Von alten Säcken und alten Damen

Von Anatol Stefanowitsch

Es fällt der taz in let­zter Zeit sichtlich immer schw­er­er, das eigene Niveau noch zu unter­bi­eten, aber Matthias Lohre ist es diese Woche wieder ein­mal gelun­gen: Er hat einen Text ver­fasst, der so unterirdisch verblödet und so unglaublich schlecht recher­chiert ist, dass man ern­sthafte Zweifel hegen muss, ob Texte bei der taz einen redak­tionellen Prozess durch­laufen, bevor sie freigeschal­tet werden.

Eine „neue Form der Diskri­m­inierung“ will der Kolum­nist gefun­den haben, eine, die er – offenkundig ganz ohne sich müh­sam mit der Forschungslit­er­atur zu Diskri­m­inierung zu befassen, mit inspiri­ert-beschwingtem Fed­er­strich „Alters­geschlechts­diskri­m­inierung“ nen­nt. Und die tre­ffe — wait for it — „auss­chließlich Män­ner, alte Männer“.

Für eine der­ar­tig absurde Behaup­tung dürften die für gesellschaftliche Diskri­m­inierung ver­mut­lich über­durch­schnit­tlich sen­si­bil­isierten LeserIn­nen der taz über­wälti­gend überzeu­gende Belege erwarten. Und diese Erwartung wird umge­hend mit ein­er Kon­se­quenz ent­täuscht, wie sie derzeit nur die taz an den Tag leg­en kann. Und da die Belege rein sprach­lich­er Natur sind, greife ich sie im Sprachlog kurz auf, obwohl Felis die wesentliche Antwort bere­its geliefert hat.

[Hin­weis: Der fol­gende Text enthält Beispiele sex­is­tis­ch­er und alters­diskri­m­inieren­der Sprache.]

Es ist näm­lich so“, erk­lärt Herr Lohre:

Nicht alle Men­schen altern auf dieselbe Art. Frauen reifen im all­ge­meinen Sprachge­brauch nach und nach zu „alten Damen“. Män­ner hinge­gen wer­den besten­falls „alte Män­ner“, häu­fig aber auch „alte Säcke“. Nur Ker­le kön­nen alte Säcke wer­den. Das liegt den Schluss nahe, dass diese Beze­ich­nung etwas mit dem Geschlecht des Beze­ich­neten zu tun hat. Um ein alter Sack zu wer­den, braucht man also einen Hoden­sack. Das ist doch arg unfein.
Oder wäre es hierzu­lande kom­mod, eine nicht mehr junge Frau dafür zu schmähen, dass sie schon etwas länger lebt? Sich­er, es gibt die Beze­ich­nung „alte Schachtel“, aber die klingt ger­adezu putzig.

Wie schon Felis kann auch ich das „putzige“ an alte Schachtel nicht ent­deck­en. Schachtel ist ein der­ber, grob abw­er­tender Aus­druck für „Vagi­na“, alte Schachtel wäre deshalb eher mit alter Schwanz gle­ichzuset­zen als mit dem ver­gle­ich­sweise harm­losen alter Sack, bei dem keineswegs klar ist, dass es sich auf den Hoden­sack bezieht (man ver­gle­iche z.B. abfäl­lige Aus­drücke wie Geld­sack oder Pfeffersack).

Vor allem fällt aber auf, dass sich alte Schachtel in eine lange Rei­he abw­er­tender Aus­drücke für alte Frauen ein­rei­ht: ange­fan­gen mit dem auf die sex­uelle Defek­theit unver­heirateter alter Frauen abzie­lende alte Jungfer über Aus­drücke wie alte Hexe oder alter Drache, die sich auf das ver­meintlich her­rische (ha!) Wesen alter Frauen beziehen, Aus­drücke wie alte Schraube und alte Schrulle, die deren Geis­teszu­s­tand infrage Stellen, bis zu alte Schlampe und alte Vet­tel, die sich auf man­gel­nde Ord­nung und Kör­perpflege beziehen. Dazu kom­men eine Rei­he von Wörtern aus dem Tier­re­ich, die sich eben­falls in diese Kat­e­gorien einord­nen lassen: alte Ziege, alte Eule, alte Wach­tel, alte Krähe, altes Sup­pen­huhn, alte Glucke, alte Kuh und alte Schabracke (‘Pferd’) oder Wörter für diverse Gegen­stände, die auf Frauen angewen­det meis­tens abw­er­tend über deren Ausse­hen urteilen: alte Schrippe, altes Reff (‘Gerippe’), alte Scharteke (‘wert­los­es Buch’), altes Reg­is­ter und alte Schese. Und schließlich erhal­ten Ver­wandtschafts­beze­ich­nun­gen auf alte Frauen angewen­det eine abw­er­tende Bedeu­tung: altes Müt­terchen, alte Tante , alte Oma. Nicht zu vergessen das alte Weib mit schö­nen Ableitun­gen wie Altweibergeschwätz, Altweibergewäsch, Altweiber­märchen, usw.

Gegen diese lange Liste sieht das von Lohre dem alten Sack so durch­sichtig merk­be­fre­it gegenübergestellte alte Dame etwas ein­sam aus. Es ist aber natür­lich sowieso nicht das Gegen­stück zu alter Sack, son­dern zu alter Herr. Auch die Liste von weit­eren Aus­drück­en für alte Män­ner liest sich erstaunlich kurz. Als da wären: alter Knabe und alter Kerl, die nicht beson­ders abw­er­tend sind, das eher liebevoller alter Esel, sowie die abfäl­li­gen Aus­drücke alter Opa, alter Bock, und alter Knack­er. Kein­er davon bezieht sich auf das Ausse­hen oder die Hygiene alter Män­ner oder ihren Gemüts- oder Geis­teszu­s­tand. Und besten­falls alter Bock bezieht sich auf ihre Sex­u­al­ität, wobei darin dur­chaus etwas Anerken­nen­des mitschwingt.

Ja, ich sehe da eine Alters­geschlechts­diskri­m­inierung, aber sie find­et genau dort statt, wo sie zu erwarten wäre: In der Schnittmenge zwis­chen ohne­hin diskri­m­inierten Frauen und ohne­hin diskri­m­inierten alten Men­schen. Ein Blick ins Wörter­buch hätte der taz und ihren LeserIn­nen also Lohres ganzen pein­lichen Besin­nungsauf­satz erspart.

Aber das ist ja nicht alles. Lohre hat noch mehr Belege:

Ins­beson­dere ältere Män­ner, die sex­uelles Inter­esse an jün­geren Frauen zeigen, han­deln sich das Etikett „alter Sack“ ein. Früher galt Ähn­lich­es für die Lust älter­er Frauen. Das ändert sich. Begehrt heute eine ältere Frau einen jün­geren Mann, heißt das „Cougar Town – 40 ist das neue 20“ und läuft auf Sixx.

In der Tat, im amerikanis­chen Englisch gibt es den medi­al geschöpften Aus­druck Cougar für Frauen mit­tleren Alters, die auf sex­uelle Aben­teuer mit deut­lich jün­geren Män­nern aus sind (medi­al geschöpft wer­den musste er deshalb, weil dieses Phänomen außer­halb der Medi­en eine eher mar­ginale Rolle spielt).

Aber für den umgekehrten Fall von Män­nern mit­tleren Alters, die auf sex­uelle Aben­teuer mit deut­lich jün­geren Frauen aus sind, gibt es natür­lich eben­falls ein Wort. Es lautet aber nicht, wie Lohre glaubt, alter Sack. Es lautet Mann, denn Män­ner müssen sich für ihre Sex­u­al­ität nicht rechtfertigen.

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