Sprachbrocken 19/2013

Von Anatol Stefanowitsch

Die Geschichte der geschlechterg­erecht­en Sprache, das mussten wir auch dieser Tage wieder fest­stellen, ist eine Geschichte voller Missver­ständ­nisse. Voller mutwilliger, ver­mei­d­bar­er Missver­ständ­nisse, die eigentlich bere­its hun­dert Mal aus­geräumt wor­den sind.

Dass die Macher/innen der Hei­del­berg­er Studieren­den­zeitung RUPRECHT nicht die hell­sten Sterne am qual­ität­sjour­nal­is­tis­chen Ster­nen­him­mel sind, wird schnell klar, wenn man mit dem kon­fron­tiert wird, was diese für „Satire“ hal­ten: Sex­is­mus mit ein­er Prise Ver­harm­lo­sung von recht­sex­tremem Ter­ror­is­mus. Auf der Titel­seite eines fik­tiv­en „Hei­del­berg­erinnen­er Stu­dentin­nen­magazins“ namens „car­o­la“ find­en sich Teas­er wie „Ohne Ler­nen durch die mündliche Prü­fung: Unsere besten Styling-Tipps“ aber auch „Frau Zschäpe plaud­ert aus dem Nähkästchen / Zwis­chen zwei Män­nern / Beate über die besten Unter­grund-Stel­lun­gen für drei“. Anlass dieser „Satire“ ist die Entschei­dung der „ruprecht“-Redaktion, ihre Texte nicht mehr zu „gen­dern“ und auch den Unter­ti­tel der Zeitschrift von Hei­del­berg­er Studieren­den­zeitung in Hei­del­berg­er Stu­den­ten­zeitung zu ändern.

In ein­er „Glosse“ (oder wie heißt das noch gle­ich, wenn man(n) sich selb­st­gerecht die Eier krault?), begrün­det ein gewiss­er Kai Gräf diese Entschei­dung damit, dass das Blatt „erwach­sen“ werde und „sich der Ket­ten sein­er Back­fis­ch­jahre“ entledi­ge und ver­sieht das ganze mit dem Habi­tus der Ver­nun­ft und der bürg­er­lichen Rev­o­lu­tion gegen (fik­tive) „Wächter des guten Tons“. Auf einen Leserin­nen­brief, der sowohl die auss­chließende Wirkung des ab sofort im „ruprecht“ prak­tizierten „gener­ischen“ Maskulinum als auch die per­fide Verquick­ung von geschlechterg­erechter Sprache mit NSU-Ver­harm­lo­sung ange­sprochen, fol­gt ein Lehrbuch­beispiel diskri­m­inierungs­be­ja­hen­der Apolo­getik: Erstens, auch die Frauen in der Redak­tion seien mehrheitlich gegen das Gen­dern (dahin­ter­ste­hen­des Missver­ständ­nis: Frauen kön­nen nicht sex­is­tisch sein); zweit­ens, man schließe ja bei der Benutzung des gener­ischen Maskulinum „selb­stver­ständlich … alle Geschlechter­grup­pen mit ein“ (dahin­ter­ste­hen­des Missver­ständ­nis: Wenn ich etwas oft genug wieder­hole, wird es auf magis­che Weise wahr), drit­tens, Frauen­zeitschriften seien viel sex­is­tis­ch­er als das gener­ische Maskulinum, und außer­dem sei das ja Satire (dahin­ter­ste­hen­des Missver­ständ­nis: Wer „Satire!“ ruft, hat automa­tisch recht).

Während die ruprecht-Redak­tion zu wenig gen­dert, gen­dert die Redak­tion des Fußball-Fanzines DIARIO DI DARIO zu viel. Wie @LOTTERLEBEN in einem äußerst lesenswerten Text berichtet, möchte diese Zeitschrift „die tren­nende geschlechtliche Polar­isierung aufheben sowie das Indi­vidu­um als Men­sch und nicht als Mann, Frau oder Trans* ins Zen­trum stellen“. Deshalb ver­wende man auch den Begriff Mensch*schaft statt Mannschaft. Ein lobenswertes Vorge­hen, wäre da nicht das Prob­lem, dass das Fanzine sich auss­chließlich mit Män­ner­fußball zu beschäfti­gen scheint, und dass es im Fußball all­ge­mein ja in der öffentlichen Wahrnehmung und Diskus­sion eigentlich immer um Män­ner­fußball geht (es muss schon eine Frauen­fußball­welt­meis­ter­schaft kom­men, damit der Frauen­fußball über­haupt als Fußball wahrgenom­men wird). @Lotterleben ent­tarnt deshalb die mutwilli­gen Missver­ständ­nisse hin­ter der schein­bar gen­der­be­wusste Begriff­swahl des Fanzines aufs Fein­ste. Sie mache genau diejeni­gen Struk­turen und Per­so­n­en­grup­pen unsicht­bar, die durch gen­der­be­wusste Sprache all­ge­mein und das Gen­der-Sternchen im Beson­deren eigentlich sicht­bar gemacht wer­den sollen. In ein­er reinen Män­ner­domäne zu behaupten, wir seien doch alle Men­schen, die nicht durch ihr Geschlecht definiert wer­den dürften, benen­nt sie kom­pro­miss­los als das, was es ist – „klas­sis­che Privilegierten-Argumentation“.

Natür­lich ist es ein­fach, Geschlecht zu ignori­eren, wenn mann (oder frau in ein­er Hei­del­berg­er Studieren­den­zeitungsredak­tion) von Sex­is­mus nicht betrof­fen ist.

15 Gedanken zu „Sprachbrocken 19/2013

  1. Nobby

    Ich finde, den Rück­griff aufs gener­ische Maskulinum beim ruprecht eben­falls äußerst unglück­lich und rück­wärts­ge­wandt. Auch die Satire­seite ist (mal wieder) nicht gelun­gen. Blendet man diese Aspek­te jedoch kurz aus, bleibt ruprecht in Hei­del­berg nach wie vor tat­säch­lich die einzige Zeitung mit nen­nenswert­er Auflage, die regelmäßig kri­tis­che und unab­hängige Beiträge zu Uni- und Stadt­poli­tik veröf­fentlicht. In dieser Funk­tion ist sie abso­lut unverzicht­bar. Ihre Macher/innen sind also vielle­icht doch “die hell­sten Sterne am qual­ität­sjour­nal­is­tis­chen Ster­nen­him­mel” Hei­del­bergs, denn ein fehlgeleit­etes Gen­der- und Humorver­ständ­nis hat mit den Inhal­ten von Qual­ität­sjour­nal­is­mus zunächst nichts zu tun, oder?

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  2. Erbloggtes

    Unbe­darfte Men­schen­fre­undin­nen wie ich kön­nten ver­muten, dass es sich bei der ”Entschei­dung der „ruprecht“-Redaktion, ihre Texte nicht mehr zu „gen­dern“ und auch den Unter­ti­tel der Zeitschrift von Hei­del­berg­er Studieren­den­zeitung in Hei­del­berg­er Stu­den­ten­zeitung zu ändern”, um die eigentliche Satire han­delt. Darauf deutet auch die Entlehnung des Begriffs “Back­fis­ch­jahre” aus den 1950ern hin.

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  3. Christoph Päper

    Dass Frauen­zeitschriften, die hier per­si­fliert wur­den, weitaus sex­is­tis­ch­er sind als irgendwelche unterbliebene Sprachkos­metik (oder als Män­nerzeitschriften), dürfte doch wohl unstrit­tig sein. Was der Einzelne für Satire hält oder nicht, ist dies­bezüglich völ­lig unerheblich.
    Übri­gens scheint das bish­er oblig­a­torische redak­tionelle Gen­dern des gesamten Mag­a­zins nicht pauschal durch (Pseudo-)Generika, son­dern lediglich durch eine indi­vidu­elle Entschei­dung fakul­ta­tiv­en Gen­derns per Artikel erset­zt wor­den zu sein.

    Um mal auf was Sprach­lich­es zu kom­men: „Leserin­nen­brief“ klingt falsch, wenn es um den (Leser-)Brief ein­er Leserin geht, denn ‚nen‘ ist keine übliche Fuge (d.h. ‚n‘ schon, aber nicht nach ‚n‘).

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  4. Kristin Kopf

    @Christoph Päper: Das erste n ist ein rein graphe­ma­tis­ches Phänomen, und Fugenele­mente wer­den nicht graphe­ma­tisch, son­dern mor­phol­o­gisch bes­timmt. Entsprechend gibt es ja auch das Sekretärin­nen­prob­lem und den Jungge­sellinnen­ab­schied (für — obwohl das keine Rolle spielt — exakt eine Junggesellin).
    Auch eine kleine Recherche in Zeitun­gen fördert weit­ere Bil­dun­gen zutage, die ein pro­duk­tives Muster nahele­gen, zum Beispiel den König­in­nenakt (Akt­gemälde “The Blue Queen”, das Eliz­a­beth II. zeigt), die Präsi­dentin­nen­suche (für einen Vere­in) und die Part­ner­in­nen­suche.

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  5. Stephan

    Lerserin­nen­brief”? Wörter wie “Mül­lerin­nenart”, “Bäuerin­nen­schule” und “Debü­tan­tinnen­ball” zeigen, dass es Zusam­menset­zun­gen dieser Art schon gab, als noch nicht »gegen­dert« wurde.

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  6. Christoph Päper

    Kristin Kopf, ich glaube, man darf die Beispiele nicht alle gle­ich behan­deln, denn einige der unmovierten Linkskom­po­nen­ten fordern selb­st schon – ohne auf N zu enden – die N‑Fuge (Junggesell+en+abschied, Präsident+en+suche), andere nicht (Partner+∅+suche</i) oder sog­ar eine andere (König+s+akt). Nichts­destotrotz scheint mein indi­vidu­elles Sprachge­fühl hier tat­säch­lich von der Sprachge­mein­schaft abzuweichen.

    Stephan, diese Gegen­beispiele sind nicht ana­log gebildet, da es jew­eils um eine Mehrzahl von Bäuerin­nen und Debü­tan­tinnen geht. Bei den Mül­lerin­nen kön­nte man drüber nachdenken.

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  7. Anna

    Laut Duden ist “die Stu­den­ten” der Plur­al für “der Student/ die Stu­dentin”, der das masku­line “der Stu­dent” sowie das fem­i­nine “die Stu­dentin” umfasst. Daher die Beze­ich­nung Stu­den­ten­zeitung. Die Zuord­nung des Artikels “die” für Feminum und Plur­al ist arbi­trär. Jede Frau kann sich hier gerne in dem “die” wiederfind­en, wenn sie verzweifelt nach einen graphe­ma­tis­chen Hin­weis im Druck­bild auf sich selb­st sucht.

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  8. Kristin Kopf

    @Christoph Päper: Was hat das Fugen­ver­hal­ten der unmovierten For­men mit dem der movierten For­men zu tun?
    Movierung ist ein deriva­tioneller Wort­bil­dung­sprozess, und Wort­bil­dung­spro­duk­te kön­nen prinzip­iell als kom­po­si­tionelles Erst­glied ver­wen­det wer­den, unab­hängig vom Ver­hal­ten ihrer Ableitungs­ba­sis — ich ver­ste­he daher den Zusam­men­hang nicht ganz?

    Außer­dem: Plur­al. Ich bin mir nicht ganz sich­er, ob ich den Kom­men­tar richtig ver­standen habe, aber: Es gibt zwar einzelne Beispiele, bei denen das Erst­glied durch das Fugen­ver­hal­ten Plu­ral­ität auszu­drück­en scheint (Arzthaus — Ärztehaus, Haus­front — Häuser­front, Bankkon­to — Bankenkrise), aber von einem gram­ma­tis­chen Phänomen lässt sich auf­grund der fehlen­den Oblig­a­torik nicht sprechen (Bischof­skon­ferenz, Fre­un­deskreis, Damenbe­such).
    Die meis­ten gemis­cht­flek­tieren­den Fem­i­ni­na (d.h. keine Endung in den Sin­gu­larka­sus, en-Endung in den Plu­ralka­sus) besitzen das par­a­dig­mis­che Fugenele­ment -en-, und zwar völ­lig unab­hängig von möglich­er Ein- oder Mehrzahl des Erst­glieds: Einen Tan­tenge­burt­stag kann man auch besuchen, wenn nur eine einzige Tante feiert, ein Blu­men­topf oder eine Blu­men­vase kann nur eine Blume enthal­ten, ein Waschmaschi­nen­de­fekt nur eine Waschmas­chine betr­e­f­fen, ein Lam­p­en­schirm sich nur auf ein­er Lampe befind­en, eine Kas­set­ten­hülle bietet nur Platz für eine Kas­sette, ein Kisten­deck­el ist nur auf ein­er Kiste drauf, und und und.

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  9. Rumpelstil_tm

    Da scheint mir jet­zt sehr wortre­ich erk­lärt, was man schon im ersten Semes­ter lernt: “Die Kom­po­si­tion­sstamm­for­men haben nicht die gle­iche Bedeu­tung wie die gle­ich­lau­t­en­den Flexionsformen.”

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  10. Christoph Päper

    Zeige mir ein nicht durch Motion erzeugtes Fem­i­ninum, das im Sin­gu­lar auf N endet und in irgen­dein­er Kom­po­si­tion eine N‑Fuge fordert, ohne gle­ichzeit­ig zwin­gend Plu­ralbe­deu­tung zu haben. Das Genus dürfte sog­ar egal sein. (Vielle­icht überse­he ich aber auch nur etwas.)
    Die unmovierten For­men würde ich beacht­en, weil Analog­bil­dun­gen nicht unwahrschein­lich sind, d.h. man wird wegen Jungge­sellenabschied auch Jungge­sellinnenabschied statt Jungge­sellinabschied erwarten dür­fen, aber aus Part­nersuche hätte sich genau­sogut Part­nerinsuche statt Part­nerinnensuche entwick­eln könne.

    Ich bin übri­gens auf­grund ihrer Regel­haftigkeit und Gener­iz­ität nicht mehr rest­los davon überzeugt, dass Movierung im Deutschen wirk­lich noch Deriva­tion und nicht bere­its Flex­ion ist – zumin­d­est, wenn auch die Plu­ral­bil­dung, die eben­falls mit Exten­sion­sän­derung ein­herge­ht, Flex­ion ist.

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  11. Kristin Kopf

    Man kann sich da natür­lich stre­it­en, die Movierung ist wirk­lich sehr rei­hen­bildend — aber sie ist auf eine bes­timmte seman­tis­che Gruppe beschränkt, näm­lich belebte Maskuli­na, die Män­ner (und manch­mal auch Tiere) beze­ich­nen. Damit ist sie noch wesentlich restringiert­er als zum Beispiel die Diminu­tion, die ja oft als flex­ion­sar­tiges Phänomen gehan­delt wird.
    Obwohl es einzelne Entwick­lun­gen gibt, die eine steigende Oblig­a­torik nahele­gen (Die Bahn als Bewahrerin), kann man m.E. eine Einord­nung als Flex­ion nicht rechtfertigen.

    Zum ersten Punkt: Das ist jet­zt natür­lich eine schwierige Auf­gabe, da die deutschen Fem­i­ni­na auf­grund his­torisch­er Entwick­lun­gen fast alle­samt zweisil­big sind und auf Schwa auslauten.
    Mir ist aber noch immer nicht klar, was das beweisen soll? Wenn es außer Wörtern auf -in keine gibt, die eine en-Fuge nehmen, kann es die en-Fuge bei -in nicht geben? Und warum das Behar­ren auf der Sin­gu­lar- und Plu­ralse­man­tik, wenn doch eine Vielzahl von Wörtern mit Fugenele­menten zeigen, dass es sich eben nicht mehr um Flex­ion han­delt und somit kein sys­tem­a­tis­ch­er Numerusaus­druck in der Fuge erfolgt?

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  12. Christoph Päper

    Diminu­tive nehmen rel­a­tiv häu­fig eigene Bedeu­tun­gen an (Herrchen/Frauchen, Män­nchen, Pärchen, Brötchen) bzw. das Wort ohne -chen oder -leinist nicht (mehr) gebräuch­lich: Eich­horn, Seep­ferd, Mär, *Mäd (~ Maid/Magd). Das ist bei movierten Wörtern nicht der Fall (höch­stens bei Wöch­ner­in). Plu­ralia- und Sin­gu­lar­i­atan­tum stellen die Numerus­flex­ion in Frage, wenig­stens ein bisschen.

    Ich wollte (zumin­d­est ursprünglich) nur darauf hin­aus, dass (unab­hängig vom Genus) N‑Fuge nach N‑Endung son­st nicht vorkommt, außer bei Übere­in­stim­mung mit der Plu­ral­form und entsprechen­der Seman­tik. Deswe­gen wirkt Leserin­nen­brief mit Sin­gu­larbe­deu­tung der Linkskom­po­nente auf mich seltsam.

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