Schlagwort-Archive: Bedeutungswandel

Begattungsängste und homophobe Etymologie

Von Anatol Stefanowitsch

Argu­mente gegen die Öff­nung der Ehe für homo­sex­uelle Paare lassen sich am Ende immer auf eine einzige Behaup­tung reduzieren: Die Ehe diene der Zeu­gung von Kindern und da homo­sex­uelle Paare keine Kinder zeu­gen kön­nen, könne man die Ehe für sie keines­falls öffnen.

Dieses Argu­ment hat eine offen­sichtliche Schwäche: Die Zeu­gung von Kindern ist ein­er­seits auch ohne Ehe möglich und ander­er­seits auch in der Ehe nicht zwingend.

Auf diese Schwäche wer­den die Bewahrer der Het­ero-Ehe immer wieder hingewiesen, aber statt auf diese Hin­weise einzuge­hen, denken sie sich immer neue Begrün­dun­gen dafür aus, warum Ehe und die Zeu­gung von Kindern gegen alle Evi­denz doch untrennbar miteinan­der ver­bun­den sind. Da wird dann die Reli­gion bemüht, oder die Evo­lu­tion, oder die Tra­di­tion, oder die Per­ver­sion. Haupt­sache, es endet auf -ion, scheinen die Homo­phoben zu denken.

Nicht so der Jour­nal­ist Gün­ther Lach­mann, der jüngst im Deutsch­land­funk erk­lären durfte, warum Ehe und die Zeu­gung von Kindern ein und das­selbe sind. Er bemühte keine -ion, son­dern eine -ie: die Ety­molo­gie, also die Lehre von der Herkun­ft und Entwick­lung von Wörtern. Weit­er­lesen

Kaiser, König, Edelmann …

Von Kristin Kopf

Hier im Sprachlog gab es ja mal so eine sprachgeschichtliche Kom­po­nente, nicht? Die kommt jet­zt mit voller Kraft zurück! In den let­zten Monat­en war ich hier sehr zurück­hal­tend, weil all meine Lust daran (und vor allem Zeit dafür), Sprach­wis­senschaftlich­es all­ge­mein­ver­ständlich zu erk­lären, in ein Buch­pro­jekt geflossen ist. Mit­tler­weile ist das beina­he abgeschlossen und im Sep­tem­ber kommt es raus – hier die Ver­lagsankündi­gung. Der Beschrei­bung­s­text ist etwas kryp­tisch, aber let­ztlich mache ich darin Sprachgeschichte an der Geschichte aus­gewählter Wörter sicht­bar. Die Ety­molo­gien sind also der Aufhänger, dahin­ter ver­birgt sich ein zwar assozia­tiv­er, aber sys­tem­a­tis­cher­er Blick auf (vor allem) Laut- und Bedeu­tungswan­del und den Wortschatz.

Auf dem (sehr steini­gen!) Weg zum fer­ti­gen Pro­dukt mussten immer wieder einzelne Kapi­tel dran glauben, und da ich so schnell sich­er kein zweites Ety­molo­giebuch schreiben werde, werde ich die in den näch­sten Monat­en nach und nach verbloggen – natür­lich neu angepasst ans Medi­um. Los geht es mit der Geschichte von Kaiser und Zar, die nicht nur ähn­lich mächtig sind, son­dern auch noch bei­de ein­er gemein­samen sprach­lichen Quelle entsprin­gen, und mit dem König, hin­ter dem Zeu­gung, Geburt und Geschlecht stehen.

Ein Name wird Programm

Den Kaiser als Herrsch­er haben wir uns in Rom abgeschaut. Dort gab es einst einen gewis­sen Gaius Julius Cae­sar, seines Zeichens enorm ein­flussre­ich­er Chef des römis­chen Reichs – so ein­flussre­ich, dass sein Name Pro­gramm wurde. Bei der römis­chen Bevölkerung set­zte sich Cae­sar als generelle Beze­ich­nung für ihren Herrsch­er durch − selb­st als der schon wieder ganz andere Namen trug. Das ver­lief also ähn­lich wie bei den Pro­duk­t­na­men Tem­po oder Tesa, die heute an jed­er Art von Papier­taschen­tuch oder Klebe­streifen haften kön­nen: Ein her­aus­ra­gen­der Vertreter wird zur Beze­ich­nung ein­er ganzen Gruppe gle­ichar­tiger Men­schen oder Gegenstände.

Dann kamen die ger­man­is­chen Völk­er an und Weit­er­lesen

Heiße Mohr, will nichts verstehen

Von Anatol Stefanowitsch

Es gibt die ganz nor­male Denk­faul­heit. Es gibt mutwillige Igno­ranz. Und dann gibt es noch das deutsche Feuil­leton – erfun­den, damit Denk­faul­heit und mutwillige Igno­ranz nicht so schlecht dastehen.

Ein Beispiel? Na gut:

Ges­tat­ten, mein Name ist Mohr. Rein­hard Mohr. Mohr mit o‑h, wohlge­merkt. Nie habe ich Stamm­baum­forschung oder Ety­molo­gie betrieben, aber soviel weiß ich: Mohr kommt von Mau­re, ein ursprünglich griechis­ches Wort, das dunkel- und schwarzhäutige Men­schen beze­ich­net. Ich aber bin weiß.

In einem einzi­gen kurzen Absatz verdeut­licht Rein­hard Mohr für das Deutsch­landra­dio Kul­tur hier das Kern­prinzip des Feuil­letons. Erstens: „Es geht um mich, mich, mich!“ Zweit­ens: „Natür­lich habe ich nicht recher­chiert.“ Drit­tens: „Trotz­dem erk­läre ich euch Gut­men­schen jet­zt gle­ich mal, wo der große weiße Ham­mer hängt.“ Weit­er­lesen

Die Pflicht in der Sprache

Von Susanne Flach

Am Mon­tag berichteten wir eher grundle­gende Schwächen der Green­field-Studie („Das Ego in der Sprache“), heute kom­men wir in Lek­tion 2 kurz zu Bedeu­tungs- und Funk­tion­swan­del. Das wollte ich in etwas ander­er Form eigentlich lexikalisch an Kindern illus­tri­eren, ich fand die syn­tak­tis­che Pflicht aber erhel­len­der. Weit­er­lesen

Milliarden vs. Billionen: Große Zahlen

Von Kristin Kopf
Unzäh­lige Male schon habe ich im BILD­blog Beiträge gele­sen, in denen ein deutsch­er Bericht kri­tisiert wurde, der von Bil­lio­nen sprach, wo auch im amerikanis­chen Orig­i­nal von bil­lions die Rede war ((Zum Beispiel hier, hier, hier, hier, … und der umgekehrte Fehler hier.)). Eine amerikanis­che bil­lion ist näm­lich, ins Deutsche über­set­zt, nur eine ‘Mil­liarde’.
Die Ver­wirrung entste­ht, natür­lich, durch die extreme laut­liche Ähn­lichkeit. Die wahren Ver­hält­nisse zeigt die fol­gende Tabelle:
Zahl Deutsch US-Englisch
100 Hun­dert one hun­dred
1.000 Tausend thou­sand
1.000.000 Mil­lion mil­lion
1.000.000.000 Mil­liarde bil­lion
1.000.000.000.000 Bil­lion tril­lion
1.000.000.000.000.000 Bil­liarde quadrillion

So weit, so rel­a­tiv bekan­nt. Nun habe ich kür­zlich dieses fan­tastis­che Youtube­v­ideo angeschaut (und danach noch 10 weit­ere von min­utephysics – ich war krankgeschrieben …), in dem unter anderem the­ma­tisiert wurde, wann der Urk­nall stattge­fun­den hat – näm­lich »13.7 bil­lion years ago«. Da ich dieses Wis­sen als gemein­wis­senswert erachtete, musste es also ein wenig gerun­det, über­set­zt und abge­spe­ichert wer­den. (Selt­sam übri­gens, dass das über fünf Staffeln Big-Bang-The­o­ry-Theme hin­weg noch nicht passiert war.)

Dabei habe ich mich dann zum ersten Mal gefragt, wie es eigentlich passieren kon­nte, dass diese bei­den, offen­sichtlich ety­mol­o­gisch miteinan­der ver­wandten Wörter so ver­rutscht sind. Nach einiger Wörter­buch­blät­terei und zunehmend kom­plex­en Noti­zen mit über­mäßig vie­len Nullen bin ich nun klüger gewor­den: Weit­er­lesen