­ge­gen der detail­lierten Auskün­fte von Fach­leuten viele­icht doch „viele Wörter für Schnee“ haben — es kön­nte ja sein, dass es sich bei den Auskün­ften der Fach­leute um eine Ver­schwörung han­delt, um sich von staatlichen Forschungs­geldern ein faules Leben zu gön­nen, so eine Art Wörter­gate. Wäre es nicht toll, wenn der kleine Mann auf der Straße diese Ver­schwörung aufdeck­en kön­nte, in dem er die Wörterlis­ten öffentlich macht, die die Lin­guis­tik-Mafia so verzweifelt unter Ver­schluss zu hal­ten versucht?

Einen Ver­such wäre es wert. Nur reicht es dazu lei­der nicht, so eine Liste gedanken­los in einen aufge­blasen blub­bern­den Blogkom­men­tar zu kopieren oder sie auf der eige­nen gerne­großen pseudo­bil­dungs­bürg­ertümel­nden Lang­weil­er­web­seite vor der Welt zu ver­steck­en. Man muss dazu auch min­destens drei Fra­gen beant­worten können:

  1. Wieviel ist „viel“?
  2. Wann ist ein Wort ein „Wort für Schnee“?
  3. Was ist über­haupt ein „Wort“?

Diese Fra­gen zu beant­worten, ist nicht beson­ders schw­er. Ich habe sie in den oben ver­link­ten Beiträ­gen aus dem Bre­mer Sprach­blog und dem Sprachlog sowie in etlichen Inter­views im Radio und in Zeitun­gen aus­führlich beant­wortet, und lange vor mir haben das schon meine amerikanis­chen Kolleg/innen im Lan­guage Log und davor im alten Lan­guage Log getan.

Aber Men­schen, denen es schw­er­fällt, sich von der Vorstel­lung schneefix­iert­er Eski­mos im all­ge­meinen und der Stich­haltigkeit ihrer Wörterlis­ten im beson­deren zu lösen, ist es wohl nicht zuzu­muten, auf die Hyper­links zu klick­en, die man ihnen emp­fiehlt oder die sie bei ein­er Google­suche nach [Eski­mo Wörter Schnee] präsen­tiert bekä­men (oder vielle­icht haben sie in ihrem Dialekt keine Wörter für „Hyper­link“ oder „Such­mas­chine“, dafür aber 400 Wörter für das Gefühl, schon alles zu wissen).

Also erk­läre ich die Sache hier ein let­ztes Mal, von mir aus anhand ein­er Wörterliste, wohl wis­send, dass mir das wenig ein­brin­gen wird außer dem Vor­wurf, dass ich wohl vom Schnee­vok­ab­u­lar der Eski­mos besessen sei. Eine der am häu­fig­sten kopierten Lis­ten stammt aus dem Buch La parole inu­it: langue, cul­ture et société dans l’Arc­tique nord-améri­cain („Die Inu­it­sprache: Sprache, Kul­tur und Gesellschaft in der nor­damerikanis­chen Ark­tis“) des kanadis­chen Anthro­polo­gen und Sprach­wis­senschaftlers Louis-Jacques Dorais:

  1. qanik: fal­l­en­der Schnee
  2. qanit­taq: kür­zlich gefal­l­en­er Schnee
  3. aputi: Schnee auf dem Boden
  4. mau­jaq: weich­er Schnee auf dem Boden
  5. masak: nass­er fal­l­en­der Schnee
  6. mat­saaq: teil­weise geschmolzen­er Schnee auf dem Boden
  7. aqil­luqaaq: weiche Schneewehe
  8. sit­il­luqaaq: harte Schneewehe
  9. qiq­suqaaq: wiederge­froren­er Schnee
  10. kavirisir­laq: durch Regen und Frost aufger­auhter Schnee
  11. pukak: kristalliner Schnee auf dem Boden
  12. min­guliq: dünne Schicht pudri­gen Schnees
  13. natiru­vaaq: fein­er vom Wind getra­gen­er Schnee
  14. piir­turiniq: dünne Schicht weichen Schnees auf einem Gegenstand
  15. qiqumaaq: Schnee, dessen Ober­fläche gefroren ist
  16. katakaq­tanaq: Kruste aus hartem Schnee, die unter Füßen nachgibt
  17. auman­naq: Schnee auf dem Boden am Schmelzpunkt
  18. aniu: Schnee um Wass­er zu machen
  19. sir­miq: Schneematsch zum zemen­tieren eines Iglus
  20. illusaq: zum Bauen eines Iglus geeigneter Schnee
  21. isiri­ar­taq: gel­ber oder rötlich­er fal­l­en­der Schnee
  22. kiniq­taq: feuchter, kom­pak­ter Schnee
  23. man­nguq: schmelzen­der Schnee
  24. qan­ni­alaq: leichter, fal­l­en­der Schnee
  25. qan­nia­paluk: sehr leichter Schnee, der in ruhiger Luft fällt

Begin­nen wir mit der ersten Frage: Ist das viel? Wenn wir die Wörter zunächst alle gel­ten lassen, wären das ja immer­hin 25 Wörter für Schnee — weit ent­fer­nt von den 50, 100 oder gar 400, von denen man son­st liest. Trotz­dem mag einem die Zahl hoch genug vorkom­men, um daraus eine beson­dere Schneeaffinität der Eski­mos (und der Eski­mo-Aleut-Sprachen) abzuleiten.

Bis man sich die eigene Sprache noch ein­mal genauer ansieht: Im Deutschen find­et man ohne große Mühe eine ver­gle­ich­bare Menge von Schneewörtern, näm­lich Altschnee, Blutschnee, Brettschnee, Faulschnee, Filzschnee, Firn, Flugschnee, Harsch (Wind­harsch, Schmelzharsch, Bruch­harsch), Indus­tri­eschnee, Kun­stschnee, Law­inen­schnee, Lock­er­schnee, Nasss­chnee, Neuschnee, Papp­schnee, Pul­ver­schnee, Schwimm­schnee, Sulz, Trieb­schnee, und Wild­schnee. Dazu kom­men Über­gangs­for­men hin zum Regen, wie Schneere­gen und Eis­re­gen, und hin zum Hagel, wie Griesel (oder Schnee­griesel) und Grau­pel (Frost­grau­pl, Reif­grau­pel), sowie Wörter wie Schneedecke, Schneev­er­we­hung, Schneeflocke, Schneewe­he, Schnee­treiben, Schneesturm, usw., die in gewiss­er Weise eben­falls Erschei­n­ungs­for­men von Schnee beze­ich­nen, und Wörter wie Eis­lamelle („dünne Eiss­chicht an der Schneeobe­fläche“), die bes­timmte Aspek­te bes­timmter Schneefor­men beze­ich­nen (Def­i­n­i­tio­nen für all diese Wörter gibt es z.B. hier und hier (PDF) — sie ähneln denen für die Eski­mowörter stark).

Akzep­tieren wir auch bei den deutschen Wörtern zunächst alle hier genan­nten, dann sind es bere­its mehr als dreißig, und es dürfte nicht schw­er fall­en, noch mehr zu find­en. Eins ist also klar: Wenn die Eski­mos „viele“ Wörter für Schnee haben, dann haben die Deutschen das auch. Anders gesagt: Es gibt keinen beson­deren Grund, über die Größe des Schnee­vok­ab­u­lars der Eski­mo-Aleut-Sprachen zu staunen.

Nun müssen wir uns der zweit­en Frage zuwen­den: Wann ist ein Wort ein „Wort für Schnee“? Bei den genan­nten deutschen Wörtern fall­en min­desten drei Prob­leme auf: Erstens müssen wir entschei­den, wo Nieder­schlag aufhört, Schnee zu sein — zählen etwa Schneere­gen und Grau­pel noch? Zweit­ens müssen wir uns fra­gen, ob Wörter wie Schneev­er­we­hung oder Schnee­treiben Wörter für „Schnee“ sind, oder eben Wörter für bes­timmte Arten von „Ver­we­hun­gen“ und „Treiben“. Und drit­tens müssen wir entschei­den, ob ein Wort wie Eis­lamelle, das ja ein­deutig einen Teil der Schneedecke beschreibt, dadurch zu einem Wort für Schnee wird, oder eben für eine bes­timmte Art von Eis, das sich aus Schnee bildet.

All diese Prob­leme haben wir auch bei der Liste der Eski­mowörter des kanadis­chen Kol­le­gen: Ist z.B. auman­naq noch Schnee, oder ist es eben Schneematsch (oder slush, wie man auf Englisch so tre­f­fend sagt)? Sind aqil­luqaaq und sit­il­luqaq Wörter für Schnee, oder für Ver­we­hun­gen, die eben aus Schnee beste­hen? Und schließlich, ist katakaq­tanaq Schnee, oder ist es (wie die Eis­lamelle) eine Eiskruste, die sich aus Schnee gebildet hat?

Zum Teil sind die Antworten auf diese Fra­gen (wie bei den deutschen Wörtern) schwierig, die Abgren­zun­gen beliebig. Aber zum Teil lassen sie sich klar beant­worten — und die Antworten zeigen, dass das Prob­lem solch­er Lis­ten mit „Schneewörtern“ noch viel größer ist als gedacht. So weist Dorais selb­st (dem übri­gens in kein­er Weise daran gele­gen ist, die Zahl der Schneewörter in den Eski­mo-Aleut-Sprachen kleinzure­den) in einem Ein­trag zu Schneewörtern in der Cana­di­an Ency­clo­pe­dia aus­drück­lich darauf hin, dass eine ganze Rei­he der von ihm genan­nten Wörter tat­säch­lich gar keine Wörter speziell für Schnee sind, son­dern, all­ge­meinere Begriffe, die auch auf Schnee bezo­gen wer­den kön­nen. Beispiel­sweise wird mau­jaq zwar häu­fig ver­wen­det, um „weichen Schnee auf dem Boden“ zu beze­ich­nen, tat­säch­lich bedeutet es aber nur „weich­er Boden“, kann also (wenn der Boden schneefrei ist) auch auf schlam­mige oder sump­fige Stellen bezo­gen wer­den. Auch illusaq wird zwar ver­wen­det, um über „zum Bauen eines Iglus geeigneten Schnee“ zu sprechen, tat­säch­lich bedeutet es aber „Bau­ma­te­r­i­al“ (genauer: „das, was ein Haus wer­den kann“) — kann auch Holz, Back­steine usw. beze­ich­nen, wenn das zu bauende Haus kein Iglu ist. Auch beze­ich­net sit­il­luqaaq nicht auss­chließlich „harte Schneewe­hen“, son­dern jede „kür­zlich ent­standene harte Masse“.

Wer etwas Forschergeist mit­bringt, kann sich nun ein Wörter­buch des West­grön­ländis­chen (oder ein­er anderen Eski­mo-Aleut-Sprache) greifen und auch andere Wörter auf der Liste der „Schneewörter“ entza­ubern; aqil­luqaaq kann zwar ver­wen­det wer­den, um über „weiche Schneewe­hen“ zu reden, aber auch über jede andere Masse, die sich ger­ade auflöst, bzw. weich wird; masak kann „nassen fal­l­en­den Schnee“ beze­ich­nen, bedeutet aber schlicht „Feuchtigkeit“; auman­naq beze­ich­net „Schnee auf dem Boden am Schmelzpunkt“, es leit­et sich aber nicht von einem Wort für „Schnee“ son­dern vom Wort für „weich/geschmolzen“ ab, und so weiter.

Lässt man also nur die Wörter gel­ten, die sich tat­säch­lich und auss­chließlich auf Schnee beziehen, verkürzt sich Dorais’ Liste schon bei ober­fläch­lich­er Betra­ch­tung um ein Drit­tel, und wenn sich jemand find­et, der mehr Zeit und Lust zum Wörter­buch­blät­tern hat als ich, würde sie schnell noch weit­er schrumpfen.

Bleibt die dritte Frage: Was ist über­haupt ein „Wort“. Fan­gen wir auch hier mit den deutschen Beispie­len an: es ist klar, dass Schnee, Firn, Harsch und Sulz Wörter sind, aber ist es fair, auch Zusam­menset­zun­gen wie Altschnee, Filzschnee, Papp­schnee, Trieb­schnee usw. jew­eils als eigene Wörter zu zählen? Schließlich set­zen sie sich alle aus jew­eils zwei bere­its vorhan­de­nen Wörtern zusam­men, von denen wir eins (näm­lich Schnee) bere­its gezählt haben. Wenn wir sie nicht mitzählen, reduziert sich unsere Liste für Schneewörter beträchtlich. Wenn wir sie aber mitzählen, wird die Liste unendlich lang, denn die Bil­dung zusam­menge­set­zter Sub­stan­tive ist im Deutschen ein pro­duk­tiv­er Prozess. Nichts hin­dert uns daran, Wörter für Schnee zu bilden, der zu ver­schiede­nen Tageszeit­en gefall­en ist (Nachtschnee, Mor­gen­schnee, Zwölf-Uhr-Schnee, …), der in ver­schiede­nen Gegen­den oder auf ver­schiedene Böden gefall­en ist (Alpen­schnee, Flach­land­schnee, Wiesen­schnee, Stadtschnee, …), der für ver­schiedene Dinge taugt (Igluschnee, Schnee­ballschnee, Tee­wasser­schnee, …), oder was einem son­st so in den Sinn kommt. Wieviele Wörter für Schnee in einem deutschen Wörter­buch stün­den, läge dann in der freien Entschei­dung der jew­eili­gen Lexikograf/innen — mit der Frage, wieviele Wörter für Schnee es im Deutschen gibt, hätte das nichts mehr zu tun.

Das­selbe Prob­lem stellt sich natür­lich auch in den Eski­mo-Aleut-Sprachen. Schon die oben präsen­tierte Liste enthält Grup­pen von zusam­menge­set­zten Wörtern, die bes­timmte Wort­teile gemein­sam haben: masak, mat­saaq und man­nguq, etwa, oder qanik, qanit­taq, qan­ni­alaq, qan­nia­paluk. Auch hier kön­nen wir die Liste schnell weit­er ein­dampfen, wenn diese Wörter nicht einzeln gezählt wer­den, son­dern nur der Bestandteil, der sich tat­säch­lich auf Schnee bezieht, in die Zäh­lung einge­ht (z.B. qanik für „fal­l­en­den Schnee“). Und auch hier bekom­men wir, wenn wir uns nicht beschränken und auch zusam­menge­set­zte Wörter mitzählen, eine poten­ziell unendliche Liste für Schneewörter. Etwas beson­deres wäre diese Schwemme an Schneewörtern dann allerd­ings nicht mehr, denn auf die selbe Weise kön­nen wir — im Deutschen, in den Eski­mo-Aleut-Sprachen und in jed­er anderen Sprache — unendlich viele Wörter für jeden anderen Bedeu­tungs­bere­ich bilden.

Bei den Eski­mo-Aleut-Sprachen kommt hinzu, dass es sich um soge­nan­nte poly­syn­thetis­che Sprachen han­delt, bei denen sich erstens Wörter grund­sät­zlich aus vie­len kleinen Wortbe­standteilen zusam­menset­zen und bei denen es zweit­ens keine klare Gren­ze zwis­chen Wörtern und Sätzen gibt. Nicht nur zusam­menge­set­zte Wörter für Schnee (und alles andere) sind so möglich — auch Aus­drücke, die im Deutschen ganze Sätze wären, wie „Schneeflöckchen, Weißglöckchen, wann kommst du geschneit?“, „In der Nacht zieht im Nor­den Regen oder Schnee mit Glätte auf“ oder „Dude, wo ist mein Auto unter dem ganzen Schnee?“, wären in diesen Sprachen Wörter und kön­nten von übereifrigen Samm­lern in Wörter­büch­er aufgenom­men wer­den. Und wer mal ein Wörter­buch für eine Eski­mo-Aleut-Sprache aufgeschla­gen hat, weiß, dass sich dort tat­säch­lich Ein­träge für ganze Sätze finden.

Wir fassen zusam­men: Wer die Liste mit den Schneewörtern hat, braucht für den Spott nicht zu sor­gen. Aus diesem Grund ver­lassen wir uns im Sprachlog niemals auf Behaup­tun­gen, die wir in der Teeküche auf­schnap­pen oder Wörterlis­ten, die wir im Inter­net find­en, son­dern sprechen nur über Dinge, von denen wir etwas ver­ste­hen (und natür­lich reden wir über uns so sel­ten wie möglich im Plural).

[Full Nondis­clo­sure: Wem einige der Randbe­merkun­gen hier zu kryp­tisch sind, der google bitte etwas. Ver­linkun­gen auf pseudo­bil­dungs­bürg­ertümel­nde Lang­weil­er­web­seit­en gibt es hier näm­lich nicht. Ich sage aber mal so: Es lohnt sich nicht wirklich.]

[Dieser Beitrag erschien ursprünglich im alten Sprachlog auf den SciLogs. Die hier erschienene Ver­sion enthält möglicher­weise Kor­rek­turen und Aktu­al­isierun­gen. Auch die Kom­mentare wur­den möglicher­weise nicht voll­ständig übernommen.]

24 Gedanken zu „Unter Schneeblinden

  1. SGRed

    Wun­der­bar
    Endlich ein Text zum The­ma Schneewörter der Eski­mos der per­fekt zwis­chen Ger­ingschätzung der Stammtis­chbe­haup­tung und fach­lichem Diskurs eine Brücke baut.

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  2. D. Müller

    Als ich noch in Berlin wohnte, kan­nte ich im Grunde nur zwei Wörter für Schnee:
    1. “Schnee” (beze­ich­net frisch gefal­l­enen Schnee)
    2. “Sauerei” (alle anderen Formen)
    Ich finde, hier­aus sollte man auch mal einen Sprach­mythos bilden. Nur so zur Abwechslung.
    Der mythen­s­tif­tende Artikel kön­nte so begin­nen: “Bei dem von der Natur ent­fremde­ten Größstädter hat ein drama­tis­ch­er Ver­fall der Zahl der Wörter für Schnee einge­set­zt, sind es bei den indi­ge­nen Bewohn­ern der nord­deutschen Tiefebene noch 26, …”

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  3. Anke

    Ich habe früher ja noch “Schneeflöckchen, weiß Röckchen…” gesun­gen (und insofern grade ein neues Wort für Schnee gelernt).

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  4. David

    @Phaeake: Meine Intu­itio­nen zur Bedeu­tung von Xtümeln deck­en sich nicht mit Ihren. Ich ver­ste­he unter Xtümelei nicht “so tun, als sei man X” son­dern etwa “sein Xsein mit einigem Bohei zele­bri­eren”. (Matussek wäre also ein Christentümler.)
    Das Wik­tionary erk­lärt Deutschtümelei als “über­triebene Wertschätzung/Betonung alles dessen, was als deutsch ange­se­hen wird”, was sich unge­fähr mit mein­er Intu­ition deck­en würde, wenn auch das Deutsch­sein nicht expliz­it voraus­ge­set­zt ist.

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  5. David

    Wenn wir nur woll­ten, bekä­men wir — wie heißt das nochmal, wenn man neue Wörter kom­poniert, also zusam­menset­zt, um so aus zwei oder drei oder noch mehr Wörtern ein neues zu machen?- mehr Wörter für Schnee zusam­men als die Eski­mos jemals hat­ten, gehabt haben kön­nten oder jemals hät­ten haben wollen!

    Ist das hier ’ne Bullenweide?

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  6. Phaeake

    @ David: Chris­ten- und andere ‑tüm­ler
    Nach ein­er Google-Abfrage mit dem Begriff “Chris­ten­tüm­ler” führt die Mehrzahl der Top-10-Tre­f­fer auf Friedrich Niet­zsche, der in “Meschlich­es, Allzu­men­schlich­es” schrieb:
    Chris­ten­tüm­ler, nicht Chris­ten. — Das wäre also euer Chris­ten­tum! — Um Men­schen zu ärg­ern, preeist ihr “Gott und seine Heili­gen”, und wiederum, wenn ihr Men­schen preisen wollt, so treibt ihr es so weit, dass Gott und seine Heili­gen sich ärg­ern müssen. — Ich wollte, ihr lern­tet wenig­stens diee christlichen Manieren, da es euch so an der Manier­lichkeit des christlichen Herzens gebricht.
    Niet­zsches Ver­ständ­nis des “-tümelns” dürfte also eher für meine Auf­fas­sung sprechen. Wobei ich Ihnen Recht gebe, dass “Deutschtümeln” ein Punkt für sie ist. “Kindertümel­nd” eher wieder für mich. Es bleibt span­nend, vielle­icht haben wir ja bei­de Recht.

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  7. David

    Tümelei und Unsicherheit
    Tat­säch­lich, Niet­zsches Ver­wen­dung spricht klar für Ihre Deu­tung. Meine Intu­itio­nen leit­eten sich haupt­säch­lich aus der sicher­lich jün­geren Form “deutschtümeln” ab.
    Aber auch da gibt es freilich eine gewisse Unschärfe; vielle­icht, weil die Tümelei oft­mals ger­ade den Ein­druck beson­der­er Unsicher­heit erweckt. (Nach­haltig beein­druckt hat mich, daß jemand, der selb­st anscheinend keinen ger­aden deutschen Satz her­aus­bringt, sich aus­gerech­net dazu berufen fühlt, die deutsche Sprache gegen das ‘Anglo-Sprech’ zu vertei­di­gen, das uns bekan­ntlich in die Banken­pleite gemacht hat.) Tümelei wird vielle­icht ger­ade dadurch unecht, daß sie beson­ders echt sein will. Hin­sichtlich der Pseudo­bil­dungs­bürg­ertümelei wäre nun auch inter­es­sant, welche Absicht­en damit ver­bun­den sind. Ver­ste­ht man, wozu ich ger­ade tendiere (und was auch die Brücke zwis­chen unser bei­der Ver­ständ­nis bilden kön­nte), Xtümelei als notwendig mit Bemühun­gen ver­bun­den, als beson­ders X zu erscheinen, so wäre Pseudo­bil­dungs­bürg­ertümelei notwendig mit Bemühun­gen ver­bun­den, als beson­ders pseudo­bil­dungs­bürg­er­lich zu erscheinen, was tat­säch­lich nicht viel Sinn ergäbe.

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  8. AZ

    Okay überzeugt, aber:
    Was heißt überzeugt. Im Grunde hat mich die Frage nie beschäftigt und ich hab nur wegen Ihres Blogs darüber nachgedacht. Aber natür­lich kan­nte ich die 1000 Wörter für Schnee-Behaup­tung und die klang ja auch irgend­wie ganz sinnvoll.
    Nun haben Sie also alles wider­legt, aber dann stellt sich mir unmit­tel­bar eine andere Frage: Warum haben Eski­mos nicht mehr Wörter für Schnee? Da Schnee in ihrem All­t­ag eine viel größere Rolle spielt, als in meinem, wäre das nicht eine wahrschein­lich Folge?
    Anders herange­gan­gen: Von den Worten “Schnee, Firn, Harsch und Sulz” kan­nte ich nur die ersten bei­den und Firn kan­nte ich zwar, kon­nte es aber bis vor fünf Minuten nicht­mal ansatzweise definieren. Defak­to kan­nte ich als über­durch­sc­nit­tlich gebilde­ter junger deutsch­er Stadt­be­wohn­er ein Wort für Schnee (und die ein oder andere Zusam­menset­zung à la Matschschnee, Neuschnee, Pul­ver­schnee). Statt zu fra­gen, wie viele Wörter exisiteren, kön­nte man also Fra­gen: Kom­men im all­ge­mein ver­bre­it­eten Vok­ab­u­lar der Eski­mos eine (deut­lich) größere Zahl an Wörtern für Schnee vor, als im all­ge­mein ver­bre­it­eten Vok­ab­u­lar der deutschen Sprache?
    Da würde ich dann doch intu­itiv ja sagen. Ist das dann noch Sprach­wis­senschaft? Oder schon Kulturwissenschaft?
    PS: Ist es ein Man­gel, die Wörter Harsch und Sulz nicht zu kennen?

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  9. MCBuhl

    Hitch­hik­er…
    Nun­ja, wie soll ich es sagen? Macht sich Dou­glas Adams möglicher­weise lustig? “Schnee auf den ein Husky gepinkelt hat”??

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  10. Detlef Piepke

    @A.S.
    OK, ver­ste­he. (wg. Fam­i­lie und Nachtruhe)
    Und, danke für die Reaktion.
    Als sprach­lich hoch inter­essiert­er Ama­teur fehlt mir die wis­senschaftliche Begriffs-Ausstat­tung. Allerd­ings befre­it das Ama­teur-Dasein auch in angenehmer Weise von akademis­chen Zwängen.
    Also kreiere ich jet­zt die “neuen” Wörter:
    — Aggressivschnee
    — Totschnee
    — Mechanikschnee
    (verblüf­fend, “Mechanikschnee” wird von der Rechtschreibko­r­rek­tur nicht unter­schlän­gelt … gibt´s das also schon? (“unter­schlän­gelt” wird allerd­ings unter­schlän­gelt … wer soll sich da noch auskennen …)

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  11. Crissov

    Word!

    3. Was ist über­haupt ein „Wort“?
    Diese Fra­gen zu beant­worten, ist nicht beson­ders schwer. 

    Muha­ha.
    Auf diese Frage gibt es mehr Antworten als Linguisten.

    Antworten
  12. David

    @Crissov: Darüber habe ich mich auch etwas gewun­dert. Die einzige wirk­lich brauch­bare Antwort auf diese Frage ist in meinen Augen eine explizite Gram­matik der Sprache, und die ist nicht immer ein­fach zu find­en und auch nicht unbe­d­ingt eindeutig.

    Antworten
  13. Jens

    @Detlef Piep­ke
    Die Wortbildungen
    — Aggressivschnee
    — Totschnee
    — Mechanikschnee
    sind sehr kreativ, allerd­ings offen­bar in unter­schiedlichem Maße möglich (oder “typ­isch” für das Deutsche) — darauf gibt es akademis­che Antworten, und deshalb lohnt sich das Studi­um der Wort­bil­dung: Kom­posi­ta mit adjek­tivis­chen Erst­gliedern sind eher sel­ten; Sprech­er des Deutschen scheinen diesen For­men nicht so recht zu trauen. Kom­pos­ta mit nom­i­nalen Erst­gliedern sind dage­gen nahezu unbe­gren­zt bild­bar (eine vernün­ftige Rechtschreibprü­fung sollte hier tun­lichst auf das Unterkringeln verzichten…)
    Deshalb also wirken die ersten bei­den Bil­dun­gen irgend­wie merk­würdig, die let­zte dage­gen nicht so.

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  14. Michael Schule

    Wie Feige ist das denn?
    Den “Geg­n­er” nicht ein­mal beim Namen zu nen­nen — wohl aus Angst, dass seine Argu­mente bess­er sind — richtet sich selbst.

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  15. schneeschwade

    Bin nicht ganz überzeug
    Also nach­dem ich den ursprünglichen Text im Bre­mer Sprach­blog und den obi­gen nochmals gele­sen haben, muss ich sagen: Ich habe den Ein­druck gewon­nen, dass zwar viel all­ge­meines Wis­sen über die Eski­mo-Aleut-Sprachen vorhan­den ist, aber nie­mand so recht weiß, wie die Inu­it wirk­lich über Schnee reden.
    Ich spekuliere jet­zt ein bisschen.
    Im Deutschen sagt man fast nur “Schnee”, Kom­posi­ta sind ver­gle­ich­sweise sel­ten. Und wenn man “Schnee” sagt, reicht das für die Kom­mu­nika­tion­ssi­t­u­a­tion auch meist aus. Ich habe nie erlebt, dass jemand fragt: “Schnee? Was denn für Schnee?”
    Es gibt aber Fälle, im Deutschen, wo das anders ist.
    Bspw. beim Wort “Tag” in der Bedeu­tung “poli­tis­ches Gremi­um, Ver­samm­lung.” Man kann nicht sagen: *“Mor­gen find­et eine öffentliche Sitzung des Tages statt.” Man muss sagen: Kreistag, Land­tag, Bun­destag, Städte­tag, Parteitag, Kirchen­tag. Das sind fest­ste­hende Aus­drücke. Nur the­o­retisch kann man das Wort “Tag” unendlich kom­binieren, fak­tisch ist der Stamm nicht pro­duk­tiv. Zusam­menset­zun­gen wie *“Aktionärstag”, *“Uni­ver­sität­stag”, *“EU-Tag”, *“NATO-Tag” kom­men nicht vor. Das Argu­ment “Man kann Wörter ja eh unendlich kom­binieren” zieht hier also nicht.
    Es fol­gt daraus, dass man gut sagen kön­nte: “Das Deutsche hat ver­schiedene Aus­drücke für Gremien und Ver­samm­lun­gen und dif­feren­ziert hier nach Zuständigkeit und/oder Zusam­menset­zung.” Und diese Aus­sage sagt dur­chaus etwas über unsere Kultur.
    Ich halte es dur­chaus nicht für völ­lig abwegig, dass es in den Eski­mo-Aleut-Sprachen ähn­lich ist. Dass hier das Sim­plex für Schnee (welch­es auch immer) qua­si nie vorkommt, weil es alle­in­ste­hend nicht spez­i­fisch genug für die Kom­mu­nika­tion­ssi­t­u­a­tion ist, und stattdessen ein rel­a­tiv sta­bil­er Satz von Kom­posi­ta, der fak­tisch kaum erweit­ert wer­den kann, ange­wandt wird.
    Kann aber auch sein, dass es völ­lig anders ist.
    Also: Es ist weit­ere Forschung nötig!

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  16. kreetrapper

    Wir hal­ten fest: Die Lin­guis­tik-Mafia ist offen­sichtlich besessen von Schnee und hat ihr geheimes Haup­tquarti­er ver­mut­lich im ewigen Eis, direkt neben San­ta Claus und der Fes­tung der Ein­samkeit. Den Großteil ihrer Zeit, die nicht mit wahnsin­ni­gen Wel­ter­oberungsplä­nen ver­bracht wird, sitzt man zusam­men im Schnee und gibt jed­er Flocke einen eige­nen Namen.

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  17. Phaeake

    Abseits des Schnees: Ist “pseudo­bil­dungs­bürg­ertümel­nd” ein Pleonas­mus oder gar eine dop­pelte Verneinung?
    Nach meinem Ver­ständ­nis bedeutet “X‑tümelnd”, dass man nur so tut, als wäre man X, in Wirk­lichkeit aber nicht X ist. Das Volk­stümel­nde entstammt eben nicht dem “Volk”, son­dern tut nur so. Dementsprechend würde eine bil­dungs­bürg­ertümel­nde Inter­net­seite also nur so tun, als ver­bre­ite sie bil­dungs­bürg­er­liche Inhalte. Wenn es jet­zt aber eine PSEUDO­bil­dungs­bürg­ertümel­nde tut sie dann nur so, als ob sie so täte — etwa deshalb weil sie eigen­tich doch dem Bil­dungs­bürg­er­tum entstammt?

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  18. Maria

    War vor kurzen in Kana­da und da hätte ich die Begriffe gebraucht. Aber nun kann ich es ja mal in meinen Wortschatz aufnehmen und bei meinem näch­sten Trip nutzen.

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  19. Klausi

    Gestern­schnee — Auch hier wieder: Unübertr­e­f­flich die deutsche Sprache! Wenn wir nur woll­ten, bekä­men wir — wie heißt das nochmal, wenn man neue Wörter kom­poniert, also zusam­menset­zt, um so aus zwei oder drei oder noch mehr Wörtern ein neues zu machen? — mehr Wörter für Schnee zusam­men als die Eski­mos jemals hat­ten, gehabt haben kön­nten oder jemals hät­ten haben wollen!

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  20. Detlef Piepke

    Skisport kreiert weit­ere Worte für Schnee.
    Vielle­icht inter­essiert es Her­rn Ste­fanow­itsch ja noch (obwohl ich den Ein­druck habe, dass Sie sich an den Diskus­sio­nen zu Ihren Artikeln gar nicht beteiligen):
    Der mod­erne Ski Leis­tungss­port sorgt für “noch mehr Schnee”. Die fol­gen­den “Schnee Sorten” sind mir wed­er in Ihrem Artikel, noch inner­halb der ver­link­ten Seit­en untergekom­men (habe die allerd­ings auch nur “über­flo­gen”:
    aggres­siv­er Schnee — (im alpin Skisport gebräuch­lich, wenn die Kan­ten der Ski beson­ders heftig greifen)
    tot­er Schnee — (unge­fähr das Gegen­teil des aggres­siv­en Schnees, entste­ht unter lang anhal­tender Sonnene­in­strahlung und hohen Tem­per­a­turen, meist im Frühjahr)
    mech­a­nis­ch­er Schnee — (syn­onym zu “volk­stüm­lich” Kun­stschnee und wahrschein­lich wohl Indus­trie Schnee)
    Es liegt ja auf der Hand, warum das Deutsche die Inu­it-Sprache “beim Schnee” über­holt oder über­holt hat. Tech­nis­che Inno­va­tion, Skisport und ver­mehrt auch Ski-Leis­tungss­port sor­gen mit dafür. Vielle­icht gibt´s ja mit­tler­weile schon ver­schiedene “Hal­len­schnee-Sorten”. Übliche Prax­is ist es jeden­falls, in der Halle (im Ruhrge­bi­et) Schnee zu pro­duzieren, um ihn dann z.B. in Will­in­gen (Hochsauer­land) beim Skisprung-Weltcup einzuset­zen, oder in Düs­sel­dorf beim Langlauf-Weltcup.

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  21. Anatol Stefanowitsch

    @Detlef Piep­ke

    …obwohl ich den Ein­druck habe, dass Sie sich an den Diskus­sio­nen zu Ihren Artikeln gar nicht beteiligen…

    Ich melde mich tat­säch­lich nur, wenn ich es für nötig halte. Wenn ich neben meinem Haupt­beruf und dem Bloggen noch inten­siv mit­disku­tieren würde, müsste ich meine Fam­i­lie und meine sowieso schon ziem­lich kurze Nachtruhe abschaf­fen. Dies ist ja außer­dem kein Forum, son­dern ein Blog.

    … aggres­siv­er Schnee… tot­er Schnee … mech­a­nis­ch­er Schnee … 

    Ja, auch in der Wis­senschaft gibt es noch eine Rei­he solch­er Adjektiv+Schnee-Begriffe, die zwar keine Wörter (son­dern eben Phrasen aus mehreren Wörtern) sind, die aber trotz­dem kon­ven­tionell ver­wen­det wer­den und eine klar definierte Bedeu­tung haben. Eigentlich müsste man die in der Tat alle mitzählen (in den Eski­mo-Aleut-Sprachen wären alle diese Phrasen sowieso Wörter). Indus­tri­eschnee ist übri­gens kein Syn­onym für Kun­stschnee, son­dern ein Wort für Schnee, der aus dem Dampf von Indus­triean­la­gen entsteht.

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