Archiv der Kategorie: Kommentare

Heiße Mohr, will nichts verstehen

Von Anatol Stefanowitsch

Es gibt die ganz nor­male Denk­faul­heit. Es gibt mutwillige Igno­ranz. Und dann gibt es noch das deutsche Feuil­leton – erfun­den, damit Denk­faul­heit und mutwillige Igno­ranz nicht so schlecht dastehen.

Ein Beispiel? Na gut:

Ges­tat­ten, mein Name ist Mohr. Rein­hard Mohr. Mohr mit o‑h, wohlge­merkt. Nie habe ich Stamm­baum­forschung oder Ety­molo­gie betrieben, aber soviel weiß ich: Mohr kommt von Mau­re, ein ursprünglich griechis­ches Wort, das dunkel- und schwarzhäutige Men­schen beze­ich­net. Ich aber bin weiß.

In einem einzi­gen kurzen Absatz verdeut­licht Rein­hard Mohr für das Deutsch­landra­dio Kul­tur hier das Kern­prinzip des Feuil­letons. Erstens: „Es geht um mich, mich, mich!“ Zweit­ens: „Natür­lich habe ich nicht recher­chiert.“ Drit­tens: „Trotz­dem erk­läre ich euch Gut­men­schen jet­zt gle­ich mal, wo der große weiße Ham­mer hängt.“ Weit­er­lesen

Sacharbeit, zurückkehren zur

Von Anatol Stefanowitsch

Wenn Thomas Opper­mann Dinge been­det, dann tut er das sprach­lich etwas raf­finiert­er als Ronald Pofal­la. Die Diskus­sion darum, ob nach dem Rück­tritt des CSU-Land­wirtschaftsmin­is­ters Hans-Peter Friedrich auch die SPD per­son­elle Kon­se­quen­zen ziehen müsse, beant­wortet er so:

Wir wer­den zur Sachar­beit zurück­kehren und nicht Dinge verknüpfen, die nichts miteinan­der zu tun haben. [NDR.de, 18.2.2014]

Damit bedi­ent er sich ein­er Redewen­dung, die so sprich­wörtlich ist, dass der Duden sie als Beispiel für die kor­rek­te Ver­wen­dung des Wortes Sachar­beit nen­nt: Weit­er­lesen

Steine im Glashaus, oder: das #Gategate

Von Anatol Stefanowitsch

Wenn wir den „Anglizis­mus des Jahres“ bekan­nt­geben, sind zwei Reak­tio­nen sich­er wie das Amen in der Kirche. Erstens: „Das Wort habe ich noch nie gehört“. Zweit­ens: „Das Wort ist doch uralt, was soll daran inter­es­sant sein.“ Das liegt ver­mut­lich daran, dass die „Sprachge­mein­schaft“ eher aus vie­len kleinen Sprach­cliquen beste­ht, die einan­der sprach­lich nur am Rande wahrnehmen: Was für die einen ein alt­bekan­ntes Lehn­wort ist, haben andere noch nie gehört.

In diesen Reigen rei­ht sich dieses Jahr zum ersten Mal ein Major Play­er ein: Die Gesellschaft für deutsche Sprache, die unsere Wörter­wahl bis­lang geflissentlich ignori­ert hat. In ein­er Pressemit­teilung lassen sie wis­sen, dass ihnen unsere Wahl so über­haupt nicht zusagt. Zwar spreche aus ihrer Sicht „nichts dage­gen, den Anglizis­men eine eigene „Wort des Jahres“-Aktion zu wid­men“ – vie­len Dank, das beruhigt uns unge­mein – aber gegen unseren diesjähriger Sieger -gate spreche dafür umso mehr:

Her­aus­gekom­men ist in diesem Jahr mit dem Suf­fixoid ‑gate allerd­ings ein Wort (bess­er gesagt: Wortbe­standteil), das es im Deutschen bere­its seit 1972 gibt, entlehnt im Zusam­men­hang mit dem Water­gate-Skan­dal. Im Anglizis­men­wörter­buch von Broder Carstensen aus dem Jahr 1993 wird ‑gate mit der all­ge­meinen Bedeu­tung „Skan­dal“ auch bere­its als im Deutschen pro­duk­tiv und rei­hen­bildend beschrieben. […]

Unklar an der Wahl von -gate zum Anglizis­mus des Jahres bleibt jedoch, warum die zunehmende Ver­wen­dung aus­gerech­net für das Jahr 2013 so beson­ders charak­ter­is­tisch sein soll. […] -gate ist im deutschen Sprachge­brauch wohl spätestens mit der Ver­wen­dung im CDU-Spenden­skan­dal im Jahr 2000 angekom­men und insofern eben kein aktuelles Beispiel für einen neu ins Deutsche inte­gri­erten Anglizis­mus, son­dern ein alter Hut.

Der Fokus hat die Mel­dung aufge­grif­f­en und zu einem „Zoff zwis­chen Sprach-Wis­senschaftlern“ hochstil­isiert. Ihr wollt Zoff? Ihr bekommt Zoff.
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And the Winner is: ‑gate

Von Anatol Stefanowitsch

Als das Wort Water­gate 1972 ins Deutsche entlehnt wurde, war es nur der Name ein­er bes­timmten poli­tis­chen Affäre: Der repub­likanis­che US-Präsi­dent Richard Nixon hat­te das im Water­gate Build­ing behei­matete Haup­tquarti­er der geg­ner­ischen Demokrat­en abhören lassen. Dass er dafür 1974 zurück­treten musste, kön­nen wir uns angesichts der poli­tis­chen Kon­se­quen­zlosigkeit des aktuellen Dauer-Abhörskan­dals kaum noch vorstellen – so wie sich damals nie­mand hätte vorstellen kön­nen, dass die let­zte Silbe des Eigen­na­mens Water­gate vierzig Jahre später zum deutschen Anglizis­mus des Jahres gekürt wer­den würde.

Und um ein Haar wäre es dazu auch nie gekom­men, denn zunächst schien es für die deutsche Sprachge­mein­schaft keinen Grund zu geben, den Wortbe­standteil -gate her­auszulösen. Stattdessen sah es eher so aus, als kön­nte sich das Wort Water­gate im Ganzen als all­ge­meine Beze­ich­nung für poli­tis­che Skan­dale durch­set­zen. Frühe Tre­f­fer im Deutschen Ref­eren­zko­r­pus beziehen sich zum Beispiel auf ein franzö­sis­ches, philip­pinis­ches oder englis­ches Water­gate, ein Ham­burg­er oder Bon­ner Water­gate, und (wohl in Anlehnung an das zum all­ge­meinen Wort für eine Nieder­lage gewor­de­nen Water­loo) sog­ar davon, dass jemand vor seinem Water­gate ste­he. Weit­er­lesen

Unwort des Jahres 2013: Sozialtourismus

Von Anatol Stefanowitsch

Die „Sprachkri­tis­che Aktion“ hat das Unwort des Jahres 2013 bekan­nt gegeben: Sozial­touris­mus. Beim Sprachlog sind wir ja notorische Nör­g­lerin­nen, wenn es um ander­er Leute Wörter­wahlen geht, aber an der Arbeit der Unwort-Jury haben wir wenig auszuset­zen, seit Nina Janich, Sprach­wis­senschaft­lerin an der TU Darm­stadt, den Vor­sitz über­nom­men hat.

Um Unwort des Jahres zu wer­den, muss ein Wort „gegen das Prinzip der Men­schen­würde“ oder „Prinzip­i­en der Demokratie ver­stoßen“ oder „einzelne gesellschaftliche Grup­pen diskri­m­inieren“, und es muss „euphemistisch, ver­schleiernd oder gar irreführend“ sein. Auf das unsägliche Dön­er-Morde (2011), traf das auch aus unser­er Sicht klar zu, und auch beim per­fi­den Opfer-Abo waren wir im Prinzip ein­er Mei­n­ung mit der Jury. Weit­er­lesen

Zum Feste nichts Neues

Von Anatol Stefanowitsch

Wertkon­ser­v­a­tive deutsche Feuil­leton­is­ten – also deutsche Feuil­leton­is­ten – haben es zunehmend schw­er, die imag­inäre Beschnei­dung ihrer Frei­heit­en zu bekämpfen: Man­gels ern­sthafter Bedro­hun­gen müssen sie sich inzwis­chen damit zufrieden geben, gegen die Ent­fer­nung ras­sis­tis­ch­er Verunglimp­fun­gen aus Kinder­büch­ern oder der Ent­fer­nung männlich­er Pronomen aus Uni­ver­sitätssatzun­gen zu Felde zu zetern. Ihre nor­damerikanis­chen Geis­tesgenossen tun das auch gerne und aus­giebig, aber zusät­zlich kön­nen sie sich ein­mal im Jahr Höherem zuwen­den und zum Kampf gegen die Ent­fer­nung des Chris­ten­tums aus dem Wei­h­nachts­fest blasen. Dabei ste­ht eine per­fide rhetorische Massen­ver­nich­tungswaffe im Zen­trum ihrer Aufmerk­samkeit: die Floskel Hap­py Hol­i­days (zu deutsch etwa: „Schöne Feiertage“), die gerne in Zusam­men­hän­gen ver­wen­det wird, in denen Mer­ry Christ­mas Men­schen auss­chließen würde, die keine Chris­ten sind. Weit­er­lesen

Der Fake-Gebärdendolmetscher von Johannesburg

Von Anatol Stefanowitsch

Ein merk­würdi­ger Aspekt der gestri­gen Trauer­feier für Nel­son Man­dela in Johan­nes­burg wird heute in den Medi­en disku­tiert, nach­dem die aus­tralis­che Nachricht­e­na­gen­tur SBS ihn öffentlich machte: Der schein­bare Gebär­den­sprachen­dol­metsch­er, der neben den Redner/innen auf der Bühne stand, war gar kein­er. Die gehör­lose südafrikanis­che Abge­ord­nete Wilma Newhoudt wies per Twit­ter gle­ich zu Beginn der Feier­lichkeit­en auf diese Tat­sache hin: Weit­er­lesen

#seniorenwort

Von Anatol Stefanowitsch

Das Jugend­wort des Jahres hat gestern gle­ich zwei Sprachlogle­serin­nen dazu angeregt, das Fehlen eines Senioren­wortes als Gegen­stück zu fordern oder dessen Fehlen zu monieren. Da wir vom Sprachlog für Wörter­wahlen immer zu haben sind, haben wir nicht lange gezögert und per Twit­ter zu Nominierun­gen aufgerufen:

Die Reak­tion hat uns dann etwas über­wältigt: In den ersten zwölf Stun­den kamen über 7000 Tweets von über 1800 Twit­ter­ern und Twit­terin­nen zusam­men, das Hash­tag #senioren­tweet regierte unange­focht­en die deutschen Twit­tertrends. Den ganzen Tag kamen neue Tweets hinzu, und da inzwis­chen auch die Medi­en und Bild.de bericht­en, kann das natür­lich noch eine Weile so weit­erge­hen. Weit­er­lesen

Nachgedanken zum Jugendwort 2014

Von Anatol Stefanowitsch

Da ich für den Lon­don­er Radiosender Mon­o­cle (der mich immer anruft, wenn in Deutsch­land etwas sprach­lich Sig­nifikantes passiert) noch ein­mal den Siegern von Lan­gen­schei­dts Jugend­wort-Wet­tbe­werb hin­ter­her recher­chieren musste, hier noch ein paar Fak­ten und Nachgedanken zu unserem gestri­gen Leak (die Radiosendung selb­st gibt es als Pod­cast hier, ich komme ganz am Schluss). Weit­er­lesen