Neidlos

Von Anatol Stefanowitsch

Vor ein paar Tagen hat ein gewiss­er „Jeeves“ — ver­mut­lich nicht sein richtiger Name — dieses Blog ent­deckt und wie fol­gt kom­men­tiert:

Huch, wohin hab’ ich mich denn hier verlaufen?

Studierte oder studierende Humor­lose sind offen­sichtlich eifer­süchtig auf einen Erfol­gre­ichen (näm­lich: Sick)?

Das mach auf mich als Außen­ste­hen­den jeden­falls diesen Eindruck.

Beson­ders gründlich kann er sich nicht umge­se­hen haben, denn über Sick reden wir hier nur sehr selten.

Aber zum Kern des Vor­wurfs: Sind Sprach­wis­senschaftler — studiert oder studierend — nei­disch auf die promi­nente Sprach­nör­gler wie Bas­t­ian Sick?

Titelseite von Galileos Istoria

Titel­seite von Galileos Istoria

Bevor ich diese Frage glaub­haft beant­worten kann, muss ich einen Punkt aus dem Weg räu­men: das Finanzielle. Für Wis­senschaftler ist Geld nor­maler­weise nicht das Wichtig­ste im Leben — die meis­ten von ihnen kön­nten außer­halb der Uni­ver­sität mehr ver­di­enen. Aber wenn sie angesichts der Mil­lio­nen, die Sick mit seinen Büch­ern, Videos und Brettspie­len ein­fährt, nicht wenig­stens ein biss­chen Neid empfind­en wür­den, müsste man sich wohl Sor­gen um ihren Real­itätssinn machen. In dieser Hin­sicht: ja, da bin ich nei­disch auf Sick — auf eine recht hypo­thetis­che Art, etwa so, wie ich auch nei­disch auf Lot­to­gewin­ner oder Mil­lionener­ben bin.

Aber ich denke nicht, dass finanzieller Neid der eigentliche Vor­wurf ist. Die Frage, um die es eigentlich geht, ist die, ob Sprach­wis­senschaftler nei­disch auf die Promi­nenz von Sprach­nör­glern wie Bas­t­ian Sick sind. Ein paar Tage vor „Jeeves“ hat Sprach­blogleser Chris­t­ian einen sehr viel dif­feren­ziert­eren Kom­men­tar hin­ter­lassen, der unter anderem auch einen dif­feren­ziert­eren Nei­d­vor­wurf enthielt:

Ein wenig spielt hier auch der Neid der Wis­senschaft eine Rolle, mit Fach­tex­ten und Fachaus­drück­en eben kein Massen­pu­bikum erre­ichen zu kön­nen. Denke ich zumindest.

Chris­t­ian, soweit ich das beurteilen kann, denken Sie da falsch. Wis­senschaftler küm­mert es nicht das kle­in­ste biss­chen, ob sie mit ihren Fach­tex­ten ein Massen­pub­likum erre­ichen. Und das ist ein­er­seits gut und ander­er­seits schlecht.

Es ist gut, weil Wis­senschaftler, die vor­rangig mit ihrer eige­nen öffentlichen Wahrnehmung beschäftigt wären, wenig Zeit und Moti­va­tion hät­ten, um ern­sthafte Forschung zu betreiben. Das Massen­pub­likum ist für die hochspezial­isierten Fragestel­lun­gen, mit denen wir uns beschäfti­gen, schw­er zu begeis­tern, und so müssten wir uns mit öffentlichkeitswirk­samen, aber wis­senschaftlich triv­ialen Din­gen beschäfti­gen, um Promi­nenz zu erlangen.

Titelseite von Darwins Origin of Species

Titel­seite von Dar­wins Ori­gin of Species

Wis­senschaftler sind grund­sät­zlich mit zwei Din­gen beschäftigt: Erstens inter­essieren sie sich für die Wahrheit. Das klingt in ein­er post­mod­er­nen, alles rel­a­tivieren­den Welt etwas antiquiert, aber es ist so. Wis­senschaftler wollen wis­sen, wie die Dinge wirk­lich funk­tion­ieren. Nicht, weil man dadurch reich oder berühmt wird, son­dern, weil es ihnen ein tiefes Gefühl der Befriedi­gung ver­schafft. Zweit­ens inter­essieren sie sich (sie sind ja trotz allem nur Men­schen) dur­chaus für Ruhm — allerd­ings auss­chließlich für den Ruhm, den sie sie mit ihren Ideen inner­halb ihres Fach­es erre­ichen können.

Das kann man nur ver­ste­hen, wenn man weiß, wie es sich anfühlt, den eige­nen Namen unter einem Beitrag in ein­er anerkan­nten Fachzeitschrift zu sehen, die eige­nen Ideen in Arbeit­en oder Vorträ­gen ander­er Wis­senschaftler zitiert zu lesen oder zu hören, eine Ein­ladung auf eine inter­na­tionale Fachkon­ferenz zu erhal­ten oder Emails von Kolleg/innen oder Studieren­den aus Japan, Aus­tralien oder den USA zu bekom­men, die man noch nie getrof­fen hat, die einen aber auf­grund von Veröf­fentlichun­gen ken­nen und die ern­sthafte und gut durch­dachte Fra­gen bezüglich dieser Veröf­fentlichun­gen haben.

Titelseite von Wundts Völkerpsychologie

Titel­seite von Wundts Völkerpsychologie

Alle diese Dinge lösen bei mir auch nach fast zehn Jahren Forschungstätigkeit immer noch einen kleinen, freudi­gen Schock aus. Das hat sich­er etwas mit einem Bedürf­nis nach Ruhm und Ehre zu tun, aber eben nach Ruhm und Ehre in der Fach­welt. Und anders als ein Bedürf­nis nach öffentlichem Ruhm treibt es mich dazu an, gute Wis­senschaft zu betreiben, denn für schlechte Wis­senschaft nimmt einen die Fach­welt nun ein­mal nicht wahr.

In gewiss­er Weise ist es also gut, dass Wis­senschaftler sich nicht um ihre Wahrnehmung in der Öffentlichkeit scheren. Ander­er­seits über­lassen wir damit die öffentliche Diskus­sion unseres Fach­es Leuten, die nichts davon ver­ste­hen. Und das ist schlecht, denn es führt dazu, dass die Öffentlichkeit ein völ­lig verz­er­rtes Bild des jew­eili­gen Prob­lem­bere­ichs präsen­tiert bekommt. Das ist bei der Sprach­wis­senschaft so, aber ich denke, anderen Diszi­plinen erge­ht es auch nicht bess­er (beson­ders die Psy­cholo­gen tun mir leid — gegen die Über­ma­cht an Eso­terik, Schar­la­taner­ie und Pseudowis­senschaft, von der die öffentliche Diskus­sion in Fra­gen men­schlichen Ver­hal­tens und des men­schlichen Geistes beherrscht wird, ist der Kampf bere­its so gut wie verloren).

Ich würde mir deshalb wün­schen, dass Wis­senschaftler ein wenig mehr Spaß an ein­er Promi­nenz außer­halb ihres Fach­es hät­ten — ger­ade genug, um sie zu motivieren, die Fra­gen, Sichtweisen und Erken­nt­nisse ihres Fach­es ein­er bre­it­en Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Man muss ja nicht gle­ich eine monopo­lar­tige Ver­mark­tungs­maschiner­ie à la Sick aufziehen. Ein kleines Blog reicht.

Dieser Beitrag wurde unter Bremer Sprachblog abgelegt am von .

Über Anatol Stefanowitsch

Anatol Stefanowitsch ist Professor für die Struktur des heutigen Englisch an der Freien Universität Berlin. Er beschäftigt sich derzeit mit diskriminierender Sprache, Sprachpolitik und dem politischen Gebrauch und Missbrauch von Sprache. Sein aktuelles Buch „Eine Frage der Moral: Warum wir politisch korrekte Sprache brauchen“ ist 2018 im Dudenverlag erschienen.

27 Gedanken zu „Neidlos