Sprachbrocken 35/2012

Von Anatol Stefanowitsch

Mehrere deutsche Zeitun­gen berichteten in den let­zten Tagen übere­in­stim­mend, dass der Vere­in Deutsche Sprache den Vor­standsvor­sitzen­den der Kaufhaus­kette Karstadt, Andrew Jen­nings zum „Sprach­pan­sch­er des Jahres“ ernan­nt hat. Die Zeitun­gen stützen sich dabei auf den Bericht ein­er Presseagen­tur mit Sitz in Berlin. Wenn man den Bericht­en trauen kann, wirft man dem aus Großbri­tan­nien stam­menden Man­ag­er (verzei­hung, dem aus Großbri­tan­nien stam­menden Schaffer/Macher [ist das richtig so, Herr Krämer?]) vor, in der Außen­darstel­lung seines Unternehmens mit großer Kon­se­quenz englis­che Wörter und Phrasen zu ver­wen­den, wo nahezu poet­isch anmu­tende deutsche Alter­na­tiv­en zur Ver­fü­gung stün­den — so ver­wende Karstadt etwa den Begriff Mid­sea­son-Sale, statt des deutschen Zwis­chen­sai­son-Ausverkauf (bei dem man sich freilich das Wort Sai­son weg­denken sollte, wenn man denn wirk­lich etwas gegen Sprachver­mis­chung hat).

Während der VDS Jen­nings bezichtigt, die Sprache des Erbfein­des Eng­land zu sprechen, wirft die SPD in Per­son ihres Par­la­ments­geschäfts­führers der Bun­destags­frak­tion, Thomas Opper­mann, dem CSU-Gen­er­alsekretär Alexan­der Dobrindt vor, sich bei seinen Äußerun­gen über Griechen­land ver­bal auf dem Niveau der unteren sozialen Schicht­en zu bewe­gen (die tat­säch­liche For­mulierung kann ich hier auf­grund lizen­zrechtlich­er Prob­leme nicht wiedergeben). Zumin­d­est berichteten das mehrere deutsche Tageszeitun­gen, die sich dabei auf die oben schon erwäh­nte Presseagen­tur mit Sitz in Berlin beriefen. Was genau Opper­man mit sein­er Äußerung gemeint haben mag, ergibt sich aus den Medi­en­bericht­en lei­der nicht — in Deutsch­land gibt es zwar sozial geschichtete Sprach­va­ri­etäten, aber diese unter­schei­den sich vom soge­nan­nten Hochdeutschen haupt­säch­lich in ihrer Aussprache, nicht im Vok­ab­u­lar für Konzepte wie „Aus­tritt“ oder „Währung­sunion“.

Vielle­icht wäre es ohne­hin bess­er, sich weniger mit der Sprache der Briten oder des Pöbels (ups, jet­zt ist es mir doch her­aus­gerutscht, das kann teuer wer­den) zu befassen, und mehr mit der deutschen Sprache in ihrer ure­igen­sten Form: Dem Amts­deutsch. Das tat let­zte Woche eine Zeitung aus dem Rhein-Neckar-Raum, die dazu nicht ein­mal die Hil­fe ein­er Presseagen­tur mit Sitz in Berlin benötigte. Sie präsen­tierte eine schöne Mis­chung aus ver­meintlichen und tat­säch­lichen sprach­lichen Kuriosi­ta, die ich hier lei­der nicht wiedergeben darf (sie wis­sen schon, lizen­zrechtliche Prob­leme). Aber glauben Sie mir, es sind wirk­lich lustige Wörter darunter, der Artikel hätte ihnen sich­er Spaß gemacht!

[Dieser Beitrag erschien ursprünglich im alten Sprachlog auf den SciLogs. Die hier erschienene Ver­sion enthält möglicher­weise Kor­rek­turen und Aktu­al­isierun­gen. Auch die Kom­mentare wur­den möglicher­weise nicht voll­ständig übernommen.]

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Über Anatol Stefanowitsch

Anatol Stefanowitsch ist Professor für die Struktur des heutigen Englisch an der Freien Universität Berlin. Er beschäftigt sich derzeit mit diskriminierender Sprache, Sprachpolitik und dem politischen Gebrauch und Missbrauch von Sprache. Sein aktuelles Buch „Eine Frage der Moral: Warum wir politisch korrekte Sprache brauchen“ ist 2018 im Dudenverlag erschienen.

6 Gedanken zu „Sprachbrocken 35/2012

  1. Wentus

    Lizen­zprob­leme und Moderation
    Schade, dass man nicht mehr nach­le­sen kann, worauf im Artikel ange­spielt wird. Ich habe jeden­falls beim Googeln zwar Artikel über Zebras­treifen und Win­dräder gefun­den, aber nicht die Kuriositäten.
    Schade auch, nicht mehr sofort die Kom­mentare ander­er disku­tieren zu kön­nen, weil sie erst­mal mod­eriert wer­den müssen.
    Die Seg­nun­gen der Tech­nik wen­den sich nun ein­mal schnell wieder gegen sich selb­st: Früher musste man erst in die Bib­lio­thek gehen, um einen Textver­weis nachzule­sen, heute muss man, weil ein Link zu ein­fach ist, Google-Recherchen ausführen.
    Auch ich habe schon unan­genehme Erfahrung mit Spam in Inter­net-For­mu­la­ren gehabt und muss ein­se­hen, dass eine Mod­er­a­tion unumgänglich ist. Schade!

  2. Wentus

    Dig­i­tale Elite
    Es war ein net­ter Ver­such, Leser durch Schme­icheleien wie “dig­i­tale Elite” im Tweet zu lock­en. Es hat gewirkt. Eher ist die Zeitverzögerung durch die Mod­er­a­tion abschreckend.

  3. Phaeake

    Such­hil­fe, Inter­pre­ta­tion, Ergänzung
    @Wentus: Suchen Sie die Inter­net­präsenz der Zeitung auf, welche die bei­den genan­nten Flüsse im Namen trägt. Geben Sie bei Artikel­suche „Sprache“ ein. Der gesuchte Artikel ste­ht dann unter dem­jeni­gen mit der Über­schrift „Bata Ilic hat­te sein Pub­likum fest im Griff“
    Meine Ver­mu­tung: Opper­mann wollte mit sein­er Kri­tik (“Sprache des Pöbels”) an der Kri­tik Dobrindts nicht dessen Sprache im engeren Sinne ein niedriges Niveau attestieren, son­dern eher dessen Diskus­sion­sstil: Dobrindt hat­te Draghi, dessen Hand­lungsweise er miss­bil­ligte, als „Falschmünz­er“, also als Krim­inellen beze­ich­net. M.E. kann man „Sprache“ im umgangssprach­lichen Sinn auch so verwenden.
    Heute ist in ein­er deutschen Zeitung von Welt­niveau ein Artikel erschienen, der so per­fekt zu den heuti­gen Sprach­brock­en passt, dass ich ver­muten muss, Herr Ste­fanow­itsch habe ihn nicht gele­sen, son­st hätte er auch von ihm berichtet: Ein britis­ch­er Pro­fes­sor hat in zahlre­iche fremde Autos in sein­er Wohnumge­bung Schmähun­gen eingekratzt. Der Ver­dacht fiel wohl auch deshalb auf ihn, weil die Wort­wahl gehoben­er als in Ver­gle­ichs­fällen war: “very sil­ly”, “real­ly wrong”, “arbi­trary”
    Übri­gens: Ist „Kuriosi­ta“ ein Tippfehler für Kuriosa / Curiosa oder die Kon­gruenz von Form und Inhalt?

  4. Frank Schilden

    Ja, ja: Der Sprachpanscher
    Zum “Sprach­pan­sch­er des Jahres” auch aus unserem Blog eine klein­er Beitrag, mit einem Nach­trag. Wenn man so möchte ein Vor­bericht mit nachgere­ichtem Nachbericht…
    http://spraachenblog.wordpress.com/…s‑uberhaupt/

  5. David

    Zwis­chen­sai­son-Ausverkauf?
    Die sprach­hy­gien­is­che Frev­el­haftigkeit scheint mir bei “Sai­son” das ger­ing­ste Prob­lem zu sein. Kor­rekt wäre mein­er Deu­tung nach vielmehr die nicht allzu ungewöhn­liche und viel deutschere Über­set­zung “Jahreszeit” für “sea­son”. Zudem kön­nte man davon abse­hen, “mid” etwas eigen­willig mit “zwis­chen” zu über­set­zen und stattdessen ganz alt­modisch bei “Mitte” bleiben. Zum Schluß kann man noch ganz crazy sein und das, was die Eng­lish-Freaks in ein einziges Wort pack­en im Deutschen (!!!) in vieren (!!!!) unter­brin­gen: “Ausverkauf zur Mitte der Jahreszeit”. Im Ergeb­nis ist das wohl nicht nur richtiger als “Zwis­chen­sai­son-Ausverkauf” son­dern sog­ar etwas sex­i­er und auch weniger debil.
    Aber so ist es wohl immer beim VDS: Keine Ahnung paart sich mit gar keinem Inter­esse und null Sprachge­fühl. Am Ende ste­ht bei der Lek­türe solch­er Ein­las­sun­gen dann stets der nicht ganz wirk­lichkeit­streue Ein­druck, daß die deutsche Sprache sich eigentlich nur noch zum Furzen eigne.

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