Der Mann als Norm

Von Anatol Stefanowitsch

Vor eini­gen Wochen haben wir hier über den Ver­such zweier Wikipedia-Autoren berichtet, das soge­nan­nte „gener­ische“ Maskulinum (also die patri­ar­chale Prax­is, männliche Per­so­n­en­beze­ich­nun­gen „geschlecht­sneu­tral“ zu ver­wen­den) als all­ge­meinen Stan­dard festzule­gen (in der Abstim­mung scheit­erte dieser Ver­such spek­takulär, was entwed­er darauf hin­weist, dass die Wikipedianer/innen ins­ge­samt mehr Bewusst­sein für diskri­m­inierende Sprach­struk­turen haben als gemein­hin angenom­men, oder dass sie Vorschriften noch mehr has­sen als geschlechterg­erechte Sprache).

Aktuell ver­sucht nun das Aus­tri­an Stan­dards Insti­tute, densel­ben Taschen­spiel­er­trick abzuziehen. Wie der Vere­in öster­re­ichis­ch­er Juristin­nen berichtet, schlägt das ASI im aktuellen Entwurf für die ÖNORM A 1080 („Richtlin­ien für die Textgestal­tung“) vor, „auf weib­liche For­men zu verzicht­en und stattdessen mit­tels Gen­er­alk­lauseln klarzustellen, dass Frauen in der männlichen Form mit­ge­meint seien.“ Auch das Binnen‑I und die in Öster­re­ich üblichen weib­lichen For­men für akademis­che Titel (z.B. Dr.in, Prof.in) sollen nach der Vorstel­lung des ASI als inko­r­rekt gel­ten. „Auf weib­liche For­men könne in schriftlichen Tex­ten verzichtet wer­den, denn männliche For­men wür­den für bei­de Geschlechter gel­ten, so die Empfehlung.“

Was von diesem Vorschlag zu hal­ten ist, brauche ich hier nicht im Detail zu wieder­holen. Erstens haben wir im Sprachlog oft und aus­führlich über den eigentlich ohne­hin offen­sichtlichen Irrtum disku­tiert, man könne mit männlichen For­men auch Frauen beze­ich­nen (z.B. hier und hier), aber nicht umgekehrt (z.B. hier). Zweit­ens haben die öster­re­ichis­chen Juristin­nen eine kluge und überzeu­gende Stel­lung­nahme (PDF) an das ASI geschickt, der wenig hinzuzufü­gen ist und die ich unbe­d­ingt zur Lek­türe empfehle. Der Entwurf, schreiben sie darin, sei „klar abzulehnen“, denn:

Die dadurch erfol­gte – nicht neue, aber defin­i­tiv mit der mod­er­nen Real­ität nicht mehr kon­forme – Kon­struk­tion von „männlich“ als Norm (und damit Gle­ich­set­zung von Mann = Men­sch) macht die Notwendigkeit ein­er tat­säch­lich geschlechterg­erecht­en Sprache ein­mal mehr deutlich.

Das „gener­ische“ Maskulinum wider­spricht nach Ansicht der Juristin­nen der kom­mu­nika­tiv­en Funk­tion von Sprache (und sie zitieren sprach­wis­senschaftliche Stu­di­en, die dies belegen):

Sprache soll Real­ität abbilden und daher ver­ständlich sein. Eine Sprache, die lediglich männliche For­mulierun­gen ver­wen­det, wenn es tat­säch­lich um Män­ner und Frauen geht, bildet wed­er die Real­ität ab, noch ist sie verständlich…

Sie weisen auch tre­f­fend darauf hin, dass weib­liche For­men ja dur­chaus ver­wen­det wer­den, näm­lich, wenn stereo­type Frauen­bilder ange­sprochen wer­den, beispiel­sweise im Fall von „Kindergärt­ner­in­nen“ und „Putzfrauen“:

Die jew­eils ver­wen­dete Sprach­form bee­in­flusst dem­nach die Vorstel­lun­gen über die beschriebene Per­son und ist daher – bei nicht durchgängig ver­wen­de­ter geschlechterg­erechter For­mulierung – ein wesentlich­er Fak­tor, um tra­di­tionelle Bilder über Frauen und Män­ner fest- und fortzuschreiben.

Dass das ASI solchen tra­di­tionellen Bildern ver­haftet ist, zeigt übri­gens auch die Start­seite des Insti­tuts, auf der Män­ner Stan­dards entwick­eln, während Frauen nur im All­t­ag (näm­lich beim Einkaufen) mit diesen in Berührung kommen:

Mann entwirft Standard, Frau geht Einkaufen

Das Aus­tri­an Stan­dards Insti­tute stellt sich Män­ner und Frauen vor

Beson­ders überzeu­gend an der Stel­lung­nahme des Ver­bands öster­re­ichis­ch­er Juristin­nen ist, dass nicht nur auf die wirk­lichkeitsab­bildende Funk­tion von Sprache hingewiesen wird, son­dern auch auf die bewusstseinsbildende:

Sprache bildet nicht nur de-fac­to-Real­itäten ab, son­dern prägt auch unser Bewusst­sein und wirkt damit als ein Fak­tor der gesellschaftlichen Weit­er­en­twick­lung. Eine geschlechterg­erechte Sprache impliziert dem­nach nicht nur die Exis­tenz von mehr als dem männlichen Geschlecht (und kann dadurch – je nach Fal­lkon­stel­la­tion – eventuell schon Reflek­tio­nen über Geschlechter­ver­hält­nisse aus­lösen), son­dern trägt darüber hin­aus die Botschaft in sich, dass Geschlechter­gle­ich­stel­lung ein gesellschaft­spoli­tis­ch­er Wert ist.

Ich kann dem ASI nur empfehlen, auf diese Stel­lung­nahme zu hören. Anson­sten läuft man in Öster­re­ich Gefahr, sich ähn­lich lächer­lich zu machen wie die Staat­sregierung von Indi­ana, die 1897 eine Meth­ode zur (math­e­ma­tisch unmöglichen) Quad­ratur des Kreis­es geset­zlich festschrieb, aus der sich ein Wert von Pi ergab, der bei 3.2 lag.

Ent­deckt“ hat­te diese Meth­ode übri­gens ein Ama­teur­math­e­matik­er namens Edwin J. Good­win, dessen Name mich ger­ade fatal an den Recht­san­walt Mike God­win erin­nert – den Schöpfer von Godwin’s Law, das besagt, dass sich die Wahrschein­lichkeit für einen Ver­gle­ich mit den Nazis oder Hitler mit zunehmender Länge ein­er Online-Diskus­sion dem Wert Eins annähert. Solche Ver­gle­iche sind hier im Sprachlog zum Glück streng unter­sagt, son­st kön­nte ich auf die Idee kom­men, das Aus­tri­an Stan­dards Insti­tute zu fra­gen, was sie von dem sprach­lich ele­gan­ten Vorschlag hal­ten wür­den, in Zukun­ft grund­sät­zlich nur noch von Deutsch­land zu sprechen und Öster­re­ich dabei ein­fach „mitzumeinen“.

Kor­rek­tur: In ein­er früheren Ver­sion des Beitrags stand, der Wikipedia-Antrag stamme von Admin­is­tra­toren. Das ist falsch, es han­delte sich um nor­male Autoren (siehe Kom­men­tar von ding­dong unten).

21 Gedanken zu „Der Mann als Norm

  1. Segantini

    »Auch das Binnen‑I und die in Öster­re­ich üblichen weib­lichen For­men für akademis­che Titel (z.B. Dr.in, Prof.in) sollen nach der Vorstel­lung des ASI als inko­r­rekt gelten.«

    Der gute alte, aus der Poli­tik bestens bekan­nte U‑Boot-Trick: wirf zwei Dinge, die man dif­feren­ziert sehen muß, in einen Topf, laß darüber abstim­men, und behaupte hin­ter­her für jedes einzelne, es sei demokratisch legitimiert.

    Wenn im Sin­gu­lar das Geschlecht konkret bekan­nt ist, muß selb­stver­ständlich ggf. die weib­liche Form zur Anwen­dung kom­men, und diese sollte sich auch in der Abkürzung wiederfinden.

    Für Grup­pen gilt etwas völ­lig anderes, hier hat das Auseinan­der­di­vi­dieren von Männlein und Weiblein einen spal­tenden Charak­ter, und das ohne konkrete Veranlassung.

    Nein, die Frauen sind nicht “mit­ge­meint”, wenn ich von Pro­fes­soren spreche. Pro­fes­soren ist ein Wort wie Autos oder Blu­men, es steckt schlichtweg keine Bes­tim­mung eines Geschlechts drin. Das andere Wort Pro­fes­soren (für nur Her­ren) ist ein Homonym.

    Wenn der Schreibende nicht im Kon­text klar und unmißver­ständlich erken­nen läßt, daß er das diskri­m­inierende buch­stabeniden­tis­che Wort benutzt, warum muß man es ihm dann unterstellen?

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    1. Anatol Stefanowitsch Beitragsautor

      @ Ser­gan­ti­ni:

      Nein, die Frauen sind nicht “mit­ge­meint”, wenn ich von Pro­fes­soren spreche. Pro­fes­soren ist ein Wort wie Autos oder Blu­men, es steckt schlichtweg keine Bes­tim­mung eines Geschlechts drin. Das andere Wort Pro­fes­soren (für nur Her­ren) ist ein Homonym.

      Das ist sprachlo­gisch Unfug und empirisch falsch. Es hun­dert Mal zu wieder­holen, macht es nicht logis­ch­er oder richtiger.

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  2. Vilinthril

    wie die Staat­sregierung von Indi­ana, die 1897 eine Meth­ode zur (math­e­ma­tisch unmöglichen) Quad­ratur des Kreis­es geset­zlich festschrieb, aus der sich ein Wert von Pi ergab, der bei 3.2 lag.“

    Nein­nein­nein­nein­nein, das wurde dann (zum Glück) eben *nicht* geset­zlich fest­geschrieben. Bitte den ganzen Wikipedia-Artikel lesen. 😉

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  3. dingdong

    Fall mit “zwei Admin­is­tra­toren” die Ini­tia­toren des Mein­ings­bildes gemeint sind, muss ich Sie kor­rigieren: wed­er Benutzer “Brah­mav­i­hara” noch Benutzer “Tux­man” sind Admin­is­tra­toren, eine Abstim­mung darf in der Wik­pe­dia jed­er initieren.

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  4. Stephan Fleischhauer

    Eine Sache hab ich nie richtig ver­standen: Das gener­ische Maskulinum wird unter anderem deshalb kri­tisiert, weil Frauen immer erst über­legen müssten, ob sie mit­ge­meint seien. Das wirkt so, als wäre es Män­nern grund­sät­zlich immer egal, ob nun Frauen mit­ge­meint sind oder nicht, und deshalb nehmen sie an dieser Form keinen Anstoß. Aber ist das wirk­lich so, dass es aus männlich­er Sicht egal ist? Ich habe da meine Zweifel. Die Frage, ob nun eins der bei­den Geschlechter ein­be­grif­f­en ist oder nicht, dürfte in den meis­ten Fällen gar nicht im Fokus sein, darum auch die sprach­liche Unschärfe. Ein sehe ein Prob­lem ger­ade darin, diese Unschärfe aufzugeben.

    Meines Eracht­ens trägt daher auch nur der Lösun­gungsansatz von Pusch.

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  5. Susanne

    Ehrlich gesagt finde ich diese Bilder am schlimm­sten. Da sieht man doch am besten, dass wir immer noch weit ent­fer­nt von der Gle­ich­berech­ti­gung sind. Unglaublich. Solange solch­es Schubladen­denken herrscht, bleibt noch viel zu tun.

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  6. Matthias

    Ich finde auch, dass die Geschlechterun­ter­schei­dung bei (gemis­cht­en!) Grup­pen spal­tenden Charak­ter besitzt und damit das Gegen­teil dessen bewirkt, was Ver­fechter von Geschlechterg­erechtigkeit im Sinn haben (ich führe das unten weit­er aus). Das Prob­lem ist freilich, dass es sprach­lich keine andere Lösung gibt: Entwed­er a) man lässt alles wie es ist, dann fühlen sich Frauen, wie empirisch gezeigt, (unbe­wusst) nicht mit­ge­meint, auch wenn sie aus dem Kon­text natür­lich oft ableit­en kön­nen, mit­ge­meint zu sein. Oder b) man seg­regiert die Geschlechter (z.B. “Pro­fes­soren und Pro­fes­sorin­nen”, Binnen‑I o.ä.). Oder man macht es c) wie Luise Pusch et al. und erfind­et völ­lig neue sprach­liche Kon­struk­te, deren gesellschaftliche Akzep­tanz eher nicht zu erwarten ist.

    Nun zur Frage, warum mein­er Ansicht nach eine (kün­stliche) Seg­re­ga­tion der Geschlechter bei geschlechtlich gemis­cht­en Grup­pen eher spal­tenden Charak­ter hat: In den meis­ten Fällen (wenn nicht ger­ade von Repro­duk­tion die Rede ist) spielt das biol­o­gis­che Geschlecht keine Rolle. Ob es sich um Pro­fes­soren oder Pro­fes­sorin­nen han­delt, ist völ­lig egal, wenn man die Leser eines Textes lediglich anre­den möchte, denn hin­sichtlich Textver­ständ­nis o.ä. macht es keinen Unter­schied, ob der Text von Män­nern oder Frauen gele­sen wird. Man weist durch solche Kon­struk­tio­nen also dem biol­o­gis­chen Geschlecht eine schein­bare Wichtigkeit zu, die es nicht hat. Der Leser (oder die Leserin) muss unwillkür­lich zu dem Schluss kom­men, die geschlechtliche Unter­schei­dung wäre *inhaltlich* rel­e­vant. Ger­ade dies hat aber spal­tenden Charak­ter, da in den meis­ten Sit­u­a­tion das biol­o­gis­che Geschlecht der Beze­ich­neten nichts zur Sache tut.

    Nicht, dass man mich falsch ver­ste­ht: Die männliche Form als Default zu definieren, kann auch keine Lösung sein. Ich sehe bei der vom Haush­er­rn präferierten Alter­na­tive aber oben erwäh­nte Prob­leme, die aus mein­er Sicht nicht so ein­fach vom Tisch gewis­cht wer­den können.

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  7. Arne

    Ich finde die Debat­te gut, aber wenn man sich mit Lin­guis­tik und Uni­ver­salien­forschung beschäftigt hat weiß man, dass es markierte und unmarkierte Wort­for­men gibt. Die unmarkierte (ein­fachere, gener­ische) Form ist in vie­len Sprachen die männliche (und ste­ht auch oft für pos­i­tive oder der Norm entsprechende Eigen­schaften) während die markierte Form (kom­plex­er­er Wort­bau, also +in) meist die weib­liche (und teil­weise auch neg­a­tive, abwe­ichende Eigen­schaften) beze­ich­net. Lehrer war früher ein Mann, daher die markierte Vari­ante für die Lehrer+in. Kranken­schwest­er war früher Frau — wird nun gener­isch genutzt.
    Da kann der Sprach­nutzer erst mal nichts für, auch wenn patri­ar­chalis­che Struk­turen die Sprache his­torisch in dieser Rich­tung begün­stigt haben können.
    Das hat mit “Mit­meinen” nichts zu tun! Es steckt ein­fach in der Struk­tur Sprache.
    Daher ist diese Prämisse des “absichtlich Falschmeinens” von ver­meintlichen Frauen­has­sern ein­fach quatsch.
    Ob man aktiv darauf hinar­beit­en sollte, die Sprache zu ändern (also weniger diskri­m­inierend zu machen), kann gerne disku­tiert wer­den, wenn man davon aus­ge­ht dass der Auf­bau ein­er Sprache Denkge­wohn­heit­en und Diskri­m­inierung hervorbringt.
    Über­spitzt kön­nte man sich auch fra­gen, ob man/frau das Neu­trum abschaf­fen sollte… Ist natür­lich quatsch weil es sich um gram­ma­tis­che Kat­e­gorien und Wort­bil­dungsregeln han­delt und nichts über das Denken über Geschlechtlichkeit und Rollen aussagt.

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  8. Markus Schäfer

    Der Leser (oder die Leserin) muss unwillkür­lich zu dem Schluss kom­men, die geschlechtliche Unter­schei­dung wäre *inhaltlich* rel­e­vant. Ger­ade dies hat aber spal­tenden Charak­ter, da in den meis­ten Sit­u­a­tion das biol­o­gis­che Geschlecht der Beze­ich­neten nichts zur Sache tut.”

    Ist es nicht Sache der Lesenden, ob die Geschlechter-Unter­schei­dung rel­e­vant ist oder nicht? “Pro­fes­soren und Pro­fes­sorin­nen” zwingt nie­man­den zu ein­er Geschlechter-tren­nen­den Inter­pra­tion, wohinge­gen die Beschränkung auf ein Geschlecht in der Anrede ein impliziter Auss­chluss des anderen ist.

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  9. Nithart Grützmacher

    Der Leser (oder die Leserin) muss unbe­d­ingt zu dem Schluss kommen […]”

    Schon die Klam­mer ist nicht okay!

    Ich würde auch gern wis­sen, was die Disku­tieren­den davon hal­ten, wenn man die weib­liche Form an erster Stelle nen­nt: die Pro­fes­sorin­nen und Pro­fes­soren fra­gen sich …

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  10. Stephan Fleischhauer

    @Matthias

    Entwed­er a) man lässt alles wie es ist, dann fühlen sich Frauen, wie empirisch gezeigt, (unbe­wusst) nicht mit­ge­meint, auch wenn sie aus dem Kon­text natür­lich oft ableit­en kön­nen, mit­ge­meint zu sein. Oder b) man seg­regiert die Geschlechter (z.B. “Pro­fes­soren und Pro­fes­sorin­nen”, Binnen‑I o.ä.). Oder man macht es c) wie Luise Pusch et al. und erfind­et völ­lig neue sprach­liche Kon­struk­te, deren gesellschaftliche Akzep­tanz eher nicht zu erwarten ist.

    Let­ztenen­des scheit­ert auch (b) an der Akzep­tanz der Sprachge­mein­schaft, wenn man nicht nur gele­gentlich, son­dern son­dern wirk­lich durchge­hend gen­dert und dabei auch den ganzen pronom­i­nalen Bere­ich ein­bezieht. Wenn man wirk­lich in den Kern der Sprache ein­dringt. Beson­ders prob­lema­tisch sind die typographisch gekennze­ich­neten Gen­der­schreib­weisen (Binnen‑I usw.). Hier hat sich ja nicht ein­mal eine mündliche Kon­ven­tion herausgebildet.

    Das wäre über­haupt mal inter­es­sant, was aus sprach­wis­senschaftlich­er Sicht zur Frage der Durch­set­zbarkeit zu sagen ist. Es gibt ja immer­hin inter­es­sante Vor­bilder von Sprachen, die am Reißbrett ent­wor­fen wor­den sind; vielle­icht kann man auch Neuhe­bräisch dazuzählen, das ja dur­chaus erfol­gre­ich ist.

    Auch wenn es etwas off top­ic ist: Ich finde es im Deutschen ja über­fäl­lig, das Sie (als höfliche Anrede) abzuschaf­fen. Es gibt hier eine rein binäre Regelung, man kann den Grad der Höflichkeit (oder vielle­icht bess­er: Dis­tanz) nicht über Zwis­chen­for­men beliebig abstufen, man muss sich für das eine oder andere entschei­den. Es ist auch ein No-Go, vom du zum Sie zu wech­seln, ein­mal du, immer du. Das Sie ist eigentlich schon lange auf dem Rück­zug, aber irgend­wie ist es offen­bar schwierig, es ganz zu überwinden.

    Das zeigt, wie kon­ser­v­a­tiv Sprache ist. Wie schw­er es solche tief­er­en — die Gram­matik betr­e­f­fend­en — Ein­griffe haben. Und das, obwohl sich Sprache ja ständig verän­dert — das Vok­ab­u­lar, die Bedeu­tun­gen und Kon­no­ta­tio­nen usw.

    Wie real­is­tisch ist da eigentlich die Umset­zung nach gen­derg­erechter Sprache? Hat man da valide Erken­nt­nisse, oder ist man eher auf Bauchge­fühl angewiesen?

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  11. dingdong

    @Nithart Grütz­mach­er:
    In den meis­ten Tex­ten die mir so unterkom­men, wird die weib­liche Form als erstes genannt.

    Was ich auch ein­mal sehr nett gefun­den habe war “… wird von den Schüler/innen und Schülern bearbeitet.”

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  12. Pingback: Umleitung: Urknall, Schavan, Ukraine, die Tarifflucht bei DuMont und Heinen-Verlag, Graffiti in Winterberg und mehr. | zoom

  13. Segantini

    »Die Frage, ob nun eins der bei­den Geschlechter ein­be­grif­f­en ist oder nicht, dürfte in den meis­ten Fällen gar nicht im Fokus sein, darum auch die sprach­liche Unschärfe. Ein sehe ein Prob­lem ger­ade darin, diese Unschärfe aufzugeben.«

    Das ist genau der Punkt. Durch die getren­nte Ansprache der Männlein und Weiblein kommt ein Ele­ment ins Spiel, das möglicher­weise gar nicht bekan­nt ist: wie kann ich denn von “Teil­nehmerin­nen und Teil­nehmern” sprechen, wenn ich gar nicht weiß, wie sich die Gruppe zusam­menset­zt? Ein Leser würde durch diese — frei erfun­dene — Präzisierung annehmen, daß min­destens zwei Frauen in der Gruppe sind.

    Es muß doch sprach­lich einen Weg geben auszu­drück­en, daß die Geschlechter der Per­so­n­en schlichtweg nicht bekan­nt sind. Und möglicher­weise auch nicht relevant.

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    1. Anatol Stefanowitsch Beitragsautor

      @ Sega­ti­ni: Ja, manch­mal gibt es diesen Weg: Per­so­n­en­beze­ich­nun­gen, die aus Par­tizip­i­en gebildet wer­den, sind wenig­stens im Plur­al geschlecht­sneu­tral – z.B. die Teil­nehmenden. Diese Strate­gie ließe sich deut­lich aus­dehnen, wenn der entsprechende Wille zu sprach­lich­er Kreativ­ität vorhan­den wäre. Der fehlt aber häu­fig.

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  14. Segantini

    »Per­so­n­en­beze­ich­nun­gen, die aus Par­tizip­i­en gebildet wer­den, sind wenig­stens im Plur­al geschlechtsneutral«

    Zugegeben, es gibt Fälle, in denen auch ein Par­tizip-Plur­al zur Ver­fü­gung ste­ht, dieser Weg taugt aber nicht zur Ver­all­ge­meinerung (wie viele Met­z­gende wohl ein Schlachthof beschäftigt?)

    Spätestens in der Ein­zahl — etwa wenn es bei einem Unfall eine/n Verletzte/n gab — schle­icht sich die Bes­timmtheit aber über den Artikel wieder ein. Wäre der Mann oder die Frau tot gewe­sen, hät­ten er oder sie wohl zumin­d­est hin­sichtlich Sprach­neu­tral­ität das bessere Los gezo­gen, dann kön­nte man näm­lich statt von dem bzw. der Toten ein­fach vom Todes­opfer sprechen.

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  15. Roland Giersig

    @ Segan­ti­ni: Sobald eine Sit­u­a­tion so konkret wird, dass die Mehrzahlform nicht mehr geht, wird auch meist das Geschlecht konkret. Bei einem konkreten Unfall gibt es dann eine konkrete Per­son mit einem konkreten Geschlecht, sodass sich das Prob­lem der Bei­d­nen­nung nicht mehr stellt. Für all­ge­meine, nor­ma­tive Aus­sagen kann man wohl bei der Mehrzahlform bleiben und die Ein­zahl mit­meinen, ohne dass dies eine Diskri­m­inierung darstellt. 🙂

    Aber zugegeben, es geht nicht in allen Fällen. Was dann bleibt ist Bei­d­nen­nung oder kreative Lösun­gen. Für “Pro­fes­sorin­nen und Pro­fes­soren” würde mir “Pro­fes­sori” gefall­en, also eine (Pseudo-)Lateinifizierung…

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  16. flux

    Befrem­dend finde ich es, wie tief­sitzend das gener­ische Maskulinum ver­mut­lich ganz unre­flek­tiert immer noch die Sprache ger­ade auch von Frauen be“herr“scht.
    So war ich z.B. unlängst auf ein­er Fort­bil­dung, an der zufäl­lig auss­chließlich Frauen teil­nah­men und den­noch sagte die weib­liche Dozentin fortwährend Sätze, wie ” Jet­zt sucht sich jed­er einen Partner .… ”

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  17. Daniel

    Genau, flux. Es gibt nicht nur Män­ner, son­dern auch Frauen, die das gener­ische Maskulinum ver­wen­den; manch­mal sog­ar, wenn es nur um Frauen geht. Sind das jet­zt anek­do­tis­che Einzelfälle oder ein bedeu­ten­der Anteil vom Ganzen? Ist das unre­flek­tiert oder eine bewusste Entschei­dung? Sind es eher die Jün­geren oder die Älteren? Die Hoch- oder die wenig Gebilde­ten? Die Selb­st­be­wussten oder die Verunsicherten?

    Unwahrschein­lich, dass ich der erste bin, der das unter­suchenswert find­et, aber ich habe noch nichts darüber gele­sen. Weiß hier jemand etwas über die Datenlage?

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    1. Anatol Stefanowitsch Beitragsautor

      @ Daniel: Von welch­er Daten­lage reden Sie und was soll hier unter­sucht wer­den? Das „gener­ische“ Maskulinum ist eine soziale Prax­is, die seit mehreren hun­dert Jahren auf den Sprachge­brauch ein­wirkt. Welche Rolle spielt es da, ob es bei sein­er Ver­wen­dung demografis­che Unter­schiede gibt? Eins zeigt die Daten­lage, und wenn Sie noch so sehr nach einem Schlupfloch suchen, das eine Rel­a­tivierung zuließe: Das „gener­ische“ Maskulinum wird in der Sprachver­ar­beitung wie ein gewöhn­lich­es Maskulinum inter­pretiert. Und das ist auch nicht weit­er ver­wun­der­lich, denn es IST ja ein gewöhn­lich­es Maskulinum. Also ver­wen­den Sie es entwed­er weit­er und ste­hen ein­fach dazu, dass sie hier eine patri­ar­chale Prax­is fort­führen. Nie­mand wird Sie daran hin­dern oder Sie dafür verurteilen und wenn doch, kön­nen darauf ver­weisen, dass SIE sich diese Prax­is ja nicht aus­gedacht haben und dass Sie nur machen, was alle deutschen Zeitun­gen außer taz und Emma und (trotz aller Aufre­gung um Staßen­verkehrs- und Leipziger Prü­fung­sor­d­nun­gen) 95 Prozent aller Behör­den machen. Oder Sie bemühen sich um irgen­deine Form der gerecht­en Sprache, weil es Ihnen ein Bedürf­nis ist, und nehmen dafür in Kauf, dass das nicht immer ein­fach, schön oder kurz ist.

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