Sprachbrocken 15/2013

Von Anatol Stefanowitsch

Viele Uni­ver­sitäten, Behör­den und andere staatliche Ein­rich­tun­gen haben Leit­fä­den zur geschlechterg­erecht­en Sprache. Nicht, weil sie von link­sex­tremen, sex­uell aus­ge­hungerten Gut­men­schen (wie mir) geleit­et wer­den, son­dern, weil es Gle­ich­stel­lungs­ge­set­ze gibt, die das fordern (und die wiederum, liebe Fre­unde ((Kein gener­isches Maskulinum)) der max­i­malen Man­nig­faltigkeit männlich­er Mei­n­ungsäußerun­gen, set­zen nur Artikel 3, Abs. 2 eures gren­zen­los geliebten Grundge­set­zes um). Auch die Gle­ich­stel­lungs­beauf­tragte der UNIVERSITÄT ZU KÖLN hat ger­ade einen solchen Leit­faden her­aus­gegeben und damit die Köl­ner Redak­tion der BILD auf den Plan gerufen. „Müssen wir jet­zt alle „Bürger*innensteig“ sagen?“ fragt die, und fährt besorgt fort: „Was darf man eigentlich noch sagen?“ Nun, „man“ darf natür­lich sagen, was „man“ will, solange „man“ nicht Mitarbeiter/in der Uni­ver­sität zu Köln (oder ein­er anderen Behörde mit einem entsprechen­den Leit­faden) ist. Insofern ist das ganze eigentlich keine Nachricht, aber vielle­icht ist es ein ermuti­gen­des Zeichen, dass die BILD es für eine hält und nach den besorgten Ein­stiegs­fra­gen erstaunlich neu­tral über Gen­der­gap, männliche Dom­i­nanz und gesellschaftliche Akzep­tanzprob­leme berichtet. Was die Kom­men­ta­toren ((Kein gener­isches Maskulinum)) naturgemäß nicht davon abhält, der Köl­ner Gle­ich­stel­lungs­beauf­tragten zu bescheini­gen, nicht alle „Tassen/Tassinen im Schrank“ bzw. „ein paar Schrauben/Schrauber lock­er“ zu haben.

Nicht nur bei der BILD scheint die Ver­nun­ft aus­ge­brochen zu sein: Der Deutsch­land­funk, der sich in der Debat­te um die Ent­fer­nung ras­sis­tis­ch­er Sprache gerne auf die Seite der­jeni­gen schlägt, denen das den umge­hen­den und unaufhalt­samen Unter­gang des abso­lut anzuhim­mel­nden Abend­lan­des bedeutet, lässt aus­nahm­sweise mal jeman­den zu Wort kom­men, der sich mit der Materie ausken­nt: DEUTSCHLANDRADIO KULTUR inter­viewt den Kinder- und Jugendlit­er­atur­wis­senschaftler Hans-Heino Ewers, der dankenswert­er Weise all die Argu­mente mit­bringt, die ich seit Jahren wie ein Rufer in das wüste Durcheinan­der an Dummheit­en, das als öffentliche Diskus­sion des The­mas gilt, einzubrin­gen ver­suche.

Und auch die öster­re­ichis­che PRESSE lässt sprach­liche Ver­nun­ft wal­ten und rückt den Anglizis­men­jägern und Fremd­worthas­sern ((Kein gener­isches Maskulinum)) zur Abwech­slung mal nicht den Stuhl zurecht, son­dern den Kopf ger­ade: Warum es nicht in den kollek­tiv­en Kopf des Vere­ins Deutsche Sprache gin­ge, dass „Dauer­laufen“ kein Joggen, „Jeans“ keine Nieten­ho­sen und Caf­fè Lat­te, Cap­puc­ci­no und Melange nicht ein­heitlich (ohne­hin zur Hälfte ara­bis­ch­er) „Milchkaf­fee“ sind. Was die Kom­men­ta­toren ((Kein gener­isches Maskulinum)) naturgemäß nicht davon abhält, darauf hinzuweisen, dass das Prob­lem a gar nicht der Milchkaf­fee sei, son­dern das Wort „Sale“ und der „Stasi-Ver­fol­gungswahn“, mit dem die „Ver­fechter“ ((Ver­mut­lich ein gener­isches Maskulinum)) der Polit­i­cal Cor­rect­ness die Sprache kaputtmachen. Was zumin­d­est eines zeigt: die Sprache von nüt­zlichen Lehn­wörter aus dem Englis­chen zu säu­bern ist Bürg­erpflicht, die Sprache von sex­is­tis­chen Lehn­wörtern aus der Ver­gan­gen­heit zu säu­bern ist Hochver­rat. Naja, es sind Öster­re­ich­er, für die gilt eben unser glo­r­re­ich­es, Geschlechterg­erechtigkeit gebi­etendes Grundge­setz nicht.

8 Gedanken zu „Sprachbrocken 15/2013

  1. Susanne

    Eine große Kun­st ist es solche “Zustände” immer wieder deut­lich, klar und sach­lich zu beschreiben. Deine gründliche Behar­rlichkeit tut beson­ders gut.
    So ent­lar­vend wie die Sprach­brock­en sind, müßten eigentlich Etliche mit rotleuch­t­en­den Ohren in Maulwurf­shügeln fest­steck­en. Wahrschein­lich aber sind die Maulwürfe dagegen…
    Dafür danke ich dir, unbekan­nter­weise. Sehr.

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  2. Christoph Päper

    Naja, es gibt gute und schlechte Leit­fä­den. Unter den mir bekan­nten ist der 2009 von der Schweiz­er Bun­deskan­zlei unter dem Titel „Geschlechterg­erechte Sprache“ her­aus­gegebene trotz einiger Schwächen und seines Umfangs immer noch der beste. Dieser aus Köln ist besten­falls gut gemeint. Er wird nicht zu bess­er oder gerechter for­mulierten Tex­ten aus der Uni Köln führen.

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  3. Christoph Päper

    Nit­pick: „die Sprache von nüt­zlichen Lehn­wörter aus dem Englis­chen zu säu­bern“ – Die Kaf­fees sind ital­ienisch und französisch.

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  4. Thomas Kutzer

    und die […] set­zen nur Artikel 3, Abs. 2 eures gren­zen­los geliebten Grundge­set­zes um)”

    Und bere­its in Abs. 3 des gle­ichen Artikels heißt es: “Nie­mand darf wegen seines[!!!] Geschlecht­es, […] benachteiligt oder bevorzugt werden”.

    Sisyphos lässt grüßen 🙁

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  5. Jürgen A.

    Ach, gut gemeint das alles … und doch zum Scheit­ern verurteilt. Warum? Sprach­lenkung funk­tion­iert nicht, wenn es das Ökonomieprinzip ver­let­zt, und neue markierte For­men ein­führt, statt alte aufzuheben. Jede und jed­er möge das an der eige­nen Sprach­prax­is überprüfen.

    Ich hab mal vor län­ger­er Zeit Luise Pusch in einem Vor­trag gehört, und war sehr ange­tan von ihren anar­chis­chen Ratschlä­gen, durch kreative Sprachver­wen­dung Rol­len­klis­chees auszuhe­beln. So von der Art: “Der Arzt schaute auf ihre Uhr und ver­ab­schiedete den Patien­ten.” Oder “Als Gott sah, dass alles gut war, lehnte sie sich zufrieden zurück.” Frauen kön­nen auch bei gener­ischen Maskuli­na mit­ge­meint sein — wenn man es eben beim Meinen nicht belässt. Es sind nicht die Wörter und For­men selb­st, die aus­gren­zen oder ein­schließen, son­dern der Gebrauch, den man von ihnen macht.

    Statt die per­so­n­en­be­zo­gene Genusver­wen­dung durchge­hend zu sex­u­al­isieren, sollte man sie vielmehr weitest­müglich ent­sex­u­al­isieren. Um das Band zwis­chen Genus und Sexus zu durchtren­nen, kön­nte man z.B. bei exk­lu­sivem Bezug auf männliche Per­so­n­en das Adjek­tiv “männlich” ein­schal­ten: “Jed­er männliche Schweiz­er ist wehrpflichtig.”

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  7. Isidor

    Mit ein­er gesun­den Mis­chung aus Bere­itschaft zum Hochver­rat und Bewusst­sein fuer Buerg­erpflicht­en bewaffnet sollte es uns doch moeglich sein, uns selb­st unser­er eige­nen, per­soen­lichen Sprach­sou­ver­aen­i­taet zu berauben und unsere Sprache wegzuen­twick­eln vom Mit­tel zur Kom­mu­nika­tion per­soen­lich­er Gedanken hin zum Mit­tel der Ver­bre­itung von poli­tis­chen Botschaften wie Geschlechter­poli­tik oder Anglo­pho­bie/-philie.

    Aber (mal angenom­men, es gelingt uns, den laes­ti­gen Instinkt, der sich gegen spuer­bare von aussen Sprach­for­mung wehrt, wegzu­trainieren) waere da nicht eine groessere Vielfalt an Rich­tun­gen wuen­schenswert? Was, wenn man zwar keinen gesun­den Men­schen­ver­stand mehr braucht, um Sex­is­ten von Nicht­sex­is­ten zu unter­schei­den, weil man entsprechende Sprachcharak­ter­is­ti­ka im entsprechend erweit­erten Gram­matik-Duden nach­schla­gen kann, aber immer noch ein voel­liges Sprach­lenkungsvaku­um bei den tage­spoli­tis­chen The­men herrscht? Koen­nte man nicht lang­wieri­gen Bun­destags­de­bat­ten ein­fach aus dem Weg gehen, indem man sich mehr um parteipoli­tis­che Sprach­lenkung kuemmert?

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