Das dass, dass ein das ist

Von Kristin Kopf

Ich habe nun auch endlich ange­fan­gen, auf dem Handy mit Wis­chgesten zu “tip­pen”: Man zieht den Fin­ger ein­fach nur über die entsprechen­den Buch­staben, statt jeden einzeln anzu­tip­pen, und die Tas­tat­u­rapp rät, was gemeint ist. Das klappt ins­ge­samt sehr gut, auch wenn ich jet­zt dauernd darüber nach­denke, ob das Wort bekan­nt ist oder nicht — wenn nicht, muss ich es dann doch Buch­stabe für Buch­stabe eingeben. Ein Aspekt macht mich allerd­ings wahnsin­nig: Die Tas­tatur weiß ja nicht, wie häu­fig ein bes­timmter Buch­stabe hin­tere­inan­der benötigt wird. Sie weiß aber son­st jede Menge, z.B. wie häu­fig ich bes­timmte Wörter ver­wende (ein ger­ade erst gel­erntes schlägt sie z.B. in den näch­sten Minuten dauernd vor, selb­st wenn es von der Wis­chgeste her unwahrschein­lich ist) — und sie weiß, dass nach einem Kom­ma oft ein Neben­satz fol­gt. Und damit sind wir beim dass.

Auch hier hat die Tas­tatur zwei Optio­nen für eine Geste, dass und das. Der Satz mit dass ist ein Sub­junk­tion­al­satz (1), der mit das meist ein Rel­a­tivsatz (2), manch­mal auch ein ander­er Satz­typ (3, 4):

(1) Ich sehe, dass wir uns verstehen.

(2) Ich mag das Buch, das du mir geschenkt hast.

(3) Ich hoffe, das find­et sich.

(4) Ich finde das gut, das machen wir so!

2016-09-24-dassdasNun scheint mein­er Tas­tatur die Regel beige­bracht wor­den zu sein, dass nach Kom­ma ein dass-Satz fol­gt. Sehr viele das-Sätze, die ich schreibe — und das sind nicht wenige! — wer­den also fehler­haft und ich muss manuell nachko­r­rigieren. Rechts im Bild sieht man einen entsprechen­den Fall — hier wird mir nicht ein­mal das als Alter­na­tive ange­boten (in der grauen Zeile), dafür aber das Wort dass-das-Fehler, das es von mir gel­ernt hat, und das hier über­haupt nicht passt.

In manchen Fällen wählt die Tas­tatur aber auch richtig, z.B. bei Das Blog, das oder Ich mag das Kind, das. Entwed­er sie kann also eine Art rudi­men­täre Gram­matik, die ihr sagt, dass nach einem der­ar­ti­gen Anfang keine dass-Sätze fol­gen, oder sie hat das aus dem Input gel­ernt (was dann let­ztlich auf das­selbe hinausläuft).

Wie schlau ist es nun, nach Kom­ma im Zweifel dass zu set­zen? Liegt man damit öfter richtig oder öfter falsch? Ich hab mir dazu mal ver­schiedene Dat­en aus den DWDS-Kor­po­ra angesehen:

grafik

(Zum Ver­größern anklicken.)

Ich habe geschriebene und gesproch­ene Sprache nach allen Vorkom­men von das bzw. dass/daß nach einem Kom­ma durch­sucht ((Abfra­gen: “/,/ @das”  bzw. “/,/ {dass,daß}”)). Tat­säch­lich gewin­nen die dass-Sätze klar, sie machen über die Hälfte bis fast zwei Drit­tel der Tre­f­fer aus. Die gesproch­ene Sprache fällt dabei allerd­ings etwas aus dem Rah­men, hier gibt es mehr das-Sätze als in den geschriebe­nen Tex­ten. ((Ich habe einen Chi-Quadrat-Test gemacht (p<0,01) und die Residuen analysiert (Zahlen für Inter­essierte unten), daran kann man sehen, welche Zellen auss­chlaggebend für die Unter­schiede sind. Die gesprochen­sprach­lichen Dat­en fall­en dabei ganz klar raus, hier ist die das-Menge uner­wartet hoch. In den Zeitung­s­tex­ten ist sie übri­gens uner­wartet niedrig.

           dass         das
be   -1.3717029   1.8511592
wi    0.6679327  -0.9013977
geb   0.1629739  -0.2199387
ze    7.9940064 -10.7881803
spr -10.6141502  14.3241525

)) Das kön­nte wichtig sein, weil ich am Handy ja auch Texte ver­fasse, die konzep­tionell eher gesprochen als geschrieben sind: Kurz, dial­o­gisch, umgangssprach­lich. Ein flüchtiges Durch­scrollen der gesprochen­sprach­lichen Tre­f­fer (das sind hautp­säch­lich Par­la­mentspro­tokolle und Fernse­hdiskus­sio­nen) legt aber nahe, dass der Unter­schied an der Ver­schriftlichung liegt: Wo man in einem gedruck­ten Text wahrschein­lich Punk­te geset­zt hätte, rei­ht man hier eine Vielzahl von Haupt­sätzen mit Kom­ma aneinan­der. Wahrschein­lich will man damit markieren, dass die SprecherIn­nen keine Pause machen:

Also ger­ade die erste Geschichte da , die Urwaldärztin und der Kampf der Ar- meisen gegen die Ter­miten, und dann wird das wirk­lich zwang­haft übere­inan­der geblendet, das finde ich sehr anfänger­haft und abso­lut gezwun­gen. (Das Lit­er­arische Quar­tett, 14.12.2001)

Das Wach­s­tum des ver­gan­genen Jahres ist pass­abel, 35 Mil­liar­den Mark Steuergelder sind im Laufe der Jahre in Kon­junk­tur­pro­gram­men aus­gegeben wor­den, das neue Steuer­paket bringt Ent­las­tun­gen … (Der Spiegel, 28.01.1980)

Es sieht also so aus, als nähme meine Tas­tatur tat­säch­lich die häu­figere Vari­ante und ich würde mich viel mehr aufre­gen, wenn sie es umgekehrt hand­haben würde. Aber gilt das auch für meine eigene Sprache?

Glück­licher­weise gibt es da einiges an Mate­r­i­al: Ich habe das kleine Ety­mo­log­icum (eventuell durch Lek­torat etwas verz­er­rt), meine Dis­ser­ta­tion und meine Redean­teile in einem Face­book-Grup­pen­chat aus­gew­ertet. Bei dem Chat han­delt es sich um die ständi­ge Redak­tion­skon­ferenz des Tech­nik­tage­buchs. ((Die Dat­en stam­men aus dem Zeitraum Feb­ru­ar 2014 bis März 2016, die Extrak­tion und Umwand­lung in ein sin­nvoll durch­such­bares For­mat ist Kathrin Pas­sig zu ver­danken.)) Die Redean­teile ander­er habe ich, wo ich sie doch schon hat­te, auch noch ausgewertet.

grafik2

(Zum Ver­größern anklicken.)

Die Ten­denz bleibt beste­hen, aber es zeigt sich eine ganz schön große Vari­a­tion: Bei der Dis­ser­ta­tion ste­hen in über 80% der Fälle dass-Sätze, ganz schön viel (die DWDS-Wis­senschaftssprache hat­te nur 66%). Das liegt wahrschein­lich daran, dass ich zur Beschrei­bung von Dat­en sehr häu­fig For­mulierun­gen wie an X zeigt sich, dass … benutze. Im kleinen Ety­mo­log­icum sind dage­gen beson­ders wenige dass-Sätze zu find­en, grade ein­mal 52% der Belege. Man müsste sich das mal im Detail anse­hen, spon­tan habe ich nur sehr vage Ver­mu­tun­gen dazu. Im Chat, den ich zu einem großen Teil mit dem Smart­phone bestre­ite, liegt mein dass-Anteil dage­gen sog­ar über dem der anderen (hellerer Balken ganz rechts) und auch über allen DWDS-Teilko­r­po­ra, inklu­sive dem für gesproch­ene Sprache. ((Verz­er­ren­der Ein­fluss durch Wis­chfehler ist hier für meine Sprache auszuschließen, die Chat­dat­en gehen nur bis März, ich kann aber erst seit August auf dem Handy wischen.))

Hal­ten wir fest: Ob auf ein Kom­ma ein dass- oder ein das-Satz fol­gt lässt sich zwar nicht sich­er sagen, in allen unter­sucht­en Textsamm­lun­gen dominieren die dass-Sätze aber. ((Eine textsorten- oder modal­itäten­spez­i­fis­che Ten­denz lässt sich an den vor­liegen­den Dat­en nicht aus­machen: Egal ob Zeitung oder Chat, gesprochen oder geschrieben, das grobe Muster bleibt beste­hen. Außer­dem schwankt der Anteil indi­vidu­ell enorm: Der niedrig­ste Anteil find­et sich im kleinen Ety­mo­log­icum (einem Sach­buch), der höch­ste in mein­er Dis­ser­ta­tion. Mein per­sön­lich­er Sprachge­brauch lässt sich also nicht sin­nvoll durch einen Durch­schnittsan­teil auf den Punkt brin­gen. )) Meine Tas­tatur macht das also eigentlich ganz gut. Dass mich die Fehlgriffe so wahnsin­nig machen, dass mein Handy sog­ar das Wort dass-das-Fehler lernt, liegt also nicht daran, dass das generell die bessere Option wäre. Der Grund dafür ist eher, dass der Fehler in Kon­tex­ten auftritt, bei denen ich sofort weiß, dass es nur eine Möglichkeit gibt (z.B. nach ein­er äußerungsini­tialen Prä­po­si­tion­alphrase wie Mit dem Blog). Die Tas­tatur bräuchte ein­fach mehr Wis­sen darüber, nach welchen Kon­struk­tio­nen dass-Sätze auf gar keinen Fall fol­gen können.

10 Gedanken zu „Das dass, dass ein das ist

  1. Thomas

    Danke, wieder mal ein sehr inter­es­san­ter Artikel, der die „gefühlte“ mit der empirischen Real­ität kon­fron­tiert und dabei zu einem dif­feren­zierten Ergeb­nis kommt. 🙂 

    Das Prob­lem, dass die Smart­phone-Tas­tatur mit falschen Kor­rek­turen Weißg­lut her­vor­ruft, liegt sich­er auch an der Wahrnehmungsverz­er­rung „The oth­er line always moves faster“ (der psy­chol­o­gis­che Fach­be­griff ist mir ent­fall­en) – wenn die Tas­tatur-App richtig rät, was wir meinen, nehmen wir das eben nor­maler­weise gar nicht wahr – weshalb es es umso mehr stört, wenn Sie falsch rät.

    Außer­dem: Nicht nur kün­stliche, auch natür­liche Intel­li­genz ste­ht mit dem Unter­schied zwis­chen „dass“ und „das“ auf dem Kriegs­fuß. Kon­ser­v­a­tiv geschätzt wird er in 85% aller Äußerun­gen in Face­book, Twit­ter oder Foren kom­plett ignori­ert; ich ver­mute, wer hier orthographisch kor­rekt schreibt, gilt mit­tler­weile oft als pedan­tisch. Und obwohl ich in dem Punkt dur­chaus zu mein­er Pedan­terie ste­he, erwis­che ich mich selb­st oft genug dabei, „das“ statt „dass“ zu schreiben oder – pein­lich, pein­lich – in umgekehrter Rich­tung zu hyperkorrigieren. 😉

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  2. Julian von Heyl

    Ich habe jet­zt ehrlich gesagt lange über die Über­schrift nachge­grü­belt, weil ich mich auf eine Neben­satzkon­struk­tion ver­steift hat­te wie: “Ich will, dass das dass ein das ist”. Schön­er Artikel!

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  3. Gerald Fix

    z.B. bei Das Blog, das oder Ich mag das Kind, das. Entwed­er sie kann also eine Art rudi­men­täre Gram­matik, die ihr sagt, dass nach einem der­ar­ti­gen Anfang keine dass–Sätze fol­gen, oder sie hat das aus dem Input gelernt

    Am Genus kann’s nicht liegen? Möglicher­weise schlägt die Tas­tatur nur nach säch­lichen Wörtern “das” vor.

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  4. Florian

    Nur mal so: Wie kommt das r in Ameise (Zitat aus dem Lit­er­arischen Quartett)?

    Ich kenn Iimäätze und Uumintzelch­er, aber Armeisen kenn ich nicht.

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    1. Kristin Kopf Beitragsautor

      Ich denke es han­delt sich um dieses Phänomen, wobei natür­lich inter­es­sant wäre, zu erfahren, ob der Sprech­er das r bere­its artikuliert hat oder ob es sich “nur” um einen Fehler bei der Ver­schriftlichung handelt.

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  7. Vonfernseher

    Wäre ich der Sprech­er der bei­den Zitate gewe­sen, hätte ich mich wohl mit erstens Dop­pelpunkt und zweit­ens Semi­kolon bess­er widergegeben gefühlt. Auch die drück­en ja eine nähere Verbindung im Ver­gle­ich zum ein­fachen Punkt aus.

    Wer weiß, wie die Sta­tis­tik aussähe, stän­den an solchen Stellen m.M.n. angemessenere Satzzeichen.

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  8. James

    Und obwohl ich in dem Punkt dur­chaus zu mein­er Pedan­terie ste­he, erwis­che ich mich selb­st oft genug dabei, „das“ statt „dass“ zu schreiben oder – pein­lich, pein­lich – in umgekehrter Rich­tung zu hyperkorrigieren.

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