Das Wortwahl-Abo

Von Susanne Flach

Das „Unwort des Jahres 2012“ ist Opfer-Abo. Gestern hat die Jury um die Sprach­wis­senschaft­lerin Nina Janich von der Tech­nis­chen Uni­ver­sität Darm­stadt bekan­nt gegeben, dass man heute auf ein­er Pressekon­ferenz das Gewin­ner­wort bekan­nt geben wird. Dementsprechend hoch war dann heute mor­gen die Quote der EIL-Meldungen.

Bei vie­len Gewin­ner­wörtern von Wort­wahlen weiß man meis­tens nicht, wer’s erfundn hat. ((Erfind­ung irrel­e­vant. Das schlechte Wort­spiel war wichtig.)) Hier nicht: im Herb­st 2012 wollte son Schweiz­er Wet­ter­mod­er­a­tor sein Buch unters Volk jubeln. Aber weil es ihm offen­bar nicht reichte, der Welt seine per­sön­lichen Erfahrun­gen mit der deutschen Jus­tiz mitzuteilen, unter(be)stellte er im Umfeld der Buchveröf­fentlichung (für) Frauen ein kosten­los­es Opfer-Abo. Was er damit meint? Die „effek­tive Waffe“ ein­er ganzen Armee von rach­süchti­gen Frauen im „kollek­tiv­en Blu­trausch“, die sich am Chef „rächen“ wollen oder damit „prob­lem­los“ vom Ex-Part­ner das Sorg­erecht erstre­it­en kön­nen. Kurz: Das Abo bein­hal­tet die Opfer­rolle für Täterin­nen frei Haus und einen Gutschein­coupon für die Kneipp­kur durch die deutsche Jus­tiz. Seine Frau set­zte noch einen drauf und sprach von ein­er ganzen „Opferindus­trie“, die „weg müsse“.

Moment, jault die innere Stimme, eigentlich soll’s doch um die Wort­wahl gehen. Denn die Frage, ob der Wet­ter­frosch ein Opfer-Opfer ist oder nicht, ste­ht über­haupt nicht zur Debat­te; sie [die Frage] ist zumin­d­est für die Gedanken­welt des Wortschöpfers irrelevant.

Wir sind bei Wort­wahlen bekan­ntlich immer eher ein wenig skep­tisch. Aber in den ver­gan­genen Jahren hat die Jury zum „Unwort des Jahres“ nicht immer völ­lig daneben gegrif­f­en (vor allem nicht zu alter­na­tiv­los). Und auch für 2012 ist die Wahl der Jury im Wort­grunde richtig und die Begrün­dung  treffend:

Das Wort „Opfer-Abo“ stellt in diesem Zusam­men­hang Frauen pauschal und in inakzept­abler Weise unter den Ver­dacht, sex­uelle Gewalt zu erfind­en und somit selb­st Täterin­nen zu sein. Das hält die Jury angesichts des drama­tis­chen Tatbe­stands, dass nur 5–8 % der von sex­ueller Gewalt betrof­fe­nen Frauen tat­säch­lich die Polizei ein­schal­ten und dass es dabei in nur bei 3–4 % der Fälle zu ein­er Anzeige und einem Gerichtsver­fahren kommt, für sach­lich grob unangemessen. Das Wort ver­stößt damit nicht zulet­zt auch gegen die Men­schen­würde der tat­säch­lichen Opfer.

Damit entspricht Opfer-Abo den Nominierungskri­te­rien, die sich die Jury geset­zt hat (Kri­teri­um: Men­schen­würde). Denn das per­fide an der kachel­mannschaftlichen Kriegsrhetorik ist die Gen­er­al­isierung, die Verunglimp­fung von Opfern sex­ueller Gewalt und die krasse Igno­ranz gegenüber ein­er anderen Real­ität. Auf eine Studie dieser anderen Real­ität bezieht sich die Jury expliz­it (BMFSFJ 2012). ((Bun­desmin­is­teri­um für Fam­i­lie, Senioren, Frauen und Jugend. 2012. Lebenssi­t­u­a­tion, Sicher­heit und Gesund­heit von Frauen. Ergeb­nisse ein­er repräsen­ta­tiv­en Unter­suchung zu Gewalt gegen Frauen in Deutsch­land. Kurz­fas­sung. Berlin & Bonn. [Link]))

Die Frage nach dem Unwort-Sta­tus ist also gän­zlich unstrit­tig. Was aber zweifel­haft ist — wenn auf eine zweite Art nicht sog­ar prob­lema­tisch — ist die Ver­bre­itung des Begriffs. (Die Fre­quenz des „Hä?“-Moments im Bekan­ntenkreis heute mor­gen war hoch.) Es ist kein Tre­f­fer zu find­en, der nicht im Zusam­men­hang mit Kachel­mann ste­ht. In Ord­nung, damit wäre der Wortschöpfer rel­a­tiv ein­deutig iden­ti­fiziert (was nicht auss­chließt, dass der Begriff so oder so ähn­lich in kleinen Kreisen bere­its kur­sierte). Nun ist Fre­quenz und Ver­bre­itung in der Sprachge­mein­schaft ja nicht bei jed­er Wahl ein Kri­teri­um und ste­ht bei dieser hier auch nicht sooo im Vorder­grund. Aber wie auch in den ver­gan­genen Jahren muss man sich die Frage stellen, ob sich ein Wort von ein­er Per­son in einem zeitlich und kon­textlich so gebun­de­nen Zusam­men­hang wirk­lich als „Unwort des Jahres“ für eine Sprachge­mein­schaft qual­i­fiziert. Schwierig, schwierig, ich sag’s, wie’s is.

Prob­lema­tisch kön­nte die Bekan­nt­gabe den­noch sein.

Näm­lich, weil sie es bekan­nt gegeben gemacht haben. Im wahrsten Sinne des Wortes. Die Google-Tre­f­fer für Opfer-Abo liegen heute bei etwa 9,600 — fil­tert man Unwort her­aus, bleiben etwa 1,270. Wenn wir naiv-lin­ear rech­nen, schaut es wohl so aus, dass etwa 85% der Tre­f­fer direkt mit der Jury-Wahl und deren heutiger Bekan­nt­gabe im Zusam­men­hang ste­hen. So gese­hen wirkt das fast ein wenig wie ein Lehrbuch­beispiel des Streisand-Effek­ts. Denn man sollte nicht noch naiv­er davon aus­ge­hen, dass die Ver­bre­itung heute auf allen Kanälen nicht von gewis­sen Men­schen eine willkommene Ergänzung des Lexikons sein dürfte.

Rel­a­tiviert wird die Prob­lematik ander­er­seits durch die allein logis­che Über­legung, dass eine Nominierung für ein Unwort von Men­schen kommt, die das aus gutem Grund (und hier zu Recht) als Unwort nominieren — weil sie sich selb­st oder andere men­sche­nun­würdig verunglimpft sehen. Die „Ini­tia­tive für Gerechtigkeit bei sex­ueller Gewalt“ hat am 28. Dezem­ber mit Ver­weis auf die BMFS­FJ-Studie Opferindus­trie nominiert (die Wortschöp­fung von Miri­am Kachel­mann). Unter­mauert hat man die Nominierung mit einem Offe­nen Brief mit ange­hängter Unter­schrifte­nak­tion — wom­it man einen Offe­nen Brief und eine Unter­schrifte­nak­tion über dem Nominierungsaufruf der Jury lag. Ein Kom­men­tar von „Ver­schiede­nen“ bei der Mäd­chen­mannschaft, der dort der Inti­tia­tive zugeschrieben wird, hat die Gefahr gese­hen, davor gewarnt — und offen­bar in Kauf genommen.

Schlussendlich bleibt noch der nachgeschobene Kom­men­tar, dass wir eine Art Wortre­cy­cling beobacht­en. In der Zuschauer­gun­st lag Schleck­er-Frauen ganz vorne, was wiederum bei der Wahl zum „Wort des Jahres“ immer­hin auf Platz 4 lan­dete. Und als man das „Wort des Jahres“ wählte, Ret­tungsrou­tine, dachte ich: Ist denn schon Jan­u­ar? Oder wür­den Sie ohne Wort­wahl-Abo auf Anhieb Net­zhet­ze, Bil­dungsab­wen­dung­sprämie, frei­williger Schulden­schnitt und Lebensleis­tungsrente tre­ff­sich­er ein­er Wahl zuord­nen kön­nen? Diese Wahlen sind alle irgend­wie so, hm, verwechselbar.

Bis auf eine halt.

 

 

20 Gedanken zu „Das Wortwahl-Abo

  1. Muriel

    Well, there’s your prob­lem. Ich finde Men­schen­würde als Kri­teri­um sehr ungün­stig. Der Begriff ist so schwammig, und das Konzept, ein Wort kön­nte gegen jeman­des Men­schen­würde ver­stoßen (Wie ver­stößt man über­haupt gegen abstrak­te Konzepte?), für mich so abwegig, dass ich da gle­ich unwohl fühle.
    Das Wort unter­stellt einen Tatbe­stand, der nicht der Real­ität entspricht. Es impliziert wahrheitswidrig, dass es generell für Frauen irrsin­nig leicht ist, sich als Opfer darzustellen, und dass sie das sys­tem­a­tisch miss­brauchen, und das ist unanständig. Reicht doch.
    Wozu jet­zt noch das Fass Men­schen­würde aufmachen?

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  2. hedwig

    Ich stimme Muriel zu. All­ge­mein empfinde ich es nicht als notwendig, das Unwort des Jahres auf ein bes­timmtes (oder eben unbes­timmtes) The­ma festzulegen.
    Unwort würde ich als ein Wort, das das Sprachver­ständ­nis erhe­blich irri­tiert indem es, wie Muriel schon meinte, “einen Tatbe­stand sug­geriert, der nicht der Real­ität entspricht” und somit manip­u­la­tiv auf die Wahrnehmung des Lesers einwirkt.
    Für mich war auf jeden Fall die Lebensleis­tungsrente der Favorit. Ein schön­er alt­modis­ch­er Polit- Euphemismus.

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  3. Christoph Päper

    Och, wenn man „Opfer­abo“ auf eine bes­timmte Per­son statt auf eine Gruppe und dies eher im Bezug auf die (boule­vardeske) Presseöf­fentlichkeit als den Rechtsstaat bezöge, dann wäre es mitunter gar nicht so unpassend. 

    Das ist eben das Dilem­ma dieser „Unwörter“: die meis­ten wur­den lediglich ein­ma­lig, aber promi­nent, in einem bes­timmten Kon­text men­sche­nun­würdig o.ä. gebraucht. Die Kri­tik läuft also – anders als durch den Namen sug­geriert wird – nicht auf lexikalisch-seman­tis­ch­er Wor­tebene, son­dern auf rein sit­u­a­tiv-kom­mu­nika­tiv­er Sprechaktebene.

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  4. S.

    Bis gestern habe ich “Opfer-Abo” nicht ein einziges Mal gehört oder gele­sen. Allem Anschein nach war es eine ein­ma­lige Ent­gleisung Kachel­manns, der nach Mei­n­ung viel­er Men­schen von der Jus­tiz in nicht nachvol­lziehbarem Maß durch die Man­gel gedreht wurde. Am Anfang sein­er Odyssee stand eben die mut­maßliche Falschbeschuldigung durch das vorge­bliche Opfer, und so ist dieser hässliche Neol­o­gis­mus zu erk­lären, wenn auch nicht zu entschuldigen.

    So viele Monate, nach­dem “Opfer-Abo” wie ein Tropfen im Ozean ver­schwand, diesen Vor­fall noch ein­mal aufzurollen: dieses Vorge­hen befremdet. Muss man Kachel­mann jet­zt als Unhold wieder an den Pranger stellen? Als Urhe­ber eines Unworts, das die Men­schen­würde mit Füßen tritt?

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    1. Susanne Flach Beitragsautor

      @S.: Es geht nicht um eine ein­ma­lige Ent­gleisung — son­dern ste­ht für symp­to­ma­tisch für eine Geis­te­shal­tung, wie sie lei­der viele teilen. Das — und bei aller berechtigten Kri­tik daran, diesen „Vor­fall“ wieder aufzurollen — war dementsprechend die Moti­va­tion der Jury.

      @Christoph Päper: ja, als so eine Ref­erenz auf eine einzelne Per­son, die etwa nur Pech hat oder unbe­wusst, aber mutwillig Öffentlichkeit auf sich bezieht, hat­te ich es zuerst auch inter­pretiert. Dann wäre es aber auch kein guter Kan­di­dat fürs Unwort gewe­sen, vor allem nicht anhand der Kri­te­rien, die die Jury geset­zt hat.

      @Muriel/hedwig: Men­schen­würde ist ein Kri­teri­um für die Nominierung/Wahl, aber nicht das alleinige. Bei der Schwammigkeit gebe ich Ihnen ein Stück weit recht, das trifft aber auf alle abstrak­ten Konzepte zu — aber kann/sollte uns nicht daran hin­dern, nicht auch der­ar­tige Ver­stöße als Ver­stöße azuerken­nen. Zwar ver­stoßen Sie pro­to­typ­isch z.B. gegen Verkehrsregeln — die sind inhärent eben­so abstrakt, nur haben wir sie eben rechtlich definiert (was ihnen einen konkreten Charak­ter gibt). Aber dass der Begriff ver­ach­t­end ist, Opfer sex­ueller Gewalt zu beze­ich­nen, ist unstrit­tig — aber wie wür­den Sie es beze­ich­nen? Ist es nicht unwürdig, jeman­den an seinem Selb­st­bes­tim­mungsrecht (näm­lich in diesem Fall dem, Gewalt gegen den eige­nen Kör­p­er zur Bestra­fung zu brin­gen) zu hin­dern? Das wäre mein Ver­such, (Menschen)Würde zu definieren. Gegen eine Art Diskri­m­inierung auf Grund­lage des Geschlechts (immer­hin haben nur Frauen das „Opfer-Abo“)? Kann Würde nicht kodiert wer­den kann, weil ihr ein rein philosophis­ch­er Moral­be­griff zugrunde liegt, der der Real­ität nicht zugänglich ist? Schwammig ist der Begriff Würde nur in der Hin­sicht, weil Moral nicht kodiert ist, wird oder wer­den kann — die Ausle­gung (oder Def­i­n­i­tion) von Men­schen­würde ist natür­lich häu­fig schwammig, in vie­len Fällen über­stra­paziert. Wo Opfer ver­höh­nt wer­den, ist das ein Ver­stoß gegen die Würde des Men­schen (die Moti­va­tion der Jury), weil es auch noch ein zweites Mal „bestraft“ wird. Das ist aber unter­schiedlich von der Frage, ob ich mich durch die Beze­ich­nung „Arschloch“ sub­jek­tiv belei­digt fühle.

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      1. Muriel

        @Susanne Flach: Danke für die aus­führliche Antwort.

        Bei der Schwammigkeit gebe ich Ihnen ein Stück weit recht, das trifft aber auf alle abstrak­ten Konzepte zu

        Klar. Ich sehe allerd­ings bei der Men­schen­würde über­haupt keinen sin­nvollen Gehalt. Mag an mir liegen.

        Ist es nicht unwürdig, jeman­den an seinem Selb­st­bes­tim­mungsrecht (näm­lich in diesem Fall dem, Gewalt gegen den eige­nen Kör­p­er zur Bestra­fung zu brin­gen) zu hindern?

        Das ist ja nun was anderes. Zumin­d­est würde ich diesen Satz so ver­ste­hen, dass es den Täter entwürdigt, es zu tun. Und dass das Opfer an Würde ver­liert, weil jemand den Strafanspruch in Zweifel zieht, würde ich auch zurückweisen.
        So oder so finde ich den Aspekt Würde völ­lig uner­he­blich. Wo ein fass­bar­er Schaden entste­ht, brauchen wir ihn nicht, und wo kein­er entste­ht, führt er nur in die Irre. Denke ich. Aber vielle­icht stre­it­en wir da auch bloß um des Kaisers Bart.

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  5. Thomas

    Die Befürch­tung, dass das (Un-)Wort durch die Neg­a­ti­vausze­ich­nung erst pop­ulär gemacht wird, ist etwas über­trieben, denke ich. Wenn man gegenüber jeman­den, der von Kachel­manns Inter­view nichts weiß, das Wort Opfer­abo benutzt, dann wird er wahrschein­lich nicht ver­ste­hen, was es bedeuten soll. Ich habe es nach dem Lesen des Inter­views so ver­standen (und erst dann): Jemand hat ein Opfer­abo, wenn er für sich stets die Rolle des Opfers beanspruchen kann. Das ist aber ein selt­samer Gebrauch des Wortes Abo. Ein Abon­nement ist ja eine Zusicherung der regelmäßi­gen Ver­füg­barkeit ein­er Leis­tung, üblicher­weise gegen ein entsprechen­des Ent­gelt. Wörtlich (und nicht anders kann man es beim ersten Hören auf­fassen) bedeutet es also für Frauen ein Opfer­abo zu besitzen, dass sie regelmäßig Opfer zum Vorzugspreis bekom­men? Vielle­icht wäre Opfer­rol­len­abo tre­f­fend­er. Oder noch bess­er Opfer­rol­len­priv­i­leg, dann wäre man den Aspekt der Gegen­leis­tung los. Schließlich haben Frauen laut Her­rn Kachel­mann das Opfer­abo nur deswe­gen, weil sie Frauen sind.

    Was man auf jeden Fall erwäh­nen sollte (soll auch heißen: warum ist das hier nicht geschehen?), ist die falschen Schreib­weise, die der Spiegel aus dem Inter­view ver­schriftlicht hat, und die nun durch die Ausze­ich­nung ver­bre­it­et wird. Umso schw­er­er wiegt dabei, dass die Jury ja größ­ten­teils aus Sprach­wis­senschaftlern beste­ht. Jet­zt fühlen sich all die Jour­nal­is­ten bestätigt, die diese blödsin­ni­gen Binde­strichkon­struk­tio­nen benutzen (allen voran der Spiegel selbst).

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  6. Kristin Kopf

    @Thomas: Der Binde­strich hat hier einen Sinn und ich würde ihn nicht mis­sen wollen. Immer dann, wenn ein Zweit­glied mit Vokal anlautet, kann es näm­lich beim Lesen zu falschen Seg­men­tierun­gen kom­men, die das Ver­ständ­nis behindern.
    Opfer­abo würde von sehr vie­len LeserIn­nen zuerst als Opfe-rabo gele­sen und müsste dann erneut geparst werden.

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    1. Thomas

      Das glaube ich nicht, da unter­schätzt du die Leser und Leserin­nen. Wed­er Opfe noch rabo sind deutsche Wörter. Es kann hier nicht zu einem Missver­ständ­nis kom­men, und außer zur Ver­mei­dung von Missver­ständ­nis­sen darf man hier den Binde­strich nicht benutzen.

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      1. Kristin Kopf

        Natür­lich merkt man das inner­halb von Sekun­den­bruchteilen und repari­ert es, nie­mand wird das Wort let­ztlich nicht ver­ste­hen, aber die Irri­ta­tion ist den­noch da, glaub mir. Ich bilde mir ein, dass es dazu auch Stu­di­en gibt — wenn ich Zeit habe, schaue ich mal nach.

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  7. Tg

    Sprachquark hin, Sprachquark her, es ging bei Kachel­manns Aus­sage um eine Mei­n­ung, und die ist per se okay. Sprachkri­tik ist hier das let­zte, was es braucht: es geht um Medi­enkri­tik. Eben­sogut hätte die Jury auch Kachel­manns mantramäßig vor­ge­tra­ge­nen “Vollp­fos­ten­jour­nal­is­mus” ausze­ich­nen können.
    Dass Kachel­mann angesichts sein­er Erleb­nisse heftig austeilt, sei ihm zuge­s­tanden. Aber das Recht haben natür­lich auch seine Kri­tik­er, wie etwa hier mal ange­merkt: http://spiegelkritik.de/2011/12/10/beleidigungsfreiheit-ist-ein-grundrecht/

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    1. Susanne Flach Beitragsautor

      @Tg: Erst­mal: natür­lich hat Kachel­mann ein Recht auf seine Mei­n­ung — aber erstens ging es in dem Beitrag (oder vielmehr: für die Jury) nicht um dieses Recht, son­dern um eine (berechtigte) Kri­tik am Inhalt sein­er Aus­sage. So gese­hen lassen sich Sprachkri­tik und Medi­enkri­tik gar nicht voneinan­der tren­nen, obwohl die Sprachkri­tik (oder: Gesellschaft­skri­tik) hier im Vorder­grund steht.
      Zweit­ens: „Vollp­fos­ten­jour­nal­is­mus“ und „Arschloch“ fall­en in sehr ähn­liche (oder die gle­iche) Kategorie(n). Sie sind auf die Hand­lung bzw. sub­jek­tive Ein­schätzung des Ver­hal­ten desjeni­gen bezo­gen, der damit beze­ich­net wer­den soll. Sie sind genau durch das gedeckt, was Sie schreiben: Mei­n­ungs- und/oder Belei­di­gungs­frei­heit. Da ist auch kein diskri­m­inieren­des Ele­ment zu erken­nen (bezüglich des Geschlechts, z.B.). Das ist bei „Opfer-Abo“ aber anders. Hier wer­den nur Frauen beze­ich­nend, mehr noch, hier wer­den Frauen ver­all­ge­mein­ernd beze­ich­net; für Opfer von Gewalt (egal, ob sie es zur Anzeige brin­gen oder im Dunkeln bleiben) dürfte das eine echte Erniedri­gung sein.

      Es lässt tief blick­en, dass Herr Kachel­mann sich durch „Arschloch“ belei­digt fühlt (meine Fresse!), sich über die Wahl „Opfer-Abo“ aber offen­sichtlich sehr gefreut hat.

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  8. Thomas

    @Kristin Kopf: Nach dem gle­ichen Prinzip müsste man ver-eidigt, ver-engt und Trauer-Allee schreiben. Das tut man aber nicht, weil ein unnötiger Binde­strich mehr irri­tiert als das zufäl­lige Aufeinan­dertr­e­f­fen von nicht zusam­menge­hören­den Kon­so­nan­ten und Vokalen. Der Binde­strich wird ja ger­ade dann benutzt, wenn ein Zusam­men­schreiben nicht möglich ist. Zum Beispiel ist eine Blut-Orange keine Blu­tor­ange, son­dern eher eine Frucht aus der Hölle, aus der beim Auf­schnei­den echt­es Blut tropft.

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    1. Susanne Flach Beitragsautor

      Sie überse­hen dabei, dass es sich bei verei­digt und verengt um lexikalisierte (kon­ven­tion­al­isierte) Lex­eme, bei Opfer-Abo aber um einen Neol­o­gis­mus han­delt. Was kon­ven­tion­al­isiert ist, unter­liegt sel­tener ein­er fehler­haften Seg­men­tierung (obgle­ich sie nicht aus­geschlossen ist -> klas­sis­che „Ver­leser“). Bei Ihrem Beispiel Blut-Orange haben wir so gese­hen eine neue, unge­wohnte Lesart (obwohl mir wirk­lich nicht klar ist, was das sein soll -> QED).

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  9. Thomas

    @Susanne Flach: Ich habe bloß die Regel in Frage gestellt, die Kristin Kopf aufgestellt hat. Zusam­menset­zun­gen von Sub­stan­tiv­en wer­den prinzip­iell zusam­mengeschrieben. Es kann hier nur Aus­nah­men geben, wenn eine blanke Zusam­men­schrei­bung nicht ohne Infor­ma­tionsver­lust durch­führbar ist. Dafür muss es aber ein­deutige Kri­te­rien geben. Nur weil eine Zusam­menset­zung bish­er in keinem Wörter­buch auf­taucht, kann sie keine Aus­nahme bilden.
    Und wie gesagt: Dass man unter Umstän­den im ersten Moment eine unmissver­ständliche Zusam­menset­zung falsch seg­men­tiert, kann kein Grund für einen Binde­strich sein, denn dieser behebt nicht, dass man am Wort hän­gen bleibt.

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    1. Kristin Kopf

      @Thomas: Ich glaube das Prob­lem ist, dass Du unbe­d­ingt eine Regel haben willst. Ich habe keine aufgestellt, ich habe geschrieben, dass es bei vokalis­chem Anlaut zu fehler­haften Seg­men­tierun­gen kom­men kann. (Eine sehr verkürzte Darstel­lung, es gibt auch best. Kon­so­nan­tenkom­bi­na­tio­nen, bei denen so etwas auftreten kann etc.) Dass das, wie Suz hinzuge­fügt hat, in erster Lin­ie dann passiert, wenn man ein Schrift­bild noch nicht ken­nt (d.h. bei Neu­bil­dun­gen, wie eben Opfer-Abo), ist nur logisch und hätte ich eigentlich auch erwäh­nen müssen. Einen Binde­strich bei Wörtern wie Hau­sangestell­ter würde ich auch nicht ein­fordern. (Aber der Binde­strichge­brauch im Deutschen verän­dert sich, mal schauen, was da in ein paar Jahrzehn­ten Usus ist — eine sehr span­nende Sache, finde ich.)

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      1. Muriel

        Falls es jeman­den inter­essiert: Ich als Außen­ste­hen­der bin auch eher für den Binde­strich und halte die Gefahr eines Opfe-Rabo-Ver­lesens für sehr einleuchtend.
        Nicht, dass ich es bess­er beurteilen kön­nte als jemand anders und meine Mei­n­ung deshalb Gewicht hätte…

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  10. Thomas

    @Kristin: Es ist ja nicht so, dass es keine Regel gäbe. Neue und alte Rechtschrei­bung leg­en genau fest, wie man den Binde­strich benutzt. Ich finde es nicht zu viel ver­langt, dass eine Jury sich an die Regeln der Rechtschrei­bung hält, wenn sie sich schon her­aus­nimmt ein deutsches Unwort des Jahres zu küren.

    @Muriel: Ja, jed­er ver­li­est sich mal. Aber Satzze­ichen sind nicht dazu da, das zu ver­hin­dern. Es liegt bei dem Schreiben­den eventuell durch Umfor­mulierung die generelle Les­barkeit sicherzustellen. Da das Ver­lesen beim Opfer­abo keine Ver­ständ­nis­prob­leme bere­it­et und hier keine Möglichkeit der Umfor­mulierung beste­ht, kann man also get­rost bei der richti­gen Schreib­weise bleiben.

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    1. Muriel

      @Thomas: Naja. Es gibt zwar hierzu­lande in der Tat amtliche Regelun­gen zur Rechtschrei­bung, aber ger­ade in so einem Fall halte ich es nicht für angemessen, binär zwis­chen richtiger und falsch­er Schreib­weise zu unterscheiden.
      Alles ist so richtig und so falsch, wie es dem Zweck dient, den ich verfolge.
      Wenn mein Ziel ist, genau den amtlichen Regeln zu entsprechen, ist Opfer-Abo wohl falsch.
      Wenn es mein Ziel ist, Stör­mo­mente zu ver­mei­den und die Les­barkeit zu opti­mieren, ist Opfer-Abo in meinen Augen die bessere Lösung. Für echte Klarheit bräucht­en wir da wohl eine Studie, aber auf den ersten Blick scheint es mir doch sehr plausibel.

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