Zeitwahl

Von Anatol Stefanowitsch

Ich hätte es mir natür­lich denken kön­nen: man lobt Her­ren von der Aktion Lebendi­ges Deutsch ein einziges Mal — schon wer­den sie über­mütig. Eine Ein­deutschung für das englis­che Lehn­wort Tim­ing war let­zten Monat gesucht. Ich hat­te vorherge­sagt, dass dies schwierig wer­den würde. Und tat­säch­lich haben die vier Selb­st­gerecht­en voll daneben gegriffen:

Unter den Vorschlä­gen des Vor­monats für das Such­wort „Tim­ing“ hat sich die Jury für „Zeit­wahl“ entschieden.

Wie die Jury im let­zten Monat richtig beobachtete, beze­ich­net das Wort Tim­ing in etwa „die Kun­st, den richti­gen Zeit­punkt zu wählen“. Das Wort Zeit­wahl sug­geriert aber eher die Wahl eines bes­timmten Zeitabschnitts. Ich gebe ja zu, dass das seman­tisch angemessenere Wort Zeit­punk­t­wahl irgend­wie hol­prig klingt, aber schließlich hat nie­mand die Her­ren gebeten, das schöne Tim­ing zu ersetzen.

Außer­dem haben die Vier mal wieder vergessen, darauf zu acht­en, ob das von ihnen gewählte Wort eventuell bere­its vergeben ist. Hier ist das der Fall. Für die oben erwäh­nte logis­che Bedeu­tung „Auswahl eines Zeitab­schnitts“ find­en sich zahllose Beispiele im Inter­net, z.B.

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Aus dem Deutschen Uni­ver­sal­wörter­buch des Duden­ver­lags erfahren wir außer­dem, dass das Wort eine „Meth­ode der Empfäng­nisver­hü­tung, bei der die Phasen der natür­lichen Unfrucht­barkeit der Frau genutzt wer­den“ beze­ich­net (übri­gens eine her­vor­ra­gende Meth­ode — ich kenne viele sehr süße Kinder, die auf diese Art ent­standen sind).

Falls der Vorschlag der Aktion Lebendi­ges Deutsch sich also wider Erwarten durch­set­zen sollte, wäre die deutsche Sprache ein Stück ärmer. Sie hätte ein ein­deutig definiertes und leicht auszus­prechen­des Lehn­wort ver­loren und ein bere­its existieren­des Wort müsste eine zusät­zliche Bedeu­tungslast tragen.

Für diesen Monat suchen die Vier übri­gens eine Alter­na­tive für das Wort chat­ten. Ich wage nicht, ein konkretes Wort vorherzusagen, aber in einem bin ich mir sich­er — die all­ge­meine Ablehnung, die die Sprach­pfleger typ­is­cher­weise allen Errun­gen­schaften der glob­al­isierten Welt ent­ge­gen­brin­gen, wird sich in Vorschlä­gen nieder­schla­gen, die die beze­ich­nete Aktiv­ität ins Lächer­liche ziehen.

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Über Anatol Stefanowitsch

Anatol Stefanowitsch ist Professor für die Struktur des heutigen Englisch an der Freien Universität Berlin. Er beschäftigt sich derzeit mit diskriminierender Sprache, Sprachpolitik und dem politischen Gebrauch und Missbrauch von Sprache. Sein aktuelles Buch „Eine Frage der Moral: Warum wir politisch korrekte Sprache brauchen“ ist 2018 im Dudenverlag erschienen.

10 Gedanken zu „Zeitwahl

  1. Wolfgang Hömig-Groß

    Ist zwar hier vielle­icht der falsche Ort, aber mein Vorschlag für chat­ten ist: worten. Das ist so doof, das kön­nten sie nehmen …

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  2. Stefan

    to chat — plaud­ern? Inter­es­san­ter­weise haben wir den Amis hier was voraus. Denn im Englis­chen gibt es soweit ich weiß keine geson­derte Beze­ich­nung für das “Chat­ten”.

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  3. der Nerd am Herd

    Ja, “Plaud­ern” wird es wohl wer­den … ist aber wie immer, oder? Wir Deutschen kön­nen durch die Ver­wen­dung des Fremd- bzw. Lehn­worts zwis­chen tech­nol­o­gisch ver­schiede­nen Bedeu­tun­gen unter­schei­den, während Englisch-Mut­ter­sprach­ler das nicht kön­nen … und dann wollen manche uns diesen Vorteil wieder aus der Hand nehmen …

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  4. Wolfgang Hömig-Groß

    Also, wenn schon “plaud­ern” ein ein ern­sthafter Kan­di­dat sein soll, dann kann man doch gle­ich “sprechen” nehmen. Ich will den Teufel ja nicht an die Wand malen, aber wenn das noch 500 Jahre so weit­erge­ht, beste­ht die deutsche Sprache nur noch aus einem einzi­gen Wort. Und wer ist schuld? Natür­lich ihre selb­st ernan­nten Bewahrer. Wer solche Fre­unde hat, braucht keine Feinde!

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  5. dirk

    Plaud­ern’ wär albernst — dann bräuchte ich einen ganzen Satz, um zu sagen, dass ich chat­tete. Dif­feren­zierungsmöglichkeit­en nehmen, ist fies. Der VDS hat bere­its dies in sein­er Daten­bank: “Disku­tieren (schriftlich im Netz), reden, plaud­ern, quas­seln, quatschen, schwatzen, tratschen”. Das reicht nicht aus: “Ich quatschte schriftlich im Netz mit Sabine”, kön­nte z.B. ein Forum meinen. Chat­ter heißen im “Anglizis­men-Index” übri­gens: “Net­z­plaud­er­er, Net­zschwätzer, Plaud­er­tasche.” Wer­tung soll sein. Die Schwatzbu­den des Inter­net (90er), die Klowände…

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  6. dirk

    Nach­trag: Wer­tung natür­lich im Dien­ste der kor­rek­ten Über­set­zung. (Worum es nicht geht, wenn man ein Wort für etwas sucht, für das man keins zu haben glaubt.)

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  7. Mike Seeger

    Schaut man sich die Teil­nehmerzahlen der Aktion an, wird sehr schnell klar, wohin die Aktion (ver)läuft: im Sande.

    Novem­ber 06: 1066

    Juni 07: 385

    Juli 07: 792 (Aus­rutsch­er?)

    August 07: 429

    Sept. 07: 300

    Nov. 07: 280

    Mein per­sön­lich­er Ein­druck ist, dass sich die Her­ren lang­weilen und deshalb die albern­sten Vorschläge wählen. Viele­icht sollte man sie ein anderes Wort für “Jury” find­en lassen. Ist ja auch kein lupen­reines Deutsch.

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  8. manuel

    Ich erin­nere mich mit Grausen an eine Aus­gabe der Sendung Chris­tiansen zum The­ma Sprach­schutz in der sich alle vier Disku­tanden (darunter ein Knilch von der Gesellschaft für deutsche Sprache und der unsägliche Feridun Zaimoglu) einig waren, dass unsere heilige Sprache geschützt wer­den müsse (eine wirk­liche Diskus­sion kam irgend­wie nicht auf). 

    Das Wort “chat­ten” wurde gemein­sam für schlecht befun­den, mit der Begrün­dung, dass Deutsche dieses Wort mit einem weichen sch-Laut aussprechen und das Wort so der Ver­gan­gen­heits­form von “to shit” ähneln würde (ausser­dem ist es natür­lich ein bös­er Anglizis­mus)… Als Alter­na­tive zu “chat­ten” wurde “sich im Inter­net unter­hal­ten” präsen­tiert und alle ver­sicherten sich gegen­seit­ig ihrer Mei­n­ung dass dies eigentlich der angemessenere Aus­druck wäre. 

    Ein Kom­men­tar dazu ist wohl überflüssig.

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  9. Christoph Päper

    Das zwis­chen­zeitlich „gefun­dene“ Ergeb­nis net­z­plaud­ern ist natür­lich unsin­nig, wenig­stens aber anachro­nis­tisch, denn natür­lich hießen die Chats auch im Englis­chen zunächst näher qual­i­fiziert web chat oder inter­net relay chat (IRC), aber im entsprechen­den Kon­text tut es eben to chat wie es im Deutschen plaud­ern o.ä. täte (die entsprechende Tätigkeit im physis­chen Leben wird m.M. region­al sehr unter­schiedlich benannt).

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