Archiv des Autors: Anatol Stefanowitsch

Über Anatol Stefanowitsch

Anatol Stefanowitsch ist Professor für die Struktur des heutigen Englisch an der Freien Universität Berlin. Er beschäftigt sich derzeit mit diskriminierender Sprache, Sprachpolitik und dem politischen Gebrauch und Missbrauch von Sprache. Sein aktuelles Buch „Eine Frage der Moral: Warum wir politisch korrekte Sprache brauchen“ ist 2018 im Dudenverlag erschienen.

Sprachliche Erziehungsprobleme

Von Anatol Stefanowitsch

Wer seinen Kindern vor dem Ein­schlafen vor­li­est, weiß, wie schw­er es ist, gute Kinder- und Jugend­büch­er zu find­en (vor allem, wenn man nicht noch eine Geschichte über ein Pferd lesen möchte, das vor dem Abdeck­er gerettet wer­den muss). Und wer irgen­deinen Beruf außer Loko­mo­tivführer oder Märchen­prinzessin (oder Abdeck­er) ausübt, weiß, wie schw­er es ist, seinen Kindern zu erk­lären, wom­it man eigentlich sein Geld verdient.

Als ich vor eini­gen Monat­en auf eine Rezen­sion von Elis­a­beth Zöll­ners Jugen­dro­man „Ich knall ihr eine! Emma wehrt sich“ (2001, Thiene­mann; Neuau­flage 2005, Omnibus) stieß, dachte ich, dass ich vielle­icht bei­de Prob­leme auf ein­mal lösen könnte.

Gut, eigentlich dachte ich das nicht — die Geschichte von Emma und Eva und Gewalt in der Schule kam mir gle­ich arg sch­ablo­nen­haft vor. Aber: Emmas Mut­ter ist Sprach­forscherin! Lin­guis­ten kom­men in Roma­nen ver­gle­ich­sweise sel­ten vor, und so wit­terte ich meine Chance, mit dem abendlichen Vor­lesen auch Ein­sicht­en über meinen Beruf zu ver­mit­teln. Weit­er­lesen

Kompositumspatriotismus

Von Anatol Stefanowitsch

Auf dem Heimweg am Don­ner­stag­mit­tag habe ich fol­gende Behaup­tung im Deutsch­land­funk gehört:

Die deutsche Sprache ver­fügt über eine Eigen­schaft, die sie nur mit weni­gen anderen Sprachen teilt: sie kann zusam­menge­set­zte Sub­stan­tive bilden. Ver­fas­sungspa­tri­o­tismus. (DLF, 2007-04-05 12:29)

Ich habe nicht genau mit­bekom­men, warum dieser Satz fiel, weil ich damit beschäftigt war, ihn für die dieswöchige Press­eschau festzuhal­ten. Das ist bei 140 km/h auf der A1 nicht ein­fach und nicht zur Nachah­mung emp­fohlen, aber für die werten Leserin­nen und Leser des Bre­mer Sprach­blogs ist mir kein Risiko zu hoch. Ich habe dann zuhause fest­gestellt, dass es sich um einen Ver­weis auf ein bere­its am 1. April aus­ges­trahltes Essay des Rechtswis­senschaftlers Dieter Simon zur europäis­chen Ver­fas­sung han­delte, das inzwis­chen auch auf der Web­seite des DLF zu find­en ist und das mit dem ersten Satz dieser Behaup­tung begin­nt. Weit­er­lesen

Zweihundert Wörter für „Pferd“?

Von Anatol Stefanowitsch

Kaum habe ich ver­sprochen, dass wir in Zukun­ft mehr über lexikalis­che Mythen bericht­en wollen, liefert uns Vio­la heute mor­gen fol­gen­den Kom­men­tar, der eigentlich für unsere Reis­geschichte sein sollte, den ich aber lieber hier poste, damit er nicht untergeht:

liest hier jemand mit, der ungarisch kann und sich mit pfer­den auskennt?

grad ent­deckt:

Le hon­grois […] dis­pose […] de plus de deux cents ter­mes pour définir la race et la couleur d’un cheval.”

- “Das Ungarische ver­fügt über mehr als 200 Wörter zur Beze­ich­nung der Rasse und der Farbe eines Pferdes.”

In: Moore, Christo­pher (2006): Les plus jolis mots du monde. Paris: Michel. S. 45. [Orig­i­nal ersch. 2004 u.d.T. “In oth­er words. A lan­guage lover’s guide to the most intrigu­ing words around the world”. Lon­don: Elwin Street.]

Der Voll­ständigkeit hal­ber hier noch das englis­che Orig­i­nalz­i­tat, dass ich in diesem Blo­gein­trag des Schrift­stellers Julius Lester gefun­den habe, der dort gle­ich auf einen ganzen Reis­sack voller sprach­lich­er Mythen here­in­fällt (aber nicht auf den von den Eski­mos): “Hun­gar­i­an has two hun­dred dif­fer­ent words describ­ing the breed and the col­or­ing of a horse.” Weit­er­lesen

Zehn Wochen Bremer Sprachblog

Von Anatol Stefanowitsch

Über unserem Aprilscherz und dem Sprachquiz für April habe ich es nicht geschafft, für diese Woche Beiträge vorzu­bere­it­en, deshalb feiere ich ein­fach mal den erfol­gre­ichen Start unseres Bre­mer Sprachblogs.

Achtung: am Ende dieses Beitrags werde ich unseren Aprilscherz vom Son­ntag auflösen. Wer noch nicht selb­st ger­at­en hat und das noch tun möchte, sollte schnell hier klick­en!

Also: mor­gen ist es genau zehn Wochen her, dass das Bre­mer Sprach­blog mit einem Beitrag über „kinder­le­icht­en“ Spracher­werb ges­tartet ist. Weit­er­lesen

April, April

Von Anatol Stefanowitsch

Das Prob­lem mit Aprilscherzen ist ja, dass wir alle auf sie vor­bere­it­et sind und vor­sicht­shal­ber erst ein­mal gar nichts glauben, was man uns am 1. April weis­machen will. Wir präsen­tieren deshalb vier ver­meintliche sprach­wis­senschaftliche Aprilscherze, von denen aber drei tat­säch­lich wahr sind. Find­en Sie den echt­en Aprilscherz? Halt, halt! Ich meine natür­lich, find­en Sie den echt­en Aprilscherz ohne zu googeln? Weit­er­lesen

Presseschau

Von Anatol Stefanowitsch

In Baden-Würt­tem­berg tobt ein ungewöhn­lich­er Sprachkrieg. Seit 2003 begin­nt der Fremd­sprache­nun­ter­richt dort schon in der Grund­schule. Ganz Baden-Würt­tem­berg hat dafür das Englis­che gewählt. Ganz Baden-Würt­tem­berg? Nein! Denn ein Gebi­et leis­tet dem Ein­drin­gling tapfer Wider­stand. Ent­lang der Rhein­schiene hat man sich aus ganz prak­tis­chen Grün­den für das Franzö­sis­che entsch­ieden. Frankre­ich ist nah, und wer Franzö­sisch spricht, dem ste­ht ein zusät­zlich­er Arbeits­markt zur Ver­fü­gung. Aber was den Eltern für die Grund­schule Recht war, ist ihnen für das Gym­na­si­um keineswegs bil­lig. Denn hier sollen, wenn es nach Kul­tus­min­is­ter Hel­mut Rau geht, die betr­e­f­fend­en Schüler gezwun­gen wer­den, Franzö­sisch als erste Fremd­sprache zu wählen. Weit­er­lesen

T/V Total

Von Anatol Stefanowitsch

Sprache dient uns nicht nur dazu, Infor­ma­tio­nen über die Welt auszu­tauschen, son­dern auch dazu, zwis­chen­men­schliche Beziehun­gen auszuhan­deln und zu signalisieren.

Wir tun das unter anderem durch soge­nan­nte Höflichkeits­for­men (oder Hon­ori­fi­ca). Das kön­nen im ein­fach­sten Fall spezielle Anre­de­for­men sein, wie etwa die im amerikanis­chen Englisch weit ver­bre­it­eten sir und ma’am oder das etwas ver­al­tete deutschen mein Herr oder gnädi­ge Frau.

Es kön­nen aber auch Flex­ion­sendun­gen sein, die fes­ter Bestandteil der Gram­matik ein­er Sprache sind, wie zum Beispiel im Kore­anis­chen. Weit­er­lesen

Amtssprache Deutsch

Von Anatol Stefanowitsch

Übers Woch­enende habe ich weit­er über das The­ma „Deutsch im Grundge­setz“ nachgedacht und mir dabei die derzeit­ige Geset­zes­lage noch ein­mal etwas genauer ange­se­hen. Das war für mich sehr lehrre­ich. Bevor ich fort­fahre aber ein ein­schränk­ender Kom­men­tar: ich habe zwar vor langer Zeit ein­mal zwei Semes­ter Wirtschaft­srecht studiert, aber ich bin natür­lich kein Recht­sex­perte. Als Sprach­wis­senschaftler denke ich bei „Gesetz“ nor­maler­weise an so etwas wie die Erste Lautver­schiebung, die einst dazu geführt hat, dass die ger­man­is­chen Sprachen sich laut­lich vom Rest der indoeu­ropäis­chen Sprach­fam­i­lie getren­nt haben. Ich kann also nicht garantieren, dass ich die weniger erhabenen Geset­ze und Ver­wal­tungsvorschriften, über die ich im Fol­gen­den spreche, richtig ver­standen habe. Weit­er­lesen

Entfesselte Sprachpfleger

Von Anatol Stefanowitsch

Die Mach­er der „Deutschen Sprach­welt“ haben sich tat­säch­lich erblödet, Natascha Kam­pusch als „Sprach­wahrerin des Jahres“ zu nominieren, mit ein­er Begrün­dung, die einem die Sprache verschlägt:

Nach­dem die 18jährige am 23. August aus ihrem dun­klen Ver­lies befre­it wurde, in dem sie von einem Geis­tes­gestörten acht Jahre lang fest­ge­hal­ten wor­den war, erstaunte sie die Öffentlichkeit mit ihrer Sprachge­wandtheit. Die Pflege ihrer Mut­ter­sprache hat­te ihr offen­sichtlich geholfen, die schwere Zeit zu überstehen.

Und die Leser haben sie auch brav gewählt. Weit­er­lesen

Alle Sprachgewalt geht vom Volke aus

Von Anatol Stefanowitsch

CSU-Gen­er­alsekretär Markus Söder, der vor eini­gen Jahren vorschlug, die Inte­gra­tion von Schülern aus Migranten­fam­i­lien durch das Sin­gen der Nation­al­hymne an bayrischen Schulen zu beschle­u­ni­gen, hat­te ja am Dien­stag bei Mais­chberg­er angeregt, die deutsche Sprache im Grundge­setz als Staatssprache festzuschreiben. 

Das haben andere vor ihm auch schon gefordert, z.B. der Vere­in deutsche Sprache schon 2005 und Bun­destagspräsi­dent Nor­bert Lam­mert im let­zten Monat (laut Tagesspiegel haben Angela Merkel und Kurt Beck bere­its „Zus­tim­mung signalisiert“).

Nun mag es zunächst erstaunen, dass im Grundge­setz bis­lang keine Staatssprache fest­gelegt ist. Weit­er­lesen