Namenlandschaften 2: Kleine Räume

Von Kristin Kopf

Heute gibt es, wie ver­sprochen, Beispiele für Namen, die sehr klein­räu­mig ver­bre­it­et sind. Im ersten Teil zu Namen­land­schaften habe ich geschrieben:

Wenn ich in den Süden fahre, merke ich nicht nur am isch und kannsch und weisch, dass ich zuhause angekom­men bin, son­dern auch daran, dass die Leute plöt­zlich Him­mels­bach, Göp­pert und Ohne­mus heißen.

Vielle­icht hat ja jemand von euch die Namen schon kartiert und fest­gestellt, dass ich aus dem Orte­naukreis in Baden-Würt­tem­berg komme. Einen anderen Schluss lassen sie näm­lich wirk­lich nicht zu:

v.l.n.r.: Ohne­mus, Him­mels­bach, Göppert

Die Kleinraumnamen – Beispiel Ortenau

Ich habe aber noch unzäh­lige (oder wenig­stens zahlre­iche) weit­ere Namen gefun­den, die im Orte­naukreis mit Abstand am fre­quentesten sind. Und zwar hät­ten wir da unter den nor­mal- bis über­durch­schnit­tlich fre­quenten Fam­i­li­en­na­men (für die man also rel­a­tive Karten machen kann):

Basler, Bohn­ert, Boschert, Göhringer, Gries­baum, Schwen­de­mann, Sin­gler und Zehn­le

Und unter den sel­te­nen Fam­i­li­en­na­men (weniger als 100 Tele­fon­buchein­träge, hier sind absolute Karten angebrachter):

Bil­lian, Bill­harz, Bruch­er, Feißt/Feisst (mit ei!), Firn­er, Herten­stein, Müller­leile, Offen­burg­er und Spothelfer

Die Darstel­lun­gen dazu kön­nt Ihr selb­st basteln, sie zeigen immer einen rel­a­tiv dunkel­roten Fleck im Orte­naukreis und son­st nir­gends. Ich will noch ein bißchen auf die Entste­hung einiger der Namen eingehen.

Habe ich eigentlich mal die Geschichte erzählt, wie wir im Jahre 2006 in einem Fam­i­li­en­na­men-Pros­em­i­nar über die Pfin­gst­fe­rien eine Hausauf­gabe beka­men, bei der man eine ganze Liste von Namen ety­mol­o­gisieren musste? Ich bin brav in die Bib­lio­thek gewan­dert, habe Kohlheim und Gottschald aus dem Regal genom­men, nachge­blät­tert und alles ganz genau aufgeschrieben. Das ging so unge­fähr Lahm, Kahn, Klose, Merte­sack­er, Hitzelsperg­er, … ziem­lich am Ende ist mir aufge­fall­en, dass es sich nicht ein­fach um eine beliebige Liste irgendwelch­er Namen han­delte. Und ja, ich habe bei der WM dann sog­ar ein, zwei Spiele gese­hen. (Zum Beispiel ganz denkwürdig Deutsch­land-Schwe­den, wo wir in den ersten 20 Minuten einen Ort mit Lein­wand sucht­en und in der restlichen Zeit dann kein einziges Tor mehr fiel …)

Aber zurück zum The­ma, ich bin also auch gestern wieder in die Bib­lio­thek gegan­gen und habe einen Blick in die Büch­er gewor­fen. Et voilà:

Gries­baum

… enthält das ale­man­nis­che gries ‘Kirsche’. Das Wort kann also schon mal nur in diesem Dialek­t­ge­bi­et ent­standen sein. Es wurde ursprünglich als Flur‑, Haus- oder Ort­sna­men ver­wen­det (so wie der Kirschgarten in Mainz). Leute, die auf ein­er solchen Gemarkung oder in einem solchen Haus wohn­ten, erhiel­ten die Beze­ich­nung damit als soge­nan­nten Wohn­stät­ten­na­men. Als Haus­name kommt Gries­baum zum Beispiel in Freiburg vor (als Zum Chriesi­boum), das (mit­tler­weile nicht mehr orig­i­nale) Haus ste­ht in der Nähe des Mar­tin­stors – siehe rechts.

Zehn­le …

ist eine Verkleinerungs­form zu Zahn, also Zähn­lein. Dem -le sind eben­falls dialek­tale Gren­zen geset­zt, es kommt nur im Ale­man­nis­chen (oft als -li) und im Schwäbis­chen vor. Der Zahn im Zehn­le muss übri­gens kein echter sein, das Wort kon­nte z.B. auch für eine Felsspitze genutzt wer­den und wäre dann wahrschein­lich ein Wohn­stät­ten­name. (Andern­falls kön­nte es z.B. für jeman­den ver­wen­det wor­den sein, der beson­ders auf­fäl­lige Zähne hat­te, und wäre damit ein soge­nan­nter Übername.)

Bil­lian

.… war echt knif­flig! Den Namen gibt es im Tele­fon­buch ger­ade 47 mal, 17 davon im Orte­naukreis. Kein ander­er Land­kreis hat mehr als 3 Tele­fo­nan­schlüsse auf diesen Namen. Laut Gottschald han­delt es sich um ein altes Wort für eine mit Kupfer legierte Sil­ber­münze, alter­na­tiv gibt er Bil­lion an. Muss ja fast was mit der Zahl zu tun haben, aber ich habe keine weit­eren Hin­weise gefunden.

Offen­burg­er

… ist hinge­gen offen­sichtlich ein Herkun­ft­sname, heißt doch der Ver­wal­tungssitz des Orte­naukreis­es so. Weit sind diese Offen­burg­er ja nicht ger­ade verzogen.

Ganz grob kann man sagen: Je klein­er der Ort, desto weniger weit der Umzug. Nicht weil Leute aus kleinen Orten sich nicht in die Welt trauen, son­dern weil man diese kleinen Orte weit­er weg natür­lich nicht mehr ken­nt. Man benan­nte die Leute dann eher nach der Region, aus der sie stammten. Entsprechend find­en sich Fam­i­li­en­na­men nach kleineren Orten meist rel­a­tiv nah am Herkun­ft­sort – aber nicht zu nah, son­st kön­nte man ja jeden so nen­nen. Umgekehrt kann man aus dem geball­ten Vorhan­den­sein eines Herkun­ft­sna­mens schließen, wo unge­fähr der Herkun­ft­sort gele­gen haben müsste. Das ist ganz prak­tisch, wenn es den Ort heute nicht mehr gibt, es sich also um eine soge­nan­nte “Wüs­tung” handelt.

Im Fall der Offen­burg­er, deren absolute Karte rechts zu sehen ist, hat es grade noch in die umliegen­den Land­kreise gere­icht, mehr als einen Tele­fo­nan­schluss gibt es son­st nur in den Kreisen Emmendin­gen, Schwarzwald-Baar-Kreis und Freuden­stadt. Span­nend wäre hier eine noch genauere Darstel­lung, wo sitzen diese 21 Orte­naukreisan­schlüsse? Im ger­ade aktuellen Tele­fon­buch find­et sich auf jeden Fall nie­mand in Offen­burg selbst.

Spothelfer

… finde ich großar­tig. Das heißt auf Hochdeutsch wirk­lich Späthelfer und ist damit ein Über­name, also ein Name, der zur Charak­ter­isierung seines Trägers vergeben wurde. (Ein “Spot­tname” in diesem Fall, wie Wun­der­lich für einen Son­der­ling, Sieben­haar für einen Glatzkopf, …) So ste­ht es zumin­d­est in “Die alten Lahrer Fam­i­li­en­na­men sprachgeschichtlich unter­sucht” (Mar­ta Paulus, 1928). Der Spothelfer war damit ein­er, der immer erst kam, wenn alles schon erledigt war.

Die Form mit o ist für diese Dialek­tre­gion ganz charak­ter­is­tisch, spät heißt sch­boot, Nacht heißt Noochd, ganz heißt gonz.

Und zulet­zt noch mein Favorit: Müller­leile

Der Name hat zwei Teile, zunächst ein­mal Müller, also ein Beruf­s­name. Der Müller, der diesen Namen bekam, hat­te aber auch einen Ruf­na­men, und zwar Niko­laus. bzw. hier Niko­lai. Wenn man den verklein­ert, kriegt man das Niko­laile. Und von da braucht’s nur noch ein bißchen Schnell­sprechen und die Ver­schlei­fung zu Müller­leile ist kom­plett. (Quelle ist hier auch das Buch von Paulus.)

Wie kommt’s?

Aus den Beispie­len oben kon­nte man eigentlich schon recht gut erken­nen, warum manche Namen nur sehr klein­räu­mig verteilt sind.

Herkun­ft­sna­men “streuen” nicht so weit und es gibt super­viele davon. Jede noch so kleine Ortschaft bietet Mate­r­i­al dafür. Wenn man sich die Top 140 in Kun­zes dtv-Atlas anschaut, sind die Herkun­ft­sna­men daher ganz schlecht vertreten. Es gibt ein­fach zu viele, kein­er hat eine Chance, richtig häu­fig zu wer­den. Der erste Vielle­icht-Herkun­ft­sname taucht auf Platz 55 auf (Roth, kann aber auch ein Wohn­stät­ten- oder Über­name sein), der erste ein­deutige auf Platz 64 (Böhm). Da sind Beruf­s­na­men wie Müller oder Über­na­men wie Klein schon wesentlich uni­verseller (wobei Klein sich auch ganz inter­es­sant im West­mit­teldeutschen ballt!).

Ähn­lich schlecht für die Weltherrschaft eignen sich Wohn­stät­ten­na­men (jemand wird danach benan­nt, wo er wohnt, nicht danach, woher er zuge­zo­gen ist), da auch die Beze­ich­nun­gen für Gemarkun­gen etc. oft sehr speziell sind. (Hier ist auch Roth der erste Vielle­icht-Kan­di­dat, und der erste ein­deutige ist Busch auf Platz 90.)

Ein zweit­er Fak­tor sind Namen dialek­taler Prä­gung, wie der le-Diminu­tiv oder die a-Ver­dump­fung (a > o). Je klein­räu­miger solche Phänomene auftreten, desto begren­zter eben auch die Menge der­er, in deren Namen sie sich nieder­schla­gen können.

Außer­dem spielte bei der Namen­ver­gabe die Heili­gen­verehrung oft eine wichtige Rolle – je nach Region waren unter­schiedliche Heilige wichtig und dien­ten deshalb als Benen­nungsmo­tiv. Kun­ze (S. 42/43) hat da schöne Beispiele. So gab es den Heili­gen Quirinius von Neuß, der für Namen wie Quirein, Quer, Kiri, Gwier, Kehrein und Krings her­hal­ten musste . Als Kirchen­pa­tron im Mit­te­lal­ter gab es ihn unge­fähr im Gebi­et Utrecht-Pader­born-Straßburg-Antwer­pen mit Köln, Aachen und Tri­er im Kern. Und tat­säch­lich ist zum Beispiel Krings noch heute in Aachen am fre­quentesten. (Wie auch sein Fre­und Frings, der Hl. Severin.)

Eben­falls von Bedeu­tung ist, dass die Fam­i­li­en­na­men sich nicht in ganz Deutsch­land zur sel­ben Zeit fest­ge­set­zt haben. Während in Süd- und West­deutsch­land die flex­i­blen Beina­men, die indi­vidu­ell vergeben wer­den kon­nten, schon recht früh in feste, erbliche Fam­i­li­en­na­men umge­wan­delt wur­den (schriftlich bezeugt ab Anfang des 12. Jh.), dauerte der Prozess im Osten und Nor­den länger. So zeigen uns die Namen im Süden und West­en einen älteren Sprach­stand als die im Nor­den und Osten.

Was bringt’s?

Abge­se­hen davon, dass es alles per se super­span­nend ist, ver­wen­den viele Leute solche Erken­nt­nisse, um damit Genealo­gie zu betreiben. Je sel­tener und lokaler ein Name da ist, desto bess­er, denn dann weiß man, wo man in die ganzen alten Kirchen­büch­er etc. schauen muss.

Außer­dem kön­nte ich mir vorstellen, dass so etwas für Schrift­steller inter­es­sant sein kann: Eine regionale Veror­tung kann ziem­lich leicht über Namen erfol­gen. Meist hat man das ja einiger­maßen im Gefühl, aber mal nach­schauen schadet sich­er nicht und bere­ichert das Inven­tar. Was ich richtig cool fände: Wenn man solche Namen mal ver­wen­den würde, wo man son­st immer sagt “Herr Müller hat ein Kilo Äpfel und will es für drei Mark Euro verkaufen …”

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