Archiv des Autors: Anatol Stefanowitsch

Über Anatol Stefanowitsch

Anatol Stefanowitsch ist Professor für die Struktur des heutigen Englisch an der Freien Universität Berlin. Er beschäftigt sich derzeit mit diskriminierender Sprache, Sprachpolitik und dem politischen Gebrauch und Missbrauch von Sprache. Sein aktuelles Buch „Eine Frage der Moral: Warum wir politisch korrekte Sprache brauchen“ ist 2018 im Dudenverlag erschienen.

French Connection

Von Anatol Stefanowitsch

Eine Ini­tia­tive namens „Comité pour la langue du droit européen“ (Kom­mis­sion für die Sprache des europäis­chen Rechts) möchte Franzö­sisch zur einzi­gen verbindlichen Rechtssprache der Europäis­chen Union machen. Nun ist Franzö­sisch ohne­hin die dom­i­nante Sprache am Europäis­chen Gericht­shof, man fragt sich also, welche Moti­va­tion hin­ter dieser Ini­tia­tive steckt. Und da wird es très amu­sant:

Mau­r­cie Druon, Leit­er von CPLDE, promi­nen­ter Autor und Sekretär der Acad­e­mie Française, sagte, alle Sprachen seien gle­ich­berechtigt und alle nationalen Bedenken wür­den berück­sichtigt. Den­noch sei es bezüglich der Ausle­gung der Texte bess­er, sicherzustellen, was geschrieben würde. Ital­ienisch sei die Sprache der Lieder, Deutsch sei geeignet für Philoso­phie und Englisch eigne sich für die Dich­tung. Franzö­sisch sei für präzise For­mulierun­gen am besten geeignet, es habe dafür die richtige Härte. Es sei die sich­er­ste Sprache für rechtliche Fra­gen. Die Sprache von Mon­tesquieu sei unschlagbar.

Damit dürfte klar sein, was von Äußerun­gen von Mit­gliedern der Académie Française zu hal­ten ist. Ander­er­seits soll­ten wir wahrschein­lich dankbar sein, dass die Deutschen hier noch rel­a­tiv glimpflich davonkom­men. Das let­zte Mal, dass ich jeman­den über die Tauglichkeit des Deutschen für bes­timmte Funk­tio­nen sprechen gehört habe, klang das wesentlich weniger schmeichelhaft:

Tre­f­fen sich ein Hol­län­der und ein Deutsch­er. Sagt der Hol­län­der: „In Hol­land ler­nen wir jet­zt alle Latein, weil wir gehört haben, dass im Him­mel nur Latein gesprochen wird.“ Fragt der Deutsche: „Und was macht ihr, wenn ihr in die Hölle kommt?“ „Kein Prob­lem“, antwortet der Hol­län­der. „Deutsch sprechen wir ja sowieso“.

Wichtige Wörter

Von Anatol Stefanowitsch

Kür­zlich habe ich Jack Vances Das Wel­traum­monopol gele­sen (2002, Bastei Lübbe; orig. The Five Gold Bands, 1950). In diesem anson­sten für Vance eher ent­täuschen­den Buch erregte fol­gen­der Satz meine Aufmerk­samkeit. Die Haupt­fig­ur, Pad­dy Black­thorn, spricht über eine außerirdis­che Spezies, die Adler genan­nt wird, und sagt unter anderem:

Die Adler hier — ihre Neugi­er ist unstill­bar, und sie sind von Natur aus so hart­näck­ig, dass es in ihrer Sprache kein Wort für diese Eigen­schaft gibt.

Vor dem Hin­ter­grund unser­er Eski­mowörter-für-Schnee-Debat­te ist das ein inter­es­san­ter Gedanke. Hin­ter dem Schnee­mythos steckt ja die Annahme, dass eine Sprachge­mein­schaft für kul­turell wichtige Dinge beson­ders viele Wörter haben muss. Jack Vance weist hier darauf hin, dass es auch umgekehrt geht: eine Sache kann in ein­er Kul­tur so selb­stver­ständlich sein, dass man über­haupt nicht darüber reden muss.

Spamprobleme

Von Anatol Stefanowitsch

Die meis­ten von uns kämpfen täglich mit Spam (ich habe let­zte Woche darüber geschrieben), die „Aktion lebendi­ges Deutsch“ kämpft diesen Monat mit dem Wort „Spam“. Der Wortis­tik­er find­et, dass kein neues Wort her­muss, da „Spam“ sowohl laut­lich als auch inhaltlich passt. Ich stimme zu, bemerke aber ger­ade, dass ich in meinem Beitrag let­zte Woche eine Rei­he von Syn­ony­men ver­wen­det habe — nicht aus sprach­be­wahrerischem Eifer, son­dern um den Text etwas abwech­slungsre­ich­er zu gestal­ten. Die „Aktion lebendi­ges Deutsch“ kann sich die Syn­onyme gerne hier abholen. Neben Spam­mail (5x) und Spam (4x) habe ich ver­wen­det: Werbe­mail und uner­wün­schte E‑Mail (je 2x), dig­i­taler Werbe­müll, elek­tro­n­is­che Wurf­sendung, Massen­wer­bung, Sülz­mail und Wer­be­botschaft (je 1x). Außer­dem hat­te ich noch E‑Müll und Müll­mail auf mein­er Liste, sie kamen mir dann aber zu neck­isch vor, um sie zu verwenden.

Presseschau

Von Anatol Stefanowitsch

Der Tagesspiegel hat diese Woche mit Noam Chom­sky — dem Sig­mund Freud der mod­er­nen Sprach­wis­senschaft und einem scharf­sin­ni­gen Kri­tik­er der Reichen und Mächti­gen — gesprochen. Über Sprach­wis­senschaft redet Chom­sky dort nicht viel, sie hat ihn in den let­zten Jahren auch nicht mehr sehr inten­siv beschäftigt. Auf die Frage „Hat Ihre wis­senschaftliche Arbeit unter Ihrem poli­tis­chen Engage­ment gelit­ten?“ antwortet er: „Ja, sehr. Ich habe sehr viel Zeit mit poli­tis­ch­er Arbeit ver­bracht.“ Für mich eine ein­leuch­t­ende Erk­lärung für den etwas lieblosen Ein­druck, den seine sprach­wis­senschaftlichen The­o­rien auf mich machen. Weit­er­lesen

Denglische Patienten und eingebildete Kranke

Von Anatol Stefanowitsch

Über das ib-Klar­text-Sprach­blog habe ich ger­ade noch rechtzeit­ig von ein­er Sendung erfahren, in der die ARD gestern Nacht die Frage stellte „Wer ret­tet die deutsche Sprache?“ (die Sendung lief, wenn ich das richtig sehe, erst­ma­lig im Novem­ber 2005 im SWR und wird seit­dem peri­odisch wiederholt).

Die Sendung an sich war unspek­tak­tulär. Auf bekan­nte Art und Weise wurde von der Exis­tenz einiger englis­ch­er Lehn­wörter im öffentlichen Raum auf den Unter­gang des Abend­lan­des geschlossen. Ich kann nicht genau sagen, wie, denn immer, wenn sich jemand über die üblichen Verdächti­gen — Back­shop, Ser­vice Cen­ter, und City Call — ereifert, überkommt mich eine bleierne Müdigkeit und ich wache erst wieder auf, wenn es Pech und Schwe­fel reg­net und die Reit­er der Apoka­lypse die deutsche Sprache und Kul­tur uner­bit­tlich und unwieder­bringlich hin­wegfe­gen. Außer­dem wur­den ein paar sehn­suchtsvolle Blicke nach Frankre­ich gewor­fen, wo die Académie Française der Bevölkerung die Lehn­wörter mit Geld­strafen aus­treibt. Zu Wort kamen haupt­säch­lich Mit­glieder des Vere­ins Deutsche Sprache (VdS). Alles nichts Neues, und deshalb bin ich froh, dass ich für diese Sendung nicht extra wachge­blieben bin. Weit­er­lesen

Spam Poetry

Von Anatol Stefanowitsch

car­a­van cal­cu­lus
curve priest­hood / with the bur­den of inten­tions / con­trive respectabil­i­ty
lus­cious recruiter / nobly explo­sive / snare human nature
Xerox gen­til­i­ty / hoarse­ly pyra­mid / retir­ing reprisal

Nein, ich bin nicht zu den Lit­er­atur­wis­senschaftlern überge­laufen, und das ist keine zeit­genös­sis­che englis­che Poe­sie. Ich habe diese Verse aus aus­gewählten Betr­e­f­fzeilen der E‑Mails zusam­mengestellt, die tagtäglich in meinem Spamord­ner lan­den. Es ist noch gar nicht lange her, da waren diese Betr­e­f­fzeilen ger­ade­heraus: „Sex all night long?“, „U can save your mon­ey“, „Need S0ftware?“ oder „Con­trat­u­la­tions! You have won the lot­tery!“. Wenn man die elek­tro­n­is­chen Wurf­sendun­gen öffnete, ahnte man, was einen erwartete: zweifel­hafte Offer­ten für Via­gra, Hypotheken und Adobe Pho­to­shop oder die Auf­forderung, doch bitte umge­hend seine Bankverbindung nach Nige­ria zu über­mit­teln um das Preis­geld für eine Lot­terie zu erhal­ten, an der man nie teilgenom­men hat­te. Doch seit einiger Zeit sind die Betr­e­f­fzeilen immer häu­figer kleine sur­re­al­is­tis­che Kunst­werke und wenn man die E‑Mails öffnet, enthal­ten sie Tex­twüsten aus zusam­men­hangslosen Sprach­fet­zen. Was ist da geschehen? Weit­er­lesen

Presseschau

Von Anatol Stefanowitsch

Im Rah­men eines EU-Forschung­spro­jek­tes wollen Sprach­wis­senschaftler der Uni­ver­sität des Saar­lan­des die maschinelle Über­set­zung verbessern. Das ist auch drin­gend notwendig, wenn man sich zum Beispiel fol­gen­den Babelfish-Unfall ansieht, mit dem ein sprach­lich arglos­er Spam­mer neulich mein Ver­trauen zu gewin­nen versuchte:

Danke für Ver­wen­den der Deutsche Bank on-line Über­tra­gung® Dien­stleis­tun­gen. Zwecks abschließende Zus­tim­mung für deine Ver­hand­lung zur Ver­fü­gung stellen, wir benöti­gen zusät­zliche Infor­ma­tio­nen. Bitte Dein on-line Bankkon­to zugänglich machen und zu über­prüfen das die Infor­ma­tio­nen sind kor­rekt und führen deine Ein­schrei­bung durch. Wenn wir nicht von dir inner­halb der fol­gen­den 24 Stun­den hören, wir annul­lieren deine on-line Über­tra­gung® Dienstleistungen.

Diese Verbesserung soll erre­icht wer­den durch eine Kom­bi­na­tion von sym­bol­is­chen Ver­fahren (bei denen anhand gram­ma­tis­ch­er Regeln über­set­zt wird, die die Sprach­wis­senschaftler dem Com­put­er vorher müh­sam beib­rin­gen) und sta­tis­tis­chen Ver­fahren (bei denen anhand sta­tis­tis­ch­er Regeln über­set­zt wird, die der Com­put­er sich durch den Ver­gle­ich existieren­der Orig­i­nale und Über­set­zun­gen selb­st beib­ringt). Ich wün­sche den Kol­le­gen viel Erfolg und hoffe, dass ich meine Spam in naher Zukun­ft in fehler­freiem Deutsch lesen kann. Aber ich fürchte, das wird noch eine Weile dauern. Weit­er­lesen

Bedrohte Wörter

Von Anatol Stefanowitsch

Ich wollte eigentlich etwas über Bodo Mrozek schreiben, der auf sein­er Web­seite und neuerd­ings auch in zwei Büch­ern („Lexikon der bedro­ht­en Wörter“ I und II) völ­lig ironiefrei für den Erhalt von Wörtern wie Dut­ten­gre­tel, Hagestolz und Nasen­fahrad agiert.

Doch ger­ade sehe ich, dass die Freie Presse den Düs­sel­dor­fer Sprach­wis­senschaftler Rudi Keller zu diesem The­ma inter­viewt hat. Dem, was Keller sagt, ist wenig hinzuzufü­gen und so empfehle ich Ihnen ein­fach die Lek­türe des Inter­views. Weit­er­lesen

Schneeschmelze

Von Anatol Stefanowitsch

Eigentlich ist die ganze Geschichte Schnee von gestern: lange Zeit glaubte man, die Eski­mos ver­fügten über eine große Zahl von Wörtern für Schnee und ver­wies gerne und häu­fig auf diese ver­meintliche Tat­sache. Dann set­zte sich langsam die Erken­nt­nis durch, dass dies nicht der Fall ist. Eigentlich ist das schon alles und vie­len Men­schen ist nicht klar, warum uns das über­haupt inter­essieren sollte. Ich hätte das The­ma auch lieber ver­mieden, aber ein aktueller Anlass in der Blo­gosphäre (und das unver­hoffte Win­ter­wet­ter) zwin­gen mich nun, die Geschichte hier aufzu­greifen. Weit­er­lesen

Unwort des Jahres 2007

Von Anatol Stefanowitsch

Die Medi­en­präsenz der Sprach­wis­senschaft war diese Woche haupt­säch­lich durch die selb­ster­nan­nte „Unwort des Jahres“-Jury bes­timmt, die in diesem Jahr die frei­willige Aus­reise zum Unwort erko­ren hat. Als Sprach­wis­senschaftler kann man dazu eigentlich nicht viel sagen, denn die Sprach­wis­senschaft beschäftigt sich mit Unwörtern genau­sowenig, wie die Zoolo­gie mit Untieren oder die Math­e­matik mit Unsum­men. Die Begrün­dung der Jury hat dann mit Sprache auch nur wenig zu tun:

Frei­willige Aus­reise meint in Abgren­zung zum amtlichen Begriff Abschiebung, der Zwangs­maß­nah­men bein­hal­tet, die Kon­se­quenz aus der „inten­siv­en Beratung“ abgelehn­ter Asyl­be­wer­ber in den sog. Aus­reisezen­tren, die Bun­desre­pub­lik doch lieber von selb­st wieder zu ver­lassen. Die Frei­willigkeit ein­er solchen Aus­reise darf in vie­len Fällen bezweifelt werden.

Das macht den Begriff frei­willige Aus­reise allerd­ing nicht zu einem Unwort, son­dern zu ein­er Lüge. Und „Lügen haben kurze Beine“, das wusste schon meine Groß­mut­ter. Dafür braucht es keine Sprachwissenschaftler.