Vor ein paar Tagen hat ein gewisser „Jeeves“ — vermutlich nicht sein richtiger Name — dieses Blog entdeckt und wie folgt kommentiert:
Huch, wohin hab’ ich mich denn hier verlaufen?
Studierte oder studierende Humorlose sind offensichtlich eifersüchtig auf einen Erfolgreichen (nämlich: Sick)?
Das mach auf mich als Außenstehenden jedenfalls diesen Eindruck.
Besonders gründlich kann er sich nicht umgesehen haben, denn über Sick reden wir hier nur sehr selten.
Aber zum Kern des Vorwurfs: Sind Sprachwissenschaftler — studiert oder studierend — neidisch auf die prominente Sprachnörgler wie Bastian Sick?
Bevor ich diese Frage glaubhaft beantworten kann, muss ich einen Punkt aus dem Weg räumen: das Finanzielle. Für Wissenschaftler ist Geld normalerweise nicht das Wichtigste im Leben — die meisten von ihnen könnten außerhalb der Universität mehr verdienen. Aber wenn sie angesichts der Millionen, die Sick mit seinen Büchern, Videos und Brettspielen einfährt, nicht wenigstens ein bisschen Neid empfinden würden, müsste man sich wohl Sorgen um ihren Realitätssinn machen. In dieser Hinsicht: ja, da bin ich neidisch auf Sick — auf eine recht hypothetische Art, etwa so, wie ich auch neidisch auf Lottogewinner oder Millionenerben bin.
Aber ich denke nicht, dass finanzieller Neid der eigentliche Vorwurf ist. Die Frage, um die es eigentlich geht, ist die, ob Sprachwissenschaftler neidisch auf die Prominenz von Sprachnörglern wie Bastian Sick sind. Ein paar Tage vor „Jeeves“ hat Sprachblogleser Christian einen sehr viel differenzierteren Kommentar hinterlassen, der unter anderem auch einen differenzierteren Neidvorwurf enthielt:
Ein wenig spielt hier auch der Neid der Wissenschaft eine Rolle, mit Fachtexten und Fachausdrücken eben kein Massenpubikum erreichen zu können. Denke ich zumindest.
Christian, soweit ich das beurteilen kann, denken Sie da falsch. Wissenschaftler kümmert es nicht das kleinste bisschen, ob sie mit ihren Fachtexten ein Massenpublikum erreichen. Und das ist einerseits gut und andererseits schlecht.
Es ist gut, weil Wissenschaftler, die vorrangig mit ihrer eigenen öffentlichen Wahrnehmung beschäftigt wären, wenig Zeit und Motivation hätten, um ernsthafte Forschung zu betreiben. Das Massenpublikum ist für die hochspezialisierten Fragestellungen, mit denen wir uns beschäftigen, schwer zu begeistern, und so müssten wir uns mit öffentlichkeitswirksamen, aber wissenschaftlich trivialen Dingen beschäftigen, um Prominenz zu erlangen.
Wissenschaftler sind grundsätzlich mit zwei Dingen beschäftigt: Erstens interessieren sie sich für die Wahrheit. Das klingt in einer postmodernen, alles relativierenden Welt etwas antiquiert, aber es ist so. Wissenschaftler wollen wissen, wie die Dinge wirklich funktionieren. Nicht, weil man dadurch reich oder berühmt wird, sondern, weil es ihnen ein tiefes Gefühl der Befriedigung verschafft. Zweitens interessieren sie sich (sie sind ja trotz allem nur Menschen) durchaus für Ruhm — allerdings ausschließlich für den Ruhm, den sie sie mit ihren Ideen innerhalb ihres Faches erreichen können.
Das kann man nur verstehen, wenn man weiß, wie es sich anfühlt, den eigenen Namen unter einem Beitrag in einer anerkannten Fachzeitschrift zu sehen, die eigenen Ideen in Arbeiten oder Vorträgen anderer Wissenschaftler zitiert zu lesen oder zu hören, eine Einladung auf eine internationale Fachkonferenz zu erhalten oder Emails von Kolleg/innen oder Studierenden aus Japan, Australien oder den USA zu bekommen, die man noch nie getroffen hat, die einen aber aufgrund von Veröffentlichungen kennen und die ernsthafte und gut durchdachte Fragen bezüglich dieser Veröffentlichungen haben.
Alle diese Dinge lösen bei mir auch nach fast zehn Jahren Forschungstätigkeit immer noch einen kleinen, freudigen Schock aus. Das hat sicher etwas mit einem Bedürfnis nach Ruhm und Ehre zu tun, aber eben nach Ruhm und Ehre in der Fachwelt. Und anders als ein Bedürfnis nach öffentlichem Ruhm treibt es mich dazu an, gute Wissenschaft zu betreiben, denn für schlechte Wissenschaft nimmt einen die Fachwelt nun einmal nicht wahr.
In gewisser Weise ist es also gut, dass Wissenschaftler sich nicht um ihre Wahrnehmung in der Öffentlichkeit scheren. Andererseits überlassen wir damit die öffentliche Diskussion unseres Faches Leuten, die nichts davon verstehen. Und das ist schlecht, denn es führt dazu, dass die Öffentlichkeit ein völlig verzerrtes Bild des jeweiligen Problembereichs präsentiert bekommt. Das ist bei der Sprachwissenschaft so, aber ich denke, anderen Disziplinen ergeht es auch nicht besser (besonders die Psychologen tun mir leid — gegen die Übermacht an Esoterik, Scharlatanerie und Pseudowissenschaft, von der die öffentliche Diskussion in Fragen menschlichen Verhaltens und des menschlichen Geistes beherrscht wird, ist der Kampf bereits so gut wie verloren).
Ich würde mir deshalb wünschen, dass Wissenschaftler ein wenig mehr Spaß an einer Prominenz außerhalb ihres Faches hätten — gerade genug, um sie zu motivieren, die Fragen, Sichtweisen und Erkenntnisse ihres Faches einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Man muss ja nicht gleich eine monopolartige Vermarktungsmaschinerie à la Sick aufziehen. Ein kleines Blog reicht.




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