Kandidaten für den Anglizismus 2014: Social Freezing

Von Susanne Flach

Alle Wort­wahlen sind vor­bei. Alle? Natür­lich nicht. Denn unsere Leser/innen wis­sen: nach der Wahl ist vor der Wahl und die Beste kommt zum Schluss! So markiert die exzel­len­ten Arbeit unser­er Kolleg/innen der Unwort-Jury tra­di­tionell den Startschuss für die heiße Phase der Wahl zum Anglizis­mus des Jahres — und wir begin­nen heute den Besprechungs­marathon für die 10 Kan­di­dat­en unser­er Short­list — und präsen­tieren Ihnen ab heute jeden Tag einen.

Den Auf­takt macht Social Freez­ing, welch­es auch bei der Unwort-Wahl mehrfach vorgeschla­gen war. Das kommt nicht von unge­fähr: Die Debat­te um das Ein­frieren von Eizellen ohne medi­zinis­ch­er Notwendigkeit, son­dern aus Grün­den der Kar­riere- und Fam­i­lien­pla­nung, wird ziem­lich emo­tion­al geführt: von „Lifestyle-Ther­a­pie“ (DIE ZEIT) über „humankap­i­tal­is­tisch“ (DIE WELT) bis „Akt der Selb­st­bes­tim­mung“ (TAZ) war und ist jede Per­spek­tive auf Ethik, Moral und Fam­i­lien­poli­tik vertreten.

Kein Zweifel — Social Freez­ing hat 2014 Einzug ins Lexikon gefun­den: die Ankündi­gun­gen der US-Fir­men Apple und Face­book, ihren Mitar­bei­t­erin­nen die teure Proze­dur zu bezahlen, hat im ver­gan­genen Okto­ber Debat­ten in alle Rich­tun­gen ausgelöst.

Dieses Ereig­nis hat sich zwar in den ein­schlägi­gen Kor­po­ra noch nicht niedergeschla­gen, die wir für unsere Kan­di­datenbe­sprechun­gen her­anziehen. Aber da das Deutsche Ref­eren­zko­r­pus (DeReKo) nur bis zur ersten Jahreshälfte 2014 abbildet, ist dies ein­er­seits kein Wun­der und ander­er­seits ja für jeden Kan­di­dat­en ein Prob­lem. Das wirft für das Kri­teri­um unser­er Wort­wahl aber zwei Fra­gen auf: (a) War Social Freez­ing bere­its vor 2014 etabliert, dass die Apple-Face­book-Debat­te nur einen vorüberge­hen­den Peak bedeutet und (b) hat Social Freez­ing abseits ein­er Apple-Face­book-Debat­te Überlebenschancen?

Klar ist: vor 2014 ist Social Freez­ing im deutschsprachi­gen Raum kaum nen­nenswert in Erschei­n­ung getreten. Die früh­esten Belege im Deutschen Ref­eren­zko­r­pus (DeReKo) stam­men von 2011, Belege vor 2013 sind im DeReKo auss­chließlich aus Öster­re­ich und der Schweiz (2013 und 2014-prä-Apple-Face­book-debat­tisch gibt es einzelne Belege aus Deutschland):

Dass dies nun allen Frauen ange­boten wird, sei neu, sagt der Repro­duk­tion­s­medi­zin­er Bruno Imthurn vom Uni­ver­sitätsspi­tal Zürich. Bish­er habe es für eine solche Eizel­lvor­sorge (auch social freez­ing genan­nt) auch keine Nach­frage gegeben. Grund sei das gel­tende Gesetz, das die Kon­servierung von Eizellen ohne medi­zinis­chen Grund auf fünf Jahre beschränke.

NEUE ZÜRCHER ZEITUNG, 30. Novem­ber 2011

In der Schweiz darf man laut Gesetz seine einge­frore­nen Eizellen aber nicht länger als fünf Jahre auf­be­wahren. Das Social Freez­ing ist laut Cor­nelia Urech-Ruh in der Schweiz deshalb selten.

DIE SÜDOSTSCHWEIZ, 7. März 2012

Anne Prahl* ist so eine Frau. Sie nen­nt das Ver­fahren ihre „Fam­i­lien­ver­sicherung“. Während andere Geld fürs Alter zurück­le­gen, hat sie die eige­nen Eier in ein­er Frucht­barkeits­bank deponiert. Social freez­ing heißt diese Technik.
DIE ZEIT, 18. Juli 2013

Kein passender Mann oder weit­ere Kar­ri­ere­pläne? SOCIAL FREEZING soll es Frauen ermöglichen, ihren Kinder­wun­sch zu vertagen.

FOCUS, 22. Juli 2013

Es gibt keine medi­zinis­che Indika­tion für das „Social freez­ing“, es ist meist eine – legit­ime – Lebenssti­lentschei­dung. Ger­ade für Frauen ist es nicht immer ein­fach, Kar­riere und Fam­i­lie unter einen Hut zu bringen.

NÜRNBERGER NACHRICHTEN, 15. Mai 2014

Frühere Belege wird es geben — diese aber zuver­läs­sig zu datieren, ist sehr schwierig, weil die Web­seit­en von Repro­duk­tion­skliniken oder ‑unternehmen dynamisch sind. Es scheint also ver­gle­ich­sweise klar zu sein: die Apple-Face­book-Strate­gie hat den Fre­quen­zauss­chlag aus­gelöst, den wir zumin­d­est über die Suchan­frages­ta­tis­tik bei Google­Trends näherungsweise sehen. Inter­es­sant ist aber, dass ich den ver­link­ten Trend nicht nach Region ein­schränkt habe — und Deutsch­land rel­a­tiv deut­lich das Epizen­trum der Suchen nach diesem Begriff zu sein scheint — sog­ar noch vor den USA. Warum?

Ein Erk­lärungsansatz geht mit dem span­nend­sten Aspek­te dieser Entlehnung ein­her: denn die Prax­is des Eizel­lene­in­frierens wird im Englis­chen über­wiegend als egg freez­ing beze­ich­net. Ist Social Freez­ing deshalb ein soge­nan­nter „Scheinan­glizis­mus“, weil es ihn im Englis­chen gar nicht gibt? Nein — und zwar aus min­destens drei Gründen.

Erstens gibt es vere­inzelte Belege für social freez­ing im Englis­chen (z.B. WSJ, 3. Mai 2013), nur ste­hen sie hin­ter dem geläu­figeren egg freez­ing deut­lich zurück; etwas häu­figer find­et man social egg freez­ing, bei dem social die nichtmedi­zinis­che Moti­va­tion deutlich(er) markiert. Zweit­ens beste­ht Social Freez­ing natür­lich unzweifel­haft aus englis­chem Lehngut. Und, drit­tens, beze­ich­net egg freez­ing im englis­chsprachi­gen Raum die Prax­is des Ein­frierens im All­ge­meinen, also auch das Ein­frieren von Eizellen aus medi­zinis­chen Grün­den. Somit sind das Deutsche Social Freez­ing und das Englis­che egg freez­ing auch keine direk­ten Übersetzungen.

Im Englis­chen war zunächst die ethisch weit­ge­hend unverdächtige Prax­is des Ein­frierens aus medi­zinis­chen Grün­den als egg freez­ing (Fachter­mi­nus: oocyte cry­op­reser­va­tion) bekan­nt (im Deutschen Kryokon­servierung). Mit dem Fortschritt der Repro­duk­tion­s­medi­zin und dem gestiege­nen Wun­sch nach freier­er Fam­i­lien­pla­nung entwick­el­ten sich im Englis­chen Kon­texte wie egg freez­ing for social rea­sons. In diesem Umfeld ist es bis social (egg) freez­ing natür­lich nicht beson­ders weit.

Auch wenn Social Freez­ing im Englis­chen eher unge­bräuch­lich ist, ist es rel­a­tiv schwierig zu sagen, ob Social Freez­ing in dieser Form im Deutschen gebildet wurde (weil man egg getil­gt hat). Es gibt frühe Belege für Social Egg Freez­ing im deutschsprachi­gen Raum (DIE ZEIT, 18. Juli 2013) — und auch während der Debat­te um Apple und Face­book über­nah­men einige Medi­en Egg Freez­ing direkt (DER FREITAG, 17. Okto­ber 2014; TAGESSPIEGEL, 15. Okto­ber 2014).

Wenn es also schon keine ein­deuti­gen Hin­weise für eine Bil­dung im Deutschen gibt, so sprechen die Ver­hält­nisse zwis­chen etwa 1:50 und 1:100 bei Googlean­fra­gen auf de-Seit­en aber zumin­d­est sehr deut­lich für eine Kon­ven­tion­al­isierung von Social Freez­ing inner­halb des Deutschen. Inter­es­sant ist diese Entwick­lung auf jeden Fall und lässt sich ver­mut­lich am ehesten mit der sehr viel stärk­eren Fokussierung von Konzept und Debat­te auf ethisch-moralis­che Fra­gen erklären.

Fazit

Zwieges­pal­ten. Irgend­wie ein solid­er Kan­di­dat: Fre­quenz, Aktu­al­ität und lexikalis­che Nis­che — und die gesellschaftliche Rel­e­vanz wird auch abseits der Diskus­sio­nen um Apple und Face­book weit­er­hin geführt und natür­lich rel­e­vant bleiben (zumin­d­est so lange, wie keine wirk­liche Wahl­frei­heit beste­ht und auch Fir­men & Poli­tik fam­i­lien­poli­tisch nicht nachziehen).

Lin­guis­tisch span­nend ist ein­er­seits die gefüllte lexikalis­che Lücke — die wed­er der all­ge­meine Begriff Kryokon­servierung, noch sper­rige Mod­i­fizierun­gen wie Kryokon­servierung aus nichtmedi­zinis­chen Grün­den zufrieden­stel­lend füllen. Ander­er­seits sieht man bei Social Freez­ing klas­sis­che Entlehnung­sprozesse sehr schön: Begriffe deck­en in den unter­schiedlichen Sprachen auch unter­schiedliche Ref­eren­zräume ab und/oder wer­den nur in Teilbe­deu­tun­gen entlehnt und/oder in der Bedeu­tung erst in der Empfänger­sprache konventionalisiert.

Und trotz­dem bin ich nicht vol­lkom­men überzeugt. Da ist vor allem der latente „Unwort“-Charakter. Nicht, weil Wort oder Konzept inhärent unwor­tig oder men­schen­ver­ach­t­end wären, son­dern weil die Debat­te dann doch eher um moralisch-ethis­che Dinge geführt wurde und weniger um das eigentliche Kerndilem­ma zwis­chen Fam­i­lien- und Kar­ri­ere­pla­nung (oder was Poli­tik & Unternehmen dafür son­st noch tun kön­nten, um es zu lösen). Von dieser neg­a­tiv­en Stim­mung zeu­gen dann auch die lei­dlich inspiri­eren­den Wort­spiele wie „Fam­i­lien­pla­nung auf Eis gelegt“ ((Es gibt sog­ar, *hust* „Baby auf Eis gelegt“)) oder „Das Kind, das aus der Kälte kommt“ — und das färbt dann halt doch sehr auf den Begriff ab.

Warten wir mal ab, was da noch so kommt.

8 Gedanken zu „Kandidaten für den Anglizismus 2014: Social Freezing

  1. Vilinthril

    Ich habe Zweifel bzgl. der Beständigkeit des Begriffs – der Vor­gang ist ver­dammt teuer und für die meis­ten Men­schen keine ern­sthaft zu erwä­gende Option, die Bre­ite der Gesellschaft erre­ichte Social Freez­ing daher IMHO nur während der rel­a­tiv kurzen Diskus­sion in der Presse …

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