Vom Beck und der Bäckerin

Von Kristin Kopf

Bei der deutschen Debat­te über geschlechterg­erechte Sprache geht es oft um eine bes­timmte Wort­bil­dungsendung: das -in. Es ist ein soge­nan­ntes »Movierungssuf­fix«, das aus ein­er Män­ner- eine Frauen­beze­ich­nung macht: Min­is­terin, Wirtin, Klemp­ner­in. Die männliche Form bildet also das Grund­ma­te­r­i­al, das durch einen Zusatz angepasst wird.

Das ist aber nicht die einzige for­male Beziehung, in der For­men für Män­ner und Frauen in ein­er Sprache zueinan­der ste­hen kön­nen! In der deutschen Sprachgeschichte gab es auch ein Muster, das keine der bei­den For­men als Voraus­set­zung für die andere nutzte. Wie das aus­sah, wohin es ver­schwun­den ist, wie man son­st noch Beze­ich­nun­gen für han­del­nde Per­so­n­en bilden kon­nte und was dem -in so wieder­fahren ist, will ich heute ein wenig beleuchten.

[Dieser Beitrag beste­ht wieder aus Mate­r­i­al, das in mein bald erscheinen­des Buch nicht mehr hineingepasst hat.]

Das frühere, sym­metrische Muster, das wir noch zu althochdeutsch­er Zeit (500‑1050 n. Chr.) find­en, ver­fügte über eine Endung pro Geschlecht: Mit dem Brot­back­en waren der becko ‚Bäck­er‘ und die becka ‚Bäck­erin‘ beschäftigt.

Das ist ein gemein­sames indoger­man­is­ches Muster, find­et sich also in der Ursprache, auf die sich Deutsch, Englisch, aber auch Latein, Franzö­sisch, Rus­sisch oder San­skrit zurück­führen lassen. Beobacht­en kann man es zum Beispiel im Lateinis­chen, wo der domina ‚Haush­er­rin‘ ein dominus ‚Haush­err‘ gegenüber­ste­ht: Bei­de nutzen dieselbe Basis (domin-) und verse­hen sie mit ein­er eige­nen Endung (-a oder -us). Das hat sich auch in eini­gen Nach­folge­sprachen des Lateinis­chen gehal­ten: Eine spanis­che Bäck­erin ist eine panad­era, zu Män­nern sagt man panad­ero.

Im Deutschen kam dieser schö­nen Sym­me­trie eine ärg­er­liche Lau­t­en­twick­lung in die Quere: Die Neben­sil­ben­ab­schwächung. Sie set­zte in spä­talthochdeutsch­er Zeit ein und sorgte dafür, dass schrit­tweise alle Vokale in unbe­ton­ten Sil­ben zu einem e (wie in lesen) vere­in­heitlicht wurden.

Das A und O

Damit steck­te in allen Endun­gen — da sie ja unbe­tont waren — nur noch einen einziger Vokal, viele von ihnen hörten sich nun gle­ich an. Betrof­fen waren auch unser -o und -a. Die bec­ka wurde, wie der becko, im Mit­tel­hochdeutschen zu becke. Damit waren die bei­den, zumin­d­est wenn sie alleine vorka­men, unun­ter­schei­d­bar – die beglei­t­en­den Wor­tarten kon­nten aber noch Hil­festel­lung leis­ten (ein becke, eine becke). Im Fam­i­li­en­na­men Beck steckt das alte Wort noch, im Stan­dard back­en heute dage­gen der Bäck­er und die Bäck­erin – dazu gle­ich mehr.

Einige wenige Bil­dun­gen, die ehe­mals auf -o oder -a ende­ten, find­en sich noch heute im Wortschatz: Der Bote war einst ein boto, also ein­er, der etwas gebot, der Erbe (ahd. erbo) ein­er, der etwas erbte. Heute beze­ich­nen bei­de auss­chließlich Män­ner, obwohl die For­men ja auch auf bota und erba zurück­ge­hen kön­nen. Eben­falls über­lebt hat die Witwe, die mal eine wituwa war – hier hat sich die weib­liche Form gehal­ten, dazu habe ich bere­its ein­mal etwas geschrieben. Die zusam­meng­fal­l­enen For­men hät­ten in all diesen Fällen auch — und das kam eine Weile lang tat­säch­lich vor — geschlecht­sneu­tral sein bzw. nur durch beglei­t­ende Wor­tarten fest­gelegt wer­den kön­nen. Schließlich set­zte sich aber der Bezug auf ein Geschlecht fest, i.d.R. die männliche, wobei die Witwe die weib­liche Aus­nahme bildet.

Arius und Ara

Wörter für Men­schen, die etwas Bes­timmtes tun, nen­nt man fach­sprach­lich Nom­i­na agen­tis, also ‚han­del­nde Sub­stan­tive‘. Heute sind sie meist von einem Verb abgeleit­et, das die entsprechende Hand­lung beze­ich­net: Ein Lehrer lehrt, eine Taucherin taucht, ein Bäcker bäckt. Oder sie stam­men von typ­is­cher­weise mit ein­er Hand­lung ver­bun­de­nen Sub­stan­tiv­en: Eine Zöllner­in treibt Zoll ein, ein Tischler stellt Tis­che her, eine Gew­erkschafterin ist in ein­er Gew­erkschaft organisiert.

Die heuti­gen Nom­i­na agen­tis wer­den auf -er oder eine daraus ent­standene Vari­ante (-ler, -ner) abgeleit­et. Dieses Ableitungssuf­fix ist nur der küm­mer­liche Rest ein­er ein­st­mals klangvollen Endung lateinis­ch­er Herkun­ft — sehen wir uns mal ein Beispiel dafür an: Aus dem lateinis­chen Lehn­wort monētārius wurde im Althochdeutschen ein muniʒʒari, im Mit­tel­hochdeutsche sprach man ihn als münzære und heute als Münzer aus. Die Bil­dung basiert auf lateinisch monē­ta ‚Geld, Münze, Münzstätte‘.

Die Endung -ārius nutze man im Lateinis­chen um Zuge­hörigkeit­sad­jek­tive zu bilden, also monētārius ‚zur Mon­e­ta gehörig‘. Ver­wen­dete man es als Sub­stan­tiv, so bedeutete es damit ‚zur Mon­e­ta Gehöriger‘. Nun hat­te man von diesen Bil­dun­gen massen­weisen in die ger­man­is­chen Sprachen über­nom­men und prompt auch ent­deckt, dass ihnen allen das -ārius gemein war. In den Köpfen der SprecherIn­nen ver­band es sich mit Per­so­n­en, und so begann man dann in den ger­man­is­chen Sprachen selb­st neue Sub­stan­tive damit zu basteln, die einen han­del­nden Men­schen beze­ich­neten. Daneben gab es auch hier eine weib­liche Form auf -a: Die althochdeutsche fiu­rara war eine Köchin (darin steckt fiur ‚Feuer‘), die fol­garâ eine Art Diener­in (sie fol­gte). Und auch hier ist die weib­liche Form später, als bei­de Endun­gen zu -ere und dann -er zusam­men­fie­len, ver­schwun­den. (Im Englis­chen z.B. ist das ganz anders gelaufen.)

Bieter, Bote und Büttel

Bevor wir uns anschauen, wie neue For­men für Frauen­beze­ich­nun­gen geschaf­fen wur­den, gibt es aber noch einen kleinen Exkurs: Neben dem Boten und der Witwe nutzte man im Althochdeutschen auch Bil­dun­gen vom Typ Büt­tel, Krüp­pel, Schlin­gel und Lüm­mel. Der Büt­tel lautete damals butil, er ließ sich in die Bestandteile but- und -il zer­legen. Das -il markiert unseren »Täter«, das but- geht auf eine Form des Verbs bieten zurück. Ein Büt­tel war damit ein­er, der etwas gebot oder kund­tat, genauer: ein Gerichts­di­ener oder Bote des Königs. Im Mit­tel­hochdeutschen benutzte man den bütel dann ganz all­ge­mein für einen Boten oder Diener ohne Berück­sich­ti­gung seines Standes und heute wird das Wort nur noch abw­er­tend gebraucht – wie in diesem Zeitungstext:

Und weil die meis­ten Wis­senschaftler ander­er Mei­n­ung sind, wer­den sie kurz­er­hand zu Büt­teln der Indus­trie erklärt.

(Via DWDS, Die Zeit, 19.05.2009.)

Das Wort Krüp­pel stammt vom Verb kri­u­pan ‚kriechen‘ und auch die bei­den Tau­genichtse gehen auf Bewe­gungs- oder Zus­tandsver­ben zurück: Der Schlin­gel gehört zum Verb schlin­gen ‚schle­ichen, kriechen‘ und der Lüm­mel zu lum­men ‚schlaff sein, herunterhängen‘.

Warum das -il ver­schwand, lässt sich nicht so recht sagen – vielle­icht, weil es ins­ge­samt sehr unein­deutig war: Neben Per­so­n­en kon­nte es näm­lich auch Geräte (Schlegel zu schla­gen, Deck­elzu deck­en, Henkel zu henken, Hebel zu heben und unzäh­lige mehr) beze­ich­nen und Verkleinerungs­for­men bilden (Mädel zu Magd, Krümel zu Krume, Büschel zu Busch, Bün­del zu Bund).

Im Althochdeutschen gab es also drei ver­schiedene Möglichkeit­en zur Schaf­fung von Nom­i­na agen­tis, die in Konkur­renz miteinan­der standen: -o/a, -il und -ari/-ara. Belegt sind zum Beispiel drei Träger: der trago, der tregil und der tragari. Über­lebt hat nur das -ari als -er.

Frauen in den Nominativ!

Unser­er sym­metrisch­er Aus­druck des Geschlechts vom Anfang hat­te also ab dem Spä­talthochdeutschen keine Chance mehr: Die Unter­schei­dung löste sich durch die Neben­sil­ben­ab­schwächung auf. Dabei set­zte sich für die aller­meis­ten For­men die männliche Lesart durch — und für Frauen ver­legte man sich auf -in. Das Suf­fix gab es schon im Ger­man­is­chen, wo es -injo lautete, im Althochdeutschen find­et es sich dann als -inna oder -in.

Nach­dem andere Möglichkeit­en zur Beze­ich­nung von Frauen ver­schwun­den waren, musste sich -in ganz beson­ders anstren­gen. Es war näm­lich auch von der Neben­sil­ben­ab­schwächung bedro­ht: Aus der althochdeutschen kuningin hätte nach allen Regeln der Kun­st eine mit­tel­hochdeutsche küni­gen wer­den müssen: Die Endung hätte deut­lich an Erkennbarkeit ver­loren. Das sieht man schön in der fol­gen­den Abbil­dung (stammt aus mein­er Magisterarbeit):

2014-08-07-küniginMan sieht hier, dass die unbe­ton­ten Sil­ben im Wortin­neren noch größeren Erfolg hat­ten, ihren Vol­l­vokal zu bewahren: Während aus diu kuningin im Mit­tel­hochdeutschen die küni­gen wurde, behiel­ten die anderen Kasus das i der Endung bei: küniginne. Nur das aus­lau­t­ende a oder u wurde abgeschwächt. Bis dahin alles ganz nor­maler Laut­wan­del — doch dann set­zte sich eine andere sprach­liche Ebene durch:

Der Nom­i­na­tiv ver­wan­delte sich ein­fach so von küni­gen in künig­inne (grün). Einen solchen Prozess nen­nt man »anal­o­gis­chen Aus­gle­ich«: Eine Wort­form, die sich laut­lich von den übri­gen wegen­twick­elt hat, kehrt zurück in den Schoß der Fam­i­lie. Die küni­gen nimmt sich ein­fach den Gen­i­tiv, Dativ und Akkusativ zum Vor­bild und hängt sich wider­rechtlich ein -inne an. Später ver­loren alle For­men, damit hat­te es nun auch laut­lich wieder seine Richtigkeit, das e am Schluss, wom­it wir bei der heuti­gen Endung -in angekom­men sind. Sie macht aus dem Boten eine Botin, aus dem Erben eine Erbin und aus allen er-For­men -erin­nen: Helferin, Leserin, Lei­t­erin.

Wie war das also mit den Per­so­n­en­beze­ich­nun­gen? Früher ließ sich ein­fach anhand eines Vokals zwis­chen Män­nern und Frauen unter­schei­den. Das wurde durch die Abschwächung unmöglich, die ehe­mals so sym­metrischen For­men schlu­gen sich größ­ten­teils auf die Män­ner­seite. Um weit­er­hin Frauen beze­ich­nen zu kön­nen, rekru­tierte man nun die Endung -in, die schon seit ein­er Weile im Deutschen unter­wegs war — aber jet­zt lastete die Unter­schei­dung fast auss­chließlich auf ihr. Bevor sie darunter zusam­men­brach, wurde sie im Mit­tel­hochdeutschen laut­lich ein wenig ver­stärkt und leis­tet uns sei­ther in der heuti­gen Form treue Dienste.

Quellen:

Hen­zen, Wal­ter (31965): Deutsche Wort­bil­dung. Tübin­gen: Niemeyer.

Kluge, Friedrich & Elmar See­bold (Hgg.) (252011): Ety­mol­o­gis­ches Wörter­buch der deutschen Sprache. [Elek­tro­n­is­che Ressource]. Berlin: de Gruyter.

Kun­ze, Kon­rad (52004): dtv-Atlas Namenkunde. Vor– und Fam­i­li­en­na­men im deutschen Sprachge­bi­et. München: dtv.

Nübling, Damaris et al. (42013): His­torische Sprach­wis­senschaft des Deutschen. Eine Ein­führung in die Prinzip­i­en des Sprach­wan­dels. Tübin­gen: Narr.

Pfeifer, Wolf­gang (1993): Ety­mol­o­gis­ches Wörter­buch des Deutschen. [Ergänzte Online-Version].

20 Gedanken zu „Vom Beck und der Bäckerin

  1. Dirk Abe

    Hal­lo,

    schön­er Beitrag!
    Ich freue mich auch bere­its auf dein Buch, nur ein Bitte dazu: Laut Ver­lags­seite wird das Ebook mit Adobe-DRM kommen.
    Kannst Du auch eine DRM-Freie Vari­ante veröf­fentlichen oder zum­mind. eine Kin­dle-Ver­sion (läßt sich leichtern ent-DRMen)?

    Grüße

    Dirk

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  2. Kristin Kopf Beitragsautor

    Hal­lo Dirk, das sind Entschei­dun­gen, die auf Ver­lags­seite getrof­fen wer­den (wahrschein­lich für alle Klett-Cot­ta-E-Books gle­ich). Ich werde die Ver­ant­wortlichen aber natür­lich gerne auf den Wun­sch hin­weisen, wer weiß.

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  3. Martin

    Sehr schön­er Artikel, da kom­men Erin­nerun­gen an Sprachgeschichte im Studi­um auf. Eine Frage hätte ich: das Ger­man­is­che hat ja die ganzen Genusendun­gen aus dem Idg. “abgestoßen”, also wie z.B. im lat. ‘-us/-a/-um’, wie eben auch bei ‘-arius’ und ‘-ari’. Kann man das wie und warum irgend­wo gut nach­le­sen? Wäre über einen kurzen Lit­er­atur­tipp dankbar.

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  4. Segantini

    Wenn das Suf­fix „-in” heute als diskri­m­inierend emp­fun­den wird, warum dann dieses Drän­gen auf seine Ver­wen­dung („Sicht­bar­ma­chung der Frauen”)? Kon­se­quenter wäre doch, es ein­fach wieder wegzu­lassen und zu sagen: egal ob Mann oder Frau, bei­de sind Bäck­er, und fer­tig. Stattdessen wird erst umständlich auseinan­der divi­diert (wozu eigentlich?) — und dann aber geklagt, wenn nicht aus­drück­lich bei­de Teile erwäh­nt wer­den. Ver­steh’ ich nicht.

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  5. Segantini

    Die Neben­sil­ben­ab­schwächung mag ein Prob­lem gewe­sen sein, ”-in” einzuführen, entschei­dend ist mein­er Mei­n­ung nach aber die Unun­ter­schei­d­barkeit des weib­lichen („die”) vom Mehrzahlar­tikel (eben­falls „die”). Andere europäis­che Sprachen gehen hier den Weg des Plural‑S. Fol­gten wir diesem Beispiel im Deutschen, wäre mit „der Bäck” — „die Bäck” — „die Bäcks” die Ein­deutigkeit wieder­hergestellt, und wir müßten nicht ver­suchen, in einem einzi­gen Aus­druck poli­tisch kor­rekt unterzubrin­gen, daß es natür­lich männliche und weib­liche Bäcks gibt und selb­stre­dend alle bei­de gemeint sind. Bei Fam­i­li­en­na­men ist diese Meth­ode inzwis­chen sog­ar schon recht verbreitet.

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  6. Kristin Kopf Beitragsautor

    @Martin: Ich muss mal nach­denken, ich weiß momen­tan nicht, ob das so ganz hin­haut und in welche Rich­tung man da suchen müsste. Mein Sprachgeschichtswis­sen ist bis ins Althochdeutsche hinein sehr solide, jen­seits davon wird es dann eklektisch 😉
    @Segantini: Ich habe nicht behauptet, dass es als diskri­m­inierend emp­fun­den würde. Dass das Weglassen (ange­bl. “gener­isches Maskulinum”) nicht funk­tion­iert, hat Ana­tol hier im Blog schon oft genug gezeigt.
    Unun­ter­schei­d­barkeit der Artikel: Erstens hat­te das alte becke einen Plur­al (beck­en, genau­so wie Boten). Zweit­ens haben wir im Deutschen dauernd solche “Synkretis­men” und nie­mand hat ein Prob­lem damit — die kon­gruieren­den Wörter lösen sie i.d.R. auf.

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  7. Martin

    @Kristin: ich weiß selb­st nicht, wie sys­tem­a­tisch (oder ob über­haupt) das Ganze ist. Ich habe das nur irgend­wann im Studi­um mal bemerkt aber nach ein­er kurzen Suche nichts dazu gefun­den. Aber wenn du auch spon­tan nichts weißt beruhigt mich das wieder etwas. 😉

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  8. Susanne

    Ist es nicht so, dass die Verän­derun­gen in der Sprache immer auch Aus­druck bes­timmter Leben­sum­stände sind? Oder geht es hier einzig und allein um sprach-ökonomis­che Fragen?

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    1. Susanne Flach

      @Susanne: Leben­sum­stände wären eher Teil der Erk­lärung (noch dazu welche, die ganz schw­er einz­u­fan­gen und einzu­binden sind), weniger der der Beschrei­bung. Und diese hier ist ja gar nicht mal so rein ökonomisch, son­dern verdeut­licht Prinzip­i­en des Sprachwandels.

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  9. Statistiker

    @ Segan­ti­ni: Warum stellen Sie eine Frage, um sie dann im näch­sten Satz nach Ihrem Ver­ständ­nis nach Ihrem Gus­to zu beant­worten? Ver­steh ich nicht.…

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  10. Felix Sachs

    Viele gute Details zu ein­er vield­isku­tierten Frage, dafür gebührt als erstes ein Kompliment.
    Im näch­sten Satz muss allerd­ings eine Ein­schränkung fol­gen: Der Artikel erwäh­nt mit keinem Wort die bedeut­samen Forschun­gen Elis­a­beth Leiss‘ und ihrer Schule (Regine Froschauer, Petra M. Vogel, Dag­mar Bit­tner, Mar­ti­na Wern­er und andere).
    Es stellt sich die Frage: Wie sind die wirk­lichen Ver­hält­nisse im Althochdeutschen (selb­stver­ständlich auch im San­skrit usw.)? Neben den geschlechts­d­if­feren­zieren­den Movierungssuf­fix­en gibt es ein altes Genussys­tem, das mit dem Sexus nichts zu tun hat: Die Nom­i­na kon­nten je nach „Per­spek­tive“ wie in ein­er echt­en Kat­e­gorie ver­schiedene Gen­era annehmen. Was wir heute „Maskulinum“ nen­nen, war ein Sin­gu­la­tiv oder Indi­vid­u­a­tiv (engl: count noun), das heutige „Fem­i­ninum“ ein Kollektiv/Abstraktum, das heutige „Neu­trum“ nicht ein­fach „keines von bei­dem“, son­dern ein Kon­tin­u­um (engl. mass noun/uncountable noun). Inter­es­sant ist in diesem Zusam­men­hang die Stel­lung unseres Plu­rals in diesem Sys­tem: es ste­ht nicht in Oppo­si­tion zum Sin­gu­lar, son­dern in ein­er Kon­trast­beziehung zum Kollek­tiv, kann also qua­si als „4. Genus“ beze­ich­net wer­den (Leiss, Wern­er). Ein paar Reste dieses alten Genussys­tems haben sich im Deutschen bis heute erhal­ten: „Der See/die See“ (abgegrenzt/„unendlich“ mit qua­si kollek­tiv­er Bedeu­tung), „Der Hut/die Hut“ (Schutz durch Kopf­be­deck­ung = Singulativ/Schutz; vgl. auch „die Vorhut“ = Schutz durch kleines Kollek­tiv von Sol­dat­en, die das Gelände erkunden).

    @ Segan­ti­ni: Dass das ‑in-Suf­fix eine abw­er­tende Bedeu­tung hat, wis­sen wir min­destens seit L.F. Pusch, Das Deutsche als Män­ner­sprache. In der Schweiz sehen wir das am Gebrauch von „Koch/Köchin“: Die jun­gen Män­ner durften sich bere­its nach zwei­jähriger Anlehre „Koch“ nen­nen, die jun­gen Frauen nan­nte man dann „Köchin“; erst nach der höher bew­erteten drei­jähri­gen Lehre avancierten sie zum „Koch“. 2010 ver­suchte das Bun­de­samt für Berufs­bil­dung diese Diskri­m­inierung aufzuheben, indem nun alle Frauen in diesem Beruf „Köchin­nen“ heis­sen soll­ten. Nicht wenige Frauen mit dem Titel „Koch“ wehren sich gegen diese Her­ab­stu­fung und nen­nen sich weit­er­hin so. Ganz ähn­lich ist es mit der Beze­ich­nung „Sekretärin“ = Tippse und Ser­vice­tochter gegen „Sekretär“ = Inhab­er ein­er Stab­sstelle in einem Unternehmen (Departe­mentssekretär, Gen­er­alsekretär usw.). Hier wer­den die Frauen weit­er­hin mit der suf­fixlosen Form beze­ich­net, um sie von der „Tippse“ zu unterscheiden.

    Von mir ist eben­falls ein Buch in Vor­bere­itung zur Gen­der­sprache, allerd­ings nicht als reine Kri­tik, son­dern mit einem lin­guis­tisch und psy­chol­o­gisch begrün­de­ten Alter­na­tivvorschlag, der die deutsche Sprache von unnötigem Bal­last befreien wird – ohne –in! Die deutsche Sprache muss gerecht sein, das „gener­ische Maskulinum“ ist es nicht: es sollte defin­i­tiv der Ver­gan­gen­heit angehören.

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  11. Shhhhh

    Hochin­ter­es­sant. Toller Artikel. Was mich dazu nun umtreibt, ist die Frage inwiefern sich das Schema auf andere Nom­i­na, also keine Nom­i­na Agen­tis, über­tra­gen ließe bzw. kön­nte man aus den hier präsen­tierten Infor­ma­tio­nen ableit­en, dass sich solche Sub­stan­tive, auf ‑er endend und kein Nomen Agen­tis seiend, ger­ade nicht geschlechtsspez­i­fisch gewan­delt haben, son­dern eben aus ihrer anderen Funk­tion her­aus ihrem Geschlecht “treu” geblieben sind? Einge­fall­en sind mir hier­bei bis­lang “die Kam­mer” und “das Zimmer”.

    Antworten
  12. Martin

    @Shhhhh: ‘Kam­mer’ und ‘Zim­mer’ sind bei­de nicht durch Hinzufü­gen ein­er ‘-er’-Endung ent­standen (son­dern durch Entlehnung aus lat. ‘cam­era’ bzw. gr. ‘kamára’), daher passt das nicht so gut. Spon­tan fall­en mir da nur so Sachen wie ‘Staub­sauger’ oder ‘Salzstreuer’ ein. Ich würde jet­zt mal ver­muten, dass sich diese Begriffe nie auf Per­so­n­en bezo­gen haben, daher gab und gibt es da auch keine fem­i­nine Form, die sich hätte wan­deln können.

    Antworten
  13. Shhhhh

    Es ging doch auch gar nicht um das Hinzufü­gen ein­er Endung, soweit ich das Ver­fahren richtig ver­standen habe, son­dern um die Neben­sil­ben­ab­schwächung, oder etwa nicht?

    Antworten
  14. Martin

    Das schon, aber ich meinte damit, dass das ‘-er’ in ‘Kam­mer’ oder ‘Zim­mer’ ja nie geschlechtsspez­i­fisch war. Mir ist daher nicht ganz klar, was du mit “geschlechtsspez­i­fisch gewan­delt” meinst.

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  16. Felix Sachs

    @shhhh, @Martin
    Die aktuelle deutsche Sprache ist natür­lich durch­set­zt mit vie­len Ein­flüssen aus anderen Sprachen. Es ist daher unmöglich, eine Genus­the­o­rie zu entwick­eln, die alle Phänomene im Gegen­warts­deutsch erk­lären kön­nte. Trotz­dem gibt es einige defin­i­tiv falsche Mei­n­un­gen über die deutschen Suf­fixe, die vor allem von der fem­i­nis­tis­chen Sprachkri­tik noch ver­stärkt wor­den sind, z.B. über die generelle Bedeu­tung von ­er (männlich?) und ­e (weib­lich?). Natür­lich weisen wir „Angestell­ter“ das masku­line und „Angestellte“ das fem­i­nine Genus zu. Auch viele Nom­i­na, Abstrak­ta oder leblose Dinge mit ­e (Lehre, Ebbe) sind fem­i­nin. Das heisst aber nicht, dass diese Wor­tendun­gen eine direk­te Genus­be­deu­tung hät­ten. Es gibt auch ein­sil­bige Wörter, die ausse­hen wie Maskuli­na („der Mut“), aber fem­i­nin sind („die Flut“). Mit dem bes­timmten Artikel fällt bei „Angestell­ter“ das ­r weg: „der Angestellte“. Denken wir nur an die Ver­wandtschafts­beze­ich­nun­gen „Mutter/Vater/Tochter/Schwester/Bruder“. Die gle­ichen Endun­gen haben wir schon im Lateinis­chen und Griechis­chen: „pater/mater“, auch „soror“ (lat. für „Schwest­er“) hat eine „masku­line“ Endung wie „motor“. Das ­er-Suf­fix scheint hier nicht das Geschlecht, son­dern eine Zuge­hörigkeit zu ein­er Gruppe zu beze­ich­nen. So haben auch die Berufs­beze­ich­nun­gen mit ­er-Suf­fix ursprünglich eine sex­uell neu­trale Bedeu­tung. Ganz ver­wirrend sind die Ver­hält­nisse bei den Ange­höri­gen ver­schieden­er Län­der: „Norweger/Norwegerin“, aber „Schwede/Schwedin“ – und viele andere. Mar­ti­na Wern­er weist darauf hin, dass die Fem­i­nin­form von „Lehrer“ nicht „Lehrin“ sein kann (wie etliche Möchte­gern-Sprachre­former vorschla­gen woll­ten), weil das Abstrak­tum „Lehre“ (fem­i­nin!) des ­er bedarf, das aus dem Abstrak­tum erst eine indi­vid­u­a­tive Per­son macht. Nur sie kann durch das ­in sekundär noch mit dem weib­lichen Sexus spez­i­fiziert wer­den. „Lehrin“ kann gar keine Per­son sein.
    „diskri­m­inieren“ leit­et sich von lateinisch „dis­crim­inare = tren­nen, schei­den“ her: Um jeman­den diskri­m­inieren zu kön­nen, muss man ihn zuerst unter­schei­den, abson­dern, so erscheint er dann schnell auch als „abson­der­lich“. Wie dieser Vor­gang aus­gerech­net in der Epoche der Aufk­lärung direkt gegen die Frauen einge­set­zt wor­den ist, zeigt Clau­dia Honeg­ger auf ein­drück­liche Weise in ihrer Habil­i­ta­tion­ss­chrift: Die Ord­nung der Geschlechter. Die Wis­senschaft vom Men­schen und das Weib. 1750–1850. Frankfurt/M./New York, 1991: Cam­pus. Selt­samer­weise wurde diese Pub­lika­tion vom Fem­i­nis­mus über­haupt nicht wahrgenom­men. In dieser Epoche wur­den die Frauen als das „Nicht-Wir“ (weisse Män­ner) in Son­der­an­thro­polo­gien in ein­er Rei­he mit den „Wilden“ abge­han­delt. Diderot: „Sie sind zwar äusser­lich zivil­isiert­er als wir; aber inner­lich sind sie wahre Wilde geblieben“ (Honeg­ger, S. 142). Dieses Gedanken„gut“ wirkt unter­schwellig bis in die heutige Zeit weit­er. Einen trau­ri­gen Höhep­unkt erre­ichte es noch 1900 mit dem Buch von Paul Julius Möbius, Über den phys­i­ol­o­gis­chen Schwachsinn des Weibes (Honeg­ger, S. 195). Damit soll­ten wir gründlich aufräu­men. Zum Glück gab es damals abseits vom Main­stream auch ganz andere Stim­men wie jene von François Poul­lain de La Barre: „L’esprit n’a pas des sexe.“ Die Sprache ist Aus­druck des all­ge­meinen men­schlichen Geistes. Da soll­ten wir anknüpfen. Der ständi­ge Zwang zur Unter­schei­dung der Geschlechter (oder der ganzen Diver­si­ty) kann höch­stens die über­holten Stereo­typen weit­er zementieren.
    Dag­mar Bit­tner hat in einem Artikel nachgewiesen, dass das ­er-Suf­fix nichts mit dem masku­li­nen Sexus zu tun hat (Zur His­to­rie der nom­i­nalen ‑er-Bil­dun­gen. Ist die Suf­fix­i­den­tität sprach­wan­d­lerisch­er Zufall? Lin­guis­tik online 2004 –abruf­bar mit der URL http://www.linguistik-online.de/19_04/bittner.html). Bit­tner fasst fol­gen­der­massen zusam­men: „Jede der mit ­er gebilde­ten Kat­e­gorien sym­bol­isiert eine spez­i­fis­che Vorkom­mensweise des (poten­tiell) wieder­holten Auftretens von Einheiten/Sachverhalten des­sel­ben Typs.“ Mit dem natür­lichen Geschlecht hat das alles gar nichts zu tun. Denken wir z.B. neben den nom­i­na agen­tis (auch für leblose Dinge wie „Bohrer“ von „bohren“) auch an viele Plu­ral­for­men wie „Eier“, „Rinder“ (bei­de mit neu­tralem Genus), und an Steigerungs­for­men (gross/grösser).
    Um auf den Ver­such der Gen­der­sprache zurück­zukom­men: Ich halte es für einen Irrweg, sprach­liche Gerechtigkeit dadurch herzustellen, dass immer bei­de Geschlechter genan­nt wer­den. Das mag eine Zeit­lang berechtigt gewe­sen sein, um über­haupt die Gesellschaft inten­siv auf Benachteili­gun­gen der Frauen aufmerk­sam zu machen, stösst aber immer mehr auf Wider­stand auch und ger­ade bei Frauen, der sich unter anderem darin äussert, dass andere Möglichkeit­en aus­pro­biert wer­den (immer häu­figer mit den ermü­den­den sub­stan­tivierten Par­tizip­i­en: „Ler­nende“ usw. – mit meist uner­wün­schter Bedeu­tungsver­schiebung – und mit abwech­sel­nder Genuszuweisung zu ver­schiede­nen Per­so­n­en­beze­ich­nun­gen). Bei genauer­er Betra­ch­tung wird dadurch aber nur die Sexus­be­deu­tung der Gen­era noch weit­er zemen­tiert. Weil ins­ge­samt die Maskuli­na wieder häu­figer wer­den, find­en sich die Frauen erneut ins zweite Glied ver­set­zt. Ich habe zwei län­gere Texte sta­tis­tisch unter­sucht, die diesen Befund ein­deutig belegen.
    Dieses Konzept ist nicht nur lin­guis­tisch falsch, son­dern auch deshalb, weil die deutsche Gram­matik mit Bedeu­tun­gen befrachtet wird, wofür sie sich nicht eignet. Das sehen wir spätestens dann, wenn noch ver­sucht wird, die ganze Diver­si­ty in unsere Gram­matik zu pack­en: Nach den Bin­nen-Is, Klam­mern und Schrägstrichen fol­gen nun noch völ­lig unles­bare Unter­striche, Aster­ixe, Aus­rufeze­ichen für kopf­ste­hende i…
    Die Quin­tes­senz: Sprach­liche Gerechtigkeit lässt sich im Deutschen (im Franzö­sis­chen, Ital­ienis­chen, Spanis­chen mag es – vielle­icht – ein biss­chen anders ausse­hen) nicht durch eine verge­waltigte Gram­matik erre­ichen, son­dern allein im Kon­text. Der frauendiskri­m­inierend­ste Text kann durch gen­der­sprach­liche Formeln äusser­lich geschönt wer­den, gerecht wird er dadurch nicht – im Gegen­teil. Wie Ingrid Thurn­er so schön sagt: „Ihr Frauen bekommt die Bin­nen­ver­salien [gross­es Binnen‑I für die abgekürzten Dop­pelfor­men und alle weit­eren Gen­der­formeln, F.S], und wir beschei­den uns mit den Ordi­nar­i­at­en“. Ein Beispiel gefäl­lig? Die öffentlichen Rund­funkanstal­ten der Schweiz (zusam­menge­fasst unter dem Namen SRF), hal­ten sich seit min­destens dreis­sig Jahren strikt an die gen­der­sprach­lichen Regeln. Ins neunköp­fige ober­ste Leitung­sor­gan, den „Vere­in SRG“, schaffte es erst vor zwei Jahren eine zweite Frau, vor sechs Jahren die erste. Zuvor waren die Män­ner schön unter sich. Der Vor­sitz aus Präsi­dent und Vizepräsi­dent ist weit­er­hin fest in Männerhand.
    Mit dem con­text-Ide­al (so nenne ich mein Konzept) ste­hen die Antifem­i­nis­ten plöt­zlich ganz nackt da. Wet­ten: Sie wer­den sich an die prak­tis­che Gen­der­sprache klam­mer wollen.
    Ein gerechter Text ist auch ohne ­in möglich – das ist zwar anspruchsvoller als die Gen­der­sprache, wenn er gelingt, dafür viel schön­er. Nie­mand soll den Autoren das Schreiben erle­ichtern wollen (wie die gescheit­erten Orthogra­phiere­former sich zum Ziel geset­zt hat­ten). Wer mit seinen Tex­ten viele erre­ichen will, ist es seinen Lesern schuldig, sich um eine gepflegte, attrak­tive und gerechte Sprache zu bemühen.

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  17. Anni

    Vie­len Dank für den Artikel! In dem Zusam­men­hang kann ich endlich mal eine Frage loswer­den, die mich seit Langem umtreibt: Wieso heißt es Zauber­er, aber Zauberin? (Also wie Bäck­er und Bäckin) Müsste doch eigentlich ZauberERin heißen, das kommt jedoch so gut wie nie vor. Ist das eine rühm­liche Aus­nahme, in der die weib­liche nicht aus der männliche Form ent­standen ist?

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  18. Frau Nichtausgedacht

    Span­nen­der Artikel! In schwäbisch geprägten Dör­fern im Süden des Lan­des geht man übri­gens bis heute zum “Becke” (klingt dann eher wie [begge]), wenn man hochdeutsch zum Bäck­er geht. Ich kön­nte mir vorstellen, dass das noch ein Überbleib­sel der alten Form ist?

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  19. Felix Sachs

    @Anne, @Nichtausgedacht
    Genau gle­ich wie „Zauber­er“ ist auch „Wan­der­er“: Die dop­pel­ten ‑er wer­den mit ange­hängtem ‑in-Suf­fix als sehr hol­prig emp­fun­den. Da kürzt man eben lieber ab zu einem ‑er. Bei „zaubern“ und „wan­dern“ gehört das ‑er noch zum Wort­stamm. Bei der Bil­dung des Nomen agen­tis fällt nur das ‑n weg: „zaubern“ – „Zauber­er“, „wan­dern“ – „Wan­der­er“, wie bei „bohren“ – „Bohrer“.
    Es ist nochmals daran zu erin­nern, dass das ‑er auss­chliesslich durch die Gen­der­sprache die unnatür­liche sex­uelle Bedeu­tung für „männlich“ erhal­ten hat: durch das rein weib­liche „Lehrerin“ wird „Lehrer“ von „Per­son, die lehrt“ zu „Mann, der lehrt“. Die Mis­ere geht aber noch weit­er zurück zur ganzen Sex­u­al­isierung der Sprache. Jacob Grimm hat die Geschlechter­ty­polo­gie in Dinge hineinge­tra­gen, die eigentlich gar nichts damit zu tun haben: „Hand“ ist für ihn deshalb fem­i­nin, weil sie klein, pas­siv, emp­fan­gend, schwach ist, im Gegen­satz zu „Fuss“, der gross, aktiv und stark ist. Solche Geschlechter­ty­polo­gien waren zur Zeit Grimms, als die Frauen kein Anse­hen genossen, gang und gäbe. Heute soll­ten sie der Ver­gan­gen­heit ange­hören. Lei­der leben sie noch weit­er in der Gen­der­sprache. Auch das „gener­ische Maskulinum“ ist eine Idee aus der sex­u­al­isierten Genus­the­o­rie, weil man sich Per­so­n­en­beze­ich­nun­gen ohne Bezug zum natür­lichen Geschlecht gar nicht mehr vorstellen kon­nte: Wenn „Lehrer“ nicht aus­drück­lich einen Mann meint, muss das Wort eben „gener­isch“ – für „bei­de Geschlechter“ – gemeint sein. Stein des Anstoss­es für die fem­i­nis­tis­che Sprachkri­tik war immer dieser unter­stellte „Allein­vertre­tungsanspruch“ der Män­ner im „gener­ischen Maskulinum“. Luise F. Pusch glaubte, durch die forcierte Dop­pel­nen­nung dem Maskulinum den „gener­ischen“ Charak­ter aus­treiben zu kön­nen: „Das Maskulinum ist nicht mehr das, was es ein­mal war.“ – eben ein Aus­druck der „Her­renkul­tur“. Dabei muss vom Geschlecht ganz abstrahiert wer­den, es geht auss­chliesslich um den Beruf. Geht es bei „Lehrer“ in einem bes­timmten Zusam­men­hang nicht nur um „eine Per­son, die lehrt“, son­dern um „einen Mann, der lehrt“, dann ist das genau­so zu kennze­ich­nen wie bei „eine Frau, die lehrt“, im let­zteren Fall aber nicht mit ‑in, son­dern in bei­den Fällen gle­ich: durch den Kon­text (mit einem Vor­na­men, Pronomen oder Adjek­tiv oder mit „Frau“).

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