Kulturkämpfe

Von Anatol Stefanowitsch

Ein Kampf der Kul­turen tobt in unserem Land. Nicht so sehr zwis­chen Chris­ten und Mus­li­men oder Abend- und Mor­gen­land, son­dern vielmehr unter Politiker/innen, die sich darin über­schla­gen, ständig neue Kom­posi­ta mit dem Zweit­glied -kul­tur zu erfind­en und in Poké­mon-Manier gegeneinan­der in den Kampf zu schicken.

Ange­fan­gen hat der Kul­turkampf ganz unauf­fäl­lig und noch wenig kämpferisch: Seit min­destens zehn Jahren fordern Poli­tik und Wirtschaft eine Willkom­men­skul­tur gegenüber Migrant/innen – ange­feuert weniger von Fre­undlichkeit als von Fachkräfte­man­gel. In diesem Zusam­men­hang wird das Wort auch von deutschen Behör­den wie dem Bun­de­samt für Migra­tion und Flüchtlinge, und – beze­ich­nen­der­weise – dem Bun­desmin­is­teri­um für Wirtschaft und Energie ver­wen­det. In jün­ger­er Zeit hat sich die Willkom­men­skul­tur dann im Rah­men ansteigen­der Flüchtlingszahlen zu einem schlag­wor­tar­ti­gen Gege­nen­twurf zur bis dahin vorherrschen­den, nen­nen wir sie mal bürg­er­lichen Besorg­nis- und Kri­tikkul­tur entwickelt.

Dabei bekommt man fast den Ein­druck, einziger Inhalt der Willkom­men­skul­tur sollte eigentlich das Nich­tanzün­den von Flüchtling­sheimen sein. Denn als die Bevölkerung begann, die geforderte Kul­tur­worthülse mit Leben zu füllen und die Flüchtlinge an Bahn­höfen und vor den Gebäu­den über­fordert­er Behör­den wortwörtlich Willkom­men zu heißen, war es auch wieder nicht recht. Schnell musste ein Gege­nen­twurf zum Gege­nen­twurf her: die Ver­ab­schiedungskul­tur. Die Ehre für diese Orwellsche Wortschöp­fung geht an den Vor­sitzen­den der schleswig-hol­steinis­chen CDU, Ing­bert Liebing, der – nomen est eben nicht immer omen – die Abschiebung von Flüchtlin­gen im Fernse­hen zeigen wollte, damit ja nie­mand auf die Idee kom­men sollte, die Bilder müde lächelder Flüchtlinge und fre­undlich applaudieren­der Ein­heimis­ch­er hät­ten tat­säch­lich etwas mit deutsch­er Kul­tur zu tun.

Das war natür­lich selb­st den etwas hil­f­los auf ihre kurzfristig aus­nahm­sweise mal kon­struk­tiv frei­drehende Kan­z­lerin star­ren­den Union­sparteien eine Num­mer zu ehrlich, und so erfand Bun­desin­nen­min­is­ter De Maiz­ière schnell einen alter­na­tiv­en Gege­nen­twurf zur Willkom­men­skul­tur: Die Ankom­men­skul­tur. Diese Kul­tur wird nun nicht mehr von den Ein­heimis­chen gefordert, son­dern, wie es sich aus Sicht eines Nation­al­staats aus dem 19. Jahrhun­dert gehört, von den Herk­om­menden. Hakt man genauer nach, scheint die Ankom­men­skul­tur darin zu beste­hen, kla­g­los den Anweisun­gen über­fordert­er deutsch­er Behör­den zu fol­gen, sich an Geset­ze zu hal­ten, die einem nie­mand erk­lärt hat, und auf unmen­schliche Wohn­si­t­u­a­tio­nen mit durchgängig gesit­tetem Still­sitzen zu reagieren, statt mit punk­tuell von frus­tri­erten Schlägereien unter­broch­en­em gesit­tetem Stillsitzen.

Mit anderen Worten: die Ankom­men­skul­tur beste­ht aus genau densel­ben Werten, die die Union­sparteien auch bei ihrer alteinge­sesse­nen Bevölkerung gerne sehen – es ist eigentlich die lang etablierte Unter­ta­nenkul­tur, also qua­si die deutsche Dasein­skul­tur an sich.

11 Gedanken zu „Kulturkämpfe

  1. Sleepy J Eiben

    Danke für diesen Beitrag. Die Wort­wahl manch­er bürg­er­lich­er Poli­tik­er ent­larvt let­ztlich sich selb­st: man würde gern die Zäune und Mauern haben, aber sie zu erricht­en sieht irgend­wie nicht gut aus. Also vernün­ftelt man herum und schafft Wortungetüme…

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  2. j

    Diese Kul­tur wird nun nicht mehr von den Ein­heimis­chen gefordert, son­dern, wie es sich aus Sicht eines Nation­al­staats aus dem 19. Jahrhun­dert gehört, von den Herkommenden.”
    Was soll das denn eigentlich bedeuten? Welch­er Nation­al­staat des 19. Jh. kann damit gemeint sein und auf welche konkrete his­torische Sit­u­a­tion spielt das an — mir ist kein entsprechen­der Diskurs bekan­nt, zumin­d­est kein für das 19. Jh. typischer.
    Ist es nicht vielmehr wieder ein­mal der Ver­such die Unter­schei­dung in einen guten und einen bösen Nation­al­staat zu kon­stru­ieren (siehe z.B. auch Par­ty­pa­tri­o­tismus), anstatt das Prob­lem im Konzept Nation bzw. Nation­al­is­mus an sich erken­nen zu wollen.

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  3. gnaddrig

    Man kön­nte in diesem Zusam­men­hang noch die Selb­stop­ti­mierungskul­tur nen­nen, die zusam­men mit der (Selbst-)Kontrollkultur die früher maßge­bliche Ver­bot­skul­tur zumin­destens teil­weise über­flüs­sig macht und erset­zt. Die Flüchtlinge haben sich deren Tech­niken natür­lich im Rah­men der sich­er dem­nächst ein­gerichteten Inte­gra­tionskul­tur bald­möglichst anzueignen auf dass die Leitkul­tur keinen Schaden nehme.

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  4. Mycroft

    Eine Kul­tur reicht natür­lich nicht, man braucht als “Kul­tur­na­tion” min­destens ein halbes Dutzend.*g
    Wobei der Orig­i­nalkul­turkampf natür­lich der Kampf zwis­chen Thron und Altar ist.

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  6. Stefan R.

    Eck­hard Hen­scheid hat sich 2001 der Mühe unter­zo­gen, alle Begriffe zu sam­meln, die ihm unterkom­men und “-kul­tur” enthal­ten. Er ist auf 756 gekom­men, die auch in Buch­form veröf­fentlicht wurden.

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  7. Susanne

    Tja, der Begriff “Kul­tur” ist hierzu­lande erstaunlicher­weise immer noch so pos­i­tiv beset­zt, dass man gut daran tut, ihn möglichst oft zu ver­wen­den. Nur wenn Kul­tur (in welch­er Form auch immer) Geld kostet, wird es schwierig. Dann bedi­enen wir eben mal schnell die “Sparkul­tur”, sprechen aber nicht so offen drüber…

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