[Anglizismus des Jahres] Die App?

Von Kristin Kopf

Ich will euch ein wenig an meinen Über­legun­gen zum Anglizis­mus des Jahres teil­haben lassen. Dazu picke ich ein paar Kan­di­dat­en her­aus und schaue, was sie so unter­nom­men haben, um sich im Deutschen zu ver­bre­it­en. Begin­nen will ich mit der App. Das Wort beze­ich­net ein kleines, i.d.R. kostenpflichtiges (aber gün­stiges) Pro­gramm, meist für ein Handy, aber auch für den Com­put­er. Dis­claimer: Ich habe noch nie wissentlich eine App genutzt.

Die Bedeutung

app ent­stand als Kurz­form für appli­ca­tion ‘Anwen­dung’. Die englis­che Wikipedia leit­et entsprechend auch von App auf Appli­ca­tion soft­ware weit­er, es gibt keine Dif­feren­zierung wie in der deutschen.  Entsprechend der all­ge­meinen Aus­gangs­be­deu­tung nen­nen frühe Texte das, was der App Store verkauft, auch meist Pro­gramm. In den Textbeispie­len der ersten gener­ischen Ver­wen­dun­gen (s.u.) find­en sich als Qua­si-Syn­onyme Pro­grämm­chen, Handy­er­weiterun­gen und kleines Pro­gramm. Hier ist also schon eine seman­tis­che Veren­gung einge­treten, es geht nicht um irgen­dein Pro­gramm, son­dern um ein kleines, das nicht zur Grund­funk­tion eines Handys oder Com­put­ers zählt (Erweiterung). Soweit ich das ein­schätzen kann, ist diese seman­tis­che Entwick­lung nichts eigen­ständig Deutsches, son­dern im Englis­chen passiert und dann mit dem Wort zusam­men entlehnt worden.

Was ich ganz inter­es­sant finde, sind Phänomene wie Face­book-App, wo man eigentlich nicht von Soft­ware sprechen kann und wo man auch nichts kaufen muss. Die optionale Kom­po­nente bleibt aber erhal­ten, und auch das Funk­tion­sspek­trum (von der Eieruhr zum Gesellschaftsspiel).

Es gibt noch einige Aspek­te, die ich ver­fol­genswert finde, näm­lich wie eng die Bindung an Apple-Pro­duk­te war und wann sie sich gelock­ert hat, welche Rolle Apple bei der Ver­bre­itung gespielt hat etc. Auch ob der Kleine-Erweiterung-Aspekt im Englis­chen nur ein Teil von app ist, d.h. das Kurz­wort auch das kom­plette Bedeu­tungsspek­trum von appli­ca­tion abdeck­en kann und auch tut, wüsste ich gerne. Dazu muss man aber in die Geber­sprache gehen, und da fehlt mir momen­tan ein­fach die Zeit.

Das Alter

Natür­lich gibt es deutsche Belege für App schon vor 2010, allerd­ings ist 2010 dann eine richtige Explo­sion zu beobacht­en. Um diesen Ver­lauf klar­er zu sehen, habe ich einige Dinge unternommen:

Wikipedia:

App hat einen Ein­trag, und zwar seit dem 26.11.2009. Davor ver­wies der Ein­trag auf die Begriff­serk­lärungs­seite APP. Die erste Artikelver­sion nimmt noch recht eng Bezug auf Apps der Fir­ma Apple. (Die all­ge­meinere Bedeu­tung ‘Pro­gramm’ wird vom Artikel Anwen­dungssoft­ware abgedeckt, auf den auch Appli­ca­tion verweist.)

Cos­mas II:

Da man den Fam­i­li­en­na­men App immer raus­rech­nen muss, habe ich mich auf vier Zeitun­gen aus dem W‑Archiv beschränkt (Ham­burg­er Mor­gen­post, Nürn­berg­er Nachricht­en, Braun­schweiger Zeitung, Mannheimer Mor­gen – pro Hal­b­jahr ab dem ersten Auftreten von App ca. 14,4 Mio Wörter), die Häu­figkeit­sen­twick­lung (in absoluten Zahlen) ist also sehr wack­lig, zeigt aber nichts Unerwartetes:

Die ersten Belege sind immer auf den App-Store von Apple oder auf Google Apps bezo­gen und damit reine Pro­duk­t­na­men­ver­wen­dun­gen. Erst im ersten Hal­b­jahr 2009 taucht ein echter Beleg auf, im zweit­en Hal­b­jahr sind es 40, im ersten Hal­b­jahr 2010 dann 105. (Lei­der gibt es für den Rest von 2010 noch keine Texte im Kor­pus.) Bei der niedri­gen Gesamtzahl von Bele­gen ist das natür­lich nicht wirk­lich belastbar.

Für die Suche nach dem früh­esten Beleg bei Cos­mas habe ich tapfer all die Fam­i­li­en­na­men ab 2005 durchge­scrollt und in der lek­to­ri­erten Schrift­sprache ausgemacht:

2006: Erstes Zitat:

Das Inter­net wird erwach­sen 2006: So stellt Google mit Hil­fe von Web‑2.0‑Technologien wie Ajax heute schon gehostete Büroan­wen­dun­gen für Unternehmen unter dem Namen „Apps for Your Domain“ zur Ver­fü­gung (VDI Nachricht­en, 29.09.2006, S. 9)

2008: Erste Ver­wen­dung in einem Eigen­na­men:

Das neue „iPhone 3G“ Apple-Chef Jobs ver­spricht: dop­pelte Leis­tung, hal­ber Preis: Die Pro­gramme sollen über Apples Plat­tform „App Store“ ver­trieben wer­den. (Nürn­berg­er Zeitung, 12.06.2008, S. 40)

(Vom dem, was der App Store verkauft, ist als Pro­gramme die Rede.)

2009: Erste gener­ische Ver­wen­dung mit Kennze­ich­nung des Fremd­sta­tus (Anführungsze­ichen, Synonymangabe):

Von „Yps“ zu „Apps“: Jeden Tag macht der Tech­nikkonz­ern Apple eine Mil­lion US-Dol­lar Umsatz mit ein­er dig­i­tal­en Ware, die es ger­ade mal seit einem hal­ben Jahr gibt. Nicht ein­mal ein deutsches Wort haben die Com­put­er­her­steller bish­er dafür gefun­den. Die Rede ist von Pro­grämm­chen („Apps“) aus dem soge­nan­nte „App Store“, einem virtuellen Verkauf­s­laden, der nur auf dem iPhone und über die Apple-Soft­ware iTunes aufgerufen wer­den kann. […] Wie einst die Zeitschrift „Yps“, geht’s beim iPhone schon längst nicht mehr um den Hauptzweck des Tele­fons, das Tele­fonieren, son­dern um die Gim­micks. Da gibt es eher mit­tel­lustige Spaßbringer wie die Pupssim­u­la­tion iFart (für 79 Cent) und das iShoot. Aber auch nüt­zliche Handy­er­weiterun­gen sind haufen­weise zu bekom­men: Zum Beispiel die Radioab­spiel­sta­tion all­Ra­dio (79 Cent), die sich die Musik beliebiger Radio­sta­tio­nen aus aller Welt anstatt aus dem Äther aus dem Inter­net besorgt. Oder das Taxiruf­pro­gramm, das in allen Städten Deutsch­lands die Tele­fon­num­mer des örtlichen Tax­i­un­ternehmers ken­nt. Oder das Handy-ver­legt-wiederfind-Pro­gramm Track­er (1,59 Euro). Die Phan­tasie der Pro­gram­mier­er aus aller Welt hat mit­tler­weile mehr als 10 000 „Apps“ her­aus­ge­bracht. (Han­nover­sche All­ge­meine, 06.02.2009, S. 6)

2009: Erste gener­ische Ver­wen­dung ohne Kennze­ich­nung des Fremdstatus:

Tele­fon­büch­er in Vari­a­tio­nen: Einen Schritt weit­er geht Local.ch: Die Fir­ma hat ihr Tele­fon­buch als App für das iPhone lanciert. Der Clou des kleinen Pro­gramms: Es greift auf das GPS-Ortungs­gerät des iPhones zu und kann die Suche im Tele­fon­buch oder in den Gel­ben Seit­en auf einen bes­timmten Umkreis beschränken. (St. Galler Tag­blatt, 08.04.2009, S. 10)

Google News

Google News habe ich als tech­nikaffinere und gle­ichzeit­ig datier­bare Quelle genutzt, und entsprechend find­et sich auch wirk­lich frühere Belege: Der App Store im Juni 2007, Apps als Kurzbeze­ich­nung des gesamten Dien­stes Google Apps im Sep­tem­ber 2007. Die erste gener­ische Nutzung find­et sich im August 2008:

Die 999 US-Dol­lar-App: I Am Rich
Nut­zlose Dekadenz
Sta­tussym­bole müssen nicht sin­nvoll sein — sie ste­hen für sich. Darunter fällt auch die wohl teuer­ste iPhone-Soft­ware im App Store: ein Bild für 800 Euro.
[…]

Ins­ge­samt lässt sich also fest­stellen, dass sich App ab dem 2. Hal­b­jahr 2008 im Deutschen herumtreibt, aber erst Ende 2009 und dann so richtig 2010 ins Bewusst­seit der bre­it­eren Bevölkerung tritt.

Die Integration

App ver­hält sich, was seine Inte­gra­tion ange­ht, völ­lig nor­mal: Es schreibt sich groß. Scherzhaft find­et man auch manch­mal <Äpp>, aber dem prog­nos­tiziere ich in naher Zukun­ft keinen Erfolg.

Das erste Sta­di­um der Fremd­heit, wo es viel in Anführungsze­ichen oder Klam­mern geset­zt wurde oder als soge­nan­nte App beze­ich­net wurde, scheint vor­bei zu sein. Es hat ein Genus bekom­men, das noch schwankt. Ich selb­st kenne nur die App, es gibt aber auch das2008, 2011 – und (nach meinem ober­fläch­lichen Ein­druck wesentlich sel­tener) der2011. Das ist ganz typ­isch für den Beginn ein­er Entlehnung und bleibt manch­mal auch, so z.B. bei Blog (der vs. das) und E‑Mail (die vs. das).

In der Flex­ion ist es unauf­fäl­lig (die Apps, der s-Plur­al ist hier erwart­bar). Was die Wort­bil­dung ange­ht, so würde ich es als ver­hal­ten pro­duk­tiv beze­ich­nen. Es gibt Kom­posi­ta wie Lufthansa-App, Tagess­chau-App, aber das sind spez­i­fis­che Beze­ich­nun­gen für exakt eine App. Schon generelleren Charak­ter haben Bil­dun­gen wie Face­book-App, die eine ganze Rei­he von Pro­duk­ten umfasst. Auch eine genauere Ein­gren­zung der Funk­tion ist möglich, wie in Spiel-App oder Kalen­der-App. Auch als Erst­glied gibt’s Bil­dun­gen, z.B. App-Blödsinn.

Bei den Ableitun­gen gibt es weniger, aber Okka­sion­al­is­men wie geappt treten auf, eben­so ver­ap­pen. Mal sehen, ob sich da irgend­was fes­tigt, mir fall­en nicht so viele Konzepte ein, die sich da in ein Verb oder Adjek­tiv steck­en lassen kön­nten, weil ja das Sub­stan­tiv schon sehr weit gefasst ist.

So, nun muss ich lei­der Schluss machen – wenn ich so viel Zeit in jeden der Kan­di­dat­en stecke, habe ich erst in 15 Tagen eine Top-3-Liste und nicht mor­gen … Als näch­stes geplant: leak­en.

11 Gedanken zu „[Anglizismus des Jahres] Die App?

  1. suz

    Die Mess­lat­te ist jet­zt aber hoch ange­set­zt… Darf ich mit leak­en weit­er machen? Da habe ich mich die let­zten Tage auseinandergesetzt. 😉

    Antworten
    1. Kristin Beitragsautor

      Hmm­mm, ich schreib grade was zu leak­en und bin schon qua­si fer­tig. Aber wenn Du magst, warte ich mit dem Posten, bis Du’s hast, dann beste­ht keine Bee­in­flus­sungs­ge­fahr und es ist sich­er witzig zu sehen, was wir unab­hängig voneinan­der machen 🙂
      (Ich habe z.B. keine Kor­pus­dat­en zum Gebrauch im Englis­chen und werde das aus Zeit­grün­den auch nicht mehr machen.)

      @Messlatte: Ich werde sie für den Rest auch etwas senken …

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