Archiv des Autors: Anatol Stefanowitsch

Über Anatol Stefanowitsch

Anatol Stefanowitsch ist Professor für die Struktur des heutigen Englisch an der Freien Universität Berlin. Er beschäftigt sich derzeit mit diskriminierender Sprache, Sprachpolitik und dem politischen Gebrauch und Missbrauch von Sprache. Sein aktuelles Buch „Eine Frage der Moral: Warum wir politisch korrekte Sprache brauchen“ ist 2018 im Dudenverlag erschienen.

Ein Fall für alle Fälle

Von Anatol Stefanowitsch

Manch­mal find­en wohlmeinende Men­schen, als Lin­guist in einem anglis­tisch-amerikanis­tis­chen Stu­di­en­gang sollte ich auch ein wenig über die Klas­sik­er der amerikanis­chen Lit­er­atur wis­sen und schenken mir dann „gute“ Büch­er, die den „Schund“, den ich son­st lese, wenig­stens ergänzen sollen (über den Vor­wurf mit dem „Schund“ schreibe ich ein andermal).

So erhielt ich zu meinem let­zten Geburt­stag den jüng­sten Roman des US-amerikanis­chen Schrift­stellers John Irv­ing, Until I Find You (dt. „Bis ich dich finde“). Nun bin ich nicht der größte Irv­ing-Fan der Welt — die sich ständig wieder­holen­den Motor­räder, Pros­ti­tu­ierten und Zirkus­bären kön­nen einem irgend­wann ziem­lich auf die Ner­ven gehen. Trotz­dem wollte ich es, um der lieben Per­son willen, die mir das Buch geschenkt hat, mal wieder ver­suchen. Ich weiß, ehrlich gesagt, noch nicht, ob ich es durch­halte, denn nach einem inter­es­san­ten Anfang (unter Tätowierungskün­stlern) ist die Hand­lung schnell wieder bei den alt­bekan­nten Huren im Ams­ter­damer Rotlichtvier­tel ange­langt, die schon in Wid­ow for One Year (dt. „Witwe für ein Jahr“) wenig zur Geschichte beige­tra­gen haben.

Aber es geht ja gar nicht darum, John Irv­ings Moti­vauswahl zu kri­tisieren, son­dern um einen sprach­wis­senschaftlich inter­es­san­ten Absatz, über den ich beim Lesen gestolpert bin: Weit­er­lesen

(Statt einer) Presseschau

Von Anatol Stefanowitsch

Schon wieder eine „Slow News Week“ aus sprach­wis­senschaftlich­er Sicht. Die einzige Zeitungsmeldung (oder eher Zeitungsente) haben wir schon abge­han­delt. Deshalb nutze ich die Press­eschau dies­mal, um über eine Mel­dung zum The­ma Sprache zu schreiben, bei dem eine sprach­wis­senschaftliche Stel­lung­nahme aus­blieb, obwohl man sie vielle­icht erwartet hätte.

Der Stad­trat von New York hat eine Res­o­lu­tion ver­ab­schiedet, nach der das Wort Nig­ger aus dem öffentlichen Sprachge­brauch ver­schwinden soll. Man sollte eigentlich davon aus­ge­hen, dass Einigkeit darüber beste­ht, dass das kein schönes Wort ist und dass man es deshalb ver­mei­den sollte. Das „N‑Wort“, wie es die Amerikan­er ver­schämt nen­nen, ist ohne­hin eins der am stärk­sten tabuisierten Wörter des amerikanis­chen Englisch, und seine unbe­dachte Ver­wen­dung kann Kar­ri­eren zer­stören, wie beispiel­sweise der Sein­feld-Star Michael Richards jüngst her­aus­find­en musste. Weit­er­lesen

Sprachverwirrungen

Von Anatol Stefanowitsch

Seit Anfang der Woche arbeit­et sich eine Mel­dung der dpa durch die deutsche Medi­en­land­schaft, die dem Hor­rorszenario der ver­meintlichen „Anglizismen“-Schwemme ein weit­eres hinzufügt. „Die deutsche Sprache“, so erfahren wir, „verän­dert sich immer mehr durch den Ein­fluss von Migranten“.

Her­aus­ge­fun­den haben will das laut Pressemel­dung der Berlin­er Sozi­olin­guist Nor­bert Dittmar:

Deutsche Jugendliche übernehmen ver­mehrt die Aussprache und Satz­bil­dung aus­ländis­ch­er Jugendlich­er und benutzen auch häu­fig Worte aus dem Türkischen oder Ara­bis­chen“, sagte der Pro­fes­sor […]. „Dabei han­delt es sich um eine dauer­hafte Verän­derung, weil die Jugendlichen diese Sprache verin­ner­lichen und auch als Erwach­sene sprechen wer­den.“ Der Ein­fluss sei vor allem in Städten mit großen Migranten­grup­pen zu spüren. „Das Phänomen kann man aber in ganz Deutsch­land beobacht­en“, sagte Dittmar.

In diesem Zitat steck­en die drei Ker­naus­sagen des Artikels (aber man sollte sich ruhig auch den Rest zu Gemüte führen): Weit­er­lesen

Zweihundert Wörter für Reis?

Von Anatol Stefanowitsch

Ein Leser hat vor eini­gen Tagen den Artikel zu den Eski­mowörtern für Schnee mit ein­er inter­es­san­ten Anmerkung kom­men­tiert. Jens bemerkt:

Den Eski­moschnee hat neben­bei an manchen Stellen der ostasi­atis­che Reis (als Pflanze, geschält, gekocht, …) abgelöst — und bei teils isolieren­den Sprachen trifft’s dann ja noch eher zu.

Damit die Diskus­sion nicht unterge­ht, mache ich sie lieber zum The­ma eines eige­nen Post­ings. Weit­er­lesen

Presseschau

Von Anatol Stefanowitsch

In der Press­eschau beschäfti­gen wir uns heute kurz mit drei berühmten Sprach­wis­senschaftlern befassen, die neben­bei in der Presse erwäh­nt wurden.

Die ersten bei­den sind die Gebrüder Grimm. Die Älteren unter uns ken­nen sie als Märch­en­erzäh­ler, die jün­geren als Fan­ta­sy-Helden aus dem Film The Broth­ers Grimm. Tat­säch­lich waren sie auch Sprach­wis­senschaftler und zeich­nen in dieser Eigen­schaft ver­ant­wortlich für ein dreiund­dreißig­bändi­ges Wörter­buch der deutschen Sprache, erschienen zwis­chen 1854 und 1960. Wie die Hessische/Niedersächsische All­ge­meine berichtet, wer­den sie in ihrer Funk­tion als Märchen­samm­ler nun geehrt: auf dem Net­za­uftritt der Region Nord­hessen find­en sich Reisetipps für diejeni­gen, die auf Rotkäp­pchens Spuren wan­deln wollen (Zitat: „Rotkäp­pchen, Frau Holle, Schnee­wittchen, Dorn­röschen — Sie alle kön­nten in Nord­hessen gelebt haben.“) oder die tat­säch­liche Lebenssta­tio­nen der Grimms besichti­gen wollen.

Der dritte ist auch ein Märch­en­erzäh­ler, allerd­ings ein etwas mod­erner­er: J.R.R. Tolkien, Autor des Her­rn der Ringe und, wie die Grimms, his­torisch­er Sprach­wis­senschaftler. Wie seine Anhänger wis­sen, hat Tolkien Sprachen nicht nur studiert son­dern auch reich­lich davon erfun­den. Die Aach­en­er Zeitung warnt aber davor, Wörter aus diesen Sprachen als Pass­wörter für Com­put­er und Onlin­eak­tiv­itäten zu ver­wen­den. Das leuchtet ein: jed­er Hack­er und Crack­er, der etwas auf sich hält, ist Tolkien­fan, und so sind Quenya, Sin­darin und Westron natür­lich auf jed­er Wortliste vertreten, die zum knack­en von Pass­wörtern ver­wen­det wird (und bevor ich jet­zt empörte E‑Mails aus Mit­tel­erde bekomme — mir ist bekan­nt, dass das Westron in Tolkiens Werken stets als Englisch repräsen­tiert wird, und es deshalb keine Wortliste dafür geben kann).

Ich kaufe ein E

Von Anatol Stefanowitsch

Liebe: Auch so ein Prob­lem, das Marx nicht gelöst hat“ — so hat es ange­blich der franzö­sis­che Dra­matik­er Jean Anouilh aus­ge­drückt. Und Recht hat er: wer kann von sich behaupten, das Geheim­nis der zwis­chen­men­schlichen Anziehung zu ver­ste­hen? Nun, wie heißt es so schön: „Amerikanis­che Wis­senschaftler haben her­aus­ge­fun­den…“. Die Berlin­er Zeitung berichtete diese Woche von einem entschei­den­den Durch­bruch, den Amy Per­fors, eine junge Sprach­wis­senschaft­lerin vom Mass­a­chus­sets Insti­tute of Tech­nol­o­gy, erzielt haben soll. Auf ein­er amerikanis­chen Dat­ing-Web­seite ließ sie Fotos von Män­nern und Frauen bew­erten, wobei sie das­selbe Foto jew­eils mehrfach mit unter­schiedlichen Vor­na­men verse­hen ver­wen­dete. Und siehe da:

Frauen ste­hen bei Män­ner­na­men auf helle Vorderzun­gen-Vokale wie ei, e und i. Auf dem hin­teren Teil der Zunge gesproch­ene Laute wie u und a empfind­en sie als weniger attrak­tiv. Also ist Bernd ver­führerisch­er als Hugo, Kevin anziehen­der als Ole. … Bei Frauen­na­men läuft es genau umgekehrt. Män­ner find­en Namen mit der Beto­nung auf run­den Vokalen wie o oder u anziehend. Das ist gut für Mona, Lau­ra und Uta — schlecht für alle Bir­gits, Maikes und Katrins.

Ähn­liche Berichte auf T‑Online und 20 Minuten, im Express und in der Kro­nen­zeitung ergänzen die bunte Liste von Namen Weit­er­lesen

Come on, baby, light my fire

Von Anatol Stefanowitsch

Passend zum gestri­gen „Tag der Mut­ter­sprache“ berichtete in den let­zten Tagen eine Rei­he von britis­chen Tageszeitun­gen von Bemühun­gen, einen schot­tis­chen Dialekt zu doku­men­tieren, solange die let­zten bei­den Sprech­er noch am Leben sind. Die Brüder Bob­by und Gor­don Hogg (87 und 82 Jahre alt) sind laut diesen Mel­dun­gen die let­zten Sprech­er des Cro­mar­ty-Dialek­ts, den die britis­che Presse heute als „Cro­mar­ty Fish­er Dialect“ beze­ich­net, ver­mut­lich, weil die Sprech­er tra­di­tionell Fis­ch­er waren.

Ich freue mich natür­lich über die Ret­tungsver­suche und über die Tat­sache, dass die britis­che Presse so aus­führlich berichtet, die zeigt, dass in Großbri­tan­nien ein öffentlich­es Inter­esse an Dialek­ten beste­ht (die bei­den Brüder wirken allerd­ings auch äußerst liebenswert, das hil­ft sich­er). Die Mel­dun­gen enthal­ten aber auch eine Rei­he von Unge­nauigkeit­en und Missver­ständ­nis­sen, die wir hier für unsere inter­ssierten Leser natür­lich aufk­lären müssen. Weit­er­lesen

Sprachsterben

Von Anatol Stefanowitsch

Sprachen kön­nen ster­ben, weil ihre Sprech­er ster­ben. Viele der derzeit fast sieben­tausend Sprachen der Welt haben nur wenige hun­dert Sprech­er, die oft auf engem Raum leben. Deshalb kön­nen Kriege, Mas­sak­er, Hunger­snöte, Epi­demien oder Naturkatas­tro­phen leicht mehrere Sprachen auf ein­mal auslöschen.

Um nur drei Beispiele zu nen­nen: in einem Zeitraum von weniger als hun­dert Jahren ver­schwan­den alle indi­ge­nen Sprachen Tas­man­iens, weil britis­che Siedler im soge­nan­nten Black War in der ersten Hälfte des neun­zehn­ten Jahrhun­derts fast alle tas­man­is­chen Ure­in­wohn­er ermorde­ten. Hunger­snöte in Irland als Folge von Kartof­fel-Mis­sern­ten zwis­chen 1845 und 1849 und die darauf fol­gende ver­stärk­te Land­flucht und Emi­gra­tion tru­gen entschei­dend zum Nieder­gang des irischen Gälisch bei. Ein Tsuna­mi an der Nord­küste von Papua-Neuguinea im Jahr 1998 tötete fast die Hälfte der damals etwa 2000 Sprech­er des Arop-Sis­sano und machte eine Umsied­lung der Über­leben­den in ver­schiedene Auf­fanglager nötig. Weit­er­lesen

Body-Bag Blues

Von Anatol Stefanowitsch

Da wir in den ver­gan­genen Tagen hier im Bre­mer Sprach­blog eine (unge­plante) „Denglisch“-Woche hat­ten, bleiben wir dem The­ma auch zum Woch­enende treu und wen­den uns dann in der näch­sten Woche wieder ern­sthafteren The­men zu.

Die Lokalredak­tion der West­deutschen Zeitung hat am let­zten Woch­enende angekündigt, dass man eine Woche lang ganz auf englis­che Lehn­wörter verzicht­en wolle. Das ist ein inter­es­santes sprach­lich­es Exper­i­ment, das ich prinzip­iell trotz (oder ger­ade wegen) meines anglis­tis­chen Hin­ter­grunds voll und ganz unter­stütze. Lei­der wird diese Aktion (wieder ein­mal) nicht durch eine beja­hende Liebe zur deutschen Sprache und ihrer schöpferischen Kraft motiviert (son­st würde sie wohl auch nicht auf eine Woche und den Lokalteil beschränkt sein), son­dern durch eine dif­fuse Angst vor der „denglis­chen“ Gefahr: Weit­er­lesen