Archiv der Kategorie: Randbemerkungen

Sprachbrocken 3/2013

Von Anatol Stefanowitsch

Sprach­lich drehte sich die öffentliche Diskus­sion in dieser Woche vor­rangig um das Unwort des Jahres, Opfer-Abo, das Susanne am Dien­stag bere­its besprochen hat. Ich kann mich ihrer Bew­er­tung anschließen und will hier nur einen Nebe­naspekt nachre­ichen. Die TAZ erwäh­nt in ihrer Mel­dung zum Unwort, dass das Wort Opfer „in der Jugend­sprache eine schwache, dumme oder unter­legene Per­son“ beze­ichne, die „an ihrer schlecht­en Behand­lung sel­ber Schuld“ sei. Ich bin mehrfach darauf ange­sprochen wor­den, a) ob das stimme und b) wie es dazu kom­men kon­nte. Die erste Antwort ist ein­fach: Ja, es stimmt, sog­ar der DUDEN führt die Bedeu­tung „Schwäch­ling, Ver­lier­er (beson­ders als Schimpf­wort)“ als „abw­er­tenden“ Begriff der Jugend­sprache auf. Die zunächst ungewöhn­lich erscheinende Ver­schiebung im Wort­ge­brauch ergibt sich dabei nicht vor­rangig aus ein­er Verän­derung der früheren Wortbe­deu­tung „jemand, der durch jeman­den, etwas umkommt, Schaden erlei­det“ — diese Bedeu­tung bleibt ja auch in der jugend­sprach­lichen Ver­wen­dung erhal­ten. Was sich verän­dert hat, ist das hin­ter dem Sprachge­brauch ste­hende Wertesys­tem: in ein­er Gesellschaft, in der Men­schen füreinan­der ein­ste­hen, sind Opfer Men­schen, denen etwas Schreck­lich­es zugestoßen ist, weil wir nicht aus­re­ichend auf sie aufgepasst haben, und denen deshalb unsere Für­sorge und unser Mit­ge­fühl gilt. In ein­er Gesellschaft, in der jed­er für sich ver­sucht, auf der gesellschaftlichen Leit­er möglichst weit nach oben zu klet­tern, sind Opfer Men­schen, die zu schwach für diesen bru­tal­en Klet­ter­wet­tbe­werb waren, und die wir dafür ver­höh­nen, um ja nicht mit ihnen gle­ichge­set­zt zu wer­den. Und unsere Jugendlichen haben offen­sichtlich sehr genau erkan­nt, welch­es dieser bei­den Gesellschaftsmod­elle wir ihnen vor­leben. Weit­er­lesen

Sprachbrocken 1/2013

Von Anatol Stefanowitsch

Ich bin ein wenig ent­täuscht: Da beugt sich ein Ver­lag dem Mei­n­ung­ster­ror der Gut­men­schen und zer­stört unwider­bringich einen bis dato sakrosank­ten Text, ein unverzicht­bares Zeitzeug­nis der deutschen Mytholo­gie, und das deutsche Feuil­leton schweigt. Kein weißer Rit­ter, der zum End­kampf um die Mei­n­ung­shoheit — entschuldigung, Mei­n­ungs­frei­heit (Freud­sche Fehlleis­tung, ist mir so durchgerutscht) bläst, nie­mand, der, wenn er das Abend­land schon nicht vor dem Unter­gang bewahren kann, wenig­stens mit fliegen­den Druck­fah­nen mit ihm untergeht.

[Hin­weis: Der fol­gende Text enthält Beispiele ras­sis­tis­ch­er Sprache.] Weit­er­lesen

Sprachbrocken 52/2012

Von Anatol Stefanowitsch

Die CDU ist ohne Frage die deutschtümel­nd­ste Partei im deutschen Bun­destag, wie sich unter anderem am Wun­sch erken­nen lässt, Deutsch not­falls auch gegen die eigene Kan­z­lerin im Grundge­setz zu ver­ankern (das Sprachlog berichtete). Aber ab und zu wagt sich jemand aus ihren Rei­hen her­vor, um eine Lanze für die englis­che Sprache zu brechen, und dann kann man abso­lut sich­er sein, dass das aus den falschen Grün­den geschieht. Vor eini­gen Jahren wollte Gün­ther Oet­tinger Englisch zur Sprache des Beruf­slebens machen und das Deutsche in die Sphäre des traut­en Heims ver­ban­nen, und jet­zt hat Wolf­gang Schäu­ble ein Plä­doy­er für das Englis­che gehal­ten: Die „Sprache der europäis­chen Eini­gung“ sei es. Und warum? Wie vor ihm Oet­tinger beruft er sich auf die Bedarfe der Wirtschaft — „in glob­al agieren­den Unternehmen“ werde eben „nur noch Englisch gesprochen“. Sein eigenes Englisch schätzt er übri­gens real­is­tisch ein: Er bedauert diejeni­gen, die es ertra­gen müssen (und zwar zu recht). Weit­er­lesen

Sprachbrocken 51/2012

Von Anatol Stefanowitsch

Alle Jahre wieder wen­det sich Hans Zehet­mair, Vor­sitzen­der des Rats für deutsche Rechtschrei­bung, an die Presse um den Ver­fall der deutschen Sprache zu bekla­gen. Dieses Jahr beschw­ert er sich über „Recy­cling-Sprache“, den SMS-bed­ingten Man­gel an „Gefühl und Her­zlichkeit“ und über englis­che Wörter, „die man eben­so auch auf Deutsch for­mulieren kön­nte“. Und natür­lich benen­nt er scho­nungs­los die Ver­ant­wortlichen für den Sprachver­fall: die Jugend von heute und ihre iPads, auf denen sie die Sprache Schillers und Goethes regel­recht kaputt twit­tern. Weit­er­lesen

Sprachbrocken 49/2012

Von Anatol Stefanowitsch

Die Nachricht der Woche war zweifel­los, dass sich zur Liste der twit­tern­den Staat­sober­häupter auch der Monarch des kle­in­sten Staates des Welt hinzuge­sellt: Josef Ratzinger, bess­er bekan­nt unter seinem Kün­stler­na­men Benedikt XVI — oder eben @pontifex, wie der twit­ternde Teil der Bevölkerung ihn ver­mut­lich bald auch im Real Life nen­nen wird. Der hat zwar seit Eröff­nung seines Twit­terkon­tos noch keinen einzi­gen Tweet geschrieben, das aber dafür in gle­ich sieben Sprachen: Englisch, Deutsch, Spanisch, Por­tugiesisch, Pol­nisch, Ital­ienisch, Franzö­sisch und Ara­bisch. Weit­er­lesen

Sprachbrocken 48/2012

Von Anatol Stefanowitsch

Wo Deutsche, Schweiz­erin­nen und Östere­icherin­nen ((Der Ein­fach­heit hal­ber wer­den in diesem Text die fem­i­ni­nen For­men ver­wen­det; Män­ner sind selb­stver­ständlich mit­ge­meint.)) Fäkalaus­drücke ver­wen­den, um ihren Unmut zu Äußern, ver­wen­den unsere Nach­barin­nen in Europa bevorzugt Wörter aus dem Bedeu­tungs­feld „Geschlechtsverkehr“. Zumin­d­est behauptet das der Freiburg­er Sprach­wis­senschaftler Hans-Mar­tin Gauger, dessen Buch „Das Feuchte & Das Schmutzige“ der Schweiz­er TAGESANZEIGER bespricht. Weit­er­lesen

Sprachbrocken 15/2012

Von Anatol Stefanowitsch

Auf dem Bun­deskongress der Alt­philolo­gen in Erfurt hat der Öster­re­ichis­che Bil­dungsmin­is­ter Karl­heinz Töchter­le eine über­raschende aber höchst plau­si­ble Lösung für die „derzeit­ige Krise“ im Bil­dungssys­tem präsen­tiert: Mehr Latei­n­un­ter­richt! Denn ger­ade in Krisen­zeit­en, so zitiert die Thüriger All­ge­meine den pro­movierten Alt­philolo­gen, seien häu­fig sprach­liche und lit­er­arische Rückbesin­nun­gen zu beobacht­en. Außer­dem ver­mutet er pos­i­tive Auswirkun­gen auf die Mut­ter­sprache der Schüler/innen: „Mit Latein kön­nen Schüler mod­ell­haft ler­nen, wie Sprache funk­tion­iert und damit die eigene Sprache mit ihrer Gram­matik bess­er ver­ste­hen.“ Nen­nt mich ver­rückt, aber kön­nten sie nicht auch anhand ihrer eige­nen Sprache(n) mod­ell­haft ler­nen, wie Sprache funk­tion­iert? Und hätte das nicht den Vorteil, dass die Unter­richt­szeit, die son­st auf das Erler­nen ein­er toten Sprache ver­schwen­det würde, für Neben­säch­lichkeit­en wie mod­erne Fremd­sprachen zur Ver­fü­gung stünde, an denen man mod­ell­haft ler­nen kön­nte, wie man sich mit Men­schen aus anderen Län­dern und Kul­turen unterhält?

Ander­er­seits kön­nte ein wenig klas­sis­che Bil­dung den einen oder anderen Shit­storm ver­hin­dern. Wir erin­nern uns, wie es dem Fir­men­sprech­er von Schleck­er (ken­nen Sie Schleck­er noch?) sein­erzeit beina­he gelun­gen wäre, durch ein klares Beken­nt­nis zu einem an der Sprachkun­st der Antike ori­en­tieren Sprach­stil die Empörung über die Tat­sache, dass er die Kun­den sein­er Fir­ma für dumm und unge­bildet hielt, schon im Keim zu erstick­en. Wie ungeschickt erscheint im Ver­gle­ich zu dieser alt­philol­o­gis­chen Ele­ganz die Antwort „roflcopter gtfo“, mit der die Piraten­partei dieser Tage auf das abso­lut nachvol­lziehbare Ansin­nen eines selb­ster­nan­nten Parteina­men­warts reagierte, sie mögen doch bitte ihren Namen in etwas weniger piratiges ändern. Dass hier kein Shit­storm los­brach, lag sich­er nur daran, dass nie­mand wusste, was dieses kryp­tis­che Akro­nym bedeuten kön­nte. Der West­en schuf flugs Abhil­fe, in dem er einen „Grund­wortschatz zum Chat­ten“ veröf­fentlichte. Darin wird aus­füh­lich disku­tiert, was roflcopter bedeutet, und auch geheimnisvolle Neuwörter wie lol, nope und sry wer­den erläutert. Was gtfo heißt, mochte man den Leser/innen wohl nicht zumuten. Wir sind weniger zim­per­lich: Es bedeutet in etwa „Extra omnes, vel pedi­cabo ego vos et irrumabo“.

Aber es gibt Hoff­nung: Zwar ver­fällt der Sprachge­brauch der Jun­gend mit zunehmender Geschwindigkeit, aber dafür, berichtet die AFP, haben franzö­sis­che Forsch­er gezeigt, dass Paviane lesen kön­nen. Na gut, nicht „lesen“, eher „Kom­bi­na­tio­nen von Buch­staben von anderen Kom­bi­na­tio­nen von Buch­staben unter­schei­den“, was aber natür­lich weniger catchy klingt. Aber immer­hin bedeutet das, dass man in der Press­es­telle der Piraten­partei einen Pavian beschäfti­gen kön­nte, um den aus­ge­hen­den E‑Mail-Verkehr auf poten­ziell injuriöse Akro­nyme zu kon­trol­lieren. Er kön­nte sog­ar das belei­di­gende GTFO vom frölich-harm­losen TGIF und das anstößige WTF vom loben­den FTW unter­schei­den. Fäkalaus­drücke im mündlichen Sprachge­brauch kön­nte so ein Pavian lei­der nicht ver­hin­dern, dafür bräuchte man min­destens einen Ältesten­rat.

[Dieser Beitrag erschien ursprünglich als Gast­beitrag hier, wo auch Kom­mentare dazu zu find­en sind.]