Unwort des Jahres 2015: Gutmensch

Von Anatol Stefanowitsch

An der Arbeit der Sprachkri­tis­chen Aktion „Unwort des Jahres“ habe ich ja sel­ten etwas auszuset­zen, und auch dieses Mal hätte sie es schlechter tre­f­fen kön­nen, als sie es mit der Wahl des Wortes Gut­men­sch getan hat. Die Ver­ach­tung und spöt­tis­che Dele­git­i­ma­tion anständi­gen Ver­hal­tens, die in diesem Wort zum Aus­druck kommt, hat nicht erst, aber auch im Jahr 2015 die öffentliche Diskus­sion geprägt und wenn die Wahl zum Unwort dabei hil­ft, eine Grund­satzde­bat­te darüber anzus­toßen, dass die auf Sol­i­dar­ität und Hil­fs­bere­itschaft auf­bauen­den Werte der Gut­men­schen bess­er sind als die auf den eige­nen Vorteil und das eigene Fortkom­men auf­bauen­den Werte der­er, die das Wort ver­wen­den, wäre das ein Gewinn.

Allerd­ings stellt sich die Frage, ob Gut­men­sch und die damit ver­bun­dene Ide­olo­gie tat­säch­lich beson­ders prä­gend für die Debat­ten des Jahres 2015 waren. Die waren ja (wie vom schon im Dezem­ber gewählte Wort des Jahres einge­fan­gen) vom The­ma Flucht und Flüchtlinge geprägt. In diesen Zusam­men­hang stellt die Unwort-Jury ihre Wahl denn auch:

Als „Gut­men­schen“ wur­den 2015 ins­beson­dere auch diejeni­gen beschimpft, die sich ehre­namtlich in der Flüchtling­shil­fe engagieren oder die sich gegen Angriffe auf Flüchtling­sheime stellen. Mit dem Vor­wurf „Gut­men­sch“ , „Gut­bürg­er“ oder „Gut­men­schen­tum“ wer­den Tol­er­anz und Hil­fs­bere­itschaft pauschal als naiv, dumm und welt­fremd, als Helfer­syn­drom oder moralis­ch­er Impe­ri­al­is­mus dif­famiert. Der Aus­druck „Gut­men­sch“ flo­ri­ert dabei nicht mehr nur im recht­spop­ulis­tis­chen Lager als Kampf­be­griff, son­dern wird auch von Jour­nal­is­ten in Leitme­di­en als Pauschalk ritik an einem „Kon­formis­mus des Guten“ benutzt. [Pressemit­teilung]

Der Begriff Gut­men­sch wird tat­säch­lich sehr ein­mütig von Neolib­eralen (die ihn ursprünglich geprägt haben) und Recht­en genutzt, und da let­ztere die Debat­ten 2015 bis weit in den medi­alen Main­stream hinein geprägt haben, ist die Wahl nicht unzeit­gemäß. Allerd­ings hätte es m.E. eine Rei­he von Wörtern gegeben, die das Wieder­erstarken rechter Gedanken­muster im öffentlichen Diskurs prägen.

Ich denke da beson­ders an die Euphemis­men, mit denen ras­sis­tis­che, nation­al­is­tis­che, frem­den­feindliche und recht­sex­treme Posi­tio­nen im Laufe des Jahres immer wieder belegt wur­den – vom Asyl­geg­n­er über den Asylkri­tik­er und die Asylkri­tik bis zur Asylde­bat­te. Auch das Wort recht­spop­ulis­tisch, das die Unwort-Aktion selb­st in ihrer Pressemit­teilung ver­wen­det, ist ein solch­er Euphemis­mus, wenn er nicht für tat­säch­liche Recht­spop­ulis­ten (wie gewisse Spitzen­poli­tik­er der CDU, CSU oder SPD) son­dern für Recht­sex­treme ver­wen­det wird.

Diese (und ähn­liche) Euphemis­men sig­nal­isieren eine Angst, die Posi­tio­nen, die sich derzeit wieder ein­mal vom recht­en Rand in die Mitte unser­er Gesellschaft aus­bre­it­en, klar und deut­lich beim Namen zu nen­nen. Damit tra­gen sie dazu bei, diese Posi­tio­nen zu legit­imieren, als Spielarten gesellschaftlich akzep­tiert­er oder zumin­d­est akzept­abler Mei­n­un­gen darzustellen. Damit sind sie Teil ein­er sub­tilen, schw­er erkennbaren Ver­schiebung von Werten, die viel gefährlich­er ist als ein eigentlich schon etwas in die Jahre gekommenes Wort wie Gut­men­sch.

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