Archiv für das Jahr: 2009

Versandende Sprache (Nachtrag)

Von Anatol Stefanowitsch

Der stel­lvertre­tende Chefredak­teur des Ham­burg­er Abend­blatts, Matthias Iken, hat auf meine Kri­tik an sein­er Glosse sportlich reagiert und mich ein­ge­laden, meine Mei­n­ung zu Lehn­wörtern direkt im Ham­burg­er Abend­blatt zu sagen.

Das Ergeb­nis find­et sich auf Seite 4 der Druck­aus­gabe von heute (18.9.2009) und online hier.

Nach­trag zum Nach­trag: Ein paar Leser­briefe gibt es hier.

Die Filosofie der Ih-Mehl

Von Anatol Stefanowitsch

In meinem Beitrag zur ver­sanden­den Sprache zitiere ich einen hypo­thetis­chen Satz, den Abend­blatt-Chefredak­teur Matthias Iken als Beispiel für die Über­frach­tung der deutschen Sprache mit Anglizis­men verwendet:

Wer heute beispiel­sweise durch das Inter­net surft, per Fla­trate Soft­ware down­load­et, seine E‑Mails checkt, in Dat­ing­clubs mit Sin­gles chat­tet, Hits in die Charts votet oder clever shoppt — er tut dies muttersprachbefreit.

Ich beze­ichne diesen Satz dort als einen „durch und durch … deutsche[n] Satz … von der Wort­stel­lung über die Flex­ion­sendun­gen der Lehn­wörter bin hin zu deren Bedeutung“.

In einem Kom­men­tar zu dem Beitrag weist mich mein Ham­burg­er Kol­lege (und ehe­ma­liger Pro­fes­sor) Wolf­gang Börn­er san­ft aber bes­timmt zurecht: Weit­er­lesen

도서관 – Koreanische Konsonanten

Von Kristin Kopf

Angeregt durch den Bib­lio­thek­sar­tikel will ich noch ein bißchen mehr zu Schrift­sys­te­men sagen – heute über das kore­anis­che Alphabet.

Ich habe ja mal ein Semes­ter Kore­anisch an der Uni gel­ernt. Das ist alles, was ich noch kann:

2009-09-17-KoreanischIch muss allerd­ings zugeben, dass ich nie beson­ders viel mehr kon­nte. Aber natür­lich fand ich die Stun­den aus lin­guis­tis­ch­er Sicht super­span­nend, nicht zulet­zt die Schrift.

Das Kore­anis­che hat eine Alpha­betschrift, das heißt jedes Zeichen ste­ht für einen bes­timmten Laut. Allerd­ings sind diese Zeichen nicht, wie in der lateinis­chen Schrift, lin­ear ange­ord­net. Statt dessen bilden alle Laute, die zu ein­er Silbe gehören, einen kleinen Block. Diese Blöcke wer­den dann zu Wörtern und Sätzen aneinan­derg­erei­ht. Hier das kore­anis­che Wort für ‘Bib­lio­thek’:

2009-09-17-doseogwan

도서관

Es beste­ht aus drei Sil­ben: 도 do, 서 seo und 관 gwan. (Die Umschrift ähnelt der wirk­lichen Aussprache aber nur bed­ingt – wer sich’s anhören will, kann hier nach “library” suchen.)

Diese Sil­ben beste­hen wiederum aus mehreren Buchstaben:

  • 도 aus ㄷ und ㅗ,
  • 서 aus ㅅ undㅓ,
  • 관 aus ㄱ, ㅘ und ㄴ

Die Zeichen sehen ver­schieden aus, je nach­dem wie viel Platz sie in der entsprechen­den Silbe haben bzw. an welch­er Stelle sie ste­hen. Manch­mal sind sie langge­zo­gen, mach­mal eher gestaucht.

Eine geschriebene Silbe ist übri­gens nicht immer auch eine gesproch­ene Silbe. Der let­zte Kon­so­nant ein­er Schreib­silbe wird näm­lich gesprochen zum ersten Kon­so­nan­ten der Fol­ge­silbe, wenn die son­st mit einem Vokal anfan­gen würde.

Das richtig Inter­es­sante an der Schrift ist aber, dass sie nach lin­guis­tis­chen Kri­te­rien konzip­iert wurde. Die europäis­chen Alpha­betschriften sind ja aus Zeichen ent­standen, die ursprünglich mal Gegen­stände abbilde­ten. Erst nach und nach began­nen sie für Laute zu stehen.

Die Hangeul – so heißen die kore­anis­chen Buch­staben – sind aber nicht ein­fach so “ent­standen”, sie wur­den bewusst entwick­elt. Das geschah unter König Sejong Mitte des 15. Jahrhun­derts. Bis dahin schrieb man Kore­anisch auss­chließlich mit chi­ne­sis­chen Schriftze­ichen, die sich a) nicht beson­ders dazu eigneten und die b) sehr schw­er zu erler­nen waren. Es dauerte allerd­ings noch bis ins 20. Jahrhun­dert, bis sich die Hangeul wirk­lich durchsetzen.

Das kore­anis­che Alpha­bet hat 40 Buch­staben: 21 Vokale und 19 Konsonanten.

Die Kon­so­nan­ten gehen auf 5 Grundze­ichen zurück:

2009-09-17-Grundzeichen

(nach Hopp­mann 2007)

Die Zeichen stellen dar, wie die Spre­chor­gane beim Sprechen geformt sind. Die ersten drei Zeichen stellen die Lage der Zunge in einem seitlichen Quer­schnitt durch den Mundraum dar, das vierte die Posi­tion der Lip­pen in der Drauf­sicht, das fün­fte die Glottis.

2009-09-17-1 Der Zun­gen­rück­en berührt den hin­teren Gau­men (Velum). Das ist der Fall bei velaren Lauten:
ㄱ [k], ㅋ [kʰ]
2009-09-17-2 Der Zun­genkranz (Korona) berührt den vorderen Gau­men. Das ist der Fall bei koronalen Laut­en (wobei die Sibi­lanten ein Extraze­ichen haben):
ㄴ [n], ㄷ [t], ㅌ [tʰ], ㄹ [ɾ, l] (Aussprache von [ɾ] hören: hier)
2009-09-17-3 Die Zunge schafft eine Veren­gung vor bzw. an den oberen Schnei­dezäh­nen. Das ist der Fall bei Sibi­lanten (Zis­chlaut­en):
ㅅ [s], ㅈ [tɕ], ㅊ [tɕʰ] (Aussprache von [ɕ] hören: hier)
2009-09-17-4 Die Lip­pen berühren sich. Das ist der Fall bei bil­abi­alen Laut­en:
ㅁ [m], ㅂ [p], ㅍ [pʰ]
2009-09-17-5 Der Laut wird an der Stimm­ritze (Glot­tis) gebildet. Das ist der Fall bei glot­tal­en Laut­en:
ㅇ [ʔ, ŋ], ㅎ [h] (Aussprache von [ʔ]: hier, von [ŋ]: hier)

Neben der Grund­form bein­hal­ten viele Zeichen auch noch weit­ere Striche, die eben­falls Funk­tio­nen haben. Ein zusät­zlich­er Quer­strich zeigt z.B. Aspi­ra­tion an, das heißt der Laut wird behaucht: ㅋ [kʰ], ㅌ [tʰ], ㅊ [tɕʰ], ㅍ [pʰ], ㅎ [h].

Zu den Vokalen schreibe ich ein ander­mal was, da wird’s näm­lich ein bißchen esoterisch 😉

Merkels Lieblingszitat

Von Anatol Stefanowitsch

Im Bun­destagswahlkampf fällt ja auf, dass alle Spitzenkan­di­dat­en ver­suchen, das Web 2.0 für sich zu nutzen. Ver­mut­lich ziehen sie ihre Inspi­ra­tion dafür aus dem US-amerikanis­chen Präsi­dentschaftswahlkampf, vergessen dabei aber, dass Barack Oba­ma das Web deshalb so erfol­gre­ich nutzen kon­nte, weil er tat­säch­lich weiß, wie man es bedi­ent. Bei unseren Poli­tik­ern dage­gen durch­schaut man schnell, dass sie nur bloggen lassen, dass Press­esprech­er in ihrem Auf­trag twit­tern und dass ihre Face­book-Seit­en von PR-Agen­turen betrieben werden.

Und damit sind wir schon fast beim The­ma: Angela Merkels Face­book-Seite. Weit­er­lesen

Verstrahlte SMS-Kürzel

Von Anatol Stefanowitsch

Seit ein paar Tagen geis­tert eine Pressemel­dung der Ärztekam­mer für Wien durch die deutschsprachige Pres­se­land­schaft, in der ein­dringlich davor gewarnt wird, Kindern die Nutzung von Mobil­tele­fo­nen zu erlauben.

Zunächst geht es der Kam­mer um Strahlenbelastung:

Rechtzeit­ig zu Schul­be­ginn mah­nt die Wiener Ärztekam­mer einen ver­ant­wor­tungsvollen Gebrauch von Handys ins­beson­dere bei Kindern und Jugendlichen ein. Noch immer werde die Gefahr der Handys­trahlung in Öster­re­ich nicht wirk­lich ernst genom­men. Ger­ade bei Kindern aber müsse man auf eine mögliche gesund­heitliche Gefährdung im Umgang mit Mobil­funk acht­en und dürfe die Risiken der Handy-Nutzung nicht unter­schätzen… [Pressemel­dung der Ärztekam­mer für Wien vom vom 6. Sep­tem­ber 2009]

Dass eine Ärztekam­mer vor Strahlen­schä­den warnt, leuchtet ein — zumin­d­est, wenn von Handys tat­säch­lich eine entsprechende Gefahr aus­ge­hen sollte. Aber der näch­ste Absatz ließ mich bei der Lek­türe stutzen: Weit­er­lesen

Will sell ebber?

Von Kristin Kopf

Num­mer 2 in der Rei­he “Badis­che Wörter selt­samen Ursprungs”: ebber ‘jemand’.

[Nach­trag: Eben habe ich ein Ver­wen­dungs­beispiel in meinen Auf­nah­men gefun­den – es geht um erhal­tene Bur­gen im Mittelrheintal:

ja, äh, wuh­nd doo na no ebber drin? (ja, äh, wohnt da denn noch jemand drin?)

]

Mal wieder kein erkennbar­er Bezug zum hochdeutschen Wort – aber dafür ähnelt es einem anderen Dialek­t­wort auf­fäl­lig: ebbis ‘etwas’, unbe­tont auch oft ebbs. Bei­de Wörter sind soge­nan­nte “Indefinit­pronomen”, also Pronomen, die nicht näher Bes­timmtes bezeichnen.

2009-09-14-ebbis

Das dialek­tale ebbis ist his­torisch mit dem hochdeutschen etwas verwandt.

Das Grimm­sche Wörter­buch gibt althochdeutsch ëddeshuaʒ und mit­tel­hochdeutsch ët(e)swaʒ an, das schließlich zu unserem heuti­gen etwas wurde. Es ken­nt aber auch die For­men eppas, eppes, die es als von der “Volkssprache” assim­i­liert bezeichnet.

Das deutet darauf hin, dass das Wort nicht nur im Badis­chen auf­taucht – und siehe da: In zahlre­ichen Dialek­twörter­büch­ern find­et es sich, z.B. im Pfälzis­chen (ębəs, ębis, abəs), Rheinis­chen (ębəs, mit der weit­eren Bedeu­tung ‘sehr’), Elsäs­sis­chen (eppis) und Lothringis­chen (èpəs, èbs, èbəs). Im Lothringis­chen Wörter­buch ste­ht als Anmerkung dabei: Kommt in fast allen ober- und mit­teldeutschen Maa. [=Mundarten] vor”. Ost­mit­teldeutsche Wörter­büch­er gibt’s lei­der nicht online, Hin­weise dazu wer­den dankbarst aufgenommen!

2009-09-14-ebber

Jet­zt aber zu ebber! Das Wort ähnelt ebbis nicht umson­st, es geht näm­lich auf eine ähn­liche Grund­lage zurück:

  1. mhd. ëtes-was
  2. mhd. ëtes-wër

Im Mit­tel­hochdeutschen (und auch schon früher) wur­den die Indefinit­pronomen also regelmäßig gebildet, und zwar aus etes und dem entsprechen­den Frage­pronomen (was für Dinge, wer für Men­schen).

Außer­dem kon­nte etes auch vor -lîch (etlich), -(‘irgend­wo’), -war (‘irgend­wohin’), -wenne (‘manch­mal’) und -wie (‘irgend­wie’) ste­hen, immer mit der unbes­timmten Bedeu­tung. Lei­der bin ich grade fern von meinem ety­mol­o­gis­chen Wörter­buch, aber wenn wir wieder glück­lich vere­int sind, werde ich mal nach­schauen, ob für etes zu ein­er früheren Zeit eine konkretere Bedeu­tung belegt ist.

ebber ist also eine Vari­ante von etwer, das es im Neuhochdeutschen nicht mehr gibt. Statt dessen ver­wen­den wir jemand oder irgendw­er.

Wie ebbis ist auch ebber weit­er ver­bre­it­et: Im Pfälzis­chen (ębər, ębɒr), Elsäs­sis­chen (epper) und Lothringis­chen (èbər). Das Elsäs­sis­che ken­nt darüber hin­aus auch noch eppe ‘etwa’ und eppen(e) ‘irgend­wann, von Zeit zu Zeit’ (wahrschein­lich aus mhd. eteswenne).

Von tw zu bb

Wie kon­nte aber et-w… zu eb… wer­den? Die Grimms sprechen von ein­er Assim­i­la­tion, aber hier wird ja nicht t zu w oder w zu t, son­dern es verän­dern sich gle­ich bei­de Laute. Das ist eine soge­nan­nte “reziproke Assim­i­la­tion”, bei der sich die bei­den Laute gegen­seit­ig bee­in­flussen. Das neue [b] bein­hal­tet also Merk­male der bei­den vorheri­gen Laute (grün = Stimmhaftigkeit, blau = Artiku­la­tion­sort, orange = Artiku­la­tion­sart):

  • <t> ist ein stimm­los­er alve­o­lar­er Plo­siv [t]
  • <w>
    • war früher mal ein labi­al­isiert­er stimmhafter velar­er Approx­i­mant (=Hal­b­vokal) [w] – wie heute noch im Englischen –
    • und ist jet­zt ein stimmhafter labio­den­taler Frika­tiv [v]
  • <b> ist ein stimmhafter bil­abi­aler Plo­siv

Nun ist es etwas schwierig zu sagen, was genau wann passiert ist. Ist ebber ent­standen, als wir noch ein [w] hat­ten, oder erst, als es schon ein [v] war? Ich tippe auf ersteres. Dann hätte das [t] seinen Artiku­la­tion­sort ver­lagert, um dem [w] ent­ge­gen­zukom­men. Das [w] ist velar, das heißt der Zun­gen­rück­en ist bei der Bil­dung hin­ten am Gau­men, aber wichtiger ist hier, dass es labi­al­isiert ist. Das bedeutet, dass man bei der Bil­dung bei­de Lip­pen benutzt. Wenn man zur Bil­dung eines Plo­sivs, was das [t] ja ist, die Lip­pen ein­set­zt, dann wird er bil­abi­al und somit ein [b] oder [p]. Wir hät­ten also den Zwis­chen­schritt *ebwas.

In einem zweit­en Schritt hätte dann das [b] auf das [w] eingewirkt und es in sein­er Artiku­la­tion­sart verän­dert: Vom Hal­b­vokal zum Plo­siv. Et voilà, ebbas.1 Übri­gens: Heute schreibt man zwar noch <bb>, aber in Wirk­lichkeit ist es längst auf einen b-Laut zusam­mengeschrumpft. (Den Vor­gang nen­nt man “Degem­i­na­tion”.)

Das [a] wurde später oft abgeschwächt, sodass man dialek­tal meist ebbes hat. Woher das ale­man­nis­che [i] stammt, kann ich lei­der nicht schlüs­sig erk­lären. Das Ale­man­nis­che ist aber sehr i-phil, vielle­icht wurde die abgeschwächte Endung ein­fach als ehe­ma­liges [i] analysiert und dann wieder ver­stärkt. Das ist jet­zt aber reine Spekulation!

Einen ganz ähn­lichen Vor­gang kann man übri­gens zum Lateinis­chen hin beobacht­en: aus indoger­man­is­chem *dw wurde im Lateinis­chen b (z.B. *dwis ‘zweimal’ > bis). Im Deutschen hinge­gen haben wir das ursprüngliche *dw beibehal­ten, es wurde lediglich durch andere Laut­wan­del­prozesse verän­dert (indogerm. *dw > germ. tw (1. Lautver­schiebung) > ahd. zw (2. Lautverschiebung)).

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Versandende Sprache

Von Anatol Stefanowitsch

Ab und zu schafft es ein Sprach­nör­gler, so aus­führlich und unin­formiert daneben­zu­greifen, dass ich mich bei allen guten Vorsätzen nicht daran hin­dern kann, aus­führlich darauf zu antworten. Sprach­blogleser Dierk weist in einem Kom­men­tar auf eine Glosse des stel­lvertre­tenden Chefredak­teurs des Ham­burg­er Abend­blatts, Matthias Iken, hin, für die das gilt.

Iken fängt eigentlich sehr schön an: Weit­er­lesen

Auf Feldforschung im Ur… ähm, Schwarzwald

Von Kristin Kopf

Das Sch­plock lei­det ger­ade unter meinem ver­stärk­ten Ein­satz für die Mag­is­ter­ar­beit – ich bin für ein paar Tage im Schwarzwald und mache Dialek­tauf­nah­men. Da ich nicht wirk­lich Zeit habe, an andere Dinge zu denken, erzäh­le ich ein­fach mal ein bißchen darüber.

LaptopUndAufnahmegerät

Das Ziel

Ich unter­suche ja die Plu­ral­bil­dung im Ale­man­nis­chen (bzw. in einem ale­man­nis­chen Dialekt). Dazu will ich für alle hochdeutschen Möglichkeit­en min­destens zwei Beispiele haben – also zwei Fem­i­ni­na auf Umlaut+e (z.B. Städteund Nächte), zwei Fem­i­ni­na auf -s (z.B. Kam­eras und Unis), zwei Neu­tra auf -er (z.B. Häuser und Kinder) und so weiter …

Außer­dem will ich auch noch min­destens zwei Beispiele für alle althochdeutschen Möglichkeit­en haben, und dann noch eine Menge Wörter, bei denen ich den leisen Ver­dacht habe, dass sie im Ale­man­nis­chen ganz anders gehen als im Hochdeutschen oder Althochdeutschen.

Ins­ge­samt hat das zu ein­er Auswahl von ca. 250 Wörtern geführt, die ich aus meinen Infor­man­tInnen her­aus­lock­en will. Diese Wörter brauche ich a) in der Ein­zahl, b) in der Mehrzahl und c) mit ihrem Genus (männlich, weib­lich oder sächlich).

Die Ein­zahl brauche ich, um bes­tim­men zu kön­nen, was genau die Mehrzahlen­dung ist. So habe ich z.B. das Wort t’Zeg­ger ‘die Zeck­en’ bekom­men. Ohne die Ein­zahl kön­nte ich denken, dass das Wort aus Zegg+er beste­ht, also in eine Klasse mit Geis­chd+er, Kind+er, … gehört. Wenn ich aber weiß, dass es in der Ein­zahl auch Zeg­ger heißt, kann ich es kor­rekt in eine Klasse mit Schäfer, Fis­ch­er, … einord­nen, die auch in der Ein­zahl schon auf -er enden, also einen soge­nan­nten Nullplur­al haben (d.h. das Wort verän­dert sich in der Mehrzahl nicht).

Die Methode

Ich arbeite haupt­säch­lich mit Bildern. Am Anfang habe ich sie noch aus­ge­druckt, aber das war sehr papier­in­ten­siv und die Fotos waren sehr klein. Jet­zt samm­le ich sie alle in ein­er Bild­schirm­präsen­ta­tion und zeige sie meinen Infor­man­tInnen am Laptop:

2009-09-11-Präsentation

Der Rei­he nach die Bilder für: Wiesen, Bäche, Brück­en, Gebirge, Land­schaft, Gänse, Schafe, Ziegen, Käl­ber, Hasen, Uhus, Schlangen, Bären, Läm­mer, Zeck­en, Zecke, Wespen, Bienen, Hor­nissen, Hähne, Raben, Spatzen, Rinder, Felle, Tiroler

Ich ver­suche für jedes Wort zwei Bilder zu find­en: eines mit mehreren der gesucht­en Dinge und eines mit nur einem. Die bei­den fol­gen i.d.R. nicht direkt aufeinan­der, son­dern sind weit voneinan­der ent­fer­nt, meis­tens sog­ar in ein­er anderen Sitzung.

Damit ich auch wirk­lich eine Plu­ral­form als Antwort bekomme, stelle ich bei den Bildern mit mehreren Objek­ten die Frage Was sin des? ‘Was sind das?’. Es klappt nicht immer, aber doch ganz schön oft.

Wörter, die sich nicht abbilden lassen, ver­suche ich mit Fra­gen zu erheben, z.B.:

  • Masern und Wind­pock­en sind …? (Krankheit­en)
  • Was waren Deutsch­land und Frankre­ich im Krieg? (Feinde)
  • Wenn man zur Beichte geht, was wird einem dann vergeben? (Sün­den)

An manchen Wörtern scheit­ere ich aber auch. Z.B. Bre­it­en oder Tiefen habe ich bish­er noch aus nie­man­dem her­aus­lock­en kön­nen – zu abstrakt, zu sel­ten in der Mehrzahl gebraucht.

Die Technik

2009-09-11-ZoomIch nehme die kom­plet­ten Gespräche mit einem Auf­nah­megerät auf. Das habe ich mir vom Mainz­er Ger­man­is­tikin­sti­tut aus­geliehen und es ist wirk­lich enorm prak­tisch. Alle Auf­nah­men wer­den als mp3s gespe­ichert und ich kann sie anschließend von ein­er SD-Karte auf meinen Rech­n­er kopieren.

Die Analyse

Wenn ich die Auf­nah­men habe, höre ich sie mir noch ein­mal ganz genau an. Dabei erfasse ich jedes Sub­stan­tiv auf ein­er elek­tro­n­is­chen Karteikarte – u.a. mit dialek­taler Plu­ral­en­dung, Genus, genauer Posi­tion auf den Auf­nah­men und neu- und althochdeutschen Klassen. Das dauert ewig. Drei Stun­den Auf­nah­men kön­nen gut und gerne in zwei Wochen Analy­sear­beit mün­den. Und wenn ich das alles beisam­men habe, muss ich natür­lich noch ein­mal analysieren: Dann muss ich schauen, welche Wörter sich im Dialekt anders ver­hal­ten als im Hochdeutschen, ob sie etwas gemein­sam haben, wie der Unter­schied ent­standen sein kön­nte, … und zuguter­let­zt muss ich das auch noch alles auf­schreiben. Was ein Stress! Und was ein Spaß!

Sich committen

Von Anatol Stefanowitsch

Man fragt sich manch­mal, ob die vier glück­losen Brüder von der Aktion Lebendi­ges Deutsch auch nur dreißig Sekun­den darauf ver­wen­den, über die Mach­barkeit ihrer Vorschläge nachzu­denken. Im Som­mer­loch war eine Alter­na­tive zu sich com­mit­ten gesucht. Wie schon oft woll­ten die Aktioneure damit ein Lehn­wort abschaf­fen, das mir in freier Wild­bahn kaum je begeg­net ist. Aber sei’s drum. Die Neube­wor­tung ist auf jeden Fall daneben gegan­gen: Weit­er­lesen