Von Gräten und Grenzen

Von Kristin Kopf

Let­zte Woche ging’s ja schon los mit der Auflö­sung des Ety­molo­gierät­sels — die näch­sten bei­den Wort­paare ver­rat­en Span­nen­des über Sied­lungs­geschichte und Kriegsführung:

Gräte und Grenze

Die Gräte ist ein alter Plur­al von Grat. So wie BartBärte ging im Mit­tel­hochdeutschen (1050–1350) auch GratGräte. Das Wort hat­te einen recht bre­it­en Bedeu­tung­sum­fang, darunter ‘Rück­grat, Bergrück­en, Spitze, Stachel, Fis­chgräte’. Wenn man über let­ztere sprach, benutzte man das Wort aber wohl meist in der Mehrzahl. Logisch, die Dinger steck­en ja massen­weise in so einem Fisch drin. Irgend­wann wurde diese Form dann als Ein­zahl uminter­pretiert, die Gräte war geboren. (Der Grat bekam später einen neuen Plur­al, Grate, so wie Jahre.)

Die Gren­ze ist dage­gen ein slaw­is­ch­er Import, wahrschein­lich von alt­pol­nisch grani­ca, grań­ca. Nun teilen sich slaw­is­che Sprachen ja einen Vor­fahren mit dem Deutschen, und tat­säch­lich, im Indoger­man­is­chen kön­nen wir die Wurzel *gher(ə)- ‘her­vorstechen’ annehmen. Sie brachte ein­er­seits Grat her­vor (s.o. die älteren Bedeu­tun­gen ‘Spitze’ und ‘Stachel’, die sich direkt anschließen lassen), und damit auch Gräte. Ander­er­seits ent­standen die slaw­is­chen For­men, bei denen der Aspekt des Abgren­zens beim Her­vorstechen in den Vorder­grund trat. Eben­falls dazu gehören Gras und grün (wun­der­voll vere­int in gras­grün) — hier geht es um das Her­vorstechen von Pflanzen­trieben (in Gras) bzw. um deren Farbe (grün kommt vom ahd. Verb gruoen ‘wach­sen, gedei­hen’, das sich wiederum auf die idg. Wurzel zurück­führen lässt).

Die Geschichte der Gren­ze im Deutschen ist auch inter­es­sant: Sie machte sich schon im Mit­tel­hochdeutschen als graniza, gra­enizen, greniz bei uns bre­it — oder eher “wir” uns bei ihr: Ab Mitte des 12. Jh. gab es größere Sied­lungs­be­we­gun­gen aus dem dama­li­gen deutschen Sprachraum nach Osten (in Teile des heuti­gen Bay­erns und Öster­re­ichs und in die heuti­gen neuen Bun­deslän­der). Dort traf man auf die autochthone slaw­is­che Bevölkerung und bedi­ente sich auch an ihrem Vok­ab­u­lar (“Deutsche Ost­sied­lung”). Entsprechend war Gren­ze zunächst auch nur in diesem neuen Gebi­et ver­bre­it­et. Gegen Ende der mit­tel­hochdeutschen Zeit find­et sich das Wort dann auch weit­er südlich (im oberdeutschen Raum) und nördlich (im niederdeutschen Sprachge­bi­et), erst etwas später übern­immt man es auch im West­mit­teldeutschen. Anfang des 18. Jh. ist es schließlich über­all gebräuch­lich. Vorher kan­nte man Gren­zen als Konzept natür­lich auch schon, nan­nte sie aber Ende, Schei­de, Rain oder Mark. Deshalb heißt z.B. die Mark Bran­den­burg so, sie war Gren­z­land zum slaw­is­chen Sied­lungs­ge­bi­et. Und ein Mark­graf war natür­lich ein­er, der über so ein Gren­zge­bi­et herrschte.

Grenadier und granulär

Ein Grenadier kommt, natür­lich, von der Granate (frz. grenade). Im 17. Jh., als die Beze­ich­nung aus dem Franzö­sis­chen ins Deutsche über­nom­men wurde, waren Grenadiere mit Granat­en aus­gerüstet, so wie Mus­ketiere mit Mus­keten, Füsiliere mit fusils ‘Gewehren’ und Kanon­iere mit Kanonen. Später wur­den Grenadiere all­ge­mein Fußsoldaten.

In Frankre­ich hat­te man die grenade aus Ital­ien importiert. Dort nan­nte man sie grana­ta – weil sie einem Granat­apfel glich, der im Ital­ienis­chen eben­falls grana­ta hieß: Der Granat­apfel ist mit Ker­nen gefüllt, die Granate mit Pul­verkörn­ern, auch die äußere Form war ähn­lich.

Das ital­ienis­che grana­ta wiederum kommt vom lat. mālum grānā­tum, wörtlich ‘mit (vie­len) Ker­nen verse­hen­er Apfel’. (Das Wort wurde bei der Über­nahme ins Deutsche, in mit­tel­hochdeutsch­er Zeit, nur halb über­set­zt: Aus mālum machte man zwar Apfel, aber grānā­tum blieb — so kamen wir zum Granat­apfel.)

Das lat. grānā­tum kommt von grānum ‘Korn, Kern’. Daraus machte man bei ander­er Gele­gen­heit das diminuierte gran­u­lum ‘Körnchen’, Basis des Adjek­tivs gran­ulär ‘körnig’. Es steckt auch in Gran­u­lat ‘gekörnte Sub­stanz’ und Gran­u­lom. Auch gran­ulär dürfte übers Franzö­sis­che ins Deutsche gekom­men sein, wobei ich grade keine Quelle dafür finde. Da die är-Endung aber auch son­st von frz. -aire kommt (leg­endär < légendaire, kom­ple­men­tär < com­plé­men­taire etc.), müsste das hinhauen.

So, das ist genug Land, das näch­ste Mal geht’s mehr ins Meer und den Morast!

2 Gedanken zu „Von Gräten und Grenzen

  1. Ian Philipp

    Habe ich das Ganze zu unaufmerk­sam gele­sen? Der Grana­ten­teil ste­ht so isoliert im Raume. Um das Ganze abzu­run­den, fehlt mir der Hin­weis, daß das erwäh­nte lat. “granum” auch von der indoger­man­is­chen Wurzel *ǵr̥h₂nóm abstammt, die wir auch aus engl. “to grow” und natür­lich dem deutschen “grün” ken­nen. Also leit­en sich alle erwäh­n­ten Wörter aus der­sel­ben Wurzel ab. LG, Ian

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