Jugend ohne Syntax?

Von Anatol Stefanowitsch

Die „Jugend­sprache“ muss in den Medi­en oft her­hal­ten, wenn son­st nicht viel los ist. Am Woch­enende hat das St. Galler Tag­blatt sich mit dem The­ma beschäftigt. Der Artikel ist eigentlich nett gemeint und erken­nt dur­chaus das kreative Poten­zial und die kom­mu­nika­tiv­en Bedürfnisse an, die in beson­deren Sprach­for­men steck­en kön­nten. Trotz­dem ist er voll von Unge­nauigkeit­en und falschen Behaup­tun­gen, zum Beispiel der hier:

Syn­tax spielt im Sprachge­brauch der Jugendlichen keine Rolle, Anglizis­men wer­den gar nicht mehr als solche wahrgenom­men, die Ori­en­tierung an der Mündlichkeit („Par­lan­do“) hat enorm zugenommen.

Wir wollen uns hier mit der ersten Behaup­tung befassen — dass „Jugend­sprache“ keine Syn­tax habe. Falls das näm­lich so sein sollte, liefert der Artikel dafür keine Evi­denz. Die Autorin hat sich zwar alle Mühe gegeben hat, authen­tis­che jugend­sprach­liche Gesprächss­chnipsel zu erfind­en, aber die sind aus syn­tak­tis­ch­er Sicht alle in rein­stem Hochdeutsch abge­fasst (Achtung, das wird jet­zt ein biss­chen trock­en, aber es muss sein):

Wow, das isch mega­ham­mergeil. Dä Style vo däm Pimpf isch super dick.

Bei­de Sätze in diesem Text haben die Struk­tur Sub­jekt + Prädikat + Artergänzung (Satzbau­plan 9 in der Duden-Gram­matik, siehe Duden-Gram­matik, §1211). Das einzige, was hier vom Hochdeutschen abwe­icht, ist die Aussprache einiger Wörter. So wird das Prädikat ist als isch dargestellt, was aber nichts daran ändert, dass die Form die 3. Per­son Sin­gu­lar ist, genau wie es bei den Sub­jek­ten das und dä Style vo däm Pimpf zu erwarten ist. Eben­so ist es mit den Artikeln und däm, die trotz ihrer ungewöh­lichen Schreib­weise klar den Nom­i­na­tiv und den Dativ darstellen. Die Aussprache, die hier dargestellt wer­den soll, hat natür­lich gar nichts mit Jugend­sprache zu tun — es han­delt sich um dialek­tale Variation.

Der erste Satz enthält außer­dem die Inter­jek­tion Wow, die vor dem eigentlichen Satz ste­ht — also genau da, wo sie hinge­hört (Duden-Gram­matik, §1406.1).

Wenn an dem zweit­en Satz etwas ungewöhn­lich ist, dann, dass die Autorin möglicher­weise die Wörter Pimpf und Pimp ver­wech­selt. (Die inter­es­sante Bedeu­tungs­geschichte dieser bei­den Wörter beschreibt übri­gens mein Namensvet­ter Ana­toly Liber­man im OUP­blog).

Komm du Soft­wür­fel. Heute Abend gehen wir in den Fummelbunker.

Der erste Satz ist ein Auf­forderungs- oder Imper­a­tivsatz (Duden-Gram­matik, §1076) mit einem nach­fol­gen­den Anre­de­nom­i­na­tiv (oder Voka­tiv), der vor oder hin­ter dem Satz ste­hen kön­nte und hier eben dahin­ter­ste­ht (Duden-Gram­matik, §1406.2). Der zweite Satz hat die Struk­tur Sub­jekt + Prädikat + Raumergänzung (Satzbau­plan 7, Duden-Gram­matik, §1209). Er enthält außer­dem eine optionale Zeit­ergänzug, die am Anfang des Satzes ste­ht. Da das Verb in deutschen Aus­sagesätzen immer an zweit­er Stelle ste­ht, muss das Sub­jekt deswe­gen hin­ter dem Verb ste­hen (Duden-Gram­matik, §1399).

Ich werde aber nicht rum­löf­feln. Und vorher muss ich noch mit dem Tep­pich­porsche raus. Son­st bekomme ich wieder einen Einlauf.

Der erste Satz hat die Struk­tur Sub­jekt + Prädikat (Satzbau­plan 1, Duden-Gram­matik, §1196), mit ein­er Modal­par­tikel (oder Par­tikel der Abtö­nung), die da ste­ht, wo sie ste­hen soll (Duden-Gram­matik, §671) und ein Nega­tionswort (Duden-Gram­matik, §1265.2), das eben­falls am vorge­se­henen Platz ste­ht (Duden-Gram­matik, §1268). Der zweite Satz hat wieder die Struk­tur Sub­jekt + Prädikat + Raumergänzung, mit ein­er optionalen Zeit­ergänzung, die wieder an erster Stelle ste­ht und das Sub­jekt hin­ter das Verb schiebt, einem optionalen Prä­po­si­tion­alob­jekt und ein­er weit­eren optionalen Zeit­ergänzung. Außer­dem wird der Satz durch eine Kon­junk­tion ein­geleit­et, die am Anfang des Satzes ste­ht (Duden-Gram­matik, §1413). Der dritte Satz hat die Struk­tur Sub­jekt + Prädikat + Akkusativob­jekt (Satzbau­plan 2, Duden-Gram­matik, §1198), mit ein­er optionalen Zeitergänzung.

Nur ein biss­chen rumpim­meln, sei kein Karottenrambo.

Der erste Teil­satz ist ein Infini­tiv in der Funk­tion ein­er Auf­forderung (Duden-Gram­matik, §306). Das einzige, was hier möglicher­weise erwäh­nenswert ist, ist, dass die Duden-Gram­matik ein biss­chen als Indefinit­pronomen beze­ich­net, auch wenn es hier ein­deutig eine adver­biale Funk­tion hat (§609). Dafür kön­nen allerd­ings die Jugendlichen nichts. Dann fol­gt noch ein­mal ein Auf­forderungssatz, er fol­gt dem Satzbau­plan 6 (Sub­jekt + Prädikat + Prädika­tiv­er Nom­i­na­tiv, Duden-Gram­matik, §1208).

Also, wenn die Jugendlichen in St. Gallen wirk­lich so sprechen, gibt es aus syn­tak­tis­ch­er Sicht keinen Grund zur Sorge.

Allerd­ings sollte ihnen jemand sagen, dass die Wörter, die sie da ange­blich ver­wen­den, nur in Wörter­büch­ern der Jugend­sprache vorkommen.

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Über Anatol Stefanowitsch

Anatol Stefanowitsch ist Professor für die Struktur des heutigen Englisch an der Freien Universität Berlin. Er beschäftigt sich derzeit mit diskriminierender Sprache, Sprachpolitik und dem politischen Gebrauch und Missbrauch von Sprache. Sein aktuelles Buch „Eine Frage der Moral: Warum wir politisch korrekte Sprache brauchen“ ist 2018 im Dudenverlag erschienen.

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