In der WELT schreibt Matthias Heine davon, dass ein gutes deutsches Wort die Fliege mache: der Hubschrauber (und vom Helikopter ersetzt wird). Daran hegte Leserin Viola Zweifel und fragte Anatol, ob er sich der Frage in einer ruhigen Minute annehmen könnte. Ruhige Minuten sind momentan leider rar gesät, aber da ich heute keine Vorlesung habe (wie Anatol) und auch keine Buchreise (wie Kristin), hier die Ergebnisse meiner kleinen Fingerübung.
Anatol schaute in einer ruhigen Sekunde schon mal auf dem Google Ngram Viewer nach. Hier gibt es zunächst wenig Grund, von einem fliegenden Wechsel von Hubschrauber zu Helikopter auszugehen:
Beide Begriffe nehmen zu, aber das Verhältnis bleibt über die Zeit ziemlich konstant; Hubschrauber macht meist (und immer) noch etwa 75–80% aus.
Im Deutschen Referenzkorpus (DeReKo) sieht das ein bisschen anders aus: dort scheint Hubschrauber seit 1990 gegenüber Helikopter tatsächlich immer weiter zurückzugehen und liegt heute im Schnitt unter 60%: ((Vor 1990 gibt es sehr wenige Treffer: dort hat Helikopter bis 1960 einen Anteil von 7%, in den 1980ern einen Anteil von 10% an den Gesamtvorkommen.))
(Die unterschiedliche Darstellungsform liegt daran, dass die Daten von Ngram in relativen und im DeReKo in absoluten Zahlen ausgegeben wird, meine ruhige Stunde aber begrenzt ist.)
Wie lässt sich dieser Widerspruch erklären? Man sollte zunächst von einem Registerunterschied ausgehen: das DeReKo besteht fast ausnahmslos aus Zeitungstexten, GoogleBooks allerdings aus nahezu jeder Art von veröffentlichtem Text (außer Zeitungen und Zeitschriften). Es muss also kein Widerspruch per se sein, sondern deutet eher auf ein Textsortenphänomen: Hubschrauber verschwindet offenbar aus der Zeitungssprache.
Dafür spräche etwa, dass im DeReKo Hubschrauber in weniger technokratischen oder schriftsprachlichen Unterkategorien weiterhin in der Mehrzahl ist, wie etwa in Wikipedia & Diskussionen (79%), Leserbriefen (84%) oder Plenarprotokollen (97%). Dafür spricht außerdem, dass in Korpora mit Webdaten (hier: COW), die der gesprochenen Sprache etwas näher kommen, der Anteil von Hubschrauber auch bei etwa 75% liegt. Unterschiedliche „Formalität“ könnte also die unterschiedliche Entwicklung zwischen DeReKo und GoogleBooks erklären.
Die andere, eher semantische Frage ist, ob Heine mit seiner Einschätzung recht hat: „[E]in Hubschrauber ist nun tatsächlich exakt dasselbe wie ein Helikopter“. Er argumentiert, dass Helikopter, im Gegensatz zu vielen anderen Lehnwörtern, keine lexikalische Lücke im Deutschen füllt. Mit einer sehr ausgeprägten Synonymie hat er sicherlich recht — denn uns würde es aus dem Bauch heraus sehr schwer fallen, den Unterschied zu beschreiben. Ist Hubschrauber also tatsächlich nur ein Mittel für Journalist/innen, um fünf Helikoptern in einem Text wenigstens ein Synonym gegenüberzustellen?
Vielleicht. Vielleicht haben wir aber auch eine sehr feine, aber systematische Differenzierung zwischen den Begriffen herausgebildet (was sprachlich der Normalfall wäre). Denn wenn wir schauen, in welchen Kontexten die Begriffe auftauchen, finden wir Hubschrauber besonders mit den Wörtern Krankenhaus, Kranke, Einsatz, Klinik, bergen, Innenministerium und Wärmebildkamera assoziiert, während Helikopter häufiger mit Typ XY, Kufen, Rotorblätter oder Landeplatz auftaucht. Interessant ist bei Helikopter, dass es auch systematisch mit Schweizer Schweizer und Österreichischem Vokabular assoziiert ist, wie Bundesheer, Spital und Heli (was zunächst vor allem reflektiert, dass im DeReKo auch Texte aus Zeitungen dieser Varietäten des Deutschen enthalten sind).
Obwohl die Begriffe austauschbar sind (und sich den Großteil der Kontexte ja weitgehend teilen, nicht nur bei z.B. fliegen), spricht das Muster für einen feinen semantischen Unterschied: Helikopter wird gerne dafür benutzt, wenn es darum geht, was es technisch ausmacht, während Hubschrauber dafür verwendet wird, wofür man das Fluggerät tatsächlich einsetzt.
So, meine ruhige Stunde ist um.



10 Gedanken zu „Helikopterschwärme“