Bibelstunde

Von Susanne Flach

Als wir in meinem Sem­i­nar let­ztens Meth­o­d­en der empirischen Sprach­wis­senschaft besprochen haben, stellte ich ein paar sim­ple Werkzeuge der Kor­puslin­guis­tik vor. Zur Illus­tra­tion habe ich die Bibel in ein soge­nan­ntes Konko­r­danzpro­gramm geladen und als Such­wort lord (‚Herr‘) eingegeben.

Eine Stu­dentin wollte spon­tan wis­sen, wie oft in der Bibel über Sünde gesprochen wird (782 Mal). Nun ist die Frage nach Sünde in diesem Kon­text aber höch­stens dann inter­es­sant, wenn man es mit etwas ver­gle­icht — den Vorkom­men in einem Ver­gle­ich­sko­r­pus etwa — und selb­st das ist beina­he triv­ial, weil wir natür­lich erwarten, dass Sünde für die Bibel rel­e­van­ter ist, als fürs BNC ((British Nation­al Kor­pus, ein repräsen­ta­tives Kor­pus britis­ch­er Gegen­wartssprache.)) (etwa 980 zu 20 Vorkom­men pro Mil­lion Wörter für sin als Nomen und Verb).

Inspiri­ert von der Nach­frage der Stu­dentin und um meinen Studieren­den zu illus­tri­eren, dass nack­te Vorkom­mensfre­quen­zen einzel­ner Wörter nicht wirk­lich span­nend oder beson­ders aus­sagekräftig sind, set­zte ich mich in der Mit­tagspause an eine kleine Fin­gerübung. Statt ein Wort aus der Bibel moti­va­tion­s­los mit seinem Vorkom­men in einem Ref­eren­zko­r­pus der Gegen­wartssprache zu ver­gle­ichen, ist die viel sin­nvollere Frage: welche Begriffe tauchen im Alten Tes­ta­ment deut­lich häu­figer auf, als im Neuen? Mit anderen Worten: ver­gle­iche die Bibel nicht mit dem BNC, son­dern mit sich selbst.

Also habe ich Altes und Neues Tes­ta­ment als zwei Kor­po­ra behan­delt, jew­eils eine Wort­fre­quen­zliste erstellt und diese mit der gle­ichen Meth­ode aufeinan­der bezo­gen, die Ana­tol in der Wahl­pro­gramm­lin­guis­tik angewen­det hat. Diese Analyse iden­ti­fiziert diejeni­gen Begriffe, die sig­nifikant häu­figer als erwartet in einem Kor­pus auf­tauchen (gegenüber einem anderen) und somit als „Schlüs­sel­wort“ für das eine oder andere Kor­pus angenom­men wer­den kön­nen. Darin kann man dann nach auf­fäl­li­gen Wort­feld­mustern suchen. ((Ich habe eine King James Ver­sion von 1611 genom­men, gebe hier aber über­wiegend die deutschen Über­set­zun­gen wider.))

Abzüglich von Eigen­na­men und Fam­i­lien­beze­ich­nun­gen wie Söhne und Töchter stam­men viele sig­nifikante Schlüs­sel­wörter für das alte Tes­ta­ment aus dem Wort­feld „Krieg“: geografis­che Beze­ich­nun­gen wie Israel, Land, Ägypten oder Gren­ze und Mauer lassen genau­so gut auf eine stärkere Gewich­tung von Kämpfen schließen, wie ArmeeCamp, Zelt oder Statuten. Beson­ders grausam ist die Häu­fung von explizitem Gewalt- und Waf­fen­vok­ab­u­lar: Opfer­ung, brennen/verbrannt, Schw­ert, Kampf, Krieg, Feinde, Zufluchtsort/Heiligtum (sanc­tu­ary), char­i­ot, (Schlacht-)feld, Gefan­gen­schaft und erschlagen/getötet.

Im neuen Tes­ta­ment geht’s dann eher um die Fol­low­er der ganz alten Schule: Jesus und seine Jünger, Glaube und glauben, Juden, Liebe, Predig(t)en, Macht, Him­mel, Teufel, ewig(e), Vater, Dok­trin, Ehre, Ver­sprechen, Antworten, Wahrheit, Wis­sen, Heilige, Treue, beten/Gebet, Lehre (teach­ings), Geis­ter, Autorität und Wun­der. Naja und halt im Prinzip alles, was mit Sünde zu tun hat: Sünde, Sün­der, sündi­gen, sünd­haft und Satan.  Biegen Sie das wieder hin, ist Wiedergut­machung möglich — Gnade, Reue und Verge­bung — geht’s schief: Hölle. Ob das weniger gewalt­tätig sein soll, ist Ihrer religiösen Ausle­gung überlassen.

Das Ergeb­nis sollte Ihre All­ge­mein­bil­dung nicht sehr über­fordern, auch wenn Sie keinen Kon­fir­ma­tions- oder Kom­mu­nion­sun­ter­richt durch­laufen haben. Aber in den Vor­bere­itun­gen für den näch­sten Par­tys­malltalk kom­men Sie mit Kor­puslin­guis­tik halt etwas flot­ter und aufwand­särmer zur textstruk­turellen Erkenntnis:

Im Alten Tes­ta­ment war mehr Gemetzel.

12 Gedanken zu „Bibelstunde

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  2. Dilettant

    Inter­es­sante Fin­gerübung. Zu bedenken möchte ich noch geben, dass die Entschei­dung für eine bes­timmte Bibelüber­set­zung (zumin­d­est bei den großen Ziel­sprachen gibt es ja da jew­eils diverse Alter­na­tiv­en mit divergieren­dem reg­li­gion­sid­e­ol­o­gis­chen Hin­ter­grund) dabei einen gewis­sen Bias bedin­gen kann. Wäre also nicht unin­ter­es­sant, diese Übrung mal für ver­schiedene Über­set­zun­gen im Ver­gle­ich durchzuspielen.

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    1. Susanne Flach Beitragsautor

      @Dilettant: Ja, kön­nte man machen, aber es wür­den ver­mut­lich keine beson­ders grundle­gen­den Unter­schiede zu Tage fördern. Klar, die Rang­folge der einzel­nen Wörter (und deren Assozi­a­tion­sstärke) würde sich verän­dern, wenn man etwa statt Gott häu­figer Herr in der einen gegenüber der anderen Über­set­zung hat. Aber diese Unter­schiede würde es ja auch offen­le­gen, wenn man Rang­folge & Assozi­a­tion­s­maße mit anderen Ver­fahren ermit­teln würde (in diesem Fall war es ein pFYE-Wert, hätte aber auch MI nehmen kön­nen). Weil diese Ver­fahren aber über­wiegend auf The­men (Wort­felder) und nicht auf einzel­nen Lex­eme fokussiert, bliebe die Schlussfol­gerung die gleiche.

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  3. Carsten Spannhuth

    Da nicht von “Stu­den­ten” son­dern von “Studieren­den” geschrieben wird, sollte kon­se­quenter­weise auch nicht “eine Stu­dentin” son­dern “eine Studierende” ver­wen­det werden.

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    1. Susanne Flach Beitragsautor

      @Carsten: Warum? Studierende ist gener­isch, Stu­dentin spez­i­fisch. Es gibt hier und ander­swo keinen Grund, eine „Kon­se­quen­zregel“ zu pos­tulieren. Entschei­dend ist, dass die Beze­ich­nun­gen ein­deutig und inklu­siv sind.

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  4. Susanne

    Dass im Alten Tes­ta­ment mehr Gemet­zel war, über­rascht mich nicht wirk­lich. Nicht umson­st wurde die alttes­ta­men­tarische Aus­sage “Auge um Auge” zu der neutes­ta­men­tarischen Auf­forderung, dass man auch noch die andere Wange hin­hal­ten soll. Was mich inter­essieren würde, ist, ob die pos­i­tiv beset­zten Begriffe (wie z.B. Gott, Liebe, Him­mel) im Neuen Tes­ta­ment deut­lich häu­figer sind als die neg­a­tiv­en (wie Teufel, Hass, Hölle). Ich würde ver­muten, dass es so ist, aber vielle­icht täusche ich mich auch. Eventuell wird näm­lich das Pos­i­tive erst durch die Gegenüber­stel­lung mit dem Neg­a­tiv­en wirk­lich interessant.

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    1. Susanne Flach Beitragsautor

      @Susanne: Sie sind in der Ten­denz häu­figer. Aber das sagt rel­a­tiv wenig aus, weil man hier rein von der The­men-Fre­quenz nichts über die „Pos­i­tiv­ität“ ihrer Ver­wen­dungskon­texte sagen kann. Angenom­men vor jedem Gott würde grausam ste­hen (oder vor Liebe halt man­gel­nde oder missver­standene), ist die Fre­quenz wenig aus­sagekräftig. Das heißt, dass im einen Fall (wie im Beitrag) die reine The­men-/Topic-Wahl unter­sucht wird; worauf Ihre Frage abzielt, ist die „Eval­u­a­tion“ nach schw­er mess­baren Kri­te­rien (und einzelne Wörter sind schlicht nicht als „pos­i­tiv“ oder „neg­a­tiv“ bew­ert­bar). Das wäre vielle­icht nicht unmöglich, wäre aber unglaublich aufwändig und fraglich ist, ob sie lin­guis­tisch plau­si­bel ist. Ich wäre da sehr skeptisch.

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  5. Anubis

    Auf­schluss über die Ver­wen­dungskon­texte der ›Schlüs­sel­wörter‹ geben die im Alten und im Neuen Tes­ta­ment jew­eils dominieren­den Gat­tun­gen. Das AT beste­ht zu einem großen Teil aus his­torischen Sagen und Chroniken sowie Geset­zes­samm­lun­gen. Im NT sind es fast auss­chließlich Briefe und Evan­gelien, die einen lehrhaften Charak­ter haben und sich an frühchristliche Gemein­den richt­en. Klar, dass es da ein unter­schiedlich­es Vok­ab­u­lar gibt. In his­torischen Chroniken geht es nun mal häu­fig um Krieg und in Geset­zes­tex­ten um Gewalt­tat­en. Dementsprechend ist der »Auge um Auge«-Spruch im AT (anders als seine heutige Ver­wen­dung ver­muten lässt) keine Auf­forderung zum Gemet­zel, son­dern ein Rechtsgrundsatz.

    Ganz sich­er lässt sich aus dem Vok­ab­u­lar allein nicht ableit­en, das AT habe eine blutrün­stige Ethik vertreten, die dann durch eine fried­liebende neutes­ta­mentliche Ethik abgelöst wor­den sei. Das mag zwar eine ver­bre­it­ete, für christlich sozial­isierte Men­schen sehr schme­ichel­hafte Auf­fas­sung sein, sie stem­pelt aber das Juden­tum zu ein­er im Ver­gle­ich mit dem Chris­ten­tum bru­tal­en, atavis­tis­chen und rach­süchti­gen Reli­gion ab – was bis heute aus­ge­sprochen üble Fol­gen für jüdis­che Men­schen hat.

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    1. Susanne Flach Beitragsautor

      @Anubis: Hat auch nie­mand behauptet. Es wurde nur mehr drüber gesprochen. Klar, dass das nie­man­den über­raschen wird. War auch nicht das Ziel. (Nur, dass ich die The­men in zehn Minuten iden­ti­fiziert habe, nicht über ein jahre­langes Bibelstudium.)

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  6. Anubis

    Ups, mein Kom­men­tar war auf den Kom­men­tar Nr. 6, von der anderen Susanne bezo­gen. Sor­ry, hätte ich deut­lich machen müssen. Im Blog­post sel­ber habe ich das, was ich in meinem Kom­men­tar bekrit­tele, nicht gesehen.

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  7. Pseudo

    Wie wäre es denn mit einem Ver­gle­ich zwis­chen der drit­ten aus Vorderasien stam­menden Weltreligion?
    Also den Koran mit dem Alten oder Neuen Tes­ta­ment zu vergleichen.

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