Wikipedia und die starken Männer

Von Anatol Stefanowitsch

Dass die Wikipedia ein Frauen­prob­lem hat (näm­lich: dass sie haupt­säch­lich, näm­lich zu etwa neun­zig Prozent von Män­nern edi­tiert wird), ist seit Jahren The­ma in den Medi­en. Für die Wiki­me­dia-Foun­da­tion ist es Anlass zur Sorge, die Lösung wird darin gese­hen, Frauen geziel­ter zu umwer­ben und Ange­bote zu schaf­fen, durch die sie sich sicher­er und willkommen­er fühlen.

Zwei deutsche Wikipedi­anutzer haben sich nun anscheinend Gedanken gemacht, wie sie ganz per­sön­lich bei der Lösung des Män­ner­prob­lems, und einem Vorschlag entwick­elt, über den ab heute Abend 18:00 Uhr ein Mei­n­ungs­bild einge­holt wer­den soll:

Aus­ge­hend von der kon­tro­ver­sen Diskus­sion über die Ver­wen­dung der Begriffe „Stu­den­ten“ vs. „Studierende“ beim Artikel Uni­ver­sität Ham­burg soll in diesem Mei­n­ungs­bild (MB) gek­lärt wer­den, welche For­men von Per­so­n­en­beze­ich­nun­gen in der Wikipedia ver­wen­det wer­den sollen. Dabei geht es auch um die soge­nan­nte „geschlechterg­erechte Sprache“ („Gen­der­ing“) und ihre Kri­tik am gener­ischen Maskulinum. Des Weit­eren geht es um die Frage, ob Ersatz­for­men für gener­ische Maskuli­na ver­wen­det wer­den kön­nen oder nicht.

Das klingt doch erst­mal gut. Ver­mut­lich haben die bei­den sich mit der umfassenden Forschungslage zur geschlechterg­erecht­en Sprache auseinan­derge­set­zt, die rel­a­tiv ein­hel­lig zeigt, dass das „gener­ische Maskulinum“ in der Sprachver­ar­beitung nicht gener­isch, son­dern eben als Maskulinum inter­pretiert wird. Darauf auf­bauend sind die bei­den dann wahrschein­lich auf die Idee gekom­men, dass eine gerechtere (also inklu­si­vere) Sprache, bei der nicht immer nur die Män­ner, son­dern auch die Frauen expliz­it erwäh­nt und somit sicht­bar gemacht wer­den, dazu führen kön­nte, dass Frauen sich auch als Edi­torin­nen willkommen­er fühlen. Wäre ja dur­chaus plausibel.

Ist aber natür­lich nur Phan­tasie. Tat­säch­lich schla­gen die bei­den etwas anderes vor:

Kurz und knapp: In der Wikipedia soll so geschrieben wer­den, wie es heute all­ge­mein in der Schrift­sprache üblich ist. Die soge­nan­nte „geschlechterg­erechte Sprache“ (Def­i­n­i­tion) ist heute im all­ge­meinen Sprachge­brauch kaum ver­bre­it­et. Daher soll sie in der Wikipedia nicht zum Ein­satz kom­men. Die Ini­tia­toren des MB sprechen sich dafür aus, stattdessen das „gener­ische Maskulinum“ zu ver­wen­den. Diese im Deutschen über­aus häu­fig ver­wen­dete Form (Beispiele: „Ärzte“, „Demon­stran­ten“, „Lehrer“) dient dazu, Per­so­n­en auf geschlecht­sneu­trale Art zu benennen.

Die bei­den wollen also Per­so­n­en durch Maskuli­na geschlecht­sneu­tral benen­nen. Wenn man das tausend Mal hin­tere­inan­der sagt, fängt das bes­timmt an, plau­si­bel zu klin­gen. Bis dahin ist es aber unge­fähr so sin­nvoll, wie die Idee, Hunde und Katzen spezies­neu­tral unter dem Ober­be­griff Hunde zusammenzufassen.

Und wenn das Mei­n­ungs­bild im Sinne der Ini­tia­toren aus­gin­ge, würde das einen Ver­dacht bestäti­gen, der auch so immer wieder aufkommt: Dass die Wikipedia gar kein Frauen­prob­lem hat, son­dern ein Män­ner­prob­lem (näm­lich: dass unter den männlichen Edi­toren zu viele sind, die ein Prob­lem mit Frauen oder wenig­stens kein Prob­lem mit ein­er Abwe­sen­heit von Frauen haben.

[Nach­trag. Da ich in den Kom­mentaren, per Twit­ter und in E‑Mails als „Wikipedi­ahas­s­er“ u.ä. beschimpft werde und man mich auf­fordert „lieber sel­ber mitzu­machen“ als „immer nur zu kri­tisieren“: Ich habe von 2006 bis 2009 bei der Wikipedia mit­gemacht, habe ca. ein Dutzend Artikel selb­st neu angelegt und mehr als ein Dutzend sub­stanziell über­ar­beit­et. Ich habe außer­dem hun­derte klein­er Kor­rek­turen an Artikeln vorgenom­men. Ich habe weniger aus Unzufrieden­heit aufge­hört, als aus Zeit­man­gel (und weil mich mein gedanken­los aus­gewählter User-Name ange­fan­gen hat, zu ner­ven). Was mich (wie viele aktive Autor/innen) gestört hat, war die Macht einzel­ner Administrator/innen, die inhaltlich wenig bis gar nicht mitar­beit­en, aber die aktive Mitar­beit ander­er schw­er machen. Ich sehe aber dur­chaus, dass ein Pro­jekt von der Größe der Wikipedia irgend­wie auch solche Leute braucht. Ich finde die Wikipedia auch heute noch nüt­zlich und ver­linke ja auch von hier im Blog oft auf sie. Das hin­dert mich aber nicht daran, Qual­ität­sprob­leme und struk­turelle Prob­leme zu erken­nen und zu benen­nen. Wer mich anpö­beln will, soll das gerne tun, aber solche Kom­mentare wer­den hier nicht freigeschaltet.]

[Nach­trag 2. Das Mei­n­ungs­bild wurde mit klar­er Mehrheit sowohl formell als auch inhaltlich abgelehnt.]

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