Presseschau

Von Anatol Stefanowitsch

Die Deutsche Akademie für Sprache und Dich­tung sieht es, nach eigen­er Aus­sage, „als ihre Auf­gabe an, die deutsche Lit­er­atur und Sprache zu pfle­gen und, wo es sein muß, zu vertreten, nicht zulet­zt neue Entwick­lun­gen aufmerk­sam und kri­tisch zu ver­fol­gen, nach Möglichkeit auch zu ermuti­gen und zu fördern.“ Das klingt wie eine Dro­hung. Ist es auch, denn es schließt neben der Ver­lei­hung von Preisen an Schrift­steller, die das dur­chaus ver­di­enen mögen, schein­bar auch abstruse Stel­lung­nah­men zu The­men ein, von denen man bei der Akademie ganz offen­sichtlich nichts versteht:

Die Deutsche Akademie für Sprache und Dich­tung hat davor gewarnt, Kinder zu früh mit Fremd­sprache­nun­ter­richt zu über­fordern. Die Akademie erre­icht­en ständig Kla­gen, dass Grund­schüler nicht mehr des Deutschen mächtig seien. … „In dieser Sit­u­a­tion, wo Kinder keine voll­ständi­gen Sätze bilden kön­nen, noch eine fremde Sprache dazuzuset­zen, halte ich für Unfug“, sagte Akademiepräsi­dent Klaus Reichert zur Eröff­nung der Herb­st­ta­gung am Don­ner­stagabend in Darm­stadt. Oft wird in Grund­schulen bere­its Englisch unter­richtet. Zu den vielfälti­gen Grün­den für die man­gel­nden Deutschken­nt­nisse der Kinder gehöre, dass sie sehr viel Zeit vor Fernse­her und Com­put­er ver­brächt­en, sich die Eltern aber durch­schnit­tlich nur sieben Minuten am Tag mit ihnen unterhielten.

Ich will die ange­blichen Nachteile und die tat­säch­lichen Vorteile des frühkindlichen Spracher­werbs hier nicht weit­er disku­tieren (das habe ich ja hier getan). Stattdessen nur eine kurze Anmerkung: Wenn es stimmt, dass „Grund­schüler nicht mehr des Deutschen mächtig“ sind (was ich bei den Klassenkamerad/innen mein­er Tochter so pauschal nicht beobacht­en kann), dann dürfte das zwei Gründe haben. Erstens gibt es unbe­stre­it­bar Grund­schüler aus Migranten­fam­i­lien, deren Deutschken­nt­nisse zu wün­schen übrig lassen. Was hier geschehen muss, ist klar: sie müssen rechtzeit­ig in einen deutschsprachi­gen Kon­text einge­bun­den wer­den und gegebe­nen­falls Förderun­ter­richt in der deutschen Sprache und in ihrer Mut­ter­sprache erhal­ten. Ihnen den Englis­chunter­richt wegzunehmen bringt dage­gen gar nichts. Zweit­ens dürfte an Aus­sagen wie der oben zitierten ein Missver­ständ­nis darüber Schuld sein, was es bedeutet, „des Deutschen mächtig“ zu sein:

Wir sind keine Katas­tro­phen­propheten, die bei jedem falschen Kon­junk­tiv und bei jedem über­flüs­si­gen Anglizis­mus den Unter­gang des Abend­lan­des sehen“, sagte Reichert. Gle­ichzeit­ig geißelte er die „Schiz­o­phre­nie“ der Poli­tik, die ein­er­seits den Zer­fall des Deutschen beklage, ander­er­seits das Englis­che als Sprache in Uni­ver­sitäten und Schulen fördere. 

Ja, der Kon­junk­tiv. Den gibt es in der deutschen Umgangssprache nun ein­mal nicht mehr, eben­sowenig wie den Gen­i­tiv oder die Neben­satzstel­lung nach der Kon­junk­tion weil oder all die anderen Steck­enpferde der Sprach­be­wahrer. Woher soll­ten die Grund­schüler all diese archais­chen For­men also ken­nen? Natür­lich müssen sie sie ler­nen, um sich auch in der deutschen Schrift­sprache sich­er zu bewe­gen. Nur, warum es ihnen helfen sollte, den Englis­chunter­richt zu stre­ichen, bleibt wieder unklar.

Noch trau­riger als die fehlende Sachkom­pe­tenz der Sprach­pfleger ist eine Nachricht, die in der let­zten Woche durch die Presse ging. Washoe, der „sprechende“ Schim­panse, ist tot:

Die berühmte Schim­pansin Washoe, die in den 1960er Jahren Gebär­den­sprache gel­ernt hat, ist tot. Sie galt als erstes nicht-men­schlich­es Wesen, das mit ein­er men­schlichen Sprache kom­mu­nizieren kon­nte. Wie das Chim­panzee and Human Com­mu­ni­ca­tion Insti­tute der Cen­tral Wash­ing­ton Uni­ver­si­ty in Ellens­burg am Mittwoch mit­teilte, starb das 42-jährige Tier am Dien­stag, den 30. Sep­tem­ber, eines natür­lichen Todes.

Ob man ern­sthaft behaupten kann, Washoe habe in ein­er „men­schlichen Sprache“ kom­mu­niziert, sei dahingestellt. Immer­hin beherrschte sie ca. 250 Zeichen und kon­nte damit ihren Betreuern gegenüber ihre Bedürfnisse aus­drück­en und vielle­icht sog­ar ihre Umwelt beschreibend kom­men­tieren. Das ist sich­er mehr, als man Schim­pansen vorher zuge­traut hätte. Und zum Glück gab es keinen schim­pan­sis­chen Akademiepräsi­den­ten, der gegen Washoes Fremd­sprache­nun­ter­richt Protest ein­gelegt hat, etwa mit dem Argu­ment, sie müsse erst ler­nen, wie man eine Banane schäle. Denn dann hät­ten wir nie erfahren, wozu Schim­pansen in der Lage sind.

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Über Anatol Stefanowitsch

Anatol Stefanowitsch ist Professor für die Struktur des heutigen Englisch an der Freien Universität Berlin. Er beschäftigt sich derzeit mit diskriminierender Sprache, Sprachpolitik und dem politischen Gebrauch und Missbrauch von Sprache. Sein aktuelles Buch „Eine Frage der Moral: Warum wir politisch korrekte Sprache brauchen“ ist 2018 im Dudenverlag erschienen.

4 Gedanken zu „Presseschau

  1. Chat Atkins

    Das ist Quark: Hierzu­lande wird die deutsche Sprache mit dem säch­sis­chen Gen­i­tiv am meis­ten dort mis­shan­delt, wo die Leute die ger­ing­ste Ahnung vom Englis­chen haben. Mit dem Deutschen halb­wegs sich­er umzuge­hen, habe ich gel­ernt, als ich die dritte Fremd­sprache anpack­te (Latein war das damals). Von dort her erschloss sich mir auch endlich die Ter­mi­nolo­gie der deutschen Gram­matik. Es wäre bess­er, diese Vere­in­shanseln “büken” auch beim Kon­junk­tiv kleinere Brötchen. Die sind meis­tens schmack­hafter als solch Blähge­bäck aus dem redak­tionellen Supermarkt …

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  2. @miro

    Erstens gibt es unbe­stre­it­bar Grund­schüler aus Migranten­fam­i­lien, deren Deutschken­nt­nisse zu wün­schen übrig lassen.

    …das möchte ich nicht bestre­it­en aber mit dieser These wird meis­tens spekuliert — man ver­wen­det sie (und miss­braucht sie) wenn man über Migranten in neg­a­tivem Kon­text berichtet, also bele­gen möchte, dass die Migranten­fam­i­lien prob­lema­tisch bzw. „Stör­fak­tor“ im Deutschunter­richt sind… 

    Prob­lem liegt nicht bei den Schülern — Kinder sind fähiger als ihnen zuge­mutet wird, auf ihre neugierige und spielerische Art erler­nen sie sehr schnell was ihnen ver­mit­telt wird — entschei­dend ist Wie und Was ihnen von Lehrern (und zuhause von Eltern) beige­bracht wird. 

    Mein Sohn wurde ohne und bei­de Töchter mit ganz gerin­gen Vorken­nt­nis­sen der deutschen Sprachen eingeschult, alle drei lern­ten Englisch ab der drit­ten Klasse und zweite bzw. dritte Fremd­sprache etwas später, sie hat­ten nie Prob­leme gehabt (Förderun­ter­richt war ihnen fremd) und alle drei sind mehrere Sprachen mächtig und studieren zur Zeit.

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  3. Christoph Päper

    Was man am Englis­chunter­richt in der Grund­schule wirk­lich kri­tisieren kann, ist, dass er (zu) schriftlich stattfindet.

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