Schlagwort-Archive: Feldforschung

Sprachdatenrätsel: ’s Gribbili un’s Gripfli

Von Kristin Kopf

Nun hat­ten wir es erst vorgestern von der Krip­pen, da geht es schon heute mit dem sel­ben Wort in eine ganz andere Richtung:

Corpus delicti

Cor­pus Delicti

Zum Fest hat mein Vater die Wei­h­nacht­skrippe vom Spe­ich­er geholt und entstaubt — wir hat­ten die seit sich­er 15 Jahren nicht mehr aufgestellt. Da mein Vater gel­ern­ter Elek­tromeis­ter ist, besitzt unsere Krippe natür­lich auch Strom in Form zweier klein­er Glüh­bir­nen, die tat­säch­lich die ganze Zeit unbeschadet über­standen haben. Und da mein Brud­er seine Katzen mit­ge­bracht hat, war das Gras um die Krippe herum in kurz­er Zeit ziem­lich zer­fressen. All das bot aus­re­ichend Gele­gen­heit, über diese Wei­h­nacht­skrippe zu sprechen, und als dann am 24. beim Aben­dessen zum unge­fähr fün­fzig­sten Mal das Wort dafür fiel, wurde ich stutzig: Meine Eltern sprachen die ganze Zeit vom Grib­bili, also wörtlich ‘Krip­pelein’.

Zunächst mal war inter­es­sant, dass diese Verkleinerungs­form im ale­man­nis­chen Dialekt mein­er Eltern den Nor­mal­fall darstellt. Eine Wei­h­nacht­skrippe, darauf behar­rten sie eis­ern, kann man gar nicht ohne li-Endung (der dialek­tal­en Entsprechung von -lein) beze­ich­nen, es gibt keine Gribb. Also so wie Mäd­chen oder Eich­hörnchen im Stan­dard­deutschen, für die nutzt man auch keine unverklein­erte Form.

Dann war inter­es­sant, dass eine unchristliche Fut­terkrippe mit einem anderen Wort beze­ich­net wird: Gripf.

Und dann wurde es richtig span­nend: Weit­er­lesen

Fremdwörter gesucht!

Von Kristin Kopf

Vielle­icht erin­nert sich hier jemand noch an meine Mag­is­ter­ar­beit? Da ging es let­ztlich um Plu­ral­bil­dung im Ale­man­nis­chen, hat eine Menge Spaß gemacht, aber auch eine Menge Fra­gen aufge­wor­fen, denen ich damals nicht nachge­hen kon­nte. Eine davon ist die, wie dialek­tal mit Fremd­wörtern umge­gan­gen wird.

Nun dachte ich mir let­ztes Jahr im Herb­st, es wäre ganz schön, das mal noch sys­tem­a­tisch anzuschauen, und entsprechend habe ich ein Abstract für eine Kon­ferenz ein­gere­icht, die nun schon bald ist. Es ist also höch­ste Zeit, Dat­en sam­meln zu gehen! Dazu fahre ich dem­nächst in den Schwarzwald. Ich habe schon alle nöti­gen Imp­fun­gen, aber was ich noch nicht habe, sind alle nöti­gen Items. Also die Wörter, deren Plu­ral­bil­dungsver­fahren ich unter­suchen will. Und da kommt ihr ins Spiel: Vielle­icht fall­en euch ja Wörter ein, auf die ich noch nicht gekom­men bin? Weit­er­lesen

[Buchtipp] Heike Wiese: Kiezdeutsch. Ein neuer Dialekt entsteht

Von Kristin Kopf

Heute will ich euch  Heike Wieses »Kiezdeutsch. Ein neuer Dialekt entste­ht« empfehlen. Viele von euch wer­den in den let­zten Wochen in den Medi­en etwas zum The­ma aufgeschnappt haben – im Rah­men der Buch­pub­lika­tion wurde Frau Wiese oft inter­viewt und rezen­siert. Sie forscht und schreibt  näm­lich über ein The­ma, bei dem die Emo­tio­nen hochkochen und manchen beim Geifern der Schaum aus dem Mund schlägt: Über eine sprach­liche Vari­etät, die sie Kiezdeutsch nennt.

Kiezdeutsch ist eine Jugend­sprache, die sich in mul­ti­eth­nis­chen Wohn­vierteln beson­ders in Berlin, also z.B. Kreuzberg und Neukölln, her­aus­ge­bildet hat. Von anderen Jugend­sprachen unter­schei­det sie sich dadurch, dass sehr viele der SprecherIn­nen zwei- oder mehrsprachig aufwach­sen – aber nicht alle: Weit­er­lesen

Mini-Feldforschungsrätsel

Von Kristin Kopf

Heute habe ich euch, frisch von meinen Exkur­sio­nen ins wilde Ale­man­nien, zwei kleine Szenen mit­ge­bracht. Sie spie­len sich in Anbe­tra­cht der aktuellen Wit­terung tagtäglich tausend­fach ab:

»Essen wir … ?« — »Nein, … !«

Meine erste Idee war, die Gespräche ins Hochdeutsche zu über­set­zten und zu erk­lären, was der Unter­schied zum Dialekt ist, aber … vielle­icht habt ihr ja Lust? Ich über­lasse euch die mühevoll extrahierten Sprach­dat­en mal zur Betra­ch­tung – was ist daran auf­fäl­lig? Kom­mentare willkom­men! (Ich mache sie aber erst mor­gen sicht­bar, son­st kom­men hier gle­ich die Mut­ter­sprach­lerin­nen und dann gibts nix mehr zu rätseln …)

Wer einen guten Tipp braucht, wird hin­ter dem Umbruch fündig. Weit­er­lesen

[Lesetipp] Der Geschichtenerzähler

Von Kristin Kopf

Dass Mario Var­gas Llosa den Lit­er­aturnobel­preis gewon­nen hat, erin­nert mich prompt an meine Semes­ter in der Kom­para­tis­tik. Ich denke das Sem­i­nar hieß “Interkul­turelles Erzählen”, ich hielt dort mein erstes und (hof­fentlich mit viel Abstand) grauen­haftestes Unirefer­at und ein Buch ist mir sehr, sehr ein­drück­lich in Erin­nerung geblieben: “Der Geschicht­en­erzäh­ler” (span. “El Hablador”) von obge­nan­ntem Llosa. Die Erzäh­lung spielt in Peru, ganz beson­ders im Regen­wald bei den Machiguen­ga und am besten man ver­rät vorher so gut wie gar nichts drüber. Der Sch­plock-Bezug? Das SIL kommt am Rande vor. (Eher unschme­ichel­haft, wenn ich mich recht entsinne.)

Ich werde diese Erin­nerung zum Anlass nehmen, das Buch endlich mal wieder zu lesen – will noch jemand? Dann würd ich gle­ich zwei Exem­plare bestellen.

Die ideale Gewährsperson: “Steinalt und völlig ungebildet”

Von Kristin Kopf

So, meine Mag­is­ter­ar­beit ist seit Mon­tag abgegeben und die ersten Fehler hab ich auch schon drin gefun­den. Ich ste­he dem Sch­plock also wieder zur Verfügung!

Ich liebe alte sprach­wis­senschaftliche Texte. So unge­fähr 1850 bis 1910 war eine gold­ene Ära. Hier meine bei­den High­light-Sprach­beispiele aus Ren­ward Brand­stet­ters “Der Gen­i­tiv der Luzern­er Mundart in Gegen­wart und Ver­gan­gen­heit”:

Veroni­ka wird an ihrem Hus­ten ster­ben = Uf ’s Vroo­nis Wueste(n) mues me Häärd tue.”

Das heißt wörtlich: ‘Auf des Vro­nis Hus­ten muss man Erde (gemeint ist Fried­hof­serde) tun.’

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Ein paar badische Pluräääle …

Von Kristin Kopf

Ich stecke bis zum Hals in Tran­skrip­tio­nen mein­er Dialek­tauf­nah­men – der feste Vor­satz, am 30. Sep­tem­ber damit fer­tig zu sein, ist den Bach hin­unter, aber am 1. Okto­ber muss es doch endlich klap­pen! Daher also auch heute wieder kein richtiger Beitrag, son­dern nur ein paar schöne badis­che Plu­ral­for­men (immer zuerst die Einzahl):


‘Hahn – Hähne’ Guller
Giller
‘Haufen – Haufen’ Huffe
Hiffe
‘Bub – Buben’ Bue
Buewe

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Auf Feldforschung im Ur… ähm, Schwarzwald

Von Kristin Kopf

Das Sch­plock lei­det ger­ade unter meinem ver­stärk­ten Ein­satz für die Mag­is­ter­ar­beit – ich bin für ein paar Tage im Schwarzwald und mache Dialek­tauf­nah­men. Da ich nicht wirk­lich Zeit habe, an andere Dinge zu denken, erzäh­le ich ein­fach mal ein bißchen darüber.

LaptopUndAufnahmegerät

Das Ziel

Ich unter­suche ja die Plu­ral­bil­dung im Ale­man­nis­chen (bzw. in einem ale­man­nis­chen Dialekt). Dazu will ich für alle hochdeutschen Möglichkeit­en min­destens zwei Beispiele haben – also zwei Fem­i­ni­na auf Umlaut+e (z.B. Städteund Nächte), zwei Fem­i­ni­na auf -s (z.B. Kam­eras und Unis), zwei Neu­tra auf -er (z.B. Häuser und Kinder) und so weiter …

Außer­dem will ich auch noch min­destens zwei Beispiele für alle althochdeutschen Möglichkeit­en haben, und dann noch eine Menge Wörter, bei denen ich den leisen Ver­dacht habe, dass sie im Ale­man­nis­chen ganz anders gehen als im Hochdeutschen oder Althochdeutschen.

Ins­ge­samt hat das zu ein­er Auswahl von ca. 250 Wörtern geführt, die ich aus meinen Infor­man­tInnen her­aus­lock­en will. Diese Wörter brauche ich a) in der Ein­zahl, b) in der Mehrzahl und c) mit ihrem Genus (männlich, weib­lich oder sächlich).

Die Ein­zahl brauche ich, um bes­tim­men zu kön­nen, was genau die Mehrzahlen­dung ist. So habe ich z.B. das Wort t’Zeg­ger ‘die Zeck­en’ bekom­men. Ohne die Ein­zahl kön­nte ich denken, dass das Wort aus Zegg+er beste­ht, also in eine Klasse mit Geis­chd+er, Kind+er, … gehört. Wenn ich aber weiß, dass es in der Ein­zahl auch Zeg­ger heißt, kann ich es kor­rekt in eine Klasse mit Schäfer, Fis­ch­er, … einord­nen, die auch in der Ein­zahl schon auf -er enden, also einen soge­nan­nten Nullplur­al haben (d.h. das Wort verän­dert sich in der Mehrzahl nicht).

Die Methode

Ich arbeite haupt­säch­lich mit Bildern. Am Anfang habe ich sie noch aus­ge­druckt, aber das war sehr papier­in­ten­siv und die Fotos waren sehr klein. Jet­zt samm­le ich sie alle in ein­er Bild­schirm­präsen­ta­tion und zeige sie meinen Infor­man­tInnen am Laptop:

2009-09-11-Präsentation

Der Rei­he nach die Bilder für: Wiesen, Bäche, Brück­en, Gebirge, Land­schaft, Gänse, Schafe, Ziegen, Käl­ber, Hasen, Uhus, Schlangen, Bären, Läm­mer, Zeck­en, Zecke, Wespen, Bienen, Hor­nissen, Hähne, Raben, Spatzen, Rinder, Felle, Tiroler

Ich ver­suche für jedes Wort zwei Bilder zu find­en: eines mit mehreren der gesucht­en Dinge und eines mit nur einem. Die bei­den fol­gen i.d.R. nicht direkt aufeinan­der, son­dern sind weit voneinan­der ent­fer­nt, meis­tens sog­ar in ein­er anderen Sitzung.

Damit ich auch wirk­lich eine Plu­ral­form als Antwort bekomme, stelle ich bei den Bildern mit mehreren Objek­ten die Frage Was sin des? ‘Was sind das?’. Es klappt nicht immer, aber doch ganz schön oft.

Wörter, die sich nicht abbilden lassen, ver­suche ich mit Fra­gen zu erheben, z.B.:

  • Masern und Wind­pock­en sind …? (Krankheit­en)
  • Was waren Deutsch­land und Frankre­ich im Krieg? (Feinde)
  • Wenn man zur Beichte geht, was wird einem dann vergeben? (Sün­den)

An manchen Wörtern scheit­ere ich aber auch. Z.B. Bre­it­en oder Tiefen habe ich bish­er noch aus nie­man­dem her­aus­lock­en kön­nen – zu abstrakt, zu sel­ten in der Mehrzahl gebraucht.

Die Technik

2009-09-11-ZoomIch nehme die kom­plet­ten Gespräche mit einem Auf­nah­megerät auf. Das habe ich mir vom Mainz­er Ger­man­is­tikin­sti­tut aus­geliehen und es ist wirk­lich enorm prak­tisch. Alle Auf­nah­men wer­den als mp3s gespe­ichert und ich kann sie anschließend von ein­er SD-Karte auf meinen Rech­n­er kopieren.

Die Analyse

Wenn ich die Auf­nah­men habe, höre ich sie mir noch ein­mal ganz genau an. Dabei erfasse ich jedes Sub­stan­tiv auf ein­er elek­tro­n­is­chen Karteikarte – u.a. mit dialek­taler Plu­ral­en­dung, Genus, genauer Posi­tion auf den Auf­nah­men und neu- und althochdeutschen Klassen. Das dauert ewig. Drei Stun­den Auf­nah­men kön­nen gut und gerne in zwei Wochen Analy­sear­beit mün­den. Und wenn ich das alles beisam­men habe, muss ich natür­lich noch ein­mal analysieren: Dann muss ich schauen, welche Wörter sich im Dialekt anders ver­hal­ten als im Hochdeutschen, ob sie etwas gemein­sam haben, wie der Unter­schied ent­standen sein kön­nte, … und zuguter­let­zt muss ich das auch noch alles auf­schreiben. Was ein Stress! Und was ein Spaß!

Unter einem Teppich stecken …

Von Kristin Kopf

Kür­zlich habe ich mit meinen Eltern tele­foniert und wollte dabei eine Wort­form im badis­chen Dialekt wis­sen. Es ging mir um das Wort Decke, das ja zwei Bedeu­tun­gen hat: Ein­mal die ‘Zim­merdecke’ und ein­mal die ‘Decke zum Zudeck­en’. Die Zim­merdecke heißt Deg­gi und in der Mehrzahl Deg­gine. Das ist eine spez­i­fisch ale­man­nis­che Plu­ral­form, über die ich bes­timmt dem­nächst mehr schreiben werde.

Woran ich jet­zt zweifelte war, dass das Wort in der Bedeu­tung ‘Decke zum Zudeck­en’ auch den ne-Plur­al bildet. (Meine Hypothese war, dass es in der Ein­zahl Deck und in der Mehrzahl Decke hieße.) Also fragte ich meine Mut­ter ganz direkt. Das ist eine schlechte Meth­ode, weil sie so eine Chance hat­te, nachzu­denken. Da wir aber eh schon über Plu­rale sprachen und sie somit bere­its über For­men­bil­dung nach­dachte, war eh nichts mehr zu ret­ten. Wie erwartet zögerte sie und wusste nicht so richtig, was die Mehrzahl war. Also wurde sie inves­tiga­tiv tätig …

Meine Mut­ter zu meinem Vater: Du, was isch sell wu ma sich noochds mit zuedeckt?
Mein Vater: Ha e Deckbett.
Meine Mut­ter: Un häm­mir nur eins defu?
Mein Vater: Nai, mir hän mäh Deckbedder.
Meine Mut­ter zu mir: Deckbed­der!
Ich: Ja Mama, aber das ist ja die Mehrzahl von Bett, nicht von Decke.
Meine Mut­ter: Aaah, ja, stimmt. Wardemol.
Meine Mut­ter zu meinem Vater: Un im Winder, wenn’s kalt isch, was nimm­sch donn noch dezue?
Mein Vater: E Dep­pich.
(Über­set­zung)

So endete die tele­fonis­che Feld­forschung mit ein­er uner­warteten Fest­stel­lung: Das, was im Hochdeutschen als Decke beze­ich­net wird (Bettdecke, Zudecke, Pick­nick­decke, …), wird im Badis­chen durch andere Wörter abgedeckt. Die Bettdecke durch Deck­bett (gibt’s im Hochdeutschen ja auch) und jede andere Form ein­er tex­tilen Decke als Tep­pich.

Weil ich mir aber soooo sich­er war, dass es auch Decke irgend­wie geben muss, habe ich mich auf der ale­man­nis­chen Wikipedia umge­se­hen, und siehe da: die Tis­chdecke ist kein Tischteppich!

Ing­var Kam­prad het mit sinere Fir­ma am Afang aller­lei ver­schi­deni Ware, dorun­der Chugelschriber, Brief­dasche, Bilder­rämme, Dis­chdeck­ene, Uhre, Zünd­höl­zli, Schmuck un Nylon­strümpf ver­chauft. (Quelle)

[Ing­var Kam­prad hat mit sein­er Fir­ma am Anfang aller­lei ver­schiedene Waren, darunter Kugelschreiber, Brief­taschen, Bilder­rah­men, Tis­chdeck­en, Uhren, Stre­ich­hölz­er, Schmuck und Nylon­strümpfe verkauft.]

Jet­zt mal schauen, wie meine Mut­ter die badis­che Form dazu aus meinem Vater herauslockt …

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