Die Narzissmuskeule

Von Susanne Flach

Wenn Sie regelmäßig im LANGUAGE LOG vor­beis­chauen, dann haben Sie let­ztens dort vielle­icht Mark Liber­mans Kom­men­tar zu ein­er Studie gele­sen, die keinen Zusam­men­hang von Narziss­mus und der Ver­wen­dung von Per­son­al­pronomen (ich, mein, meins) gefun­den hat. Eine Studie kom­men­tieren, die kein Ergeb­nis hat?

Genau deshalb ist es aber inter­es­sant (gle­ich auf mehreren Ebe­nen). Und weil wir hier im Sprachlog schon mehrfach medi­en­wirk­same Forschung mit Sprach­dat­en, aber ohne sprach­wis­senschaftlichen Sachver­stand kom­men­tiert haben, möchte ich drei inter­es­sante Punk­te kurz kom­men­tieren — aber genau wie Mark Liber­man skep­tisch bleiben.

Worum geht’s?

Sozialpsy­chol­o­gis­che Stu­di­en wollen — sprach­wis­senschaftlich zumin­d­est naiv — den Zus­tand unser­er Gesellschaft an diversen Wort­fre­quen­zen able­sen kön­nen. Denken Sie an die „mate­ri­al­is­tis­che Gesellschaft“ (hier und hier), „Stim­mungen auf Twit­ter“ (hier), „Futur & Spar­quote“ (hier) oder „Glück­liche Sprachen“ (Kom­men­tar ste­ht noch aus). Zu erken­nen ist diese Art der Sprach­forschung schon ziel­sich­er daran, dass man aus Fre­quen­zen von isolierten Wörtern (Buch­staben­ket­ten) eine direk­te kul­turelle Sig­nifikanz ableit­et, die die Sprachver­wen­dung aber bei genauer Betra­ch­tung nicht hergibt (aber das erk­lären die ver­link­ten Kom­mentare ganz gut an einzel­nen Beispielen).

Nun hat diese Studie eben keine Evi­denz dafür gefun­den, dass die ich-Fre­quenz etwas über den Narziss­mushang aus­sagt. Das ist erstens insofern inter­es­sant, weil Forscher/innen hier Ergeb­nisse veröf­fentlicht haben, die ihren eige­nen, langjährig ver­fol­gen Annah­men, The­sen, Ergeb­nis­sen und Inter­pre­ta­tio­nen eigentlich fun­da­men­tal wider­sprechen. (Abge­se­hen von der inter­es­san­ten Fest­stel­lung, dass Stu­di­en ohne Ergeb­nisse sel­tener veröf­fentlicht wer­den; vgl. „Pub­li­ca­tion Bias“.)

Zweit­ens ist es inter­es­sant, dass in der Masse der Dat­en dies­mal kein Zusam­men­hang zu find­en war. Denn das Prob­lem ist, dass immer irgend­wo ein Zusam­men­hang zu find­en ist — das Phänomen nen­nt man „Scheinko­r­re­la­tion“ (hier oder hier). Deren Unsinn fällt natür­lich umso mehr auf, je absur­der die Annahme eines tat­säch­lichen Zusam­men­hangs ist — wie der zwis­chen dem Kon­sum von Hüh­nchen und der Anzahl getöteter Autofahrer/innen bei Zusam­men­stößen mit Zügen.

Je plau­si­bler der Zusam­men­hang zwis­chen Din­gen aber auf den ersten Blick scheint, desto eher nehmen wir einen sta­tis­tis­chen Zusam­men­hang, auch einen zufäl­li­gen, als Beleg dafür, dass ein tat­säch­lich­er, kausaler Zusam­men­hang beste­ht. Und so ist es für Nicht-Sprach­wis­senschaftler/in­nen beson­ders plau­si­bel, zwis­chen der Ver­wen­dung von Per­son­al­pronom­i­na der 1. Per­son sin­gu­lar (ich, mein, meine) und der Ich-Bezo­gen­heit auch einen direk­ten Zusam­men­hang zu sehen. Aber nun gilt natür­lich auch für die Beziehung von Per­son­al­pronom­i­na und Narziss­mus: sie muss eine plau­si­ble Grund­lage haben. Um Narziss­mus an Pronom­i­na messen zu kön­nen, müssten Pronom­i­na ver­wen­det wer­den, um Ich-Bezo­gen­heit auszu­drück­en (Kri­teri­um der Güte und Gültigkeit der Mes­sung). Das tun sie aber nicht: wenn ich altru­is­tisch über meine Kinder oder meine Eltern rede, dann ist die Plau­si­bil­ität schon kaputt. Dies ist zugegeben­er­maßen etwas schw­er zu sehen für Leute, die sich nicht täglich mit Sprache und Sprach­struk­tur auseinan­der setzen.

Skep­tisch darf man deshalb bleiben, weil die Ursache für den Null­ef­fekt von den Autor/innen über­all gesucht wird (sog­ar bei Narzisst/innen oder wie man sie wahrn­immt) — außer in Meth­ode, Sprache und Sprach­struk­tur selb­st. Mit anderen Worten, die Autor/innen reflek­tieren nicht, dass an ihrer Art, ihre These mess­bar zu machen oder ihren Messin­stru­menten etwas nicht stimmt (davon erzählen wir ein ander­mal). Es wirkt fast, als ob man bei der näch­sten Scheinko­r­re­la­tion wieder in die andere Rich­tung argu­men­tieren wird. Also dass wir X sind, weil wir Y häu­figer ver­wen­den, als Z.

 

8 Gedanken zu „Die Narzissmuskeule

  1. Mycroft

    ICH hat­te bis­lang noch nie angenom­men, dass man eine Per­sön­lichkeitsstörung an bes­timmten Pronom­i­na erken­nen könne, anstatt durch Psy­cho­analyse; aber gut. Und, Über­raschung, nee, das geht doch nicht.

    Fol­gen­den Satz finde ich aber trotz­dem bemerkenswert:
    “Und so ist es für Nicht-Sprach­wis­senschaftler/in­nen beson­ders plau­si­bel, zwis­chen der Ver­wen­dung von Per­son­al­pronom­i­na der 1. Per­son sin­gu­lar (ich, mein, meine) und der Ich–Bezogenheit auch einen direk­ten Zusam­men­hang zu sehen.”
    Erstens wer­den hier Nicht-Sprach­wis­senschaftler/in­nen pauschal in einen Topf gewor­fen, zweit­ens wird ihnen dabei eine bes­timmte, falsche Ansicht zugeschrieben, von der sie drit­tens von Sprachwissenschaftler/innen geschützt wer­den soll(t)en.

    Ein­er ganzen Gruppe ein Vorurteil zu unter­stellen, ist eben­falls ein Vorurteil, ins­beson­dere, wenn man wed­er zu der Gruppe gehört noch das unter­stellte Vorurteil teilt.

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  2. Detlef Schnittke

    …die Autor/innen reflek­tieren nicht, dass an ihrer Art, ihre These mess­bar zu machen oder ihren Messin­stru­menten etwas nicht stimmt (davon erzählen wir ein andermal)”

    Das wäre mal ein tolle Studie, die aufzeigt, mit welchen Män­geln und Schlam­pereien hin­sichtlich Meth­o­d­en, Daten­er­he­bung, Fragestel­lun­gen etc Stu­di­en (die ja — wenn sie nicht ger­ade I‑talk und Narziss­mus zum The­ma haben — immer­hin Grund­lage für poli­tis­che Entschei­dun­gen sein kön­nen) behaftet sein können.

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  3. Pingback: Wer frisst wen wie und wo oder Idee für unsinnige Sprachwissenschaft | The red sun is high, the blue low

  4. ethfiel

    In dem Zusam­men­hang sei vielle­icht erwäh­nt, dass es Sprachen geben soll, in denen bes­timmten Per­so­n­en­grup­pen die Benutzung von Pos­ses­sivpronom­i­na unter­sagt ist.
    Nun, wie wird denn fest­gelegt, was ein Scheinzusam­men­hang ist?

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    1. Susanne Flach Beitragsautor

      Zusam­men­hang zwis­chen welchen Vari­ablen? Wenn dem (erfol­gre­ich) so sein sollte, dann wäre die Tat­sache, dass einige Per­so­n­en­grup­pen Pos­ses­sivpronom­i­na weniger benutzen, eine logis­che, aber irrel­e­vante Kon­se­quenz. Die Frage, ob Pronomenge­brauch mit der Ich-Bezo­gen­heit zusam­men­hängt, bet­rifft das nicht. Es wäre näm­lich eine andere Sache, woher ein solch­es „Ver­bot“ kommt — in der Regel sind diese Dinge soziale Kon­ven­tio­nen. Eine solche Kon­ven­tion kön­nte näm­lich genau von dieser Auf­fas­sung her­rühren, weshalb Nicht-Lin­guist/in­nen gerne davon aus­ge­hen, dass Pronomen die Ich-Bezo­gen­heit reflek­tieren. Lin­guis­tisch gibt es dafür aber keine Anhaltspunkte.

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  5. Mycroft

    Evt. habe ich die Frage bzw. die Antwort falsch ver­standen, aber wie würde man jet­zt denn einen Scheinzusam­men­hang beweisen?
    Bzw., was genau _ist_ eigentlich ein Scheinzusam­men­hang? Im Unter­schied bspw. zu ein­er Arbeit­shy­pothese, die man in Rah­men von Unter­suchen beweisen oder wider­legen kann?

    Ich bin z.B. Nicht-Lin­guist. Ich glaube nicht daran, dass Pronomen die Ich-Bezo­gen­heit reflek­tieren. Ist ihr vor­let­zter Satz dem­nach ein Scheinzusammenhang?

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  6. Jens Hafner

    Ich denke, ich kann sagen, ich habe damals, als ich zur Schule ging, zuwenig gel­ernt, wie ich mich kom­plex­er aus­drück­en kann, wenn es um meine Belange geht, die ich gern mit­teilen würde, mir aber, meines Eracht­ens nach, Worte und For­mulierun­gen fehlen, mit denen ich sagen kann, was ich sagen will, ohne zuviel “ich” und 2mir” zu verwenden.
    Ich bin für mich gar nicht so selb­st­be­zo­gen wie ich denke. Glaub ich.

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