Gendergap und Gendersternchen in der gesprochenen Sprache

Von Anatol Stefanowitsch

Im feuil­leton­is­tis­chen Eklat um ver­schiedene For­men der geschlechterg­erecht­en Rechtschrei­bung, über die der Rechtschreibrat gestern erst­mals berat­en und mit denen er sich in den näch­sten Monat­en genauer beschäfti­gen will, wird immer wieder die Frage gestellt, wie man diese For­men den aussprechen solle. Genauer gesagt, es wird – im Ein­klang mit dem all­ge­mein sehr selb­stzufriede­nen Ton der Kritiker/innen – unter­stellt, dass man sie eben nicht aussprechen könne.

Tat­säch­lich lässt sich diese Frage beant­worten (bzw. die Unter­stel­lung aus der Welt räu­men). Auch wenn die Kritier/innen es sich offen­bar nicht vorstellen kön­nen, machen die Befürworter/innen geschlechterg­erechter Sprache sich sehr aus­führlich Gedanken über das, was sie tun, und lösen solche Prob­leme lange bevor sie den Kritiker/innen über­haupt auffallen.

Bei den soge­nan­nten Sparschrei­bun­gen mit Schrägstrichen oder Klam­mern – also z.B. Kri­tik­er/-in oder Befürworter(inn)en – ist die Sache ein­fach: Diese For­men sind als Abkürzung für Dop­pelfor­men gedacht und wer­den als solche gesprochen: Kri­tik­er oder Kri­tik­erin, Befür­wor­terin­nen und Befür­worter usw.

Auch das Binnen‑I wird von manchen als Sparschrei­bung (Abkürzung) betra­chtet, und wäre in diesem Fall genau­so zu behan­deln. Andere Betra­cht­en es als eigene Form, und sprechen es ein­fach aus, ohne das Binnen‑I her­vorzuheben – es klingt dann eben so wie das Fem­i­ninum (Kri­tik­erin, Befür­wor­terin­nen).

Glottaler Plosivlaut über das Transgender-Symbol gelegtInter­es­sant wird es beim Gen­der­gap (Kritiker_in) und dem Gen­der­sternchen (Kritiker*in). Diese sind ja expliz­it nicht als Abkürzun­gen der Dop­pelform gedacht, son­dern sollen die darin enthal­tene Zweigeschlechtlichkeit durch­brechen – die Lücke und das Sternchen sind hier Platzhal­ter für weit­ere mögliche Geschlechter. Dieser Platzhal­ter muss sin­nvoller­weise auch in der gesproch­enen Sprache sig­nal­isiert wer­den – und dafür hat sich schon seit län­gerem eine lin­guis­tisch inter­es­sante Lösung etabliert.

Das Sternchen und die Lücke wer­den in der Aussprache durch einen stimm­losen glot­tal­en Ver­schlus­slaut wiedergegeben – ein Laut, den wir pro­duzieren, indem wir die Stimm­lip­pen („Stimm­bän­der”) kurz voll­ständig schließen.

Dieser Laut, der im Inter­na­tionalen Phonetis­chen Alpha­bet durch das Sym­bol [ʔ] repräsen­tiert wird, ste­ht im Deutschen (in den deutschen und öster­re­ichis­chen Dialek­ten) am Anfang jedes Wortes, das schein­bar mit einem Vokal begin­nt. Das Wort Eklat, z.B., wird nicht [eklaː] aus­ge­sprochen, son­dern [ʔeklaː]. Das merken wir, wenn wir einen indef­i­niten Artikel davor set­zen – ein Eklat. Wenn wir das aussprechen, hören wir eine kurze Pause vor Eklat, und das [e] hat einen klaren Ansatz: [aɪ̯n  ?eklaː] (das Leerze­ichen ste­ht für eine kurze Pause).

Im Franzö­sis­chen, beispiel­sweise, ist das anders, dort gibt es diesen glot­tal­en Ver­schlus­slaut am Wor­tan­fang nicht. Eclat wird hier tat­säch­lich [ekla] aus­ge­sprochen, und wenn wir einen indef­i­niten Artikel davor set­zen, fließen die Wörter ineinan­der [œnekla]. Auch an der Silb­i­fizierung sehen wir die Effek­te des glot­tal­en Ver­schlus­slauts: im Deutschen ist zwis­chen ein und Eklat eine Sil­ben­gren­ze (hier durch einen Punkt dargestellt) – [aɪ̯n.?e.klaː]; im Franzö­sis­chen ist diese Sil­ben­gren­ze in der Mitte des indef­i­niten Artikels un, das n bildet mit dem e von Eklat eine Silbe, die Wort­gren­ze wird ignori­ert – [œ.ne.kla]. Im Schweiz­erdeutschen ist es übri­gens wie im Franzö­sis­chen, ein Eklat wird dort [aɪ̯.ne.klaː] ausgesprochen.

Inner­halb von Wörtern kommt der stimm­lose glot­tale Ver­schlus­slaut im Deutschen sel­ten vor, näm­lich in Kom­posi­ta (die ja aus zwei Wörtern beste­hen) an der inter­nen Wort­gren­ze, und bei manchen Prä­fix­en („Vor­sil­ben“), z.B. ver-: in den meis­ten Dialek­ten sagen wir beispiel­sweise für Vere­in [fɛɐ̯ʔaɪ̯n], und nicht [fɛˈʁaɪ̯n].

Vor Suf­fix­en („Nach­sil­ben“) kommt der glot­tale Ver­schlus­slaut nie vor – bzw., er kam dort nie vor, bis eben manche Sprecher/innen ange­fan­gen haben, ihn als laut­liche Repräsen­ta­tion des Gen­der­gap bzw. ‑sternchen zu ver­wen­den. Während Ärztin z.B. [ɛːɐ̯tstɪn] aus­ge­sprochen wird, wird Ärzt_in oder Ärzt*in [ɛːɐ̯tstʔɪn] ausgesprochen.

Das hat eine Rei­he erwart­bar­er pho­nol­o­gis­ch­er Kon­se­quen­zen. So verän­dert es die Silb­i­fizierung. Bei Ärztin bildet der Kon­so­nant am Ende des Wort­stammes gemein­sam mit dem Suf­fix eine Silbe – [ɛːɐ̯ts.tɪn], bei Ärzt_in/Ärzt*in wird das durch den glot­tal­en Ver­schlus­slaut ver­hin­dert – [ɛːɐ̯tst.ʔɪn]. In dieser Hin­sicht ver­hält sich das Suf­fix jet­zt laut­lich wie ein eigenes Wort.

Aber inter­es­san­ter­weise nur in dieser Hin­sicht. Alle anderen Prozesse, die man am Wor­tende erwarten würde, find­en sich vor diesem Suf­fix nicht.

Zum Beispiel wird das er-Suf­fix im Deutschen pho­nol­o­gisch zu einem [ɐ], ein­er Art unbe­ton­ten, tiefen a: [kʁiːtɪkɐ]. Fol­gt ein Suf­fix, behält es seine eigentliche laut­liche Form [əʁ], z.B. in Kri­tik­erin: [kʁiːtɪkəʁɪn]. Vor dem glot­tal­en Ver­schlus­slaut in der Aussprache von Kri­tik­erin behält es eben­falls diese Form: [kʁiːtɪkəʁʔɪn]. Damit ist klar, dass vor dem Suf­fix keine Wort­gren­ze ist – die Gap/Sternchen-Ver­sion des Suf­fix­es, [ʔɪn], bleibt trotz des glot­tal­en Ver­schlus­slauts ein Suffix.

Das zeigt sich auch an einem weit­eren Phänomen des Deutschen, der Aus­lautver­här­tung. Am Wor­tende sind im Deutschen keine stimmhaften Kon­so­nan­ten erlaubt, wo ein Wort einen hätte, wird dieser stimm­los. Chirurg wird etwa [çiʀʊʁk] aus­ge­sprochen, nicht [çiʀʊʁɡ]. Fol­gt ein Suf­fix, z.B. der Plur­al oder eben das fem­i­nine -in, bleibt das [ɡ] am Wor­tende stimmhaft: [çiʀʊʁɡən], [çiʀʊʁɡɪn]. Und auch bei der Gap/Sternchen-Vari­ante bleibt es stimmhaft: [çiʀʊʁɡʔɪn].

Schließlich sieht man auch am Wor­takzent, dass das Gap/Sternchen-Suf­fix­es [ʔɪn] sich wie ein Suf­fix ver­hält. Im Deutschen wer­den roman­is­che Lehn­wörter, die auf das Suf­fix -or enden, auf der vor­let­zten Silbe betont (hier durch Großbuch­staben sym­bol­isiert): MOtor, AUtor, pro­FES­Sor, alli­GA­tor, mod­eR­A­tor. Kommt ein Suf­fix dazu, ver­schiebt sich der Wor­takzent auf das Suf­fix selb­st, so dass er wieder auf der vor­let­zten Silbe liegt: moTOren, auTOren, pro­feS­SOrin, alli­ga­TOren, mod­er­a­TOrin. Beim Gap/Sternchen-Suf­fix [ʔɪn] ver­schiebt sich der Wor­takzent eben­falls auf diese Weise (in der phonetis­chen Tran­skrip­tion ste­ht ein Apos­troph vor der beton­ten Silbe: Mod­er­a­tor [mod­eˈʀaː­toːɐ̯], Mod­er­a­torin [mod­eʀaˈ­toːʀɪn], Moderator*in [mod­eʀaˈ­toːʀʔɪn]. Die Aussprache dieser drei Wörter ist hier zu hören:

 

Wir sehen: Mit dem stimm­losen glot­tal­en Ver­schlus­slaut am Anfang eines Suf­fix­es betreten die Verwender/innen dieser For­men pho­nol­o­gis­ches Neu­land, da der Laut an dieser Stelle bish­er nicht ste­hen kon­nte. Da schon die orthografis­chen For­men mit Gen­der­gap oder ‑sternchen bei manchen Kol­le­gen (kein gener­isches Maskulinum) Äng­ste vor ein­er bevorste­hen­den Zer­störung der deutschen Sprache aus­lösen, kann man sich vorstellen, wie sie reagieren wür­den, wenn sie vom [ʔɪn]-Suffix erführen. Da sie nichts zur Ken­nt­nis nehmen, was irgend­je­mand zum The­ma Gen­der schreibt, wird das zum Glück nicht passieren.

Es beste­ht aber keine Gefahr fürs Deutsche – die oben disku­tierten Phänomene zeigen, dass die laut­liche Struk­tur der betr­e­f­fend­en Wörter voll erhal­ten bleibt, dass sich das [ʔɪn]-Suffix also trotz sein­er ungewöh­lichen laut­lichen Form voll in die Mor­pholo­gie und Phonolo­gie des Deutschen integriert.

Wir wer­den also die deutsche Sprache in all ihrer geschlechterg­erecht­en und ‑ungerecht­en Vielfalt noch sehr lange genießen dürfen.

32 Gedanken zu „Gendergap und Gendersternchen in der gesprochenen Sprache

  1. Philipp

    Gele­sen und für span­nend befun­den – aber ehrlicher­weise trotz­dem: not con­vinced. Bei der Form „Lehrer*innen“ habe ich Lehrer und Lehrerin­nen. Schon bei „Ärzt*innen“ kann man sich fra­gen, wo das für den masku­li­nen Plur­al nötige ‑e herkommt: Ärzt’inn’E’n? Ohne das E ist es aber im Grunde ein gener­isches Fem­i­ninum. Kann man machen, ger­ade um Nach­denken zu provozieren, ist aber let­zten Endes auch nicht gerechter als ein gener­isches Maskulinum. Und wie soll eigentlich die Gen­der­sternchen-Schreib­weise und ‑Sprech­weise für „Bauern und Bäuerin­nen“ heißen? 

    Hybride wie „Lehrer*innen trafen auf Bauern und Bäuerin­nen“ sind wirk­lich wed­er sprach­lich noch schriftlich kon­se­quent und erst recht nicht ästhetisch, weswe­gen ich fürchte, dass – bei allem Respekt für die Sicht­bar­ma­chung all jen­er, die sich in der Zweigeschlechtlichkeit nicht wiederfind­en – die Vari­ante „Lehrerin­nen und Lehrer“ und „Ärzte und Ärztin­nen“ wohl doch die sin­nvollere sein dürfte.

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    1. Anatol Stefanowitsch Beitragsautor

      @ Philipp: Bei Ärzt*innen kann man sich keines­falls fra­gen, wo das für den masku­li­nen Plur­al nötige -e herkommt, denn in dieser Form soll kein masku­lin­er Plur­al enthal­ten sein. Es soll ja, wie im Text ste­ht, keine verkürzte Form von Ärztin­nen und Ärzte sein, son­dern eine ganz neue Form. Bei der amtlich erlaubten Spar­form Ärzt/-innen kön­nte man sich diese Frage stellen, deshalb ist diese Form laut amtlich­er Rechtschrei­bung auch nicht erlaubt.

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  2. sanddrn

    Lieber Philipp,

    gute Frage.
    » Schon bei „Ärzt*innen“ kann man sich fra­gen, wo das für den masku­li­nen Plur­al nötige ‑e herkommt:

    Also, drüber nach­denken ist gut, aber das “e” muss schlicht nir­gend­wo herkom­men. So funk­tion­iert Mor­pholo­gie nicht.
    Zu der Bauer-Frage: ich würde “Bäuer*innen” sagen, aber es ist nicht unmöglich, dass sich “Bauer*innen” durch­set­zt – schönes Beispiel. 

    Umlaute sind jeden­falls nicht böse oder unmaskulin 

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  3. Vilinthril

    Ich glaube, auch Men­schen zu ken­nen, die die Glot­tisver­schluss-Aussprache für das Binnen‑I nutzen – müsste mal nach­fra­gen. (Wollte das nur erwäh­nen, weil am Anfang des Textes dieses Ausspracheform auss­chließlich für die For­men mit * oder _ oder ähn­lichen Zeichen einge­führt wird.)

    Sehr schön­er Erk­lär­text jeden­falls, vie­len Dank!

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  4. Daniel E.

    Drei Kom­mentare zu diesem sehr inter­es­san­ten Text:

    - Wenn Sie schreiben: “Im Schweiz­erdeutschen ist es übri­gens wie im Franzö­sis­chen, ein Eklat wird dort [aɪ̯.ne.klaː] aus­ge­sprochen.”, dann meinen Sie wahrschein­lich “Im Schweiz­erischen Hochdeutsch” oder “In der Schweiz­er Stan­dard­sprache”, denn in den Schweiz­er Dialek­ten, die man manch­mal als “Schweiz­erdeutsch” zusam­men­fasst, ist der Artikel [aɪ̯n] nicht gebräuchlich.

    - Mir scheint, die Sache mit dem Glot­tisver­schluss ist schon ziem­lich alt: Diese Aussprache wurde schon vor über zwanzig Jahren für die For­men mit Binnen‑I propagiert und auch prak­tiziert. In der Sprach­wirk­lichkeit gab (und gibt es) alle möglichen Real­isierun­gen zwis­chen Aussprache mit klarem Glot­tisver­schluss und ein­er solchen, die von der fem­i­ni­nen Form nicht zu unter­schei­den ist.

    - Let­zter­er Punkt führt für mich dazu, dass die Aus­sage “Wir sehen: Mit dem stimm­losen glot­tal­en Ver­schlus­slaut am Anfang eines Suf­fix­es betreten die Verwender/innen dieser For­men pho­nol­o­gis­ches Neu­land, da der Laut an dieser Stelle bish­er nicht ste­hen kon­nte.” rel­a­tiviert wer­den sollte, denn mir scheint, dass Sie hier etwas pos­tulieren, was noch empirisch über­prüft wer­den sollte: Wird heute wirk­lich eher (in vere­in­fachter Notierung) [AUtorʔin] gesagt, statt (wie bish­er auch schon [auTORʔin]? Ich kann es nicht beurteilen, da ich hier zuwenig konkreten Input habe und offen­bar bish­er noch nicht genü­gend gut zuge­hört habe.

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    1. Anatol Stefanowitsch Beitragsautor

      @ Daniel E: Ja, ich rede über die stan­dard­sprach­lichen Vari­anten des Bun­des­deutschen, Franzö­sis­chen und Schweiz­erdeutschen. Ihren let­zten Punkt ver­ste­he ich nicht: Nein, nie­mand sagt AUtorʔin, warum soll­ten sie auch? Durch das Suf­fix mit dem glot­tal­en Ver­schlus­slaut ver­schiebt sich der Wor­takzent genau­so wie durch das ohne – genau darum geht es doch in dieser Passage.

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  5. Stephan Fleischhauer

    Zu Ärzt*innen: Gibt es hier über­haupt noch eine Spur des Maskulinums? Ich sehe das nicht. Will man Män­ner und Trans­män­ner unsicht­bar machen? Was ist mit dem Sin­gu­lar? Eine Ärzt*in oder: Ein*e Ärzt*in? Bess­er und gerechter wäre doch wohl: Ein*e A*ärzt*in.

    Etwas anderes:
    Im Text ste­ht “Befürworter(inn)en” — warum ste­ht die schließende Klam­mer nicht am Ende des Worts?

    Noch etwas anderes:
    Gibt es Belege dafür, dass Kri­tik­erIn ohne Glot­tisver­schluss gesprochen wird? Also anders aus­ge­sprochen wird als Kritiker*in? Und welchen Sinn macht die Aussprache ohne Glot­tisver­schluss? Es klingt ja dann wie ein nor­males Fem­i­ninum, obwohl es ger­ade nicht gemeint ist. Wenn es darum gin­ge, das gener­ische Maskulinum durch ein gener­isches Fem­i­ninum abzulösen, würde man doch sich­er ohne Binnen‑I schreiben.

    Mal ganz allgemein:
    Ich würde mir gern einen län­geren gehen­derten Text anhören. Kön­nte der Blog-Autor was empfehlen? Gibt es da was auf YouTube, oder noch bess­er, gibt es einen Pod­cast, in dem diese Redeweise durchge­hend zu hören ist? Ich würde mir gerne einen Ein­druck machen.

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    1. Anatol Stefanowitsch Beitragsautor

      @ Stephan Fleis­chhauer: Zu Ärzt*innen – das habe ich in mein­er Antwort auf Philipps Kom­men­tar bere­its beant­wortet. Zu den Bele­gen dafür, dass Kri­tik­erIn (mit Binnen‑I) ohne glot­tal­en Ver­schlus­slaut gesprochen wird – natür­lich gibt es die nicht, Sie kön­nen an der tat­säch­lich pro­duzierten gesproch­enen Form ja nicht erken­nen, welche schrift­sprach­liche Form sie repräsen­tieren soll. Vilinthril sagt in seinem Kom­men­tar, dass er auch Leute ken­nt, die Binnen‑I schreiben und glot­tal­en Ver­schlus­slaut sprechen, und Daniel E. sagt in seinem, dass er sich erin­nert, den glot­tal­en Ver­schlus­slaut schon zur Hoch-Zeit des Binnen‑I gehört zu haben. Das wäre gute Evi­denz, dass diese Aussprachevari­ante auch für das Binnen‑I existiert. Das Binnen‑I ohne Glot­tisver­schluss auszus­prechen, ist eine Strate­gie, die auf jeden Fall von Befürworter/innen dieser Form prak­tiziert wurde. Sie haben ganz richtig erkan­nt, dass die dann wie ein Fem­i­ninum klingt.

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  6. Stephan Packard

    Danke für den span­nen­den Beitrag. Wie stellt man eigentlich fest, dass sich eine Aussprache ‘etabliert’ hat, wie hier ste­ht? Haben wir dazu schon empirische Daten?

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  7. Henk

    Dies würde nur funk­tion­ieren, wenn dem Suf­fix [ʔɪn] die phone­ma­tis­che Form /ʔɪn/ zugrun­deliegt und das wäre eine prob­lema­tis­che Analyse, weil der Glot­tiss­chlag kein Phonem des Deutschen ist, son­dern mit dem Nach­fol­gevokal ein stel­lenbe­d­ingtes Allophon dieses Vokals bildet. 

    Ein weit­eres Prob­lem wäre, dass lange nicht alle Vari­anten des Hochdeutschen über den Glot­tiss­chlag als phonetis­che Vari­ante ver­fü­gen. Für viele Hochdeutschsprachige in der Schweiz ist die phonetis­che Real­isierung [ʔɪn] ausgeschlossen.

    Der Beschrei­bung im Artikel bringt mich eher Fälle wie Fol­gende in den Sinn:
    (1) Mein Nach­bar ist ziem­lich alternativ-isch.
    (2) Sie ist noch viel superlieb-er.
    (3) Frau But­ler-Sloss war eine High Judge-in.
    (4) Die Köni­gin ist so weib­lich, sie ist fast eine Königin-in.
    (5) Er sieht aus wie die Buch­stabe M und sein Brud­er ist genau so M‑isch wie er.
    (6) Ich fand den Auftritt sehr [Kotzgeräusch einfügen]-isch.
    Auch dabei wird das Suf­fix prosodisch vom Wort getren­nt, während typ­is­che Aus­laut­sphänome wie Aus­lautver­här­tung und R‑Schwund unterbleiben. Diese Aussprachemerk­male zeigen, dass man eine sprach­liche Neu­bil­dung ver­sucht, die irgend­wie gegen das Sprach­sys­tem ver­stößt. Und ich glaube, dass genau das auch bei der Kon­struk­tion im Artikel der Fall ist: der Leser sieht auf Papi­er etwas vor sich (ein Sternchen oder einen Unter­strich), das sich nicht in die (gesproch­ene) Sprache inte­gri­eren läßt, ver­sucht es trotz­dem auszus­prechen und ver­mit­telt den Sys­tem­fehler durch die Abtren­nung des Suf­fix­es vom Stammwort.

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    1. Anatol Stefanowitsch Beitragsautor

      @ Henk: Es geht nicht darum, ob und unter welchen Umstän­den, dies funk­tion­ieren „würde“. Es funk­tion­iert ganz offen­bar, da es Leute gibt, die so sprechen. Dass der glot­tale Ver­schlus­slaut in den meis­ten Analy­sen der deutschen Phonolo­gie nicht als eigen­ständi­ges Phonem behan­delt wird, liegt ja nur daran, dass sein Auftreten so vorher­sag­bar ist – wenn sich das ändert, würde sich eben die Phonolo­gie des Deutschen ändern. Ob mir das [ʔɪn]-Suffix aus­re­ichen würde, um so weit zu gehen, weiß ich nicht. Es geht auch nicht darum, ob es ein weit­eres Prob­lem „wäre“, das es Vari­etäten des Deutschen ohne glot­tal­en Ver­schlus­slaut gibt. Es ist entwed­er ein Prob­lem oder nicht, je nach dem, wie die Sprecher/innen dieser Vari­etäten mit diesem Aussprachep­hänomen umge­hen. Wenn jemand hier Schweiz­er Feminist/innen (vor allem Queer-Fem­i­nist/in­nen) ken­nt oder selb­st eine/r ist, und diese Frage beant­worten kön­nte, wäre ich sehr inter­essiert. Was ihre Beispiele 1–6 bet­rifft, in keinem einzi­gen würde ich einen glot­tal­en Ver­schlus­slaut vor dem zusät­zlichen Suf­fix pro­duzieren, mir fehlt hier die Intu­ition dafür, ob andere das so machen wür­den. Dass die von mir beschriebene Aussprachevari­ante die Ver­mit­tlung eines „Sys­tem­fehlers“ ist, schließlich, halte ich für eine gewagte Behaup­tung. Die Aussprache find­et sich nicht (nur) beim Vor­lesen, son­dern in der gesproch­enen Sprache und ist m.E. eine zunächst bewusst pro­duzierte Vari­ante, die sich einige Men­schen angewöh­nt und die andere dann über­nom­men haben. Das Inter­es­sante (und darum geht es in meinem Beitrag) ist, dass sie dabei bis auf den an ein­er vorher nicht erlaubten Posi­tion auftre­tenden glot­tal­en Ver­schlus­slaut die pho­nol­o­gis­che Struk­tur des Stammes unverän­dert lassen, und nicht so anpassen, wie sie es an ein­er Wort­gren­ze tun müssten (und übri­gens auch nicht so, wie sie es vor einem Suf­fix tun wür­den, das mit einem Kon­so­nan­ten beginnt).

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  8. Stephan Packard

    Das stellt man fest, indem man Leuten zuhört, die so reden.”

    Ja, schon klar, aber wie vie­len in diesem Fall, um von ein­er etablierten Aussprache zu reden? Ich habe gestern jeman­den getrof­fen, der kein h aussprach, würde deswe­gen jedoch nicht von ein­er etablierten Vari­ante reden wollen. Umgekehrt schreibe ich längst den Gap, real­isiere ihn aber bish­er nicht phonetisch. 

    Und es wäre auch inter­es­sant, in welchen Gegen­den, Klassen, Dialek­ten diese Aussprache vorkommt; ob diese Real­isierung mit anderen konkur­ri­ert; usw. 

    Meine Frage war, ob es dazu sys­tem­a­tis­che Beobach­tun­gen gibt.

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  9. Daniel E.

    @ Ana­tol Ste­fanow­itsch: Danke für die Richtig­stel­lung bezüglich des Wor­takzents: Da habe ich Sie beim ersten Lesen tat­säch­lich missverstanden.

    Und nochmals zur Unter­schei­dung von Dialekt und Stan­dard­sprache in der Schweiz: ‘Schweiz­erdeutsch’ in einem Wort beze­ich­net üblicher­weise die Dialek­te, als Sam­mel­be­griff. Wenn Sie auf die Stan­dard­sprache Bezug nehmen, dann eher ‘Schweiz­er (Hoch-/Standard-)Deutsch’, d. h. min­destens mit Leerschlag.

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  10. Ivan Panchenko

    Zwei Anmerkun­gen:

    1) Sie schreiben: „Nein, nie­mand sagt AUtorʔin, warum soll­ten sie auch?“

    Der Akzent ver­schiebt sich, wenn ein vokalisch anlau­t­en­des Suf­fix fol­gt, bei [ʔɪn] ändern sich die Sil­ben­gren­zen inner­halb des Wortes jedoch nicht. Es heißt zum Beispiel [dɛs ˈʔaʊ̯toːɐ̯s] (Gen­i­tiv­suf­fix ‑s) und [ˈʔaʊ̯toːɐ̯ʃaft] (Suf­fix ‑schaft), so würde ich auch [ˈʔaʊ̯toːɐ̯ʔɪn] sprechen. [ʔaʊ̯ˈtoːʁʔɪn] ohne r‑Vokalisierung finde ich furcht­bar (vgl. [ˈleːzɐlɪç]), eben­so [ɡ] im Aus­laut ein­er Silbe wie bei [çiˈʁʊʁɡʔɪn]. Bin ich da etwa idiosynkratisch?

    2) Meines Wis­sens zählt das Schweiz­er Hochdeutsch nicht zum Schweiz­erdeutschen, vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Schweizerdeutsch#Schweizer_Hochdeutsch_und_Schweizerdeutsch

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    1. Anatol Stefanowitsch Beitragsautor

      @ Ivan Panchenko: Im Beitrag spreche ich die Suf­fixe, die mit Kon­so­nan­ten begin­nen, nicht direkt an, insofern ver­ste­he ich Ihre Frage jet­zt. Worum es mir ging (vielle­icht bessere ich da von der Deut­lichkeit der For­mulierung noch nach), ist, dass das Suf­fix mit dem glot­tal­en Ver­schlus­slaut sich mor­phopho­nol­o­gisch genau­so ver­hält, wie das ohne.

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  11. Henk

    Dass es diese Aussprachevari­ante gibt und dass es sie zu erk­lären gibt, das bestre­ite ich auch gar nicht. Dass es phonetisch ein Suf­fix [ʔɪn] gibt bestre­ite ich eben­sowenig. Ich lesen Ihren Vorschlag jedoch so, dass Sie eine zugrun­deliegende Form /ʔɪn/ unter­stellen. Dabei nehmen Sie an, dass das Deutsche über das Phonem /ʔ/ ver­füge. Das wäre eine fall­spez­i­fis­che Annahme, die wenig­stens unab­hängige Evi­denz bedarf. Anson­sten wäre der Vorschlag wie ein Deus ex Machi­na, der nur um diesen Fall zu erk­lären ein neues Phonem unterstellt.

    Mit Ock­hams Rasier­mess­er in der Hand würde ich sagen, dass wir zuerst mal schauen soll­ten, ob nicht eine alter­na­tive Erk­lärung vorhan­den ist, die ohne fallbe­d­ingte Annah­men auskommt. 

    Ist übri­gens bekan­nt, wie stark die Aussprache mit [ʔɪn] im deutschen Sprachraum ver­bre­it­et ist? Wenn sie nur unter eini­gen erwach­se­nen Sprech­ern vorkommt, kön­nte es auch sehr gut sein, dass diese Aussprache gar nicht durch einen nor­malen kindlichen Spracher­werb zus­tandegekom­men ist, son­dern durch bewusstes Ein­greifen in die sprach­liche Struk­tur. Dann wäre gar keine sprach­wis­senschaftliche Erk­lärung nötig.

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    1. Anatol Stefanowitsch Beitragsautor

      @ Henk: Wenn ich eine zugrun­deliegende Form /ʔɪn/ unter­stellen würde, hätte ich statt der eck­i­gen Klam­mern Schrägstriche ver­wen­det (und gesagt, dass ich eine solche zugrun­deliegende Form unter­stelle). Dass die Form durch ein bewusstes Ein­greifen in die Sprache ent­standen ist und bis­lang ver­mut­lich nicht im kindlichen Spracher­werb erwor­ben wird, scheint mir offen­sichtlich. Warum daraus fol­gt, es sei keine sprach­wis­senschaftliche Analyse nötig (eine „Erk­lärung“ liefer ich ja nicht), ver­ste­he ich allerd­ings nicht.

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  12. Velo Fisch

    Ein schön­er Beitrag, dass die offen­sichtlichen Prob­leme ange­gan­gen wur­den. Das Prob­lem aber ist, dass die gener­ische Form als Maskulinum inter­pretiert wurde. Je mehr das Gener­ikum nicht mehr als Gener­ikum son­dern als Maskulinum gese­hen wird, wird es ungerecht. So befind­en wir uns Rück­wärts­gang von ein­er gle­ichgestell­ten Welt hin zu ein­er gen­der­spez­i­fis­chen Welt, bei der immer mehr nach Geschlecht unter­schieden wird. Auch wenn dabei Macht von Män­nern zu Frauen umverteilt wird, wird dabei in Kauf genom­men, dass wir uns von ein­er gle­ichgestell­ten Welt immer weit­er entfernen.
    Ein Blick auf das Englis­che macht dies klar. Dort gibt es keine männlichen und weib­lichen For­men, son­dern nur die gener­ische Form. Dass trotz­dem bei doc­tor, user, men­tor etc. die Assozi­a­tion eher auf Män­nern als Frauen liegt, hat also nichts mit der Sprach­form zu tun. Wür­den deutsche Fem­i­nistin­nen die englis­che Sprache gestal­ten kön­nen, so wür­den sie ver­mut­lich auch dort weib­liche For­men ein­führen und die gener­ische Form anschließend zur männlichen Form deklar­i­eren. Schließlich soll das Gen­der­sternchen nicht in erster Lin­ie eine gerechte Sprache abbilden, son­dern es soll ver­stören und zum Nach­denken anre­gen. Damit wird auch klar, warum wir von Schrägstrich, Binnen‑I über den Unter­strich inzwis­chen beim Stern ange­langt sind. Was sich aber etabliert hat, das ver­stört nicht mehr. Deshalb wird auch der Gen­der­stern bald ver­stoßen wer­den. Vielle­icht kommt dann das Inklu­sions-Plus, weil der Stern Beliebigkeit sug­geriere, woge­gen das Plus deut­lich macht, dass es ein Pos­tives Mehr gibt als nur Män­ner und nur Frauen etc.
    Wenn dann auch das Plus aus­ge­lutscht ist, ist der Weg zurück versper­rt. Die gener­ische Form ist ger­ade von den Fem­i­nistin­nen ver­männlicht wor­den. Damit wird Män­nern deut­lich mehr Raum eingeräumt, als vor den ganzen neuen For­men. Ver­mut­lich ent­deck­en dies in einem Jahrzehnt auch ver­mehrt Fem­i­nistin­nen, die dann aber die Ver­ant­wor­tung dafür bes­timmt nicht bei sich sehen werden.

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    1. Anatol Stefanowitsch Beitragsautor

      @ Velo Fisch: Nein, nicht die gener­ische Form wurde als Maskulinum inter­pretiert, son­dern das Maskulinum wurde für gener­isch erk­lärt, und zwar in dem Moment, als Frauen immer stärk­er als eigen­ständi­ge Men­schen wahrgenom­men wur­den, die irgend­wie erwäh­nt wer­den mussten. Vorher kon­nte man(n) munter das Maskulinum ver­wen­den, weil ohne­hin nur Män­ner zählten. Also erfand man das „Mit­ge­meint­sein“ und propagierte es kräftig (siehe Doleschal 2002). Dass das nicht ewig gut­ge­hen würde, war zu erwarten.

      Der Blick auf das Englis­che zeigt nur, dass Geschlechter­stereo­type existieren – was wohl nie­mand infrage stellt. Die Effek­te dieser Stereo­type lassen sich aber von den Effek­ten des gram­ma­tis­chen Genus klar unter­schei­den – masku­lin­er Genus löst männliche Assozi­a­tio­nen auch bei typ­isch weib­lichen Berufen aus und umgekehrt (siehe hier). Es hat also sehr wohl etwas mit der Sprach­form zu tun, und zu glauben, „deutsche Fem­i­nistin­nen“ hät­ten über diese Frage nicht nachgedacht oder wür­den im Englis­chen weib­liche For­men ein­führen, zeigt nur, dass Sie sich erstens nicht mit dem befassen, was Fem­i­nistin­nen tat­säch­lich tun und sagen, und dass Sie sie zweit­ens für unwis­send hal­ten. Bei­des nicht rat­sam, wenn man sich zu fem­i­nis­tis­chen The­men äußern möchte.

      Was die Abschwächung der Wirkung von For­men wie dem Gen­der­gap und dem Gen­der­sternchen ange­ht, haben Sie recht. Das haben auch Fem­i­nistin­nen schon lange beobachtet und bemän­gelt, und viele von ihnen sind deshalb auch von der Vorstel­lung, das Sternchen kön­nte amtliche Rechtschrei­bung wer­den, nur mäßig ange­tan. Allerd­ings gibt es keine gute Alter­na­tive dazu (denn das Maskulinum ist keine), aber da Ein­griffe in die tat­säch­liche Sprach­struk­tur nicht ohne Weit­eres möglich sind, müssen sie sich mit dem kleineren Übel begnügen.

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      1. Velo Fisch

        Danke für die his­torischen Belege. Finde ich intere­sant. Und ja, ich bin kein Lin­guist, son­dern Laie.
        Was das Englis­che ange­ht, so bin ich mir da nicht so sich­er. So wird im englis­chen Sprachraum dafür plädiert, keine gegen­derten Sub­stan­tive mehr zu ver­wen­den (“You should basi­cal­ly stop using gen­dered nouns” https://www.washingtonpost.com/posteverything/wp/2014/11/12/you-should-stop-using-gendered-pronouns-immediately/?noredirect=on&utm_term=.5b7605bc6c9a). Deutsche Feminist_innen dage­gen wollen Frauen “sicht­bar” machen und find­en daher die neu­tralen For­men wie z.B. “Studieren­den” nicht opti­mal. Das war ja auch in der Piraten­partei eine wesentliche Diskus­sion. Ist es gut, das Gen­dern zu ver­mei­den und auf Eich­hörnchen auszuwe­ichen, oder ist geschlecht­sneu­trale Sprache aus fem­i­nis­tis­ch­er Sicht uner­wün­scht. Im End­ef­fekt geht es dabei auch um die Frage, ob nur die patri­ar­chalis­che Sprache neu­tral­isiert wer­den soll, oder ob Sprache fem­i­nis­tisch instru­men­tal­isiert wer­den soll. Let­zteres wäre damit genau das Spiegel­bild dessen, was dem Patri­ar­chat immer vorge­wor­fen wurde.

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  13. Lars

    Wenn man sich neue Phonolo­gie aus­denkt, warum dann der stimm­lose glot­tale Plo­siv [ʔ], den man nicht schreiben kann. Das ist doch unpraktisch.
    Ver­suche, Deutschsprechende von der Vokali­sa­tion des uvu­laren Frika­tivs in ‑er oder von der Aus­lautver­här­tung bei ‑b, ‑g, ‑d abzuhal­ten, sind fast unmöglich, aber auch nicht schwieriger als ihnen die Ver­wen­dung eines stimmhaften den­tal­en Frika­tivs beizubrin­gen. Ich plädiere also für das [ð] vor ‑innen. Das kann man nett schreiben, braucht also kein *, _ oder Bin­nen­ver­salien. Die Islän­der machen es uns vor: mit einem hüb­schen Eð. Dieses Zeichen erin­nert zudem etwas an ein ♀-, ♂- und ♁-Sym­bol und ist doch selb­st noch ohne jede Gen­derzuschrei­bung. Es eignet sich also pri­ma zur Darstel­lung aller Geschlechter und Nicht­geschlechter. Und zusät­zlich­er Plus­punkt: Es beruhigt die Kon­ser­v­a­tiv­en durch beherzten Rück­griff auf alt­ger­man­is­ches Kul­turgut. Hüb­sch klingt ‑ðin­nen noch dazu.

    Vor­wärts, Genderistðinnen!

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  14. Wentus

    Ich war von dieser Ausspracheregel echt angenehm über­rascht. Sie ist gut durch­dacht und unmissver­ständlich, wenn man sie voll­ständig anwendet.

    Allerd­ings ist es den meis­ten Deutschen ger­ade nicht möglich, vor einem Glot­tiss­chlag eine Aus­lautver­här­tung oder ein “r” statt eines [ɐ] auszus­prechen. Ich habe das hin­re­ichend bei meinen Mitschülern im Ara­bis­chkurs beobachtet, in dem solche Kom­bi­na­tio­nen wichtig sind.

    Dadurch wird die Ausspracheregel zwar nicht gän­zlich unmöglich, aber durch die Ein­schränkun­gen soweit unein­deutig, dass man als Zuhör­er stark auf den Kon­text acht­en muss, um die Endun­gen von ganzen Wörtern wie “in” oder “innen” zu unterscheiden.

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  15. Vilinthril

    Adden­dum: Wenn ich meine eigene Aussprache und die in meinem Umfeld richtig wahrnehme, erscheint mir die Real­isierung der Glot­tiss­chlag-Endung kon­se­quent mit [ɐ] umgesetzt.

    @Wentus: Diese Aussprache sollte den meis­ten Deutschsprachi­gen möglich sein, man muss sich ja nur ein abge­set­ztes „in“ bzw. „innen“ danach denken (statt der eigentlichen Endung mit glot­tiss­chla­glos­er Aussprache).

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  16. Wentus

    @ Henk: Ein Phonem ist mein­er Mei­n­ung nach ein Laut, der einen Bedeu­tung­sun­ter­schied bewirken kann.
    Im Wort­paar (“ver­reisen”, “vereisen”) ist der Glot­tiss­chlag der einzig unter­schei­dende Laut.

    Richtig erscheint mir der Hin­weis, dass die deutschen Ausspracheregeln verän­dert wer­den, sofern vor einem Glot­tiss­chlag keine Aus­lautver­här­tung oder kein [ɐ] statt r aus­ge­sprochen wer­den sollen. Dieses Kun­st­stück schaf­fen nur Deutsche mit viel Fremdsprachenerfahrung.

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  17. Henk

    Dann ver­ste­he ich den Sinn des Artikels eigentlich nicht. Dass [ʔɪn] als Suf­fix vorkommt, is offen­bar eine Beobach­tung. Ist es nicht so, dass Sie beobacht­en, dass darin ein unerk­lär­bar­er Glot­tiss­chlag vorkommt und dass sie ver­suchen, diese Beobach­tung ver­suchen dadurch zu erk­lären, dass der Glot­tiss­chlag nicht als platzbe­d­ingte allo­phonis­che Vari­ante zu erk­lären ist, son­dern als Phonem? So habe ich den Artikel inter­pretiert, auch weil Sie in Ihrem Kom­men­tar vom 10.6 8:30 Phoneme erwäh­nen. Wenn ich Sie falsch ver­standen habe, bitte ich um Entschuldigung und Aufklärung.

    Sie schreiben:
    “Dass die Form durch ein bewusstes Ein­greifen in die Sprache ent­standen ist und bis­lang ver­mut­lich nicht im kindlichen Spracher­werb erwor­ben wird, scheint mir offensichtlich.”
    Es war eine ern­sthafte Frage. Ich bin Nieder­län­der und obwohl ich öfters im Deutsch­land bin, ist mir diese Form nie unter­laufen. Ich bin durch eine Verknüp­fung auf Face­book auf diesen Artikel gestoßen und fand ihn als Sprach­wis­senschaftler irgend­wie interessant.

    Sie schreiben:
    “Warum daraus fol­gt, es sei keine sprach­wis­senschaftliche Analyse nötig (eine „Erk­lärung“ liefer ich ja nicht), ver­ste­he ich allerd­ings nicht.”
    Weil Phonolo­gen (jeden­falls in der struk­turellen Schule, mit der ich am besten ver­traut bin) ver­suchen, sprach­liche Beobach­tun­gen sys­tem­a­tisch zu erk­lären und damit einen Beitrag dazu leis­ten, die Möglichkeit­en des men­schlichen Sprach­sys­tems zu beschreiben. Wenn von erwach­se­nen Sprech­ern bewusst in die Sprache einge­grif­f­en wird, wird außer­halb des Sys­tems etwas pro­duziert, dass keine pho­nol­o­gis­che Erk­lärung bedarf. Das wäre, als ob wir abmachen wür­den nach jedem Verb zu pfeifen oder jedes Satzende durch einen Lächeln zu unter­stre­ichen, oder jedes dritte Wort im Satz durch seine englis­che Über­set­zung zu erset­zen. Das sind halt Ein­griffe, die sich nicht durch das Sys­tem erk­lären lassen, dass während der Spracher­werb­sphase ent­standen ist. Erwach­sene kön­nen bewusst eigentlich alles mit Sprache machen, was sie wollen.
    Soll­ten jedoch Kinder dieses Suf­fix in ihre Sprache übernehmen, dann wäre etwas ent­standen, das erk­lärungbedür­tig wäre, weil es sich nicht mit dem bish­er beschriebe­nen deutschen Phonolo­gie verträgt. Wenn aber dieses Phänomen sich auf Erwach­sene beschränkt (und, wie ich jet­zt ver­ste­he, auf eine Gruppe poli­tisch motiviert­er Erwach­se­nen, die durch Sprache die Gesellschaft zu verän­dern ver­suchen), dann kann die Sprach­wis­senschaft eigentlich nichts sin­nvolles über diese Art von Reden sagen. 

    Aber vielle­icht überse­he ich einiges, das mag sein. Ich lasse mich gerne aufklären.

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  18. David Marjanović

    Inter­es­sant! In mein­er Fam­i­lie haben wir die Aussprache mit Pause (und daher automa­tisch fol­gen­dem [ʔ]) gle­ich beim ersten Auftreten des Binnen‑I erfun­den, ohne äußere Ein­wirkung, soweit ich weiß; dass andere Leute auf dieselbe Idee gekom­men sind, wun­dert mich nicht, und sagt uns etwas über deutsche Phonologie.

    Dazu allerd­ings…

    Dieser Laut, der im Inter­na­tionalen Phonetis­chen Alpha­bet durch das Sym­bol [ʔ] repräsen­tiert wird, ste­ht im Deutschen (in den deutschen und öster­re­ichis­chen Dialek­ten) am Anfang jedes Wortes, das schein­bar mit einem Vokal beginnt.

    O nein. [ʔ] ste­ht in, soweit ich weiß, der gesamten deutschen Sprache am Beginn jed­er unun­ter­broch­enen Äußerung, die son­st mit einem Vokal begin­nen würde. In anderen Worten ist [ʔ] der post­pausale Stim­mein­satz vor Vokalen. (Das­selbe gilt für Großteile des Englis­chen; im Franzö­sis­chen ist es dage­gen optional.)

    Zusät­zlich wird [ʔ] nördlich des Weißwurstäqua­tors (oder so ähn­lich…) vor jede betonte Silbe geset­zt, die son­st mit einem Vokal begin­nen würde. Wort­gren­zen scheinen nichts damit zu tun zu haben: [ʔ]Astero[ʔ]iden und Kome­ten (kein [ʔ] vor und), Ru[ʔ]ine, Lu[ʔ]ise, Na[ʔ]omi. Mir als Öster­re­ich­er ist das sowohl in meinem Dialekt als auch in der Schrift­sprache völ­lig fremd; es fällt mir jedes Mal stark auf.

    Dementsprechend spreche ich Vere­in, vere­ini­gen und vereisen als [fɐˈʀɛ̞ɪ̯n], [fɐˈɛ̞ɪ̯nɪg̊ŋ̩] und [fɐˈɛ̞ɪ̯sn̩] aus, alle drei ohne [ʔ], die let­zten bei­den mit ungestörtem Vokalüber­gang. (Vere­in wird nicht als zusam­menge­set­zt wahrgenom­men, ver­mut­lich, weil es keinen *Ein gibt, und behält daher sein /r/.)

    Übri­gens dürfte die nördliche Vari­ante älter sein. Im Englis­chen scheint sich vom Alt- zum Mit­te­lenglis­chen ein Wech­sel von der im Deutschen nördlichen zur südlichen Vari­ante vol­l­zo­gen zu haben.

    Vor dem glot­tal­en Ver­schlus­slaut in der Aussprache von Kri­tik­erin behält es eben­falls diese Form: [kʁiːtɪkəʁʔɪn]. Damit ist klar, dass vor dem Suf­fix keine Wort­gren­ze ist – die Gap/Sternchen-Ver­sion des Suf­fix­es, [ʔɪn], bleibt trotz des glot­tal­en Ver­schlus­slauts ein Suffix.

    Das ist ja faszinierend. Für mich und in mein­er begren­zten Erfahrung ist vor dem Suf­fix eine (pho­nol­o­gis­che) Pause und damit eine Wort­gren­ze. Aber auch falls dort statt ein­er Wort­gren­ze ein Kon­so­nant, ein phone­mis­ches /ʔ/, ist, hätte ich unvokalisiertes /r/ in dieser Posi­tion für unmöglich gehalten.

    (Ich per­sön­lich kann es aussprechen, aber ich kann ja Franzö­sisch und habe das also bewusst gelernt.)

    Das zeigt sich auch an einem weit­eren Phänomen des Deutschen, der Aus­lautver­här­tung. Am Wor­tende sind im Deutschen keine stimmhaften Kon­so­nan­ten erlaubt, wo ein Wort einen hätte, wird dieser stimm­los. Chirurg wird etwa [çiʀʊʁk] aus­ge­sprochen, nicht [çiʀʊʁɡ]. Fol­gt ein Suf­fix, z.B. der Plur­al oder eben das fem­i­nine ‑in, bleibt das [ɡ] am Wor­tende stimmhaft: [çiʀʊʁɡən], [çiʀʊʁɡɪn]. Und auch bei der Gap/Sternchen-Vari­ante bleibt es stimmhaft: [çiʀʊʁɡʔɪn].

    Die Aus­lautver­här­tung fasziniert mich immer wieder. Südlich des Weißwurstäqua­tors sind alle Obstru­enten von vorn­here­in schon stimm­los*, und südlich der Zone mit bin­nen­deutsch­er Kon­so­nan­ten­schwächung wird die For­tis-Lenis-Unter­schei­dung auch am Wort- sowie Sil­be­nende nicht aufge­hoben** – von der mit­tel­bairischen Lenisierung, die |t| und |tː| am Wor­tende hin­ter Vokalen und /l/ in /d/ ver­wan­delt und gnaden­los in die öster­re­ichis­che Schrift­sprache hinüber­ge­tra­gen wird, ein­mal abge­se­hen. Jet­zt wohne ich in Berlin an einem soge­nan­nten End­bahn­hof (der End­sta­tion ein­er U‑Bahn-Lin­ie), der natür­lich mit [t] ange­sagt wird, und jeden Tag denke ich an Enten statt an ein Ende!

    Konkret sage ich [kɪɐ̯ˈʀʊɐ̯g̊], [kɪɐ̯ˈʀʊɐ̯g̊ɪn], [kɪɐ̯ˈʀʊɐ̯g̊ʔɪn].

    Und ja, die deutsche Aus­lautver­här­tung geschieht – anders als die pol­nis­che, die rus­sis­che oder mor­phem­be­d­ingt die nieder­ländis­che – am Sil­be­nende. Hier in Berlin ist mir Syd­ney als [ˈzɪt­niː] untergekom­men, im Fernse­hen (von ein­er Arte-Nachricht­en­sprecherin) Sim­bab­we als [zɪmˈbapvɛ] (per­fek­tes Tim­ing im Stim­mein­satz, kein [b], kein [f]).

    * [b d g] sind für mich die schwierig­sten Laute der franzö­sis­chen Sprache, gefol­gt von [z ʒ] und bes­timmten Kon­so­nan­ten­ket­ten, die mit /r/ begin­nen. – /v/ zäh­le ich nicht als Obstru­enten, weil es sich noch immer wie ein Approx­i­mant ver­hält, für die meis­ten Sprech­er auch ein­er ist ([ʋ]), und zumin­d­est manche der Aus­nah­men, wie ich, zwar einen Frika­tiv artikulieren, aber dann stark genug nasal­isieren, dass keine Rei­bung fühlbar ist. Offen­bar mache ich das­selbe mit /j/, und im Englis­chen muss ich auf­passen, das nicht auf /z/ und /ð/ auszudehnen – die ver­schwinden dabei näm­lich fast.
    ** Wie in den meis­ten Dialek­ten des (Ost?-)Jiddischen, interessanterweise.

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  19. gnaddrig

    @ Henk (10. Juni 2018, 12:23):

    Ist übri­gens bekan­nt, wie stark die Aussprache mit [ʔɪn] im deutschen Sprachraum ver­bre­it­et ist? Wenn sie nur unter eini­gen erwach­se­nen Sprech­ern vorkommt, kön­nte es auch sehr gut sein, dass diese Aussprache gar nicht durch einen nor­malen kindlichen Spracher­werb zus­tandegekom­men ist, son­dern durch bewusstes Ein­greifen in die sprach­liche Struk­tur. Dann wäre gar keine sprach­wis­senschaftliche Erk­lärung nötig.

    Die Aussprache mit [ʔ] bildet das Gen­der­sternchen in der gesproch­enen Sprache ab. Da kön­nte sich eine Änderung der deutschen Phonolo­gie andeuten, und das ist natür­lich Gegen­stand sprach­wis­senschaftlich­er Betra­ch­tung. Ob das mut­ter­sprach­lich erlernt ist oder jet­zt absichtlich (mit ein­er z.B. poli­tis­chen Agen­da im Hin­terkopf) oder (wie in der Fam­i­lie von David Mar­janović) unbe­wusst oder instink­tiv so gemacht wird, ändert daran nichts. 

    @ David Mar­janović: Inter­es­sant, aber hier bin ich gestolpert:

    Dementsprechend spreche ich Vere­in, vere­ini­gen und vereisen als [fɐˈʀɛ̞ɪ̯n], [fɐˈɛ̞ɪ̯nɪg̊ŋ̩] und [fɐˈɛ̞ɪ̯sn̩] aus, alle drei ohne [ʔ], die let­zten bei­den mit ungestörtem Vokalüber­gang. (Vere­in wird nicht als zusam­menge­set­zt wahrgenom­men, ver­mut­lich, weil es keinen *Ein gibt, und behält daher sein /r/.)

    Vere­in u.ä. kenne ich (nord­deutsch) fast nur mit [ʔ]. [fɛˈʀain] o.ä. habe ich auch schon gehört, aber eher sel­ten. Keine Ahnung, ob das eine regionale Vari­ante ist. Pons gibt als Aussprache übri­gens [fɛɐ̯ˈʔain] an, ich selb­st sage eher [fɐˈʔain]. Eine schnelle Umfrage unter Kol­le­gen ergibt durch­weg Aussprachen mit [ʔ]. Das ist sich­er nicht repräsen­ta­tiv, aber es scheint mit dem [ʔ] doch kom­pliziert­er zu sein.

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  20. David Marjanović

    Ah ja, noch was: in aspiri­eren­den nord­deutschen Aussprachen wird /t/ vor /n/ und /l/ (ver­mut­lich auch /m/; bin ges­pan­nt auf /r/) zu [ʔ], wie es im Englis­chen oft vorkommt. Der Grund ist der­selbe: In Umge­bun­gen, in denen es schwierig ist, zu aspiri­eren, wird die Aspi­ra­tion nicht ein­fach wegge­lassen, son­dern aktiv fortgenom­men, indem man den Atem anhält.

    Inzwis­chen hat die spanis­che Sprache ein nicht­binäres Geschlecht entwick­elt. ¡Dere­chos lingüís­ti­cos para todes!

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