Ich habe eben einen (übrigens ausgezeichneten!) Blogbeitrag von Anatol Stefanowitsch zum iPad gelesen und darin folgende Schreibung entdeckt:
Schon damals habe ich mich darüber gewundert, dass die Presse hier so einhällig einen Humor pflegt (oder aufgreift), der auf der krampfhaften Suche nach anstößigen Doppeldeutigkeiten beruht und der mir seit der sechsten Klasse nicht mehr begegnet ist.
Ein großartiger Satz, ganz nebenbei. Mir geht’s aber um das <ä> in einhällig. Das ist zwar ein Rechtschreibfehler, aber er deutet auf etwas spannendes hin: eine gelehrte Volksetymologie, denn hier wurde einhellig wahrscheinlich an hallen angeschlossen und entsprechend mit <ä> geschrieben.
In Wirklichkeit stammt’s vom althochdeutschen Verb hellan ‘tönen’. Das ist heute ausgestorben, an seiner Stelle hat sich hallen durchgesetzt, das seit dem 15. Jahrhundert belegt ist und vom mittelhochdeutschen Substantiv hal ‘Hall’ abgeleitet wurde (welches wiederum doch auf hellan zurückgeht, aber den Schlenker erspare ich euch lieber).
ä‑tymologische Schreibung
Dass man Wörter an verwandte Wörter mit <a> anschließt und entsprechend <ä> statt <e> schreibt, ist eine beliebte Praxis. Ihr erinnert euch vielleicht dran, wie’s bei der Rechtschreibreform hieß, dass man jetzt <aufwändig> mit <ä> schreibt, weil es von <Aufwand> kommt und <Stängel> wegen <Stange>. Das Prinzip, das man damit verfolgt, heißt “Morphemkonstanz” – zusammengehörige Wörter sollen auch durch die Schreibung als solche markiert werden.
Das ist ganz deutlich bei den Umlautpluralen, wo man niemals <Hand> – <Hende> schreiben würde (aber durchaus mal getan hat), oder bei den Verkleinerungsformen, wo’s kein <Rad> – <Redchen> gibt. Das <ä> sieht dem <a> einfach ähnlicher als das <e> und ist damit bestens geeignet, den Zusammenhang schriftlich zu markieren.
Das war nicht immer so – in den Anfangszeiten der deutschen Schriftsprachlichkeit waren die <Gäste> noch <geste> und die <Lämmer> <lembir>. Ich habe mal angefangen, die Entstehung der Umlautgrapheme für’s Schplock aufzubereiten, der Artikel liegt irgendwo unter “Entwürfe” und harrt seiner Fertigstellung. Hier sei nur gesagt, dass man ursprünglich für umgelautetes a das <e> benutzte, dann Ligaturen wie <ae> oder das dem <a> übergestellte, kleine <e>. Allerdings nie konsequent und sehr abhängig von lokalen Schreibungen.
Schließlich setzte sich <ä> für umgelautete Wörter (die auf altes a zurückgehen) und <e> für das alte, westgermanische e durch.
fertig zur Fahrt
Bei vielen Wörtern war aber nicht mehr eindeutig zu erkennen, dass sie Umlaute waren, z.B. weil ihr umlautloses Gegenstück ausgestorben war oder weil es sich, inhaltlich oder äußerlich, weit von seinen a-Verwandten entfernt hatte.
So geht z.B. fertig auf fahrt+ig zurück, das i in -ig löste den Umlaut aus. Es hieß ursprünglich so etwas wie ‘zur Fahrt gerüstet’, hat aber durch seine Bedeutungsverschiebung heute nichts mehr mit Fahrt zu tun. Man hätte bei der Rechtschreibreform also auch <färtig> einführen können (wie es übrigens in <hoffärtig> steckt).
Eltern kommt von alt+iro, wobei -iro die Komparativendung war (heute -er) – etymologisch geschrieben müssten es also die <Ältern> sein.
Quäntchen und Quantum?
Andere Wörter gehen auf ein ererbtes e zurück, aber man hielt sie für Umlautprodukte und verpasste ihnen entsprechend ein <ä>, so wie im Sprachlog bei <einhällig> oder in der Rechtschreibreform bei <Quäntchen> (an Quantum angeschlossen). Quäntchen besaß nämlich schon immer ein i oder e im Stamm. Kluge sagt, es gehe auf spätmittelhochdeutsch quintîn zurück, also ein ‘Fünftel’ (was man aus dem Frühromanischen hatte: quintinius – lustigerweise hatte es aber, so der Kluge, im Mittelhochdeutschen die Bedeutung ‘vierter Teil eines Lots’). Hier bleibt der Wechsel vom i zu e unklar. Der Duden (und diverse Internetquellen) führen es hingegen auf Quent zurück.
Egal wie, Quäntchen hatte nie ein <a>, das heutige <ä> ist “unorganisch” und die alte Schreibung Quentchen war historisch korrekter. Der Duden verteidigt das <ä> mit der Begründung
Trotzdem wird Quäntchen in neuer Rechtschreibung nicht mit e, sondern mit ä geschrieben, da der sprachhistorische Hintergrund nicht allgemein bekannt ist und das Wort deshalb mit Quantum in Verbindung gebracht wird.
Das müsste dann eigentlich auch der Schreibung <einhällig> Vorschub leisten, oder?
… einhällig an wolklang stets und bewegung
Ein Blick auf einhellig im Deutschen Wörterbuch verrät, dass es gelegentlich tatsächlich mit <ä> geschrieben wurde. Der Zusammenhang zu hall wurde also auch schon zu früheren Zeiten hergestellt (Quellenangaben zur besseren Lesbarkeit entfernt):
EINHELLIG, unisonus, consonus, ahd. einhëlli, mhd. einhëllic, VOSS schreibt einhällig, von einhall. 1) mit einhelliger stimm sprachen sie.; sie schrien alle mit einhelligen stimmen.; růften mit einhelligen stimmen.; nach einhelliger gegebener stimm der cardinälen.;
eur wahl und einhellige stimm.
wahre musik, einhällig an wolklang stets und bewegung.
Eine Googlesuche fördert auch besonders viele ältere Belege zutage:
- Einhällig rief ihm das versammelte Volk nach … (1791)
- Sie waren alle einhällig der Meinung … (1808)
- Und als sie nun uff den markt kommen wurden sie gefragt, warumb ihrer also wenig, legten sie alsbald Wehr und Waffen von sich und nider, sprachen einhällig: … (auch alt)
- … fassten die drey Nationen Montag nach Lucä auf dem Landtage zu Klausenburg einhällig den Entschluss … (1824)
- Lederschuhe macht man häufig einhällig, d.h. es ist der einzelne S[chuh] genau nach der Gestalt jedes der beiden Füße eingerichtet; sie können daher nicht gewechselt werden, gewähren aber einen bequemeren Gang. (1857)
- Z.E. im Theuerdank steht gleich von Anfang beschaffen für geschaffen, (nach welcher Form auch unsere Canzellisten noch beschehen für geschehen, zu setzen pflegen,) Gemahel für Gemahlinn, Künigein für Königinn, Befilh für Befehle, bestet für bestattet, von nahenden für nahen, einhelligklich für einhällig, … (1730)
… und so weiter. Auf den ersten Seiten sind – mit Ausnahme des Sprachlogs – ausschließlich historische Quellen zu finden, erst Treffer 27 ist aktuell:
- Weitere Steuersenkungen rein auf Pump sind nicht vernünftig. Das bemängeln einhällig alle. (2009)
<einhällig> hat also Tradition.
Die 2. Orthographische Konferenz
Wann und warum war Schluss mit dem Nebeneinander von <einhellig> und <einhällig>? Mein Verdacht fiel auf ein einschneidendes Ereignis im Jahre 1901: Die 2. Orthographische Konferenz. (Bei der ersten hatte man nicht viel erreicht.) Da traf man sich in Berlin und standardisierte die deutsche Rechtschreibung. Damals beschäftigte man sich auch mit den Umlauten – stellte aber eher den Status quo fest:
ä und äu schreibt man als Bezeichnung des Umlautes
1. regelmäßig mit den Wörtern, die in ihrer Grundform a oder au zeigen, z.B. älter, Länder; Räume, läuft;
2. gewöhnlich auch in solchen Wörtern, denen ein verwandtes Wort mit a oder au zur Seite steht, z.B. rächen, Ärmel; räumen, gläubig.
In vielen Wörtern erscheint aber auch ä und äu, ohne daß eine verwandte Form mit a oder au vorhanden ist oder nahe liegt, z.B. Ähre, jäten, räuspern.
Umgekehrt schreibt man in machen Wörtern e, obwohl ein verwandtes Wort mit a nicht fern liegt, z.B. behende, edel, Eltern, Stengel, Wildbret, stets, fertig.
Der Morphemkonstanz wird also in 1. und 2. Rechenschaft getragen. Die Ähre-Beispiele sind solche, bei denen man entweder das etymologisch korrekte <ä> bewahrt wurde, obwohl keine stützenden Wörter (mehr) existieren (Ähre), oder bei denen man ein <ä> schreibt, obwohl man nie eine <a>-Form hatte (jäten). Die behende-Beispiele sind solche, die eigentlich ein <ä> bräuchten, weil sie z.B. mit Hand, Adel, alt, Stange, Braten, statt und Fahrt verwandt sind. Diese nachgetragenen Feststellungen scheinen keine wirkliche Begründung zu haben, sondern eher die bisherigen Schreibungen festzuschreiben – wahrscheinlich hat man sich nicht an Wörter herangetraut, bei denen der bisherige Gebrauch einhellig war.
Schaut man sich ein bißchen im angehängten Wörterverzeichnis um, so findet man dort auch das heute <einhellig> – ich schätze also, damit war das Ende der <ä>-Schreibungen aus vororthographischer Zeit gekommen. (Hier auf Seite 16.)
So, jetzt ist aber gut mit <e> und <ä>. Euch allen schöne Ostern!