Schlagwort-Archive: Sprachgeografie

Werbehefter für Motogrossrennen

Von Kristin Kopf

Neues aus Schut­ter­tal … nach­dem wir alles über am Pas­cal seine Mut­ter wis­sen, geht es heute um Frau Schwab und das, was sie so macht:

Näm­lich Wer­be­hefter.

Im Hochdeutschen gibt es zwar das Wort der Hefter (Plur­al: die Hefter), das eine Mappe zum Ein­heften beze­ich­net (oder gele­gentlich einen Tack­er). Wahrschein­lich wurde es aus dem Verb­stamm von heften und der Endung -er gebildet, so wie Bohrer aus bohren+er, Steck­er aus stecken+er, und so weiter.

Dieses Wort ist hier aber nicht gemeint, es geht vielmehr um Prospek­te, also Werbehefte. Der Plur­al auf -er bei diesem Wort ist eine dialek­tale Eigen­heit: KindKinder, LiedLieder, GliedGlieder, … im Hochdeutschen gibt es eine ganze Gruppe von Wörtern mit Plur­al auf -er.

In Dialek­ten gibt es zwar meist diesel­ben (oder sehr ähn­liche) Arten der Plu­ral­bil­dung, aber es müssen nicht unbe­d­ingt diesel­ben Wörter in diese Grup­pen gehören. Im Schut­ter­tal gehört HeftHefter ganz reg­ulär zur Gruppe mit -er-Plur­al, während es im Hochdeutschen zur Gruppe mit -e-Plur­al gehört (wie Beete, Stifte, Wege, …). Auch mit dabei: StickSticker ‘Stücke’.1

Gut möglich, dass die Ver­wen­dung von Hefter als Plur­al von Heft noch zusät­zlich durch das vorhan­dene hochdeutsche Wort Hefter gestärkt wird, das ja auch eine sehr ähn­liche Bedeu­tung hat.

[23.4.09: Zu diesem Beitrag gibt es eine Ergänzung.]

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Oma, Großvater, Näni, Groma (Verwandtschaftstrilogie Teil 3)

Von Kristin Kopf

Teil 1 | Teil 2 | Teil 3

Die Ver­wandtschaft­strilo­gie endet mit etwas, das mich weniger plagt als vielmehr neugierig macht: In manchen Fam­i­lien gibt es unter­schiedliche Beze­ich­nun­gen für die Großel­tern, je nach­dem, ob es die Eltern der Mut­ter oder des Vaters sind. Und auch son­st ist es span­nend, zu welchen Strate­gien man greift, um die Großel­tern auseinanderzuhalten.

Dazu kann man wenig The­o­retis­ches sagen, weil es um Haus­ge­brauch geht – vom Grimm­schen Wörter­buch und meinen üblichen Bibeln ist da nichts zu erwarten. Daher also gle­ich zu den Ergeb­nis­sen mein­er Umfrage:

Unter­schei­det Ihr in der Fam­i­lie die Großel­tern müt­ter­lich­er- und väter­lich­er­seits? Falls ja, wie? 

groseltern1

Wenn die einen Großel­tern mit dem Nach­na­men, die anderen mit dem Vor­na­men beze­ich­net wur­den (o.ä.), so wurde bei­des berück­sichtigt. Es fehlt ein bißchen was an 51, weil manche nur “Name” schrieben, das habe ich mal wegge­lassen, weil etwas unspezifisch.

Son­stiges” war übri­gens ein schön­er Fall, in dem die Großel­tern nach der Kör­per­größe in große(r) und kleine(r) Oma/Opa unter­schieden wurden.

Diejeni­gen, die wirk­lich durch ver­schiedene Beze­ich­nun­gen unter­schei­den, find­en sich hier noch ein­mal genauer:
groseltern2

Die “Son­sti­gen” :

  • Oma/Opa vs. Gro­ma/Gropa
  • Oma/Opa vs. Groß­ma­ma/Groß­pa­pa
  • Omi/Opi vs. Ömi/Öpi
  • Oma/Opa vs. Nana/Näni (Schweiz­er Einfluß)

Eni für ‘Groß­vater’ (und par­al­lel gilt das auch alles für ‘Groß­mut­ter’) ist nach Müller (1979) bis ins 14. Jh. im kom­plet­ten süd­deutschen Raum belegt, ganz beson­ders in der Schweiz und auch in Öster­re­ich. Um 1900 lebte das Wort als Neni/Näni/Endi(fat­ter) noch am Südos­trand der deutschsprachi­gen Schweiz (Appen­zell – Chur – Davos – Bosco Gurin), über die heutige Ver­bre­itung habe ich zwar nichts gefun­den, aber gestor­ben ist nicht. Die Form ist ver­wandt mit dem hochdeutschen Ahn, das ein­mal ‘Groß­vater’ hieß (vgl. hier).

Fun Fact: Mein Brud­er und ich unter­schei­den unsere Großmüt­ter nach dem Vor­na­men (also Oma + Name) – als unsere Großväter noch lebten, wur­den sie natür­lich auch entsprechend unter­schieden, allerd­ings nur wenn ganz expliz­it von ihnen die Rede war. Wenn es um das Großel­tern­paar ging, wurde immer die Beze­ich­nung für die Groß­mut­ter benutzt. Also “Wir fahren zur Oma X!” oder “Ich habe Geld von der Oma X bekommen!”.

[poll­dad­dy poll=1505958]

So, das war’s mit der Verwandt­schafts­umfrage. Ich bedanke mich noch ein­mal ganz her­zlich bei allen, die mir geant­wortet haben!

Und hier zum Mitmachen:

Aktu­al­isierung:

Wenn man selb­st etwas in der Umfrage ein­trägt, erscheint nur eine Stimme für “oth­er”. Die Antworten will ich Euch aber nicht vorenthalten:

  • Oma Spitz­name, Omi (2x)
  • Omama/Opapa vs. Ama/Apa

Fragen an das Internet beantwortet

Von Kristin Kopf

Word­Press ver­fügt über eine elende Sta­tis­tik­funk­tion, die man stun­den­lang sinn­los anstar­ren kann. Um die vergeudete Zeit etwas zu recht­fer­ti­gen, will ich ein paar “Fra­gen” beant­worten, die über Suchan­fra­gen zum Sch­plock geleit­et wur­den, wo dann zwar die Such­wörter, nicht aber die Antworten vorhan­den waren.

schmettern ethymologisch (12.3.2009)

Wahrschein­lich ist es ein laut­ma­lerisches Wort, das irgend­wie mit mit­tel­hochdeutschem smîzen ‘stre­ichen, schmieren’ (das ist die Vor­form von schmeißen) und niederdeutschem schmad­dern ‘schmieren’ ver­wandt ist.

Im Mit­tel­hochdeutschen hieß es sme­tern und hat­te die Bedeu­tung ‘klap­pern, schwatzen’. Das Wort hat ab dem 16. Jahrhun­dert die Bedeu­tung ‘mit Geräusch hin­schleud­ern’, man musste also immer etwas schmettern. Später dann brauchte das Verb kein Objekt mehr, es beze­ich­net sei­ther eher die Tat­sache, dass etwas einen ‘krachen­den Schall’ verur­sacht. Wenn man ein Objekt ver­wen­den will, benutzt man hin­schmettern.

Danke übri­gens für die Inspi­ra­tion mit ethymol­o­gisch!

eichhörnchen etymologisch (22.3.2009)

Voll­tr­e­f­fer – eine Volk­se­t­y­molo­gie! Klas­sis­ch­er Fall für Olschan­sky: Schon im Althochdeutschen hat man das Wort als Zusam­menset­zung aus Eiche und Horn analysiert (eih­horno), dabei geht es eigentlich auf das ger­man­is­che Wort *aikur­na- zurück, was die indoger­man­is­che Wurzel *aig- bein­hal­tet, ‘sich heftig bewe­gen, schwingen’.

Obwohl also ety­mol­o­gisch von einem Horn nicht die Rede sein kann, wurde das Wort Mitte des 19. Jahrhun­derts zu ein­er generellen Beze­ich­nung für alle ver­wandten Nagetiere der Famile Sci­uri­dae wie z.B. Baumhörnchen, Erd­hörnchen, Flughörnchen.

Quelle: Wikipedia

Quelle: Wikipedia (Ray eye), CC-by-sa‑2.0‑de

paumen hochdeutsch (19.3.2009)

Wahrschein­lich geht es hier um eine alte dialek­tale Form des Wortes Bäume. Zu Beginn der althochdeutschen Zeit gab es die soge­nan­nte “Zweite Lautver­schiebung”, und ein Teil davon, die “Medi­en­ver­schiebung”, verän­derte die west­ger­man­is­chen Laute b, d und g.

  • [d] wurde zu [t], das sieht man z.B. an Wörtern wie Tag, auf Englisch day, weil das Englis­che keine Zweite Lautver­schiebung hat­te. Es gibt noch massen­haft weit­ere Beispiele (Tochterdaugh­ter, Tordoor, Tierdeer, …).
  • [b] und [g] blieben im Hochdeutschen weit­er­hin [b] und [g] – ver­glichen mit dem Englis­chen ist also kein Unter­schied festzustellen: Buch book, Bierbeer, gutgood, graugrey, …

Im Alto­berdeutschen aber, vor allem im Alt­bairischen, wurde teil­weise [b] > [p] und [g] > [k]. (Es ist aber zumin­d­est in der Schrei­bung nicht kon­se­quent durchge­führt, oft ste­hen auch <b> und <g>.) Wir find­en in alt­bairischen Tex­ten also Wörter wie perg ‘Berg’, kot ‘Gott’ und paum, ‘Baum’. Hier ist z.B. ein Auss­chnitt aus dem Wes­so­brun­ner Gebet, dessen Entste­hung auf ca. 790 geschätzt wird:

Dat gafre­gin ih mit firahim fir­i­u­uiz­zo meista,
dat ero ni uuas noh ûfhimil,
noh paum nih­heinîg noh pereg ni uuas,
ni suigli ster­ro nohheinîg noh sun­na ni scein,
noh mâno ni liuh­ta noh der mâręo sêo.
Dô dâr niu­ui­ht ni uuas enteo ni uuenteo
enti dô uuas der eino almahtî­co cot, …

(Text nach TITUS)

Das habe ich bei den Men­schen als größtes Wun­der erfahren: dass es die Erde nicht gab und nicht den Him­mel, es gab nicht den Baum und auch nicht den Berg, es schien nicht ein einziger Stern, nicht die Sonne, es leuchtete wed­er der Mond noch die glänzende See. Als es da also nichts gab, was man als Anfang oder Ende hätte ver­ste­hen kön­nen, gab es schon lange den einen, allmächti­gen Gott, …” (Über­set­zung aus Nübling 2006:23)

Und im Grimm­schen Wörter­buch gibt es einige Beispiele für paumen:

  • FRUCHTTRÄGERLEIN, n. frucht­knospe, bei MEGENBERG 93, 15: (vor dem blitz) ver­hül­let diu nâtûr diu fruht­trager­lein, daჳ sint die frühti­gen knödel (knötchen) auf den paumen, mit pletern, sam dâ ain amme ir kint ver­hül­let mit windeln.
  • FÜRBASZ , adv. weit­er, weit­er fort. […] STEINHÖWEL (1487) 64; doch nach langem seinen bedunken in gůt dauchte, seyt­mal er der fin­ster nacht hal­ben nitt fürpasz mochte, auf einen paumen ze steigen.
  • NACHSPÜREN, verb.1) intran­si­tiv, spürend fol­gen, aufzus­püren (zu erforschen, zu ergrün­den) suchen […] die aich­hörn­lein lof­fen / auf den paumen, der ich keim kund / nach-spüren, weil ich het kein hund. H. SACHS 4, 286, 8 K.

So. Auf die näch­sten Suchan­fra­gen ist das Sch­plock vorbereitet!

Ein Atlas spricht Bairisch …

Von Kristin Kopf

… und zwar der Sprachat­las von Bay­ern – wer son­st? Auf ein­er Karte kann man sich sowohl die Dialek­twörter für bes­timmte Dinge (‘Holzs­plit­ter in der Haut’, ‘Beule am Kopf’, ‘Dachbo­den im bäuer­lichen Wohn­haus’, ‘kleines Wei­h­nachts­ge­bäck’, ‘Stech­mücke’*) als auch Laute (beruhend auf der mit­tel­hochdeutschen Entsprechung) und bes­timmte gram­ma­tis­che Eige­narten anzeigen lassen und sie mit einem kleinen Laut­sprech­er­sym­bol auch gle­ich abspie­len. Sehr schön gemacht!

sprespra

*Endlich der Beweis: Schnaken sind nicht harmlos!

Ach, ich und die Kirschen (Teil 3)

Von Kristin Kopf

Teil 1 | Teil 2 | Teil 3

… als sie etwa am Kirchgarten von den Tätern bedrängt wurden.”

kirschgarten

Ein Über­fall beim Kirch­garten? Wie kann das sein? Eine eilige Suche im Mainz­er Straßen­verze­ich­nis bestätigt den schlim­men Ver­dacht: Es gibt keine Mainz­er Straße namens Kirch­garten. Was es aber dur­chaus gibt, ist ein Kirschgarten. Also ein­fach ein Tippfehler? Vielle­icht. Aber vielle­icht auch der Auf­takt zum näch­sten Kapi­tel des isch-Lauts: der Hyperkorrektur.

[ʃ]-Verbot in der Standardsprache?

In Teil 2 wurde ja klar, dass im mit­teldeutschen Raum zwei Laute, näm­lich [ç] und [ʃ], zu einem wer­den. Wer die Umgangssprache mut­ter­sprach­lich erlernt, in der das passiert ist, der ken­nt nur [ʃ]. Das stört erst­mal keinen großen Geist, bis … ja, bis man Stan­dard­deutsch sprechen will.

Dann aber ste­ht man vor einem enor­men Prob­lem: Wie soll man die Wörter mit dem ich-Sch von den Wörtern unter­schei­den, die sowieso schon ein <sch> haben? Woher soll man wis­sen, welche der drei <sch>s in Tscheschisch vom ich-Laut kom­men und welche nicht?

schema-ch-schZum Zeit­punkt B ist es unmöglich, einem Wort anzuse­hen, ob es ursprünglich (und hochsprach­lich jet­zt noch) [ç] oder [ʃ] hat(te). Man lernt ja nicht zu jedem Laut seine Entste­hungs­geschichte dazu.

Was tun? Raten!

Da man weiß, dass [ʃ] in vie­len Fällen falsch ist, ver­sucht man, das fremde [ç] einzuset­zen. Oft auch dann, wenn die Stan­dar­d­aussprache eigentlich [ʃ] hat. Und was kommt raus? Genau: Tchechich. Oder, wie bei Hel­mut Kohls Pfälzisch: Gechichte.

Dieses Phänomen nen­nt man “Hyper­ko­r­rek­tur”: Man kor­rigiert etwas, das gar nicht falsch war — in meinem Beispiel das erste und das let­zte <sch> von Tschechisch. Meist passiert das, wenn man in sein­er Mut­ter­sprache oder in seinem Heimat­di­alekt eine Unter­schei­dung nicht ken­nt, die die Ziel­sprache besitzt. Im Hochdeutschen unter­schei­den sich [ʃ], [ç] und [x] laut­lich, in den betrof­fe­nen mit­teldeutschen Umgangssprachen nur [ʃ] und [x].

Von der Kirsche zur Kirche

kirschen

Was hat das nun mit dem Über­fall am 19.1. zu tun? Genau: Es kön­nte sein, dass die Per­son, die den Bericht geschrieben hat, Rhein­hes­sisch spricht und deshalb Kirschgarten in Kirch­garten “kor­rigiert” hat. Weil Kirch­garten nicht so offen­sichtlich falsch ist und die Schrei­bung ganz nor­mal aussieht, ist es dann wohl so geblieben.

In Fällen, in denen es das Wort mit <ch> nicht gibt, fällt es schneller auf, denn schrift­sprach­lich lernt man ja, wo <ch> und wo <sch> geschrieben wird.

Her­rgen (1986) hat aber auch viele Beispiele, wo <ch> geschrieben wurde, obwohl es kein anderes Wort im Hochdeutschen gibt, das ein <ch> hat — meist in Schu­lauf­sätzen: Deutchunter­richt, Bichof, Sparchwein.

Im Internet spricht man Tchechich!

Ein bißchen Googlen zeigt, dass die [ʃ]-Hyperkorrektur auch bei Erwach­se­nen öfter geschrieben wird, als man denkt. Zur Sicher­heit habe ich Tchechich gesucht — wenn’s zweimal in einem Wort vorkommt, kann es kaum mehr Zufall sein:

  • —-Sprache
    ——-Deutsch
    ——-Ital­ienisch
    ——-Spanisch
    ——-Nieder­ländisch
    ——-Dänisch
    ——-Pol­nisch
    ——-Tchechich
    ——-Por­t­o­gi­sisch
    ——-Enlisch
    ——-Französich
    (Quelle)
  • Nur lei­der kon­nt man hier auf Grund fehlen­der Tchechich-Ken­nt­nisse nicht wie bish­er mit­gröhlen. (Quelle — es ist konsequent!)
  • Gibt bes­timmt auch Pen­del­busse, aber wer spricht schon Tchechich? (Quelle)
  • Dieses for­mu­lar (auf Tchechich) werde ich bei jed­er fahrt bei mir haben, wenn ich kon­troliert werde zeige ich es vor und die polizei wird daraufhin nicht weit­er nach­forschen. (Quelle)

Warum heißt der Kirschgarten Kirschgarten?

2009-03-06-kirschgarten

Ganz am Anfang mein­er Nach­forschun­gen hat­te ich mal die wilde These, dass der Straßen­name Kirschgarten vielle­icht eine Ver­schrif­tung der regionalen Aussprachevari­ante mit [ʃ] gewe­sen sein kön­nte, und vielle­icht doch eine Kirche in der Nähe namensgebend war. Nach­dem im let­zten Teil ja klar wurde, dass die [ʃ]-Geschichte rel­a­tiv neu ist, geht das natür­lich nicht mehr — der Straßen­name ist ja viel älter als das Phänomen. Er hat also tat­säch­lich etwas mit Kirschen zu tun.

Die Stadt Mainz gibt auf ihrer Inter­net­seite fol­gende Erklärung:

Der Ort wurde bere­its 1329 als „im Kirschgarten” beze­ich­net. Der Name rührt von der Kirschborn­quelle her, die am Rochushos­pi­tal (Rochusstraße 9), entspringt.

Skep­tisch wie ich bin, habe ich eine Frau gefragt, die es wis­sen muss: Rita Heuser hat ein gigan­tis­ches Buch zu Mainz­er Straßen­na­men geschrieben. Und sie schreibt zur Erk­lärung der Mainz­er Seite:

[I]ch denke es war umgekehrt: die Quelle hat den Namen von dem ehe­ma­li­gen Flur­na­men Kirschgarten (erste Erwäh­nung: ortum nos­trum in Magun­tia dic­i­tur kirs­garte 1267; Kirs­born 1402).

Die ältere Form kirsgarte hat einen Laut­wan­del mit­gemacht, bei dem s nach r zu [ʃ] wurde, daher heute Kirschgarten (ein anderes Beispiel für den Laut­wan­del ist Hirsch).

Chon Chluss?

Ja. Hier endet das Ver­wirrspiel von ich und isch. Ich hoffe, es hat Spaß gemacht!

Ach, ich und die Kirschen (Teil 2)

Von Kristin Kopf

Teil 1 | Teil 2 | Teil 3

Und isch?

Nun ist es so, dass in weit­en Teilen Deutsch­lands der ich-Laut kein ich-Laut mehr ist, son­dern ein isch-Laut — und der ist bes­timmt jedem schon ein­mal begeg­net.1 Gute Mainz­er sagen z.B. Tscheschisch, Geschis­chte, wöschentlisch, … über­all, wo im Hochdeutschen ein ich-Laut zu erwarten ist.

Dieses Phänomen nen­nt man “Koronal­isierung”. Der gesproch­ene Laut ist nicht ganz genau das [ʃ] <sch>, das man aus dem Hochdeutschen ken­nt, oft ist es noch etwas näher am ich-Laut dran. Dazu benutzt Her­rgen (1986) das Sym­bol [ʆ] (das kurz darauf aus dem inter­na­tionalen phonetis­chen Alpha­bet ent­fer­nt wurde — jet­zt richtig wäre wohl [ʃʲ]. Egal, es ist sehr nahe an [ʃ] dran, weshalb ich es ein­fach bei let­zterem belasse).

Nee, Du nisch!” — “Ach … :(“

Der ach-Laut darf nicht mit­spie­len. Er wird so aus­ge­sprochen, wie im Hochdeutschen auch. Das ist auch logisch, wenn man sich an die Assim­i­la­tion zurück­erin­nert: [ʃ] wird ja noch weit­er vorne im Mund aus­ge­sprochen als [ç] (da, wo auch die vorderen Vokale aus­ge­sprochen wer­den — zu denen passt es also per­fekt!), die ganze Bewe­gungserspar­nis für die Zunge wäre futsch, wenn sie nach a, o oder u so weit nach vorne rutschen müsste.

Woher kommt der isch-Laut?

Dass der ich-Laut ver­schwand, ist sehr ungewöhn­lich, denn sowohl im Hochdeutschen als auch in den Dialek­ten des betrof­fe­nen Gebi­ets gibt es ihn!

Ein Blick in den Kleinen Deutschen Sprachat­las zeigt, dass nur ganz, ganz wenige Ort­spunk­te mit [ʃ] belegt sind: 14 Stück ins­ge­samt (das sind 0,23% aller Belege, qua­si alle in Mit­teldeutsch­land). Es han­delt sich also nicht um eine alte dialek­tale Form.

Her­rgen führt einige mögliche Grunde für den Wan­del von [ç] > [ʃ] an (S. 115 ff):

  • phonetisch (d.h. laut­lich): [ç] und [ʃ] klin­gen sehr ähn­lich und [ʃ] ist leichter auszus­prechen (Natür­lichkeit­s­the­o­rie!)
  • pho­nol­o­gisch: [ç] wird nur sehr sel­ten benötigt, um ein Wort von einem [ʃ]-Wort zu unter­schei­den, die Ver­wech­slungs­ge­fahr beim Zusam­men­fall ist also sehr ger­ing (Fälle, bei denen dann Homonymie — also Gle­ichk­lang — entste­ht, sind z.B.: Men­schenMän­nchen, (sie) wis­chtWicht, Lösch­erLöch­er, KirscheKirche)
  • sprachex­tern (fehlende Norm): Was stan­dard­sprach­lich “richtig” ist, wird von der Sprecherge­mein­schaft sehr genau wahrgenom­men, eben­so, was sich für einen örtlichen Dialekt “gehört”. Die Umgangssprache (oder, wie Her­rgen sagt, der “Sub­stan­dard) ist bei weit­em nicht so fest an Regeln und Nor­men gebun­den, sodass die verän­derte Aussprache viel leichter ein­treten und um sich greifen kon­nte. Deshalb kommt die Koronal­isierung so oft in Städten (bzw. dort zuerst) vor, wo regionale Umgangssprachen benutzt werden.

Wann hat das alles angefangen?

Eine der ersten Erwäh­nun­gen des Phänomens stammt von Reis (1892, zitiert nach Her­rgen), der bemerk­te, dass “in Mainz, Darm­stadt und anderen Orten” die Laute [g] und [ç] <ch> mit dem Laut [ʃ] <sch> zusam­men­fie­len (“in den let­zten Jahrzehn­ten”, schreibt er). Der Laut­wan­del ist also ziem­lich neu, 150 Jahre sind für eine Sprache nicht sehr viel.

Beispiele bei Reis sind masche ‘mor­gen’ (vorher war es schon mor­je gewor­den), selisch ’selig’ und das klas­sis­che isch ‘ich’.

Der Südhesse [kann …] den ich-Laut überhaupt nicht sprechen

Die Ver­bre­itung dieses Phänomens her­auszufind­en war recht trick­re­ich — geholfen hat mir schließlich Her­rgens Dis­ser­ta­tion und ein Blick in Königs “Atlas zur Aussprache des Schrift­deutschen in der Bun­desre­pub­lik Deutsch­land” (1989). Aus let­zterem stammt die Abbil­dung hier — die Orte mit [ʃ] haben schwarze Balken.

ch-konig

Königs Atlas ist zwar mit Vor­sicht zu genießen, denn es wurde für jeden eingeze­ich­neten Ort (ins­ge­samt 44) nur eine Per­son befragt (dazu noch fast alles Freiburg­er Stu­den­ten — das erk­lärt die Beschränkung auf die dama­lige Bun­desre­pub­lik), dafür war die Analyse der Einzelper­son sehr aus­führlich, jede Per­son las ca. 45 Minuten lang Texte und Wortlis­ten vor.

Man sieht also, dass [ʃ] im west­mit­teldeutschen Gebi­et bei den SprecherIn­nen aus Koblenz, Kusel und Wit­tlich in 90 bis 100% nach [i] (also vorderem Vokal) gebraucht wird. Die Mainz­erin hat versagt 😉

Diese Verteilung bestätigt die Fest­stel­lun­gen Her­rgens — er find­et das [ʃ] fast auss­chließlich im mit­teldeutschen Raum.2 Er zitiert einzelne Gram­matiken, die es für die Dialek­te Ripuar­isch, Mosel­fränkisch, Hes­sisch, Rhein­hes­sisch und die Gebi­ete Oden­wald und Ber­gis­ches Land im west­mit­teldeutschen Gebi­et bele­gen und lässt auch den Osten nicht vor: dort kommt es vor allem in Leipzig (hey André!), Dres­den und Chem­nitz vor (also im ober­säch­sis­chen Gebiet).

Ins­ge­samt stellt er fest, dass es kein geschlossenes Gebi­et gibt, son­dern immer Inseln, die meist Großstädte umgeben (im west­mit­teldeutschen Gebi­et sind das Köln, Frank­furt, Mainz, Darm­stadt und Mannheim/Ludwigshafen) — das passt ja gut zum oben erwäh­n­ten sprachex­ter­nen Faktor.

Die Über­schrift ist übri­gens ein wun­der­bares Zitat aus Bauer (1957), zitiert nach Her­rgen: “Der Süd­hesse [kann …] den ich-Laut über­haupt nicht sprechen” — das waren noch Zeit­en, als Sprach­wis­senschaft­lerIn­nen sich so aus­drück­en konnten!

Der Cliffhanger

Im näch­sten und let­zten Teil dieser Serie wird aufgedeckt, wie die Men­schen mit ihrem [ʃ] so umge­hen, wenn kein­er aufpasst!

Weit­er zu Teil 3 …

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[Surftipp] Strange Maps — Sprachkarten

Von Kristin Kopf

Ich bin zurück, mit dem fes­ten Vor­satz, endlich mal so regelmäßig zu schreiben, dass auch jemand regelmäßig vorbeischaut.
Heute soll es um ein Blog gehen, das ich heiß und innig liebe: Strange Maps.
Jed­er Ein­trag dreht sich um eine Land­karte oder einen Stadt­plan irgen­dein­er Art, und darunter sind auch viele sprach­be­zo­gene Karten.

Hier ein klein­er Überblick:

334 — The Atlas of True Names: Ety­molo­gie

Hier geht es um Karten, auf denen alle Namen (Städte, Län­der, Gewäss­er, …) ety­mol­o­gisch auf ihre “Urform” zurück­ge­führt wer­den. Es han­delt sich mehr um ein Spaßpro­jekt als um eine wis­senschaftliche Arbeit, weshalb es auch das Lan­guage Log ziem­lich kri­tisiert hat — aber ich finde die Idee sehr witzig, und was ich bish­er von der Umset­zung gese­hen habe ich auch nicht so übel.
Ich hab mir die Karten bestellt und werde bes­timmt bald was drüber schreiben.

329 — Chaffinch Map of Scot­land
: Dialek­tolo­gie

Ein Gedicht in der Form Schot­t­lands — das Ver­bre­itungs­ge­bi­et des chaffinch ‘Buchfink’ wird mit der jew­eili­gen regionalen Beze­ich­nung markiert.

308 — The Pop Vs Soda Map: Region­al­is­men

Es geht darum, wie alko­hol­freie Erfrischungs­getränke in den USA genan­nt wer­den. Zur “Pop vs. Soda con­tro­ver­sy” gibt es auch eine eigene Inter­net­seite.

2008-12-strangemaps
231 — Praise the Lord and Pass the Dic­tio­nary!: Sprachen Europas & Graphie

Europa Poly­glot­ta, Lin­guarum Genealo­giam exhibens, una cum Literis, Scribendique modis, Omni­um Gen­tium — eine Karte mit dem Beginn des Vaterun­sers in der jew­eili­gen europäis­chen Sprache (und dem entsprechen­den Alpha­bet) im entsprechen­den Land.

230 — Papua New Guinea, the Lin­guis­tic Super­pow­er: Sprachen der Welt

Diese Karte liebe ich ganz beson­ders — sie rückt die Dinge ein­mal in die richtige Per­spek­tive, sprachtech­nisch. Eine Weltkarte, die zeigt, wie groß die Län­der sein müssten, wenn man ihre Größe nach den in ihnen gesproch­enen Sprachen berech­nete. Auf nach Ozeanien!

41 — Amike­jo, the World’s First (and Only) Esperan­to State
: Kun­st­sprache

Die kreativ­en Bemühun­gen ein­er Sprache, ein Land zu finden …

13 — The retreat of Cor­nish: Sprach­tod

Hier sieht man, wie Kor­nisch “ins Meer gedrängt” wurde. Vom bösen Englisch. Es wurde aber zwis­chen­zeitlich wieder­belebt, das sieht man auf der Karte nicht.

Strange Maps lohnt sich aber nicht nur wegen der ab und an lin­guis­tis­chen Karten — auch alles andere ist sehr lesens- und sehenswert. Drin­gend mal vorbeischauen!