Wörterwahl mit Freudentränen

Von Anatol Stefanowitsch

Die Entschei­dung der Oxford Dic­tio­nar­ies, ein Emo­ji zu ihrem Wort des Jahres zu machen, begrüße ich selb­stver­ständlich (schließlich bin ich ja zumin­d­est neben­beru­flich der „Emo­ji-Pro­fes­sor“, wie mich eine Jour­nal­istin des Berlin­er Kuri­er gestern am Tele­fon begrüßte). Emo­ji sind ein wichtiger Teil der Online-Kom­mu­nika­tion gewor­den, und wozu son­st sollte eine Wörter­wahl gut sein, wenn nicht dazu, auf der­ar­tige Entwick­lun­gen hinzuweisen.

Auch, dass die Oxford Dic­tio­nar­ies bei der Entschei­dung, welch­es Emo­ji es denn sein soll, nach der Ver­wen­dung­shäu­figkeit gehen und das Freuden­trä­nen-Emo­ji 😂 gewählt haben, ist nachvol­lziehbar. Dass man es dann aber bei der etwas abstrusen Begrün­dung belassen hat, dieses Emo­ji drücke in beson­der­er Weise die Stim­mungen und Gedanken des Jahres 2015 aus, ist schade. Denn erstens stimmt es nicht (oder kommt irgend­je­man­dem hier das Jahr 2015 beson­ders lustig vor?), und zweit­ens sollte eine Wörter­wahl dazu dienen, etwas über das gewählte Wort, und damit über Sprache all­ge­mein, zu lernen.

Es wäre also inter­es­sant gewe­sen, wenn die Oxford Dic­tio­nar­ies ihre lexiko­grafis­che Kom­pe­tenz dazu einge­set­zt hät­ten, uns etwas über den Gebrauch des Emo­ji 😂 und Emo­ji all­ge­mein zu erzählen.

Sie haben es nicht, und deshalb muss ich es tun. Ich habe mir also eine Stich­probe von 200 haupt­säch­lich englis­ch­er Tweets ange­se­hen, in denen das Emo­ji ver­wen­det wird. Hier die Ergeb­nisse mein­er Analyse, die vielle­icht dazu beitra­gen, zu ver­ste­hen, warum das 😂 das häu­fig­ste Emo­ji ist.

Da es eins der Emo­ji ist, die die tra­di­tionellen Emoti­cons erset­zen – in der Emoti­con-Schreib­weise würde es :’) oder klas­sisch :’-) laut­en – ist zu erwarten, dass es wie ein Emoti­con ver­wen­det wird. Das bedeutet: dass es die Stim­mung der Äußerung sig­nal­isiert und dass es hin­ter dem Satz ste­ht, auf den es sich bezieht.

Bei­de Erwartun­gen stellen sich als richtig her­aus. Fast alle Vorkom­men in mein­er Stich­probe ste­hen am Ende des Satzes, wie in den fol­gen­den Beispie­len (die ich zu Illus­tra­tionszweck­en denen in mein­er Stich­probe nachemp­fun­den habe): ((Da Tweets zwar öffentlich ein­se­hbar, aber nicht undbe­d­ingt öffentlich gemeint sind, verzichte ich hier darauf, Orig­inaltweets im Wort­laut zu zitieren oder zu verlinken.))

  1. Wozu habe ich mir ein neues Tele­fon gekauft, mich ruft ja sowieso nie jemand an. 😂
  2. Meine Urlaub­s­fo­tos sind alle unter­be­lichtet oder unscharf. 😂
  3. Habe ich mir wirk­lich ger­ade Helene Fis­ch­ers neues Album run­terge­laden? 😁😂 #nichtweit­er­sagen

Die Beispiele illus­tri­eren außer­dem eine der Funk­tio­nen des Freuden­trä­nen-Emo­ji: Es sig­nal­isiert, dass eine poten­ziell trau­rige (siehe 1), ärg­er­liche (siehe 2) oder pein­liche (siehe 3) Aus­sage der Sprecherin ((Aus Grün­den der Les­barkeit ver­wende ich hier das gener­ische Fem­i­ninum, aber Män­ner sind selb­stver­ständlich mit­ge­meint.)) nicht nahege­ht – eine Art selb­stiro­nis­ches Lachen (manch­mal, wie in 2, mit dem Grinse-Emo­ji kombiniert).

Eine zweite Funk­tion ist der auf­grund des offziellen Namens („face with tears of joy“) des Emo­ji erwart­bare Aus­druck von tat­säch­lich­er Freude, illus­tri­ert durch Beispiele wie 4 und 5:

  1. Schule fällt aus, kann gle­ich weit­er­schlafen. 😂
  2. Danke für eure lieben Geburt­stagswün­sche 😍😂

Am häu­fig­sten aber wird das Emo­ji ver­wen­det, um zu zeigen, dass die Sprecherin etwas lustig find­et. Das kön­nen tat­säch­liche Witze sein, vor allem solche, die etwas mak­aber und damit poten­ziell irri­tierend sein kön­nten, wie 6:

  1. Meine Fre­undin sagt, wenn ich sie betrüge, bringt sie erst mich und dann sich um. Ich habe sie überzeugt, es umgekehrt zu machen 😂

Häu­figer sind es aber Tweets wie die fol­gen­den, in denen das Emo­ji ver­wen­det wird, um ein lustiges Bild zu kom­men­tieren, meis­tens ohne weit­eren Text (wie in 7), aber manch­mal mit (wie in 8), um einen Retweet als lustig zu markieren (wie in 9), oder um per Reply zu zeigen, dass man einen Tweet lustig findet.

  1. 😂 http://picture.example.com
  2. Das kön­nte ich sein! 😂 http://picture.example.com
  3. 😂 RT @mustermann Meine Urlaub­s­fo­tos sind alle unter­be­lichtet oder unscharf.
  4. @mustermann 😂

Zu dieser Funk­tion passt auch, dass fast ein Fün­f­tel der Tweets in der Stich­probe eine weit­ere Markierung der Lustigkeit bein­hal­ten, näm­lich LOL oder LMAO (in je etwa 5 Prozent der Stich­probe) oder unter­schiedlich lange Vari­anten von haha­ha (in etwa 10 Prozent der Stichprobe).

Auf­fäl­lig ist noch, dass das Lachträ­nen-Emo­ji oft ver­dop­pelt (😂😂) oder sog­ar vervielfacht (😂😂😂😂😂) wird, um seine Bedeu­tung zu inten­sivieren. Diese Strate­gie, in der Lin­guis­tik als „Redu­p­lika­tion“ beze­ich­net, find­et sich in knapp 10 Prozent mein­er Stich­probe. Die Redu­p­lika­tion ist in vie­len Sprachen eine kon­ven­tionelle Strate­gie, um Bedeu­tun­gen wie Dauer, Menge oder Inten­sität auszu­drück­en (im Deutschen ist sie nur begren­zt ein­set­zbar, find­et sich aber in Äußerun­gen wie „eine lange, lange Zeit“ oder „viele, viele Millionen“).

Dass sie bei Emo­ji einge­set­zt wird, ist inter­es­sant, weil es zeigt, dass die Redu­p­lika­tion eine natür­liche kom­mu­nika­tive Strate­gie ist. Außer­dem find­et sie sich bei klas­sis­chen Emoti­cons nur sel­ten, stellt also einen gen­uinen Unter­schied zwis­chen Emoti­cons und emoti­con-arti­gen Emo­ji dar.

Wir sehen also: 😂 ist nicht häu­fig, weil es den Zeit­geist des Jahres 2015 wiedergibt, son­dern, weil es eine Rei­he von Funk­tio­nen hat, die in der Online-Kom­mu­nika­tion eine wichtige Rolle spie­len. Falls es je einen Ein­trag im Oxford Eng­lish Dic­tio­nary bekommt (wovon ich allerd­ings nicht aus­ge­he), find­en sich diese Funk­tio­nen dann hof­fentlich dort wieder.

Ein Gedanke zu „Wörterwahl mit Freudentränen

  1. Albert

    Vie­len Dank für einen weit­eren super inter­es­san­ten Artikel!

    Wen­ngle­ich ich es als alter Emoti­con-Fan natür­lich schlimm finde, dass meine Lieblings-Aus­druck­sweise von so neu­modis­chem Zeugs ver­drängt wird… 

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