Legosexismus

Von Anatol Stefanowitsch

Ich wollte heute für meine Töchter Legomän­nchen kaufen, und musste die erschreck­ende Fest­stel­lung machen, dass diese mit über­wälti­gen­der Mehrheit genau das sind: Män­nchen. Es gab über­haupt nur drei weib­liche Legofig­uren: eine junge Dame in einem spießi­gen geblümten Oberteil, die auf ein­er Bank sitzt und Musik aus einem Ghet­to­blaster hört (Erde an Lego: Bitte ein­mal „iPod“ googeln), eine Tochter aus gutem Hause, die auf einem Pferd neben einem lan­drover­ar­ti­gen Auto mit Pfer­dean­hänger sitzt, und eine Milch­magd mit ein­er Kuh auf einem Bauern­hof. Let­ztere ist im Lego-Uni­ver­sum — oder dem Teil, der ger­ade beim näch­sten Karstadt herum­ste­ht — die einzige Frau, die ein­er Beschäf­ti­gung nachge­ht. Alle anderen Beruf­stäti­gen sind Män­ner: von Sach­bear­beit­ern mit Aktenkof­fer über Piloten, Inge­nieure, Polizis­ten, Feuer­wehrmän­ner, Bauar­beit­er und Müllmän­ner bis zu Pirat­en und futur­is­tis­chen „Pow­er Miners.“

[Hin­weis: Der fol­gende Text enthält Beschrei­bun­gen ras­sis­tis­ch­er Stereo­type und (durch Sternchen entschärfte) Beispiele ras­sis­tis­ch­er Sprache. Einige Kom­mentare enthal­ten Beispiele ras­sis­tis­ch­er Sprache.]

Ich bin ein großer Lego-Fan, aber als Vater von zwei Mäd­chen, die im Leben alles erre­ichen kön­nen sollen, was sie sich vornehmen, hat mich das schock­iert. Es hat mich an die unzäh­li­gen Kinder­büch­er erin­nert, deren Sex­is­mus ich beim Vor­lesen stillschweigend her­ausedi­tiert habe: die Geschichte vom muti­gen kleinen Fuch­sjun­gen, der inter­essiert die Welt erkun­det, während seine Schwest­ern lieber bei der Mut­ter bleiben (er wurde bei mir ein mutiges kleines Fuchsmäd­chen), die Geschichte von den Kindern aus der Krach­mach­er­straße, die mit der Bahn in den Urlaub fahren, weil „Mama natür­lich nicht aut­o­fahren kann“ (sie wurde bei mir zur umwelt­be­wussten Bah­n­Card-Besitzerin), all die Geschicht­en von wilden, mit detek­tivis­chem Gespür und Aben­teuer­lust aus­ges­tat­teten Jun­gen, in deren Welt Mäd­chen höch­stens als blöde ältere Schwest­ern vorkom­men (diese Büch­er sind bei mir gle­ich aus dem Bücher­re­gal geflo­gen, oder ich habe beim Vor­lesen wenig­stens die blö­den älteren Schwest­ern weggelassen).

Damit blieben im Prinzip nur Büch­er von Mäd­chen übrig, die Pferde vor dem Abdeck­er ret­ten, oder die von geheimnisvollen Frem­den erfahren, dass sie in Wirk­lichkeit Hex­en sind, oder die über­haupt von vorne­here­in als Meer­jungfrauen durch Büch­er mit glitzer­nen rosa Ein­bän­den schwim­men. Auch Astrid Lind­grens Pip­pi Langstrumpf war keine echte Alter­na­tive zu diesen far­blosen, stereo­ty­oen Geschöpfen: erstens ist sie zu offen­sichtlich eine Fan­tasiegestalt und zweit­ens wird das weib­liche Selb­st­be­wusst­sein, das sie vielle­icht trotz­dem ver­mit­telt, durch die unsägliche, ständig um ihr sauberes Klei­d­chen besorgte Anni­ka zunichte gemacht. Deren ständi­ge Ängstlichkeit war außer­dem, anders als die „N**erkinder“ auf der Süd­seein­sel Taka-Tuka-Land nicht so ohne weit­eres sprach­lich auszu­radieren (die „N**erkinder“ wur­den bei mir zu „Inselkindern“ und die Beschrei­bun­gen ihrer tief­schwarzen Gesichter, dick­en Lip­pen und großen weißen Zähne habe ich sang- und klan­g­los über­sprun­gen, was später, als meine große Tochter das Buch selb­st gele­sen hat, zu extremer Ver­wirrung und inter­es­san­ten Gesprächen über sprach­lichen und gesellschaftlichen Wan­del und über eth­nis­che Grup­pen in der Süd­see geführt hat).

Das Lego­prob­lem lässt sich immer­hin lösen: Legofrauchenköpfe kaufen und auf die Polizis­ten- und Pow­er-Min­ers-Kör­p­er set­zen — schon herrscht in der Legow­elt Gle­ich­berech­ti­gung. Bei den Büch­ern ist das schw­er­er, aber es müsste doch möglich sein, Kinder- und Jugend­büch­er per Book-on-Demand so anzu­bi­eten, dass man vor dem Kauf auswählen kann, ob die Haupt­fig­ur ein Junge oder ein Mäd­chen sein soll und ob ein blöder großer Brud­er oder eine blöde große Schwest­er gewün­scht wird.