Dass die Wikipedia ein Frauenproblem hat (nämlich: dass sie hauptsächlich, nämlich zu etwa neunzig Prozent von Männern editiert wird), ist seit Jahren Thema in den Medien. Für die Wikimedia-Foundation ist es Anlass zur Sorge, die Lösung wird darin gesehen, Frauen gezielter zu umwerben und Angebote zu schaffen, durch die sie sich sicherer und willkommener fühlen.
Zwei deutsche Wikipedianutzer haben sich nun anscheinend Gedanken gemacht, wie sie ganz persönlich bei der Lösung des Männerproblems, und einem Vorschlag entwickelt, über den ab heute Abend 18:00 Uhr ein Meinungsbild eingeholt werden soll:
Ausgehend von der kontroversen Diskussion über die Verwendung der Begriffe „Studenten“ vs. „Studierende“ beim Artikel Universität Hamburg soll in diesem Meinungsbild (MB) geklärt werden, welche Formen von Personenbezeichnungen in der Wikipedia verwendet werden sollen. Dabei geht es auch um die sogenannte „geschlechtergerechte Sprache“ („Gendering“) und ihre Kritik am generischen Maskulinum. Des Weiteren geht es um die Frage, ob Ersatzformen für generische Maskulina verwendet werden können oder nicht.
Das klingt doch erstmal gut. Vermutlich haben die beiden sich mit der umfassenden Forschungslage zur geschlechtergerechten Sprache auseinandergesetzt, die relativ einhellig zeigt, dass das „generische Maskulinum“ in der Sprachverarbeitung nicht generisch, sondern eben als Maskulinum interpretiert wird. Darauf aufbauend sind die beiden dann wahrscheinlich auf die Idee gekommen, dass eine gerechtere (also inklusivere) Sprache, bei der nicht immer nur die Männer, sondern auch die Frauen explizit erwähnt und somit sichtbar gemacht werden, dazu führen könnte, dass Frauen sich auch als Editorinnen willkommener fühlen. Wäre ja durchaus plausibel.
Ist aber natürlich nur Phantasie. Tatsächlich schlagen die beiden etwas anderes vor:
Kurz und knapp: In der Wikipedia soll so geschrieben werden, wie es heute allgemein in der Schriftsprache üblich ist. Die sogenannte „geschlechtergerechte Sprache“ (Definition) ist heute im allgemeinen Sprachgebrauch kaum verbreitet. Daher soll sie in der Wikipedia nicht zum Einsatz kommen. Die Initiatoren des MB sprechen sich dafür aus, stattdessen das „generische Maskulinum“ zu verwenden. Diese im Deutschen überaus häufig verwendete Form (Beispiele: „Ärzte“, „Demonstranten“, „Lehrer“) dient dazu, Personen auf geschlechtsneutrale Art zu benennen.
Die beiden wollen also Personen durch Maskulina geschlechtsneutral benennen. Wenn man das tausend Mal hintereinander sagt, fängt das bestimmt an, plausibel zu klingen. Bis dahin ist es aber ungefähr so sinnvoll, wie die Idee, Hunde und Katzen speziesneutral unter dem Oberbegriff Hunde zusammenzufassen.
Und wenn das Meinungsbild im Sinne der Initiatoren ausginge, würde das einen Verdacht bestätigen, der auch so immer wieder aufkommt: Dass die Wikipedia gar kein Frauenproblem hat, sondern ein Männerproblem (nämlich: dass unter den männlichen Editoren zu viele sind, die ein Problem mit Frauen oder wenigstens kein Problem mit einer Abwesenheit von Frauen haben.
[Nachtrag. Da ich in den Kommentaren, per Twitter und in E‑Mails als „Wikipediahasser“ u.ä. beschimpft werde und man mich auffordert „lieber selber mitzumachen“ als „immer nur zu kritisieren“: Ich habe von 2006 bis 2009 bei der Wikipedia mitgemacht, habe ca. ein Dutzend Artikel selbst neu angelegt und mehr als ein Dutzend substanziell überarbeitet. Ich habe außerdem hunderte kleiner Korrekturen an Artikeln vorgenommen. Ich habe weniger aus Unzufriedenheit aufgehört, als aus Zeitmangel (und weil mich mein gedankenlos ausgewählter User-Name angefangen hat, zu nerven). Was mich (wie viele aktive Autor/innen) gestört hat, war die Macht einzelner Administrator/innen, die inhaltlich wenig bis gar nicht mitarbeiten, aber die aktive Mitarbeit anderer schwer machen. Ich sehe aber durchaus, dass ein Projekt von der Größe der Wikipedia irgendwie auch solche Leute braucht. Ich finde die Wikipedia auch heute noch nützlich und verlinke ja auch von hier im Blog oft auf sie. Das hindert mich aber nicht daran, Qualitätsprobleme und strukturelle Probleme zu erkennen und zu benennen. Wer mich anpöbeln will, soll das gerne tun, aber solche Kommentare werden hier nicht freigeschaltet.]
[Nachtrag 2. Das Meinungsbild wurde mit klarer Mehrheit sowohl formell als auch inhaltlich abgelehnt.]
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