Schlagwort-Archive: Politische Sprache

Asylgegner und Asylbefürworter

Von Anatol Stefanowitsch

Eins der Unwörter, das mir in der Berichter­stat­tung über Angriffe auf Flüchtlinge und ihre Unterkün­fte bish­er ent­gan­gen ist, ist das Wort Asyl­be­für­worter. Tat­säch­lich kon­nte ich zunächst kaum glauben, dass es wirk­lich ver­wen­det wird, als ich es heute früh in diesem Tweet des MDR Sach­sen las:

Eine schnelle Recherche ergab dann aber, dass das Wort tat­säch­lich von den Medi­en ver­wen­det wird – nicht nur vom MDR, son­dern z.B. auch von der säch­sichen Freien Presse, von Spiegel Online, der Bild, dem Han­dels­blatt, dem Deutsch­land­funk und der Tagess­chau. Weit­er­lesen

Kulturkämpfe

Von Anatol Stefanowitsch

Ein Kampf der Kul­turen tobt in unserem Land. Nicht so sehr zwis­chen Chris­ten und Mus­li­men oder Abend- und Mor­gen­land, son­dern vielmehr unter Politiker/innen, die sich darin über­schla­gen, ständig neue Kom­posi­ta mit dem Zweit­glied -kul­tur zu erfind­en und in Poké­mon-Manier gegeneinan­der in den Kampf zu schicken.

Ange­fan­gen hat der Kul­turkampf ganz unauf­fäl­lig und noch wenig kämpferisch: Seit min­destens zehn Jahren fordern Poli­tik und Wirtschaft eine Willkom­men­skul­tur gegenüber Migrant/innen – ange­feuert weniger von Fre­undlichkeit als von Fachkräfte­man­gel. In diesem Zusam­men­hang wird das Wort auch von deutschen Behör­den wie dem Bun­de­samt für Migra­tion und Flüchtlinge, und – beze­ich­nen­der­weise – dem Bun­desmin­is­teri­um für Wirtschaft und Energie ver­wen­det. In jün­ger­er Zeit hat sich die Willkom­men­skul­tur dann im Rah­men ansteigen­der Flüchtlingszahlen zu einem schlag­wor­tar­ti­gen Gege­nen­twurf zur bis dahin vorherrschen­den, nen­nen wir sie mal bürg­er­lichen Besorg­nis- und Kri­tikkul­tur entwick­elt. Weit­er­lesen

Pack, Vertriebene und die verunsicherte Mitte

Von Anatol Stefanowitsch

Da ich dieser Tage immer noch viele Anfra­gen zum Unwort Asylkri­tik bekomme, hier aus der Ferne ein paar kurze Noti­zen zu anderen Untiefen des aktuellen Sprachgebrauchs.

Mitte, verun­sicherte. Von Sig­mar Gabriel ins Spiel gebrachte Beze­ich­nung für Men­schen, die zwar wed­er verun­sichert noch Mitte sind, die man aber nicht mehr als „asylkri­tisch“ oder als „besorgt“ beze­ich­nen kann, ohne den Spott mit­denk­ender Men­schen her­aufzubeschwören. Passt zum Ver­such der SPD und der anderen „bürg­er­lichen“ Parteien, sich ein anständi­ges, nur vorüberge­hend besorgt-verun­sichertes Bürg­er­tum her­beizuphan­tasieren, das man vom recht­en ★Pack auf der einen Seite abgren­zen kann, und – da es ja die „Mitte“ ist, auch von „linken Chaoten“ auf der anderen Seite. Passt nicht zu ein­er Wirk­lichkeit in der sich Men­schen, die eigentlich nur anständig sind, ver­mehrt die Frage stellen, ob sie das vielle­icht nicht doch eher zu Linken macht. Passt auch nicht zu ein­er Wirk­lichkeit, in der linke Chaoten oft die ersten, und manch­mal lei­der auch die einzi­gen sind, die sich der verun­sicherten Mitte in den Weg stellen, wenn diese den Flüchtlin­gen ihre Asylkri­tik demon­stri­eren wollen. Weit­er­lesen

Kurze Geschichte eines Unworts: Asylkritiker

Von Anatol Stefanowitsch

Die Wörter asylkri­tisch, Asylkri­tik und Asylkri­tik­er haben sich in den let­zten Monat­en zu euphemistis­chen Ober­be­grif­f­en für alle möglichen Spielarten recht­en und/oder ras­sis­tis­chen Denkens und Han­delns entwick­elt. Zunächst geschah das fast unbe­merkt, aber seit ein paar Wochen bekom­men die Wörter endlich die kri­tis­che Aufmerk­samkeit, die ihnen zuste­ht: Schon im Juni kri­tisierte die Beratungsstelle für Betrof­fene rechter Gewalt in Sach­sen die For­mulierung „besorgte, asylkri­tis­che Bürg­er“, und in den let­zten Tagen gab es aus­führliche Kri­tiken in The Euro­pean, der Zeit und der taz. Inzwis­chen hat die dpa sog­ar angekündigt, dass sie die Wörter gar nicht mehr ver­wen­den wird.

Auch ich habe mich zu den Begrif­f­en geäußert, z.B. im in der Säch­sis­chen Zeitung, bei Radio Corax und bei MDR INFO. Eine Frage, die ich dabei nur all­ge­mein beant­worten kon­nte, war die, woher das Wort über­haupt kommt und seit wann es im Umlauf ist. Hier nun eine genauere Antwort auf diese Frage. Weit­er­lesen

Wie Medien Wörter machen

Von Anatol Stefanowitsch

Sprache verän­dert sich nicht von alleine, son­dern sie wird von den Mit­gliedern der Sprachge­mein­schaft verän­dert. In jedem Gespräch kann es passieren, dass die vorhan­de­nen Ressourcen der Sprache nicht aus­re­ichen, um unsere Gedanken wiederzugeben. Oder, dass uns die vorhan­de­nen Ressourcen nicht gefall­en, z.B. weil wir Sprach­nör­gler sind und keine englis­chen Lehn­wörter mögen, oder weil wir anständi­ge Men­schen sind und diskri­m­inierende Sprache ver­mei­den wollen. In solchen Fällen kön­nen wir alle kreativ wer­den und dem Wortschatz eigene Erfind­un­gen hinzufü­gen oder eine gram­ma­tis­che Regel ein kleines biss­chen erweit­ern. Und es kann immer passieren, dass solche Neuerun­gen sich aus­bre­it­en und Teil des all­ge­meinen Sprachge­brauchs werden.

Das ist natür­lich vor allem dann der Fall, wenn wir mit ein­er einzi­gen Sprech­hand­lung möglichst viele Men­schen erre­ichen: Ein­er der Helden der deutschen Sprach­nör­g­lerge­meinde ist der Sprach­purist Philipp von Zesen (1619–1689), der für eine große Zahl erfol­gre­ich­er Ein­deutschun­gen von (meist franzö­sis­chen, griechis­chen und lateinis­chen) Lehn­wörtern ver­ant­wortlich ist – ihm zugeschrieben wer­den zum Beispiel die Wörter Abstand (statt Dis­tanz), Bücherei (statt Bib­lio­thek), Mundart (statt Dialekt) und Weltall (statt Uni­ver­sum). Dass er bei der Ver­bre­itung dieser Wörter – anders als die heuti­gen Sprach­puris­ten vom Vere­in Deutsche Sprache – so erfol­gre­ich war, lag daran, dass er wenig Zeit damit ver­brachte, diese Ein­deutschun­gen in Form eines Fremd­wör­terindex oder ein­er Sprach­pan­sch­er-des-Jahres-Wahl zu propagieren, und rel­a­tiv viel Zeit damit, sie ein­fach zu ver­wen­den – und da er ein sehr pro­duk­tiv­er Schrift­steller und Über­set­zer war, erre­ichte er mit jed­er Ver­wen­dung ein großes Publikum.

Heute sind mit den Massen­me­di­en Play­er an der Sprachen­twick­lung beteiligt, gegen die Philip von Zesen wie ein Ama­teur wirkt. Eine große Presseagen­tur oder ein großer Ver­lag, wie, sagen wir mal, der Axel-Springer-Ver­lag, kön­nen Wörter erfind­en und inner­halb weniger Tage für eine Ver­bre­itung sor­gen, die eine Über­nahme in den all­ge­meinen Sprachge­brauch sehr viel wahrschein­lich­er macht als alles, was wir Kleinkom­mu­nizieren­den tun kön­nten um die Sprache mitzuen­twick­eln. Weit­er­lesen

Israel und die Hamas im Spiegel deutscher Schlagzeilen

Von Anatol Stefanowitsch

Hin­weis: Eine neuere Ver­sion des unten ste­hen­den Textes mit ein­er umfassenderen Analyse auf ein­er bre­it­eren Daten­grund­lage ist hier erschienen.

Die Presse­berichte der let­zten Tage aus Israel und dem Gaza­s­treifen haben viele Men­schen in meinen sozialen Net­zw­erken als unaus­ge­wogen emp­fun­den: viele waren der Ansicht, die deutsche Presse berichte nicht angemessen über den soge­nan­nten „Nahost-Kon­flikt“ son­dern bew­erte die israelis­che Seite über­mäßig neg­a­tiv und inter­essiere sich haupt­säch­lich für Angriffe Israels auf Ziele im Gaza­s­treifen, aber nicht für Angriffe der Hamas auf Israel. Da mir dieser Vor­wurf im Zusam­men­hang mit der Israel-Berichter­stat­tung nicht zum ersten Mal begeg­net, habe mich gefragt, ob dieser Ein­druck stimmt, oder ob er das Ergeb­nis selek­tiv­er Wahrnehmung ist – die wenig­sten von uns analysieren ja sys­tem­a­tisch die Berichter­stat­tung tage­sak­tueller Ereignisse, und die eigene Per­spek­tive kann sich deshalb ja leicht zu einem falschen Gesamtein­druck verfestigen.

Um das zu über­prüfen, habe ich heute mor­gen auf Google News die Such­be­griffe Israel und Hamas eingegeben, und die Über­schriften der jew­eils 25 ersten Tre­f­fer analysiert (da einige Mel­dun­gen natür­lich bei bei­den Such­be­grif­f­en auf­taucht­en, waren das 37 Über­schriften; sie sind alle am Ende des Beitrags aufge­lis­tet). Ich konzen­triere mich auf die Über­schriften, weil sie erstens der Teil der Presse­berichte sind, der am stärk­sten Wahrgenom­men wird (vor allem in sozialen Net­zw­erken, wo außer Über­schriften häu­fig nicht viel gele­sen wird), und weil sie zweit­ens die Per­spek­tive oder den Frame verdeut­lichen, die ein bes­timmtes Medi­um uns auf die Ereignisse ver­mit­teln will. Weit­er­lesen

Spähmetaphorik und ihre Grenzen [re:publica]

Von Anatol Stefanowitsch

Auch auf der re:publica wurde natür­lich viel disku­tiert über die Überwachung des Inter­nets durch die Geheim­di­en­ste (diskur­siv immer vertreten durch die NSA) und die Apathie, mit der die über­wälti­gende Mehrheit der Bevölkerung auf diese Überwachung reagiert. Ich sage „natür­lich“, weil dieses The­ma für die Net­zge­meinde seit vie­len Monat­en beherrschend ist, nicht, weil es zwin­gend beson­ders dringlich ein­er Lösung durch die Net­zge­meinde har­rt. ((Wom­it ich nicht sagen will, dass sie kein­er Lösung bedarf, aber es stellt sich natür­lich die Frage, ob es eine solche Lösung über­haupt gibt und ob es, wenn es eine solche Lösung gibt, die Net­zge­meinde oder ihre net­zpoli­tis­chen Organ­i­sa­tio­nen sind, die sie find­en wer­den. Es stellt sich weit­er­hin die Frage, ob das Prob­lem der Überwachung durch Geheim­di­en­ste das dringlich­ste zu lösende Prob­lem der Net­zpoli­tik ist. Ich sage das alles nicht, weil ich gerne überwacht werde oder Überwachung grund­sät­zlich für harm­los halte, son­dern, weil das Fra­gen sind, die meines Wis­sens bis­lang wenig disku­tiert wor­den sind.)) Weit­er­lesen

Sacharbeit, zurückkehren zur

Von Anatol Stefanowitsch

Wenn Thomas Opper­mann Dinge been­det, dann tut er das sprach­lich etwas raf­finiert­er als Ronald Pofal­la. Die Diskus­sion darum, ob nach dem Rück­tritt des CSU-Land­wirtschaftsmin­is­ters Hans-Peter Friedrich auch die SPD per­son­elle Kon­se­quen­zen ziehen müsse, beant­wortet er so:

Wir wer­den zur Sachar­beit zurück­kehren und nicht Dinge verknüpfen, die nichts miteinan­der zu tun haben. [NDR.de, 18.2.2014]

Damit bedi­ent er sich ein­er Redewen­dung, die so sprich­wörtlich ist, dass der Duden sie als Beispiel für die kor­rek­te Ver­wen­dung des Wortes Sachar­beit nen­nt: Weit­er­lesen

Im Zenit der Macht

Von Anatol Stefanowitsch

Merkel sei am (oder im oder auf dem) Zen­it ihrer (oder der) Macht, berichtet die deutsche Presse ein­mütig. Ein paar der vie­len Beispiele:

  1. Angela Merkel ste­ht im Zen­it ihrer Macht. (Tagesspiegel)
  2. Merkel ist jet­zt auf dem Zen­it ihrer Macht (Focus)
  3. Angela Merkels größter Erfolg: Bun­deskan­z­lerin auf Zen­it ihrer Macht (Rhein Zeitung)
  4. Die alte und wohl auch neue Kan­z­lerin ste­ht im Zen­it ihrer Macht. (Spiegel Online)
  5. Während François Hol­lande ger­ade mit nur noch 23 Prozent Zus­tim­mung in der jüng­sten Umfrage einen Tief­punkt erre­icht habe, ste­he die Bun­deskan­z­lerin im Zen­it ihrer Macht. (Die WELT)
  6. Merki­avel­li am Zen­it der Macht (Wiener Zeitung)

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Wahlprogrammlinguistik

Von Anatol Stefanowitsch

Für Unentschlossene bietet das Sprachlog zur heuti­gen Bun­destagswahl eine aller­let­zte Entschei­dung­shil­fe. Für jede Partei, die in den Umfra­gen über 2 Prozent liegt, haben wir mit­tels quan­ti­ta­tiv­er kor­puslin­guis­tis­ch­er Ver­fahren (ein­er dis­tink­tiv­en Kollex­e­m­analyse, für diejeni­gen, die es genau wis­sen wollen) ermit­telt, welche Wörter in ihrem Wahl­pro­gramm häu­figer vorkom­men als in allen Wahl­pro­gram­men zusam­men. Das ist inter­es­san­ter, als ein­fach für jedes Wahl­pro­gramm die häu­fig­sten Wörter zu ermit­teln, weil wir auf unserem Weg für jede Partei beson­ders die Unter­schiede zu allen anderen Parteien, also das, was sie beson­ders macht, herausfinden.

Wir präsen­tieren hier kom­men­tar­los die Top 10 jed­er Partei, wobei wir den jew­eils eige­nen Parteina­men und Teile davon, Funk­tion­swörter (Prä­po­si­tio­nen, Pronomen usw.) und Eigen­na­men sowie das Wort Wahl­pro­gramm und seine Syn­onyme wegge­lassen haben. Weit­er­lesen