Von Tausend zur Million: Augmentativa

Von Kristin Kopf

Was haben Kar­ton, Bal­lon, Bat­tail­lon, Salon, Medail­lon und Mil­lion gemein­sam? Ganz zu schweigen von Mine­strone, Can­nel­loni und Tortel­loni?

Mehrere Dinge … zunächst ein­mal sind es ganz klar Fremd­wörter. Einige davon klin­gen eher franzö­sisch (z.B. Salon), andere ein­deutig ital­ienisch (z.B. Tortel­loni) – die franzö­sis­che Gruppe stammt aber ursprünglich auch aus dem Ital­ienis­chen, die Wörter sind also auf indi­rek­tem Wege zu uns gelangt. (Das sind Kar­ton, Bal­lon, Bat­tail­lon, Salon, Medail­lon).

Dann ähneln sie sich alle struk­turell: Sie enden in ihrer geschriebe­nen Form alle auf -on, -one oder -oni. 1 Und das ist kein Zufall: Alle diese Endun­gen sind näm­lich auf eine einzige zurück­zuführen, das ital­ienis­che -one.

Dieses -one ähnelt unseren deutschen -chen/-lein-Endun­gen: Es verän­dert die “Größe” des Sub­stan­tivs, an die es tritt.

-chen und -lein sind Verkleinerungsendun­gen, auch “Diminu­tivsuf­fixe”2 genan­nt. Ein Büch­lein ist z.B. ein kleines oder schmales Buch.

Nun gibt es auch Sprachen, die mit ein­er Endung ver­größern kön­nen – darunter das Italienische.

Hängt man -one an den Stamm eines ital­ienis­chen Sub­stan­tivs an, so sagt man damit, dass das neu ent­standene Wort eigentlich das­selbe ist wie das ursprüngliche, nur größer, dick­er oder son­st irgend­wie “mehr”. Das nen­nt man dann “Aug­men­ta­tivsuf­fix”3.

So heißt das ital­ienis­che mille ‘tausend’ – mit -one wird es zu mil­ione ‘Mil­lion’. (Ursprünglich bedeutete mil­ione übri­gens nicht exakt ‘Mil­lion’, son­dern ein­fach nur ‘sehr große Zahl’.)

Kar­ton ist dick­es Papi­er (it. car­ta), Bal­lon ist ein großer Ball, ein Bat­tail­lon ist eine Ansamm­lung von Kom­panien (it. battaglia), ein Salon ist ein großer Saal, ein Medail­lon eine große Medaille. Mine­strone ist eine dicke Suppe (it. mines­tra), Can­neloni sind dicke Röhrchen (it. canel­lo) und Tortel­loni große gefüllte Pas­ta (it. tortel­li).

Nach diesem Prinzip kann man auch heute noch neue Wörter im Ital­ienis­chen bilden: casa ‘Haus’ > casone ‘großes Haus’, anel­lo ‘Ring’ > anel­lone ‘großer Ring’, …

Für alle, die’s inter­essiert, hier die genauen Wege für meine Beispielwörter:

  • it. carta ‘Papi­er’ + -onecartone ‘dick­es Papi­er, Pappe, Kar­ton’ > frz. car­ton > dt. Kar­ton
  • it. palla, bal­la ‘Kugel’ + -one > pallone ‘großer Ball’ > frz. bal­lon ‘Ball, kugelför­miges Gefäß, Luft­fahrzeug’ > dt. Bal­lon
  • it. battaglia ‘Schlacht­truppe’ + -one > bataglione ‘mehrere Kom­panien’ >  frz. batail­lon > Bat­tail­lon
  • it. sala ‘Saal’ + -onesalone ‘großer Saal’> frz. salon ‘repräsen­ta­tiv­er Saal, Wohnz­im­mer, Aufen­thalt­sraum’> dt. Salon
  • it. medaglia ‘Medaille’ + -one > medaglione > frz. medail­lon > dt. Medail­lon
  • it. minestra ‘Suppe’ > minestrone ‘dicke Suppe’ > dt. Mine­strone
  • it. can­na ‘Rohr’ > can­nello ‘Röhrchen’ > can­nelloni ‘dick­es Röhrchen, Can­neloni’ > dt. Can­nel­loni (-oni statt -one, weil das die Mehrzahl ist)
  • it. tor­ta ‘Torte, Kuchen’ > tortelli ‘Küch­lein, gefüllte Pas­ta’ > tortelloni ‘große gefüllte Pas­ta’ > dt. Tortel­loni — das Gegen­stück in klein sind natür­lich die Tortellini

Fußnoten:
1 Gesprochen wer­den sie dur­chaus unter­schiedlich, von -ong (Kar­ton) über teil­weise noch nasaliertes -o (Salon) hin zu -ohn (Mil­lion).
2 von lateinisch deminuere ‘verklein­ern, verringern’
3 von lateinisch aug­mentare ‘ver­mehren, fördern’

2 Gedanken zu „Von Tausend zur Million: Augmentativa

  1. Monika

    Danke für die Erk­lärung, auch wenn mir(als eine, die ger­ade ital­ienisch lernt) die Entste­hung schon bekan­nt war, aber ich lese deine Texte immer wieder gerne und staune über deine ange­sam­melten Kenntnisse. 

    Die Ital­iener sind großar­tig im Worte erfind­en mit ‑one und ‑ino/a, ‑etto/a und was da so alles rumwuselt an Suf­fix­en für Größen.

    Eines mein­er Lieblingsworte ist Tele­foni­no für das, was wir Handy nennen 🙂 

    Auch Pomodor­i­ni für Cock­tail­to­mat­en ist schön… etc. etc. … 😀

    Genau­so inter­es­sant finde ich die Tat­sache, dass die Ital­iener nicht schnell englis­che Worte übernehmen (oder Möchte­gern-Wörter erfind­en), son­dern lieber ihre eige­nen ver­wen­den, es gibt ja da nicht ein­mal “Don.ald Duc.k”. (Abge­se­hen davon ist das Wort Handy blöde, wenn man die englis­che Sprache ken­nt und viel ver­wen­det wie ich..)

    Her­zliche Grüße!!

    Moni­ka

    Antworten
  2. Philipp

    hal­lo, bin ger­ade auf ihren blog gestoßen; als nicht studiert­er sprach­lieb­haber habe ich genau das gesucht, worüber sie schreiben. danke.

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