Auf der konnotativen Leiter

Von Anatol Stefanowitsch

Vor den Feierta­gen habe ich ja eigentlich über den „Krieg gegen Wei­h­nacht­en“ und die Igno­ranz der­jeni­gen geschrieben, die ihn sich aus­gedacht haben. Aber weil ich neben­bei Mal­colm X als schwarzen Bürg­er­rechtler beze­ich­net habe, dreht die Diskus­sion des Beitrags sich nun haupt­säch­lich um die Frage, ob man das darf (eine ähn­liche, kurze Diskus­sion gab es schon ein­mal hier). Das The­ma ist also offen­sichtlich inter­es­sant genug, um sich ein­mal in einem eige­nen Beitrag damit zu befassen.

Das Prob­lem, vor das uns Begriffe wie Schwarz­er stellen, entste­ht durch einen Sprach­wan­del­prozess, den man in der Sprach­wis­senschaft als Pejo­ra­tion beze­ich­net — die Abw­er­tung der Bedeu­tung eines Wortes.

[Hin­weis: Der fol­gende Text enthält Beispiele ras­sis­tis­ch­er und sex­is­tis­ch­er Sprache.]

Eine ein­fache Erk­lärung für diesen Prozess kön­nte so ausse­hen: die Mehrheit der Mit­glieder ein­er Sprachge­mein­schaft hat in Bezug auf eine bes­timmte Kat­e­gorie von Gegen­stän­den oder Lebe­we­sen neg­a­tive Stereo­typen im Kopf. Wenn sie über diese Kat­e­gorie reden, wer­den diese Stereo­type langsam aber sich­er Teil der Bedeu­tung der Wörter, die sie dafür ver­wen­den. Weil wir beispiel­sweise jedes Mal, wenn wir das Wort Schwarz­er sagen, an hässliche ras­sis­tis­che Stereo­type denken, wer­den diese Stereo­type Teil der Wortbedeutung.

Diese Erk­lärung scheint zunächst plau­si­bel, aber sie kann nicht voll­ständig sein: sie erk­lärt nicht, wie aus pri­vat­en Gedanken all­ge­meine Wortbe­deu­tun­gen wer­den. Wenn es tat­säch­lich reicht, an die neg­a­tiv­en Stereo­type zu denken, während man ein Wort ausspricht, dann müsste der Prozess der Pejo­ra­tion immer sofort ein­treten — egal, welch­es Wort ich ver­wen­dete, meine Gedanken wür­den unverzüglich Teil sein­er Bedeutung.

Eine alter­na­tive Erk­lärung wäre, dass die Sprech­er ein­er Sprachge­mein­schaft bes­timmte Begriffe häu­fig in Zusam­men­hän­gen ver­wen­den, in denen die neg­a­tiv­en Stereo­type offen aus­ge­sprochen wer­den und so von allen Sprech­ern der Sprachge­mein­schaft mit den betr­e­f­fend­en Wörtern assozi­iert wer­den kön­nen. Auch das klingt erst ein­mal plau­si­bel. Allerd­ings ist es so, dass neg­a­tive Stereo­type nor­maler­weise nur sehr sel­ten offen aus­ge­sprochen wer­den — zu sel­ten, als dass diese Erk­lärung wirk­lich greifen könnte.

Es bleibt also das Para­dox­on, dass wei­thin bekan­nte Stereo­type, die sel­ten oder sog­ar nie aus­ge­sprochen wer­den, zu einem all­ge­mein emp­fun­de­nen Teil ein­er Wortbe­deu­tung wer­den können.

Der Düs­sel­dor­fer Sprach­wis­senschaftler Rudi Keller löst dieses Para­dox­on in seinem Buch Sprach­wan­del: Von der unsicht­baren Hand in der Sprache auf ele­gante und überzeu­gende Weise auf.

Um seine Erk­lärung zu ver­ste­hen, müssen wir uns zunächst verge­gen­wär­ti­gen, dass wir häu­fig für ein und das­selbe Beze­ich­nete mehrere Beze­ich­nun­gen haben, die unter­schiedliche Wer­turteile in sich tra­gen. Ein Mit­glied der Unter­art Can­is lupus famil­iaris, zum Beispiel, kön­nen wir als Hund beze­ich­nen, aber auch als Köter oder bester Fre­und des Men­schen. Alle drei Begriffe beziehen sich auf die gle­iche Kat­e­gorie (sie haben alle die gle­iche Deno­ta­tion), aber sie verbinden mit dieser Kat­e­gorie ver­schiedene Bew­er­tun­gen (sie haben unter­schiedliche Kon­no­ta­tio­nen): Köter drückt eine neg­a­tive Ein­stel­lung aus, Hund ist wert­neu­tral, und bester Fre­und des Men­schen sig­nal­isiert eine pos­i­tive Einstellung.

Keller weist nun darauf hin, dass Sprachge­mein­schaften nor­maler­weise in Bezug auf bes­timmte Kat­e­gorien von Men­schen ein „Galanter­iespiel“ spie­len, dessen wichtig­ste Regel besagt, bei der Auswahl der Beze­ich­nung, mit der wir über Mit­glieder dieser Kat­e­gorie reden (oder mit der wir sie gar direkt anre­den), sicher­heit­shal­ber immer einen Begriff zu wählen, der pos­i­tiv­er kon­notiert ist, als der neu­trale Begriff. Auf diese Weise schme­icheln wir der beze­ich­neten Per­son und es kann uns nie passieren, dass wir aus Verse­hen einen neg­a­tiv kon­notierten Begriff erwischen.

Keller zeigt diesen Vor­gang am Beispiel von Beze­ich­nun­gen für Frauen. Lange Zeit war im Deutschen das Wort wîp („Weib“) eine neu­trale Beze­ich­nung für weib­liche Mit­glieder der (Unter-)Art Homo sapi­ens sapi­ens. Das Wort frouwe (Frau) gab es auch schon, aber es wurde nur auf Adlige angewen­det und hat­te dadurch eine pos­i­tive Kon­no­ta­tion. Da die Män­ner dieser Zeit aber immer stärk­er das Galanter­iespiel spiel­ten, grif­f­en sie immer häu­figer zu dem Wort frouwe um von und mit nicht-adli­gen Frauen zu sprechen. Je weit ver­streuter und häu­figer aber das Wort frouwe ver­wen­det wurde, desto stärk­er nutzte sich seine pos­i­tive Kon­no­ta­tion ab — es wurde ein neu­traler Begriff. Das ursprünglich neu­trale Wort wîp musste Platz machen und auf der kon­no­ta­tiv­en Leit­er eine Sprosse nach unten klet­tern — es erhielt einen neg­a­tiv­en Beik­lang, den es ja heute immer noch hat. Der näch­ste Zyk­lus im Galanter­iespiel ist übri­gens schon ein­geleit­et: in vie­len Zusam­men­hän­gen ver­mei­den wir das Wort Frau und erset­zen es durch die näch­sthöheren Wörter auf der kon­no­ta­tiv­en Leit­er — Dame (wieder ein ehe­ma­liger Adel­sti­tel), oder Gattin/Gemahlin (Damen­toi­lette, Damen­wahl, Wie geht es Ihrer Gattin/Ihrer Frau Gemahlin?, usw.).

Was bei Frauen funk­tion­iert, funk­tion­iert natür­lich auch bei anderen Kat­e­gorien von Men­schen. Wir alle ken­nen die Geschichte der Beze­ich­nun­gen für Men­schen mit dun­kler Haut­farbe, speziell aus dem sub­sa­harischen Afri­ka (diese Entwick­lung ist im Deutschen und im Englis­chen sehr par­al­lel ver­laufen, ich nehme an, dass der deutsche Sprachge­brauch sich hier am englis­chen ori­en­tiert hat). Bis in die sechziger Jahre wurde das Wort negro (Engl.) bzw. Neger (Dt.) von vie­len als neu­traler Begriff betra­chtet (meine Studieren­den zuck­en zusam­men, wenn er ihnen in Fachauf­sätzen dieser Zeit begeg­net). All­ge­mein als neg­a­tiv kon­notiert anerkan­nte Begriffe gab es natür­lich auch, z.B. Nig­ger, coon (Engl.) oder Kaf­fer (Dt.). Im Zusam­men­hang mit dem zunehmenden Bewusst­sein für die Ungle­ich­be­hand­lung von Schwarzen in den USA kam Kellers Galanter­iespiel zum Zuge: um Men­schen afrikanis­ch­er Abstam­mung keines­falls zu belei­di­gen, griff man sicher­heit­shal­ber zum näch­sthöheren Begriff auf der kon­no­ta­tiv­en Leit­er — black (Engl.) bzw. Schwarz­er (Dt.). Damit, und erst damit, wurde der Begriff negro/Neger auf der kon­no­ta­tiv­en Leit­er nach unten gedrängt.

In den Sub­kul­turen, in denen (aus ganz ver­schiede­nen Grün­den), das Galanter­iespiel Schwarzen gegenüber beson­ders inten­siv gespielt wurde, ging die Begriff­s­ab­w­er­tung noch weit­er. Sobald black/Schwarzer zu einem neu­tralen Begriff gewor­den war, griff man dort zu pos­i­tiv­er kon­notierten Beze­ich­nun­gen, oder schuf diese — erst coloured/Farbiger und dann African/Afrikaner bzw. African-Amer­i­can/Afro-Amerikan­er. In der all­ge­meinen Bevölkerung ging die Bedeu­tungsab­w­er­tung schein­bar nicht mit der sel­ben Geschwindigkeit weit­er — das Galanter­iespiel war hier vielle­icht nicht mehr so wichtig, und so behiel­ten Begriffe wie black/Schwarzer für viele Sprech­er eine rel­a­tiv neu­trale Konnotation.

Neben­bei sei bemerkt, dass das Galantereispiel nicht nur bei Men­schen funk­tion­iert, son­dern auch bei Gegen­stän­den, solange unser Denken über sie aus­re­ichend emo­tion­al aufge­laden ist. So war das Wort drug bzw. Droge ursprünglich ein­mal ein neu­traler Begriff für ver­schieden­ste Wirk­stoffe, auch die, die von Ärzten verabre­icht wur­den — die Beze­ich­nung drug store bzw. Drogerie ist ein Echo aus dieser Zeit. Aber um sich­er zu gehen, dass man in einem medi­zinis­chen Kon­text nicht aus Verse­hen neg­a­tiv kon­notierte Wirk­stoffe mit ein­schloss, wählte man zunehmend das pos­i­tiv kon­notierte Wort medicine/Medizin. Dieses Wort sel­ber wurde aber spätestens in eini­gen Sub­kul­turen in den sechziger Jahren wiederum zu einem neu­tralen Begriff, der auch nicht-medi­zinis­che Wirk­stoffe mit ein­schloss (so sang Kei­th Richards in „Before They Make Me Run“: Booze and pills and pow­ders, you can choose your med­i­cine — „Alko­hol und Pillen und Pul­ver, du kannst dir deine Medi­zin aus­suchen“). Vielle­icht wird deshalb im englis­chen Sprachraum inzwis­chen häu­fig der pos­i­tiv­er kon­notierte Begriff med­ica­tion ver­wen­det, wo man früher schlicht med­i­cine gesagt hat.

Aber zurück zu Kellers Erk­lärung. Sie zeigt faszinieren­der­weise, dass die Bedeu­tungsab­w­er­tung von Beze­ich­nun­gen typ­is­cher­weise ger­ade nichts damit zu tun hat, dass wir schlecht über etwas reden. Im Gegen­teil — sie hat etwas damit zu tun, dass wir zu gut über etwas reden. Ist es aber dann tat­säch­lich eine pos­i­tive Ein­stel­lung gegenüber Frauen und Schwarzen, die dazu führt, dass die Beze­ich­nun­gen für sie ständig neg­a­ti­vere Kon­no­ta­tio­nen annehmen und durch neue Wörter erset­zt werden?

Das klingt irgend­wie unglaub­würdig, und ganz so ein­fach ist es natür­lich auch nicht. Die Frage ist ja, warum Sprech­er manch­mal das Galanter­iespiel spie­len, und manch­mal nicht. Warum spie­len wir es bei Frauen und Schwarzen, aber nicht bei Män­nern und Weißen? Nun, Frauen und Schwarze haben gemein­sam, dass sie Jahrhun­derte (eventuell sog­ar Jahrtausende) lang als Men­schen zweit­er Klasse betra­chtet wur­den. Ich denke, genau das ist der Grund dafür, das Galanter­iespiel über­haupt zu spie­len: über­triebene Höflichkeit ist nur den Men­schen gegenüber nötig, die ohne sie den Ein­druck bekom­men kön­nten, dass wir sie nicht als gle­ich­w­er­tig betra­cht­en. Und dieser Ein­druck entste­ht typ­is­cher­weise dort, wo das tat­säch­lich so ist.

Meine Ver­mu­tung ist deshalb, dass die Begriff­s­ab­w­er­tung bei Beze­ich­nun­gen für Frauen und Schwarze sich ver­langsamen oder sog­ar ganz aufhören wird. Bei dem Wort Frau scheint jet­zt schon klar, dass der Zyk­lus der Abw­er­tung nicht abgeschlossen wird — die zunehmende Gle­ich­berech­ti­gung von Frauen sorgt dafür, dass das Galanter­iespiel langsam aber sich­er über­flüs­sig wird. Damit gibt es keine Moti­va­tion mehr, den Begriff Frau durch pos­i­tiv­er kon­notierte Begriffe zu erset­zen und damit muss er auf der kon­no­ta­tiv­en Leit­er nicht weit­er in den neg­a­tiv­en Bere­ich absteigen. Bei dem Wort Schwarz­er gibt es ja offen­sichtlich ver­schiedene Mei­n­un­gen. Vielle­icht hat sich die Erken­nt­nis, dass Haut­farbe nichts über einen Men­schen aus­sagt, noch nicht so weit oder so tief durchge­set­zt, dass das Galanter­iespiel hier völ­lig über­flüs­sig gewor­den wäre.

Es ist eine inter­es­sante Frage, ob sich der Zyk­lus der Abw­er­tung aufhal­ten lässt, indem Sprech­er bewusst aufhören, ständig nach der näch­sthöheren Sprosse auf der Leit­er zu schie­len. Ich halte das dur­chaus für möglich. Aber eins ist klar: wenn ein Begriff erst ein­mal abgestiegen ist, lässt er sich nur noch durch aller­größte Anstren­gun­gen der Beze­ich­neten sel­ber reha­bil­i­tieren, und meis­tens auch nur für die Beze­ich­neten selbst.

KELLER, RUDI. 1994. Sprach­wan­del. Von der unsicht­baren Hand in der Sprache. 2. Auflage. Tübin­gen: Francke. [Einen kurzen Überblick über seine The­o­rie gibt Keller hier (PDF, 254 KB)].

12 Gedanken zu „Auf der konnotativen Leiter

  1. Krimileser

    Ich lese über­wiegend (über) englis­chsprachige Lit­er­atur — häu­fig aus den USA. Dort ist der Begriff “afro amer­i­can” ja mit­tler­weile sehr ver­bre­it­et. Viele Schwarze sel­ber, ver­suchen (so scheint es mir) sich der von Ihnen beschriebe­nen Pejo­ra­tionsspi­rale zu entziehen und ver­wen­den weit­er­hin “black”. Im Slang (schriftlich, mündlich) find­et häu­figer auch die Umw­er­tung aller Werte statt und es wird “nig­ger” gebraucht, aber dieses ste­ht uns natür­lich nicht zu. 

    Inter­es­sant find­et ich, dass ich, bis ich inten­siv­er afroamerikanis­che Krim­is gele­sen hat­te, nie die Vielfalt der schwarzen Haut­farbe wahrgenom­men hat­te: Der Begriff “schwarz” ver­stellt doch irgend­wie den “Blick”.

    Beste Grüße

    bernd

    Antworten
  2. corax

    Herr Ste­fanow­itsch,

    […] „Galanter­iespiel“

    […] Galanter­iespiel

    […] Galanter­iespiel

    [.. ] Galanteriespiel

    […] Gal­lanter­iespiel

    […] Galanter­iespiel

    […] Galantereispiel

    […] Gal­lanter­iespiel

    […] Gal­lanter­iespiel

    […] Galanter­iespiel

    […] Galanter­iespiel […]

    ich komme auf 8:3 und nicht weil ich so gerne “l“s zäh­le son­dern weil ich den Begriff noch nie gehört hat­te und deshalb tat­säch­lich ver­wirrt war. Ich gehe mal davon aus, dass der Begriff von “Galant” kommt und hab da mal nachgeschaut, dem­nach hat sich dessen Kon­no­ta­tion ja eben­falls grundle­gend gewandelt.(mehrfach)

    Wikipedia:

    Das Wort Galant ist erhe­blich älter als die Mode des Galanten, die unter Anhängern eines ver­fein­erten Ver­hal­tens im 17. Jahrhun­dert aufkam. Galant war ursprünglich Par­tizip Präsens des Verbs galer = „sich (jung­män­ner­haft) amüsieren, einen drauf machen (am besten mit anschließen­dem Besuch leichter Damen)“. In dieser Bedeu­tung find­et man das Wort noch 1460 z. B. bei François Vil­lon. Ende des 16. Jahrhun­derts war das Verb ver­schwun­den, und nur “galant” hat­te als Adjek­tiv und als Sub­stan­tiv über­lebt. Let­zteres beze­ich­nete nun einen rou­tinierten Schürzen­jäger, was im deutschen Begriff Galan noch rest­weise erhal­ten ist. So trug König Hein­rich IV. wegen sein­er zahlre­ichen Liebe­saf­fären den Beina­men le vert galant (=der grüne, d. h. gut im Saft ste­hende Galan). Der Begriff war also im Adel angekom­men, zunächst wohl noch mit leicht neg­a­tivem Beigeschmack.”

    http://de.wikipedia.org/wiki/Galant_%28Mode%29#Vorgeschichte

    Im englis­chen bedeutet “Gal­lant” wohl Kava­lier oder ritterlich

    http://www.dict.cc/englisch-deutsch/gallant.html

    was, wenn man den Wikipedi­aar­tikel weit­er liest wohl erst enst­ge­meint und dann iro­nisch gemeint war. Und am Ende des 18.Jahrhunderts war “galant” wohl wieder neg­a­tiv kon­notiert. Zitat: “Une­he­liche Beziehun­gen gal­ten als galant.”

    Herr Ste­fanow­itsch, ich wäre ihnen deshalb dankbar, wenn sie die Bedeu­tung des “Galanter­iespiel” noch etwas “auf­dröseln” könnten.

    Pax

    Antworten
  3. Anatol Stefanowitsch

    Corax, die falsche Schreib­weise habe ich kor­rigiert, danke (ich hat­te das ursprünglich alle Vorkom­men mit Doppel‑L geschrieben und beim Kor­rigieren dann wohl einige übersehen.

    Keller ver­wen­det das Wort „Galanter­iespiel“ expliz­it im Zusam­men­hang der „Zeit der Min­nesänger“, von deneneine „spez­i­fis­che Form der Höflichkeit aus Süd­frankre­ich importiert wurde, die Galanterie“. Er fasst dieses Spiel so zusam­men: „Höflich sein heißt unter anderem, bei der Andrede im Zweifel lieber eine Etage zu hoch greifen als eine zu nieder“. Wahrschein­lich taugt der Begriff deshalb nicht unbe­d­ingt als all­ge­meine Beze­ich­nung für das Phänomen hier. „Höflichkeitsspiel“ wäre vielle­icht neu­traler, obwohl auch das Beispiele wie das mit den Dro­gen nicht richtig erfasst. Steven Pinker nen­nt es die „Euphemis­mus-Tret­müh­le“.

    Antworten
  4. Wolfgang Hömig-Groß

    Eine ganz ähn­liche Erk­lärung kenne ich unter Beze­ich­nung “euphemistis­che Tret­müh­le”; als ich ger­ade kurz noch mal in der Wikipedia nachge­se­hen habe, habe ich gese­hen, dass sie von Pinker ist. Danach wer­den neue, weniger diskri­m­inierende Begriffe gesucht oder z.T. absichtlich einge­führt (Auszu­bilden­der statt Lehrling), aber wenn man nur lange genug wartet, ist der neue Begriff eben­so diskrim­ierend, wohinge­gen der alte — man­gels Benutzung — häu­fig seine neg­a­tiv­en Kon­no­ta­tio­nen ver­liert. Das scheint mir doch daran zu liegen, dass man mit der Sprache nur schlecht auf Dauer an der Wahrheit vor­beikommt — wenn Lehrlinge nicht geachtet sind, ist es egal, wie man sie bezeichnet.

    Antworten
  5. David Marjanović

    (Auszu­bilden­der statt Lehrling)

    In Öster­re­ich sagt man noch immer “Lehrling”, auch in der Bürokratie. Vielle­icht, um sich von den Deutschen zu unterscheiden.

    Antworten
  6. Georg Schober

    In diesem Zusam­men­hang möchte ich auf den am 30. Dezem­ber 07 im “Lit­er­atur­blog “Duf­ten­der Dop­pelpunkt” erschienen Beitrag “DER WEISSE NEGER WUMBABA” aufmerk­sam machen.

    Antworten
  7. djweaverbeaver

    Ich bin schwarz, genauer gesagt, African Amer­i­can. Ich wuerde gerne Krim­i­leser darauf hin­weisen, dass “African Amer­i­can” seit den 80ern die am häu­fig­sten gebrauchte Beze­ich­nung für uns ist. Afro-Amer­i­can klingt mir ein biss­chen alt­modisch und nicht sehr zeit­genös­sisch. Kein­er sagt das mehr hier in den Staat­en. Entwed­er “Black” oder “African Amer­i­can”. Manch­mal kommt es auf die Per­son und deren Vorstel­lung an. Außer­dem, als ich let­ztes Jahr in Deutsch­land war, war ich sehr über­rascht, den Begriff “ein Far­biger” zu hören. Nach einem Jahr weiß ich immer noch nicht, ob er akzept­abel ist, aber er gefällt mir über­haupt nicht. Jedes Mal denke ich an das englis­che Wort “col­ored”, was heutzu­tage abschätzig, sog­ar ras­sis­tisch auf andere wirken kann. Hinge­gen ist der Begriff “peo­ple of col­or” gänglich. Ein Paar Male habe ich auch “Neger” geho­ert von eini­gen zurück­ge­bliebe­nen Men­schen. Auch dass das Lied “Zehn kleine Negerlein” an deutschen Grund­schulen weit­erge­sun­gen wird, find­et ich ein­fach unan­nehm­bar und tak­t­los. Vielle­icht habe ich Unrecht. Vielle­icht lassen sich die Wörter in den Bedeu­tungs­feldern nicht über­lap­pen, aber das ist meine Mei­n­ung als “Afro-Amerik­er/Schwarz­er” in den USA.

    Antworten
  8. Ulf Runge

    Lieber Herr Prof. Dr. Stefanowitsch,

    (es ist übri­gens nur Höflichkeit und keine Über­höhung, dass ich Sie mit Ihrem Namen anspreche),

    corax hat mich auf diesen Blog und ins­beson­dere diesen Artikel aufmerk­sam gemacht.

    Hut ab, das ist eine sehr hil­fre­iche Erk­lärung zu dem von Ihnen behan­del­ten Phänomen, dunkel­häutige bzw. weib­liche Men­schen bezüglich ihres Gat­tungs­be­griffs zu benennen.

    Danke Ihnen für diesen Artikel.

    Danke an corax für den Hinweis.

    Viele Grüße,

    Ulf Runge

    Antworten
  9. Krimileser

    Lieber djbeaver­weaver,

    ich weiß nicht was mich ritt. Richtig “african amer­i­can”, nur im Deutschen “afroamerikanisch”. Da ging was durcheinander.

    Ich was rel­a­tiv über­rascht, dass ein Kom­men­ta­tor hier im Blog “schwarz” durch “far­big” erset­zen wollte. Man muss dem deutschen Sprachraum hier vielle­icht zugeste­hen, dass es die belei­di­gende Ver­wen­dung des Wortes in den USA nicht mit­bekom­men hat. [Für mich als Haut­typ II (sehr blass) stellt sich die Frage. ob Latinos/Latinas nicht als als far­big durchgingen.] 

    Ich glaube unter Älteren ist der Begriff “Neger” gar nicht so sel­ten. Diskri­m­inierend ist er aber nicht unbe­d­ingt gemeint. Auch hier gilt möglicher­weise, dass im deutschen Sprachraum die Geschichte der Rassenkon­flik­te der USA weit­ge­hend unbekan­nt ist und viele Deutsche keinen Kon­takt zu Schwarzen haben.

    Antworten
  10. Jens

    Keller ist nicht ganz unum­strit­ten, immer­hin gibt es Kul­turen, die gän­zlich ohne höfis­ches Treiben auskom­men und aus­gekom­men sind, und in denen Frauen­be­griffe trotz­dem eine Pejo­ra­tion durchgemacht haben. Island ist ein Beispiel dafür.

    Inter­es­sant ist auch, daß nicht alle Frauen­be­griffe abgew­ertet wur­den – Fam­i­lien­beze­ich­nun­gen wie Mut­ter, Tochter tra­gen seit dem Ahd. ähn­liche Bedeu­tung. Muhme und Base sind nicht schlechter gewor­den, son­dern ganz geschwun­den. Und trotz­dem wurde speziell die Mut­ter (die Eltern im all­ge­meinen) doch früher sehr höflich ange­sprochen und behan­delt, da gab es also dur­chaus auch ein Galanter­iespiel. Eine Ver­schlechterung der Mut­ter gibt’s trotz­dem nich.

    In ein­er Rezen­sion schlägt William Croft (1997) eine etwas abge­wan­delte The­o­rie der unsicht­baren Hand vor: die Wörter kom­men (auf­grund der Betra­ch­tung als Men­schen zweit­er Klasse) sehr häu­fig in neg­a­tiv­en Kon­tex­ten vor und es beste­ht die Gefahr der Kon­no­ta­tion von neg­a­tiv­en Eigen­schaften mit den Begrif­f­en. Der Sprech­er möchte in dem Fall aber nicht unbe­d­ingt höflich sein, ein Galanter­iespiel betreiben, son­dern lediglich ver­mei­den, daß er mißver­standen wird.

    Antworten
  11. Michael Kietz

    Keller zeigt diesen Vor­gang am Beispiel von Beze­ich­nun­gen für Frauen.’

    Lei­der stellen wir (Deutschen) uns nicht den Tat­sachen: Juden wurde im Rah­men der Chris­tian­isierung der Han­del — Chris­ten war er ver­boten — ‘erlaubt’, und als sie Gewinne macht­en, wur­den sie ‘ver­teufelt’; die Fol­gen dieser früh ein­set­zen­den Pejo­ra­tion sind uns ja bekannt …

    Auch bei den Galanterieen um das Wort Neger wurde seit­ens der Deutschen — siehe etwa Süd­west & die Hehero — zunächst die hierzu­lande vorherrschende Unken­nt­nis poli­tisch miss­braucht, somit dem Volk ein neg­a­tiv­er ‘Tuch’ beige­bracht; der wurde in den aufk­om­menden Kinofil­men kräftig ver­stärkt, wobei Neger nur Unter­ta­nen der dümm­lichen Sorte darstellen durften.

    Zwei Beispiele der Ver­drän­gung sozialer Hin­ter­gründe, die zu ein­deuti­gen ‘Mei­n­un­gen’ führten. Ohne ‘Würdi­gung’ der Sprach­wis­senschaft, die ‘Abw­er­tung der Bedeu­tung eines Wortes’ offen­bar auss­chließlich ‘wert­neu­tral’ zu erk­lären sucht …

    Antworten
  12. @Jens

    Aber die Fam­i­lie hat sich wesentlich entwick­elt von damals zu heute!

    Sie war wesentlich unfamil­iär­er. Eltern und Kinder führten mehr eine Art Geschäfts­beziehung untere­inan­der, statt wie heute famil­iär soziale Bindun­gen zu pflegen.

    Wahrschein­lich wur­den die Begriffe Muhme und Base als nicht mehr zeit­gemäß erachtet und sind daher verschwunden.

    Heutzu­tage reden Kinder ihre Eltern auch nur noch sel­ten (prak­tisch nie) mit der höflicheren (und dis­tanziert­eren) Form „Sie“ an.

    Antworten

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.