Unwort des Jahres 2014: Lügenpresse

Von Anatol Stefanowitsch

Die „Sprachkri­tis­che Aktion“ hat das Unwort des Jahres 2014 bekan­nt­gegeben: Lügen­presse. Mit dieser Wahl set­zt die Jury um Nina Janich von der TU Darm­stadt ihre exzel­lente Arbeit der let­zen Jahre fort.

Um Unwort des Jahres zu wer­den, muss ein Wort „gegen das Prinzip der Men­schen­würde“ oder „Prinzip­i­en der Demokratie ver­stoßen“ oder „einzelne gesellschaftliche Grup­pen diskri­m­inieren“, und es muss „euphemistisch, ver­schleiernd oder gar irreführend“ sein. Auf das unsägliche Dön­er-Morde (2011), traf das auch aus unser­er Sicht klar zu, genau wie beim Opfer-Abo, und beim Sozial­touris­mus im let­zten Jahr waren wir eben­falls ein­er Mei­n­ung mit der Sprachkri­tis­chen Aktion.

Die Wahl des Wortes Lügen­presse begrün­det die Sprachkri­tis­che Aktion wie folgt:

Das Wort „Lügen­presse“ war bere­its im Ersten Weltkrieg ein zen­traler Kampf­be­griff und diente auch den Nation­al­sozial­is­ten zur pauschalen Dif­famierung unab­hängiger Medi­en. Ger­ade die Tat­sache, dass diese sprachgeschichtliche Aufladung des Aus­drucks einem Großteil der­jeni­gen, die ihn seit dem let­zten Jahr als „besorgte Bürg­er“ skandieren und auf Trans­par­enten tra­gen, nicht bewusst sein dürfte, macht ihn zu einem beson­ders per­fi­den Mit­tel der­jeni­gen, die ihn gezielt ein­set­zen. [Link]

Hier wäre höch­stens zu ergänzen, dass man für die dif­famierende Aufladung des Aus­drucks in der Sprachgeschichte gar nicht so weit zurück­ge­hen muss. Nicht nur die Nation­al­sozial­is­ten bedi­en­ten sich des Wortes Lügen­presse, es wurde auch in jün­ger­er Zeit mit Vor­liebe in recht­en Kreisen ver­wen­det: In den Zeitung­s­tex­ten des Deutschen Ref­eren­zko­r­pus find­et es sich vor 2014 zwar nur sel­ten (ins­ge­samt 16 Mal), dafür aber in umso ein­deutigeren Zusammenhängen.

Den Anfang macht im Jahr 2000 ein Zitat von Joseph Göbbels („Unge­hemmter denn je führt die rote Lügen­presse ihren Ver­leum­dungs­feldzug durch“), und die zweite Ver­wen­dung 2002 ist ein älteres Zitat. Im Jahr 2004 find­et sich dann eine der weni­gen Ver­wen­dun­gen, die nicht aus einem recht­en Zusam­men­hang stam­men: Die Süd­deutsche Zeitung berichtet, dass das schwedis­che Königshaus die boule­vardeske Berichter­stat­tung über Prinzessin Vic­to­ria nicht länger hin­nehmen wolle und nun „Schmerzens­geld von der Lügen­presse ver­lan­gen“ wolle.

Im Jahr 2005 kommt es in einem taz-Arikel über die Neon­azi-Szene vor, die sich einig sei „über den gemein­samen Feind: den Staat, die Sys­tem­parteien, die Lügen­presse“. Im fol­gen­den Jahr find­et sich das Wort in einem Bericht der Süd­deutschen Zeitung über eine Demon­stra­tion von Fußball­fans gegen „Lügen­presse und Vere­insin­tri­gen“. In Jahr 2007 ver­wen­det die Zeit es (wie schon die taz), um die neue Einigkeit der recht­en Szene zu charak­erisieren – „sie sind sich einig über den gemein­samen Feind: den Staat, die Sys­tem­parteien, die Lügen­presse und die Aus­län­der“. Diese Belege zeigen, dass das Wort recht­en Kreisen schon vor den Pegi­da-Demon­stra­tio­nen dazu gedi­ent hat, das Feind­bild ein­er manip­ulierten und manip­u­la­tiv­en Presse aufzubauen.

Ab 2012 taucht das Wort dann mehrfach in Bericht­en über einen Anschlag auf die Lausitzer Rund­schau auf, z.B. in der Süd­deutschen Zeitung: „Auch auf dem Briefkas­ten lagen Innereien. ‚Lügen­presse halt die Fresse‘, hat­te jemand auf die Scheiben der Redak­tion geschmiert.“ Schließlich berichtet der Nord­kuri­er 2013 über einen Face­book-Nutzer, der „meint richtig­stellen zu müssen, dass ‚Frei.Wild‘ keine ‚Neon­azis und Extrem­is­ten sind, wie die Lügen­presse immer sagt.‘“

Mit der Ver­wen­dung des Wortes stellen sich die Pegi­da-Anhänger also nicht nur in eine ihnen vielle­icht nicht bewusste Tra­di­tion zu den Nation­al­sozial­is­ten, son­dern auch in eine jün­gere Tra­di­tion recht­en Gedankenguts, die sich­er nicht allen von ihnen ver­bor­gen geblieben sein dürfte.

Das Wort Lügen­presse und seine Begriff­s­geschichte sind ja bere­its seit eini­gen Wochen in die öffentliche Kri­tik ger­at­en (siehe z.B. beim Deutsch­land­funk, bei zoon poli­tikon bei Die Presse und beim Spiegel. Die Wahl zum „Unwort des Jahres“ kommt genau zur richti­gen Zeit, um dieser Kri­tik Nach­druck zu verleihen.

8 Gedanken zu „Unwort des Jahres 2014: Lügenpresse

  1. Peter Brunner

    Jour­naille” wäre auch ein guter Kan­di­dat gewe­sen. Ich schäme mich immer, wenn anson­sten dur­chaus reflek­tierte Men­schen das ver­wen­den. Ich höre da immer Görung schreien.

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  2. Detlef Schnittke

    In Ihrer Erläuterung im zweit­en Absatz müsste es m.E. statt

    … und es muss „euphemistisch, …”

    eher heißen:

    … oder es muss „euphemistisch, …”,

    da die 4 auf der Orig­i­nal­web­site als Beispiele genan­nten Punk­te gle­ich­berechtigt in ein­er Liste stehen.

    M.E. entste­ht bei Ihrer For­mulierung der Ein­druck, das Wort müsste *zusät­zlich* euphemisierend sein.

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  3. Detlef Schnittke

    Sehr bemerkenswert sind die Leser-Kom­mentare (http://www.sueddeutsche.de/kultur/ihr-forum-luegenpresse-ihre-meinung-zum-unwort-des-jahres‑1.2301773) zum zuge­höri­gen SZ-Artikel (http://www.sueddeutsche.de/kultur/sprache-luegenpresse-ist-unwort-des-jahres‑1.2295042):

    Die Begrün­dung der Jury wird dort m.E. von kaum jeman­dem wahrgenom­men, vielmehr wird von vie­len ver­sucht, die inhaltliche Richtigkeit des Begriffes (also Fehler in der Berichter­stat­tung) nachzuweisen; einige Kom­men­ta­toren ziehen ‑zumin­d­est impliz­it — aus dem erbracht­en (?) Nach­weis den Schluss, die Wahl zum Unwort sei ihrer­seits ein Pro­dukt eben jen­er “Lügen­presse”.

    Ein irres Beispiel dafür, was an Kom­mu­nika­tion über­haupt noch möglich ist (oder eben nicht), wenn man nur genü­gend “Fil­ter” einschaltet.

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  4. Mycroft

    Eine “Lüge” ist eine wissentliche Falschaus­sage mit der Absicht, jeman­den zu täuschen. Eine irrtüm­liche Falschaus­sage, also eine unwahre Aus­sage, die der oder die Aus­sagende selb­st glaubt, ist _keine_ Lüge.

    Von daher reicht es nicht zu zeigen, dass sich irgen­dein Teil der Presse irgend­wann und wo mal etwas geschrieben hat, was nicht ganz richtig ist, man muss schon den Vor­satz beweisen, also, dass das wider besseren Wis­sens nicht ganz richtig war.

    Aber das ist ein­er­seits besten­falls müh­selig und schlimm­sten­falls verge­blich, und ander­er­seits wäre “Unge­nauigkeit­s­presse” ja kein so “tolles” Schlagwort.

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  6. Susanne

    Abge­se­hen von der Geschichte des Wortes finde ich, dass schon der Begriff “Lügen­presse” allein eine Pauschal­isierung darstellt, die auch ohne Ken­nt­nis der Ver­gan­gen­heit untrag­bar ist.

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