Archiv für das Jahr: 2011

Schschschschschschschschschsch

Von Kristin Kopf

Beim Herum­le­sen in früh­neuhochdeutschen Tex­ten habe ich eine char­mante Betra­ch­tung über das Graphem <sch> gefunden:

In: Der Hochdeutsche Schlüszel Zur Schreib­richtigkeit oder Rechtschrei­bung (Leipzig, 1648)

Wann das (ch) auf ein (s) folget/so wird ein grobzis­chen­der Laut daraus/daß es fast seltzsam ist / wie doch solche drey Búch­staben sich zu der zis­chen­den Stimme gefun­den haben ; weil wed­er ein­er alleine/noch sie zusam­men solchen Tón zugében ver­mö­gen : wer­den dem­nach aus­ge­sprochen wie das Hebrais­che ש, als: erfrischen/&c.

Das <sch> ist ein soge­nan­nter “Tri­graph”: Man benutzt drei Buch­staben, um einen bedeu­tung­sun­ter­schei­den­den Laut (“Phonem”) aufzuschreiben. Das heißt man schreibt z.B. <Sau>, aber <Schau>, dabei wer­den bei­de Wörter nur mit jew­eils zwei Laut­en (einem Frika­tiv und einem Diph­thong) aus­ge­sprochen: /za̯ʊ/ und /ʃa̯ʊ/. Ähn­lich geht es mit <ch> (<Bach>, gesprochen /χ/) und <ng> (<hängen>, gesprochen /ŋ/).

Und, wie klug bemerkt, andere Schrift­sys­teme machen keine der­ar­ti­gen Umstände. Das hebräis­che Alpha­bet hat das z.B. <ש> (das allerd­ings sowohl als [s] als auch als [ʃ] aus­ge­sprochen wer­den kann), das ara­bis­che das <> und das kyril­lis­che das <ш>. Und auch das lateinis­che Alpha­bet kann man pri­ma anpassen, wie zum Beispiel das Rumänis­che mit <ș> zeigt.

Der Autor wun­derte sich über die selt­same Schreibprax­is, mit <s>, <c> und <h> einen Laut aufzuschreiben, der sich nicht aus den dreien zusam­menset­zt. Das ist aber gar kein so großes Hex­en­werk – in Wirk­lichkeit reflek­tiert sie eine ältere Aussprache. Unser heutiger Laut /ʃ/ kommt durch zwei Laut­wan­del­prozesse zus­tande: Weit­er­lesen

Hymnische Liebschaften

Von Anatol Stefanowitsch

Wie die öster­re­ichis­che Zeitung Der Stan­dard vor eini­gen Tagen berichtet hat, haben sich SPÖ, ÖVP und Grüne darauf geeinigt, den Sex­is­mus (wenig­stens teil­weise) aus dem Text der öster­re­ichis­chen „Bun­deshymne“ zu ent­fer­nen. Die Hymne begin­nt wie folgt:

Land der Berge, Land am Strome,
Land der Äck­er, Land der Dome,
Land der Häm­mer, zukunftsreich!
Heimat bist du großer Söhne,
Volk, beg­nadet für das Schöne,
Viel­gerühmtes Österreich …

Die dritte Zeile soll nun so umgedichtet wer­den, dass neben den Söh­nen auch die Töchter Erwäh­nung find­en. Dabei ist die Möglichkeit Heimat großer Töchter, Söhne eben­so im Gespräch, wie Heimat bist du großer Töchter und großer Söhne (wobei mir nicht klar ist, wie let­zteres metrisch eingepasst wer­den soll).

Da mich schon an der Mar­gin­al­isierung von Frauen bei Legofig­uren störe, dürfte es nicht über­raschen, dass ich diesen Schritt begrüßenswert finde, allerd­ings mit zwei Einschränkungen.

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Titelhuberei

Von Anatol Stefanowitsch

Wieder­holt bin ich in den let­zten Tagen auf das Wort Titel­hu­berei ange­sprochen und angeschrieben wor­den, das Krista Sager in ihrer Pressemel­dung zur Stre­ichung von Dok­tor­titeln aus dem Per­son­alausweis ver­wen­det hat. Ob das ein neues Wort sei, wurde ich gefragt, was es genau bedeute und woher es komme.

In die aktuelle Debat­te einge­führt hat dieses Wort, soweit ich her­aus­find­en kon­nte, Bun­des­bil­dungsmin­is­terin (Hon.-Prof. Dr.) Annette Scha­van, die es am Woch­enende des 18./19. Juni gegenüber der Frank­furter All­ge­meinen Son­ntagszeitung ver­wen­det hat: Ihrer Mei­n­ung nach sollte der Dok­tor­ti­tel „Aus­druck ein­er wis­senschaftlichen Qual­i­fika­tion und nicht ein Sta­tussym­bol oder Titel­hu­berei sein“.

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Titelkämpfe

Von Anatol Stefanowitsch

In den Kom­mentaren zu meinem Beitrag zu Adels- und akademis­chen Titeln hat­te ich etwas vor­eilig einen Nach­trag zur deren tat­säch­lich­er Ver­wen­dung ver­sprochen, und da die Grü­nen nun den Dok­tor­ti­tel aus dem Per­son­alausweis stre­ichen wollen, ist es höch­ste Zeit, diesen Nach­trag Wirk­lichkeit wer­den zu lassen.

Zunächst will ich noch ein­mal kurz die Sach- und Recht­slage zu akademis­chen Graden und Adel­stiteln zusam­men­fassen, die ich in meinem let­zten Beitrag aus­führlich­er dargestellt hat­te (Punkt 1 übernehme ich dabei weit­ge­hend wörtlich aus meinem aktuellen Par­al­lel­beitrag bei DE PLAGIO):

Akademis­che Grade existieren und dür­fen von ihren Inhab­ern öffentlich geführt wer­den — auf Vis­itenkarten und Brief­pa­pi­er, auf Prax­is- und Fir­men­schildern und natür­lich auf Wahlplakat­en. Das gilt nicht nur für den Dok­tor­grad, son­dern auch für den BA, den MA, den Dipl. usw. Tat­säch­lich ist es in Deutsch­land rel­a­tiv unüblich, Grade öffentlich zu führen — den BA und MA führt kaum jemand (außer vielle­icht auf ein­er uni­ver­sitären Web­seite). Der Dr. wird schon häu­figer geführt — von Wissenschaftler/innen aber häu­fig nur im uni­ver­sitären Kon­text, und von vie­len gar nicht. Am Durchgängig­sten scheint mir der Dipl.-Ing. geführt zu werden.

Etwas ver­wirrend ist nun die Tat­sache, dass der Dok­tor­grad als einziger akademis­ch­er Grad im Per­son­alausweis und im Reisep­a­ss einge­tra­gen wer­den kann (aber nicht muss). Das führt zu viel Ver­wirrung bezüglich der Frage, ob er damit zu einem „Namens­be­standteil“ wird (Antwort: im rechtlichen Sinne nicht, im All­t­agsver­ständ­nis sich­er). Die Frage ist aber ohne­hin neben­säch­lich, da sie kein­er­lei Auswirkun­gen auf das öffentliche Führen des Grades hat. Ich kann einen Grad führen oder auch nicht, egal, ob ich ihn im Per­son­alausweis ste­hen habe oder nicht.

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Im Rausch der Titel

Von Anatol Stefanowitsch

Da die Pla­giats­fälle ger­ade auf uns herun­ter­reg­nen wie Kröten nach einem Tor­na­do in Ishikawa, lässt mich das The­ma doch auch hier im Sprachlog noch nicht los. Ein aktuell disku­tiert­er Aspekt des The­mas hat zudem dur­chaus einen sprach­lichen Bezug: Die Frage, was akademis­che „Titel“ eigentlich sind, und ob man deren Miss­brauch nicht abstellen kön­nte, indem man diese „Titel“ ein­fach abschaffte (siehe dazu die Diskus­sion in unserem Blog DE PLAGIO).

Häu­fig find­et auch eine merk­würdi­ge Ver­mis­chung von akademis­chen „Titeln“ und „Adel­stiteln“ statt — z.B. in der Sendung „Anne Will“, in der es ins­ge­samt ja recht munter durcheinan­der ging.

Grund genug für mich, hier im Sprachlog ein­mal zusam­men­z­u­fassen, was ein „akademis­ch­er Titel“ eigentlich ist, und wie er sich von einem „Adel­sti­tel“ unterscheidet.

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Jido Fister Filly

Von Kristin Kopf

Ich habe eben bei Twit­ter via WortWirrWarr einen großar­ti­gen Zeitungsauss­chnitt aus ein­er sudane­sis­chen Zeitung gese­hen, in dem die Ankun­ft des deutschen Außen­min­is­ters angekündigt wird:

Ger­man For­eign Min­is­ter Arrives Khar­toum Today

The Demo­c­rat (Amal Abdul Rahim)

The Ger­man for­eign min­is­ter, Jido Fis­ter Fil­ly, will arrive Khar­toum today , Thurs­day, on an offi­cial vis­it dur­ing which he will hold talks with his Sudanese coun­ter­part, Ali Ahmed Kar­ti and a num­ber of high rank­ing Sudanese officials. […]

Wie aber ist aus Gui­do West­er­welle hier Jido Fis­ter Fil­ly gewor­den? Weit­er­lesen

Bastian Sick und die Schirie-Pfeifin

Von Susanne Flach

Die Sports­chau fragte am Fre­itag in einem Inter­view den aus­gewiese­nen Sprachge­brauch­sex­perten Bas­t­ian Sick, welchen Her­aus­forderun­gen die medi­ale Öffentlichkeit während der laufend­en Fußball-WM im Bezug auf den Sprachge­brauch aus­ge­set­zt ist. Ich bin keine Exper­tin für Fem­i­nis­tis­che Lin­guis­tik und ich kann hier auch keine Empfehlung zu Alter­na­tiv­en für Mannschaft geben. Doch keine Sorge! Wo ein Sick auf­taucht, bleibt noch jede Menge ander­er Blödsinn im dig­i­tal­en Raum stehen.

Das Prob­lem liegt ja schon darin — “unter­halt­same” Sprachkri­tik hin oder her -, dass man den Ein­druck bekom­men kön­nte, Sick möchte ernst genom­men wer­den. Er begin­nt aber gle­ich mit einem ziem­lich däm­lichen, wenn nicht sog­ar sehr abw­er­tenden Wort­spiel zu Bir­git Prinz: “Selb­stver­ständlich ist sie eine ‘Kapitänin’, auch wenn sie ‘Prinz’ heißt und nicht ‘Prinzessin’ ”.

Wenn jet­zt alle Gehirn­win­dun­gen fürs Fremd­schä­men entspan­nt sind und sich die Fußnägel wieder geglät­tet haben, kann es weit­er gehen:

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[Video] The History of English

Von Susanne Flach

So, heute ein Link­tipp. Die Open Uni­ver­si­ty in Großbri­tan­nien hat in zehn Kapiteln à 1′20″ in sehr humor­voller Weise die Geschichte des Englis­chen nachgeze­ich­net. Es wird mehr als 10 Minuten dauern, weil die kleinen Film­chen voll von Wort­spie­len und mit kleinen und großen Pointen gespickt sind — man kann es sich wirk­lich mehrfach mit höch­stem Amüse­ment anse­hen. (Eine gröbere Ken­nt­nis der Lin­guis­tik ist nicht notwendig.)

Viel Spaß!

(via linguisten.de@facebook)

[Unterschreibtipp] Rücktrittsforderung Koch-Mehrin

Von Kristin Kopf

Heute ein schneller Link­tipp zum Unter­schreiben. Mit der Causa Koch-Mehrin seid ihr sich­er ver­traut – sie hat in ihrer (stipen­di­enge­förderten, Dank an suz) Dok­torar­beit plagi­iert und den Titel entsprechend ver­loren, hat dabei kon­se­quent schlecht­en Stil bewiesen, ist von ihren poli­tis­chen Ämtern zurück­ge­treten, aber Mit­glied des Europäis­chen Par­la­ments geblieben. Als eben­solch­es sitzt sie jet­zt im Auss­chuss für Indus­trie, Forschung und Energie (was für eine Ressortkom­bi­na­tion …) des Europäis­chen Par­la­ments (und die aberkan­nte Pro­mo­tion ste­ht da noch im Lebenslauf, jip­pie).

Ich kön­nte es nicht bess­er for­mulieren als der Ini­tia­tor der Rück­trittspe­ti­tion, Ana­tol Ste­fanow­itsch:

Nur wenige Tage später lässt sie sich zum Vollmit­glied im Auss­chuss für Indus­trie, Forschung und Energie des Europa­parla­ments wählen [1, 2].

Nochmal langsam: Eine unein­sichtige akademis­che Hochsta­p­lerin lässt sich wenige Tage, nach­dem eine der ältesten und ange­se­hen­sten Uni­ver­sitäten Europas ihr ihren Dok­tor­ti­tel ent­zo­gen hat, in einen Auss­chuss des Europäis­chen Par­la­ments wählen, der Entschei­dun­gen über Forschungs­fra­gen trifft.

Nur, falls es jemand immer noch nicht ver­standen hat: Deutsch­land wird im Forschungsauss­chuss des Europa­parla­ments durch eine über­führte wis­senschaftliche Betrügerin repräsen­tiert.

Das geht sowas von gar nicht. Die Frau muss da weg, und wenn ihr das auch find­et, dann lege ich euch das Unterze­ich­nen der entsprechen­den Peti­tion sehr ans Herz (für den deutschen Text ein bißchen runterscrollen).

Das hat nun keinen ganz direk­ten Lin­guis­tik­bezug, obwohl man mit etwas Zeit sich­er einen her­stellen kön­nte. (Seit Gut­ten­berg will ich eigentlich schon was zu foren­sis­ch­er Sti­l­analyse schreiben, bin aber bish­er noch nicht dazu gekom­men.) Aber es hat Wis­senschafts­bezug und ist mir deshalb sehr, sehr wichtig. Ich hoffe, euch auch!

Ich koch mehr in diesem Fall

Von Susanne Flach

Damit alle auf dem gle­ichen Stand sind: Sil­vana Koch-Mehrin, für die FDP im Europäis­chen Par­la­ment und eine über­führte Pla­gia­torin, hat in dieser Woche stolz verkün­det, dass sie als Vollmit­glied in den EU-Auss­chuss für Indus­trie, Forschung und Energie berufen wor­den ist. Kurz: Die Forschungs­be­trügerin wird Forschungspoli­tik­erin. Deshalb appel­lieren wir in ein­er Peti­tion an das Europäis­che Par­la­ment und die FDP, Frau Koch-Mehrin von diesem Posten zurück­zuziehen und fordern Frau Koch-Mehrin auf, sich von diesem Posten und ihrem Man­dat im Europäis­chen Par­la­ment zurückzuziehen.

Man ist müde, die Karawane ist weit­erge­zo­gen. Aber was sich Koch-Mehrin leis­tet, ist auf beängsti­gende Art grotesker, beschä­mender und ver­höh­nen­der. Dies ist keine nachträgliche rel­a­tivierende Aus­sage zum Fall Gut­ten­berg — denn eine für jede/n ehrliche/n Wissenschaftler/in entwürdi­gende Farce lässt sich immer nur mit sich selb­st vergleichen.

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