Schlagwort-Archive: Sprachwissenschaft

Auf Kriegsfuß: Die Zeit und die Linguistik

Von Kristin Kopf

Es ist eigentlich müßig, sich über die »Studi­um Generale«-Rätselreihe der ZEIT aufzure­gen, aber ich kann nicht anders. Diese Woche: »Ein­führung in die Sprach­wis­senschaften«. ((Das Fach selb­st heißt an den meis­ten Unis Sprach­wis­senschaft, oder auch Lin­guis­tik, manch­mal noch mit mod­i­fizieren­den Adjek­tiv­en wie all­ge­meine, the­o­retis­che, kog­ni­tive etc. Der Inhalt des Tests deckt aber primär Einzel­philolo­gien (beson­ders die let­ztes Mal ja zu kurz gekommene Ger­man­is­tik) ab, von daher passt der Plur­al vielle­icht wieder.))

Die ZEITlichen Vorstel­lun­gen davon, was man so an sprach­wis­senschaftlichem Grundw­erkzeug braucht, sind äußerst simpel:

  1. Nor­mgemäße deutsche Rechtschrei­bung (Groß- und Klein­schrei­bung, Fremdwortschreibung)
  2. Nor­mgemäße deutsche Gram­matik (Gen­i­tiv­bil­dung)
  3. Wis­sen über Sprach­fam­i­lien und Amtssprachen (natür­lich nur europäische)
  4. Lateinken­nt­nisse (oh my!)

Hinzu kommt das Auflösen ein­er Chat-Abkürzung (waru­u­u­um?) und, bess­er passend, ter­mi­nol­o­gis­ches Wis­sen (Welthil­f­ssprache, Deter­mi­na­tivkom­posi­tum).

Aus 1., 2. und 4. trieft die Ahnungslosigkeit nur so her­aus. Natür­lich muss man, wenn man studiert, Rechtschreib- und Gram­mati­knor­men der Unterrichtssprache(n) beherrschen. Das lernt man aber nicht in ein­er sprach­wis­senschaftlichen Ein­führung, das lernt man in der Schule, und was dann noch nicht sitzt, kann man ler­nen, wenn man in seine kor­rigierten Hausar­beit­en reinschaut.

Den Unter­schied zwis­chen dem, was die ZEIT denkt, und dem, was im Studi­um wirk­lich vorkommt, will ich an Frage 9 etwas verdeut­lichen. Hier wird in typ­is­ch­er Sick­manier gefragt:

The Quest – Der Fluch des Judaskelch” heißt ein US-amerikanis­ch­er Spielfilm. Wie hätte er kor­rek­ter­weise heißen müssen?

Ooooh! Es fehlt ein -s! Oder ein -es? Zu Hülf! Unter­gang des Abend­land ((es))! Nun lernt man in ein­er Ein­führungsvor­lesung in die ger­man­is­tis­che Lin­guis­tik aber nicht, wie man die Gen­i­tiven­dung mit Rot­s­tift dazuschreibt oder geifer­nde, intel­li­gen­z­ab­sprechende Kom­mentare in Inter­net­foren verfasst.

Was man vielle­icht, vielle­icht ler­nen kön­nte, meist in einem höheren Semes­ter, ist, dass der Filmti­tel ein aktuelles Sprach­wan­delphänomen illus­tri­ert, an dem auch die ZEIT selb­st fleißig mitwirkt.
Weit­er­lesen

[Schplock trifft Lehre] Rheinfränkisch

Von Kristin Kopf

Ich jam­mere ja nun schon seit einiger Zeit darüber, dass ich kaum mehr Zeit fürs Sch­plock habe. Das liegt vor allem daran, dass ich so viel unter­richte. Schon let­ztes Semes­ter habe ich aber immer wieder über­legt, ob einzelne Sem­i­narthe­men nicht auch sch­plock­fähig wären, und dieses Som­merse­mes­ter will ich die Verblog­gung von Unter­richtsin­hal­ten nun ern­sthaft angehen.

Ver­such­sob­jekt wird mein Sem­i­nar zum Rhe­in­fränkischen. Das geht näch­ste Woche los, und dann will ich jede Woche einen kurzen Artikel über das Phänomen schreiben, das wir besprochen haben. Schlau wie ich bin, kündi­ge ich euch das jet­zt an, damit ich keinen Rückzieher mehr machen kann. Los geht es dann übernäch­ste Woche, denn das, was ich näch­ste Woche machen will, erledi­ge ich größ­ten­teils in diesem Post schon.

Das Sem­i­nar gebe ich nicht, weil ich unglaublich viel über den rhe­in­fränkischen Dialek­traum weiß, son­dern weil ich gerne unglaublich viel darüber wis­sen würde. Wird also auch für mich span­nend. Ich denke, ich habe jet­zt einen ganz guten Überblick für den Anfang. Was ich auch habe, ist eine viel zu lange Liste mit möglichen The­men, deshalb werde ich die Studieren­den darüber abstim­men lassen, was sie beson­ders inter­essiert. Heute will ich euch diese Liste ganz kurz vorstellen. Weit­ere Ideen sind natür­lich her­zlich willkommen!

Rhe­in­fränkisch; CC-BY-SA 3.0 Hans Erren (Wikipedia)

Zunächst ein­mal aber: Wo befind­en wir uns eigentlich? Das Rhe­in­fränkische ist ein Dialek­t­ge­bi­et des West­mit­teldeutschen, Mainz liegt drin, allerd­ings ist man sich son­st nicht ganz einig, was alles dazuge­hört. Die klas­sis­che Ein­teilung (Beispiele bei der Wikipedia, im dtv-Atlas Deutsche Sprache) set­zt einen bre­it­en Streifen von Saar­brück­en bis Kas­sel an, die Unterteilung von Wiesinger nimmt hinge­gen das Hes­sis­che (d.h. das dunkellila Gebi­et auf der Karte rechts) weit­ge­hend aus. Was wir uns im Sem­i­nar dann let­ztlich anschauen wer­den, hängt von den einzel­nen Phänome­nen ab.

Die Ein­teilung der west­mit­teldeutschen Dialek­te erfol­gt meis­tens anhand des Durch­führungs­grads der 2. Lautver­schiebung. Unter der Über­schrift Rheinis­ch­er Fäch­er find­et ihr hier etwas dazu. Im Rhe­in­fränkischen sagt man also, abwe­ichend von der hochdeutschen (und süd­deutschen) Lau­tung, Abl ‘Apfel’ und Pund ‘Pfund’, aber übere­in­stim­mend damit das, Dorf und machen (statt der nördlicheren Vari­anten dat, Dorp, mak­en). Das ist ein The­ma, das defin­i­tiv im Sem­i­nar drankom­men wird. Eben­falls schon sich­er ist die Koronal­isierung (ch wird zu sch), ein generell mit­teldeutsches Phänomen, das ich im Sch­plock mal am Beispiel von Kirsche ‘Kirche’ besprochen habe und sei­ther innig liebe. Hier gibt es auch ein paar Beispielka­rten aus dem Atlas der deutschen Alltagssprache.

Die weit­eren möglichen The­men liste ich euch jet­zt auf, immer mit einem Beispiel­satz, ein­er kurzen Erk­lärung und eventuell Links. Die Beispiel­sätze stam­men, sofern nicht anders angegeben, aus “Kud­del­mud­del ums Kup­perdibbe”, dem Mainz­erischen Aster­ixband: Weit­er­lesen

[Buchtipp] Heike Wiese: Kiezdeutsch. Ein neuer Dialekt entsteht

Von Kristin Kopf

Heute will ich euch  Heike Wieses »Kiezdeutsch. Ein neuer Dialekt entste­ht« empfehlen. Viele von euch wer­den in den let­zten Wochen in den Medi­en etwas zum The­ma aufgeschnappt haben – im Rah­men der Buch­pub­lika­tion wurde Frau Wiese oft inter­viewt und rezen­siert. Sie forscht und schreibt  näm­lich über ein The­ma, bei dem die Emo­tio­nen hochkochen und manchen beim Geifern der Schaum aus dem Mund schlägt: Über eine sprach­liche Vari­etät, die sie Kiezdeutsch nennt.

Kiezdeutsch ist eine Jugend­sprache, die sich in mul­ti­eth­nis­chen Wohn­vierteln beson­ders in Berlin, also z.B. Kreuzberg und Neukölln, her­aus­ge­bildet hat. Von anderen Jugend­sprachen unter­schei­det sie sich dadurch, dass sehr viele der SprecherIn­nen zwei- oder mehrsprachig aufwach­sen – aber nicht alle: Weit­er­lesen

Anglizismus des Jahres 2011: Shitstorm

Von Kristin Kopf

Ihr habt es auf dem ein oder anderen Weg bes­timmt schon mit­bekom­men: Der Anglizis­mus des Jahres 2011 ist gewählt! Auf den ersten Platz hat es Shit­storm geschafft, zu dem ander­swo schon viel geschrieben wurde (Lau­da­tio, AdJ 2010, AdJ 2011) und das auch der Favorit des Pub­likums war.

Den zweit­en Platz hat Stresstest gemacht (Besprechung im Sprachlog). Das war auch ein­er mein­er Top-3-Kan­di­dat­en (unter uns gesagt, der top­ste davon), und weil bish­er qua­si alle Medi­en meine Begrün­dung dafür bis zur Unken­ntlichkeit verkürzt haben, kriegt Ihr sie hier in voller Länge. Nicht furcht­bar kreativ, aber komplett:

Die Bil­dung gefällt mir beson­ders gut, weil das Wort auf den ersten Blick gar nicht so fremd aussieht: Sowohl Stress als auch Test sind schon lange bestens inte­gri­ert. Dass das Kom­posi­tum, neben älteren Bil­dun­gen, neu entlehnt wurde, wird an der Ver­wen­dung im Sinne von ‘Über­prü­fung der physis­chen Belast­barkeit’ deut­lich. Dabei hat das Sim­pliz­ium Stress diese neue Bedeu­tung (noch) nicht angenom­men, sie bleibt auf das Kom­posi­tum beschränkt.
Ein leicht­es Minus muss das Wort bezüglich der seman­tis­chen Lücke in Kauf nehmen: Den extrem ähn­lichen Belas­tung­stest gab es bere­its. Die Moti­va­tion für die Entlehnung dürfte damit eine andere gewe­sen sein.

Der drit­ten Platz ist mit circeln beset­zt, ein Kan­di­dat, dem ich, ganz ehrlich, gar nichts abgewin­nen kann. Andere schon. Hm, wer weiß, vielle­icht über­rascht er mich ja eines Tages doch noch positiv.

So, das war’s für 2011. Hat Spaß gemacht, war aber auch eine Art ganz per­sön­lich­er Stresstest. Was Euch anbe­langt: Gehet hin und entlehnet neue Kan­di­dat­en für den AdJ 2012!

[Anglizismus des Jahres] Publikumsabstimmung

Von Kristin Kopf

Für alle, die’s noch nicht mit­bekom­men haben: Noch bis ein­schließlich 11.2. läuft die Pub­likumsab­stim­mung für den Anglizis­mus des Jahres 2011! Noch sind 16 Wörter im Ren­nen, nämlich

-gate, Bar­camp, circeln, Cloud, Con­tent­farm, Cyberkrieg/-war, Euro-Bonds, Hack­tivism, Hair­cut, Mas­terand, Occu­py, Post-Pri­va­cy, Script­ed Real­i­ty, Shit­storm, Stresstest, Tablet

Ich bin ger­ade dabei, mir für die Juryab­stim­mung eine Mei­n­ung zu bilden und finde es ziem­lich schwierig. Ganz ehrlich: Eigentlich haut mich kein Kan­di­dat so richtig um. Bei eini­gen sehe ich Poten­zial für in ein, zwei Jahren, hmja. Aber mal schauen, zu welchen Erken­nt­nis­sen ich heute Nacht gelange, wenn ich alle Blog­beiträge der Jury noch ein­mal gründlich gele­sen habe.

[Veranstaltungstipp] Einladung zur STaPs

Von Kristin Kopf

Ihr Lieben, heute ein Ver­anstal­tungstipp für alle unter euch, die über irgend­was mit Lin­guis­tik pro­movieren: Ende März (30./31.) find­et an der Uni Lux­em­burg
die erste STaPs
(Sprach­wis­senschaftliche Tagung für Promotionsstudierende)

statt. Ich freu mich schon total!

Die Grun­didee ist, sich in ein­er lock­eren Runde zu tre­f­fen, zu erzählen, woran man grade arbeit­et und welche Prob­leme man so damit hat und mit den anderen darüber zu disku­tieren. Es geht also nicht um die Präsen­ta­tion fer­tiger Ergeb­nisse oder kom­plex­er Details, son­dern darum, sich Anre­gun­gen zu holen. Die STaPs ist offen für alle Rich­tun­gen der Lin­guis­tik, wichtig ist das Inter­esse am Austausch.

Zusät­zlich soll es noch kleine method­is­che Work­shops geben, z.B. zur Arbeit mit Praat oder bes­timmten Kor­po­ra etc. Das hängt natür­lich sehr von den Teil­nehmenden ab, also mal schauen, und natür­lich kriegen wir auch einen kleinen Ein­blick in die Forschung an der Uni Luxemburg.

Ein Tagungs­beitrag wird nicht erhoben, man muss also nur für Anreise, Über­nach­tung (z.B. in der Jugend­her­berge) und Verpfle­gung sorgen.

Wer auf der STaPs was erzählen will, sollte bis zum 15.2. ein Abstract an das lokale Orgateam schick­en. Anmelden kann man sich noch bis zum 1. März. Ach ja, eine Face­book­gruppe haben wir auch.

Zur Erlustigung was über frühneuhochdeutsche Grammatikschreibung

Von Kristin Kopf

(Hin­weis: Die orangen Pas­sagen wur­den nachträglich geändert/hinzugefügt.)

Hach, wie schön es sich über Sprache schwär­men lässt … hier aus Der Hóchdeutsche Schlüszel zur Schreib­richtigkeit oder Rechtschrei­bung (Samuel Butschky, Leipzig 1648), weit­ge­hend wortwörtlich von Her­rn Schot­telius geklaut:

Sehr wohl ver­gle­icht Herr
Schot­tel / unsere Hóchdeutsche
Haupt= und Helden­spráche / einem
ansehlichen/fruchtbringendenBau=
me / welch­er seine saftre­iche Wur=
tzeln/ tief in den Erd­bó­den / und da=
rinn weit aus­gestrekt / also / daß er
die Feuchtigkeit / und das Mark der
Erden / ver­mit­tels sein­er äderlein/
an sich zeucht ; seineWurtzeln/durch
ein fruchtre­ich­es saftiges Naß /
zeucht ‘zieht’
durchhärtet/tauer­hafft macht / und
sich selb­st in die Natur einpfropffet:
Denn die Wurtzeln / und saftige
Stamwörter / unser­er Spráche /
haben den Kern/und das Mark/aus
der Ver­nun­ft geso­gen / und sich auf
die Haupt­gründe der Natur ge=
stam­met: ihren Stamm aber lassen
sie hóch empor ragen ; ihre Zweige/
tauer­hafft ‘dauer­haft’
und Reiser­lein / in unaussäglicher
Menge/ in steter Gewißheit / wun=
der­samer man­nig­faltigkeit / und an=
sehlich­er Pracht her­aus wachsen /
also/daß die Erlus­ti­gung an diesem
Wun­der­stükke / könne stets völlig/
Reiser­lein ‘Ästchen’
und die Genüßung dero süssesten
Früchte / unendlich seyn.
Genüßung ‘Genuss’

Viel Blabla? Die ganze Baum­meta­pher klingt zwar sehr abge­dreht, aber wenn man genau hin­li­est und nach­schaut, wovon im Text drumherum die Rede ist, wird klar, dass Wurzeln, Stamm, Äste und Reis­er den Kom­plex­itäts­grad von Wörtern beze­ich­nen. Weit­er­lesen

Caution! This language is under construction!

Von Kristin Kopf

Mein enorm guter Fre­und Mehmet Aydın (hier im Sch­plock auch schon als Memo aufge­treten) hat, unter Ein­fluss der kür­zlich stattge­fun­den haben­den StuTS, die ja immer ein Biotop für lin­guis­tik­be­zo­gene Spiel­ereien ist, eine großar­tige Serie von Hin­weiss­childern kreiert, die ich euch nicht voren­thal­ten will. So, with­out fur­ther ado:


Alle Bilder ste­hen unter der Cre­ative-Com­mons-Lizenz CC BY-NC-ND 3.0, man darf sie sich also z.B. aus­druck­en und an die Bürotür hän­gen, und existieren auf Anfrage auch noch in besser­er Auflö­sung. Eben­falls auf Anfrage (in den Kom­mentaren) gibt’s nähere Erläuterun­gen zu den einzel­nen Motiven.

Kurzer Diskussionshinweis

Von Kristin Kopf

Kein richtiger Artikel, nur ein schneller Hin­weis: In den Kom­mentaren zu Wir gedenken an den Tod von Jesus hat sich eine Diskus­sion darüber entspon­nen, ob man sprach­liche Phänomene, und beson­ders Sprach­wan­del, langfristig als gut oder schlecht beurteilen kann und sollte. Ich finde es span­nend zu lesen, auch wenn ich das Gefühl habe, dass wir uns nicht so recht aneinan­der annähern.

Übri­gens habe ich dieses gedenken an jet­zt hier so oft gele­sen, dass ich jedes Mal beim Aufrufen des Beitrags stutze und über­lege, was daran noch mal so selt­sam war. (A pro­pos stutzen: Die 49. StuTS nähert sich und wird zweifel­sohne großartig!)

[Lesetipp] Das Gehirn lernt mehrere Sprachen gleichzeitig

Von Kristin Kopf

Kluge Artikel über Sprache scheinen Kon­junk­tur zu haben! Hier schnell ein Hin­weis auf ein schönes Inter­view aus dem Spiegel mit Petra Schulz über Zweis­prachigkeit im Fall von Deutsch und Türkisch – ein Sprach­paar, das in der öffentlichen Wahrnehmung bekan­nter­maßen ziem­lich unfair behan­delt wird. Sie bringt es auf den Punkt:

Wir leben mit ein­er Dop­pel­moral. Wir freuen uns, wenn jemand mit Deutsch und Chi­ne­sisch aufwächst oder mit Deutsch und Englisch. Dafür gibt es Schul­terk­lopfen. Warum nicht Deutsch und Türkisch?