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Laudatio zum Anglizismus des Jahres 2016: Fake News

Von Anatol Stefanowitsch

Die Jury hat sich die Wahl zum Anglizis­mus des Jahres auch dies­mal nicht leicht gemacht, aber mit Fake News gab es einen Kan­di­dat­en, der 2016 eine so plöt­zliche und mas­sive Präsenz im öffentlichen Diskurs erlangt hat, dass es am Ende doch keine ern­sthafte Alter­na­tive gab. Damit haben wir seit langem wieder ein­mal einen Anglizis­mus des Jahres, von dem nie­mand behaupten kann, ihn nicht zu ken­nen, und dem nie­mand vor­w­er­fen kann, er sei zu alt.

Dabei begin­nt die Geschichte dieses Aus­drucks schon im späten 19. Jahrhun­dert. Die früh­este Ver­wen­dung, die ich find­en kon­nte, stammt aus der Zeitschrift Amer­i­can His­tor­i­cal Reg­is­ter vom Novem­ber 1894 in ein­er Diskus­sion über die Rolle und Qual­ität von Lokalzeitun­gen in den USA wird eine Mel­dung über eine (ange­bliche) Flucht Napoleons nach Flo­renz beschrieben. Die Autorin stellt dann fest, dass Napoleon zur betr­e­f­fend­en Zeit auf der Höhe seines Erfolges war und dass es außer den Wun­schvorstel­lun­gen sein­er Geg­n­er keine Belege für die beschriebe­nen Ereignisse gibt – Or was it “fake news”?, fragt sie rhetorisch.

Dieser frühe Beleg hat damit schon fast alle Eigen­schaften dessen, was die heutige Ver­wen­dung des Begriffs aus­macht – der Aus­druck fake news beze­ich­net hier bere­its eine frei erfun­dene Nachricht, die einen poli­tis­chen Geg­n­er in ein schlecht­es Licht stellt und die deshalb dankbar aufgenom­men wird, weil sie ins Welt­bild der­er passt, an die sie sich richtet. Das einzige, was sie von den heuti­gen Fake News unter­schei­det, ist die Tat­sache, dass diese Nachricht in ein­er kleinen Landzeitung in den USA ste­ht, und nicht auf einem Screen­shot auf Face­book. Übri­gens: Auch in Eng­land und den Kolonien gab es damals schon Geset­ze, die die Ver­bre­itung gefälschter Nachricht­en unter Strafe stellen – die wer­den damals aber (noch) nicht als fake news, son­dern als false news bezeichnet.

Das Wort fake news bleibt lange eine Gele­gen­heit­ser­schei­n­ung. Erst seit den 1990er Jahren wird es langsam zu einem fest­ste­hen­den Begriff. Dabei beze­ich­net es meis­tens satirische Nachricht­ensendun­gen und ‑mag­a­zine, wie Jon Stew­arts The Dai­ly Show oder das amerikanis­che Vor­bild und Äquiv­a­lent des Pos­til­lon, The Onion. Auch zu dieser Zeit wer­den in pro­pa­gan­dis­tis­ch­er Absicht ver­bre­it­ete absichtliche Falschmel­dun­gen haupt­säch­lich als false news (items/reports) beze­ich­net. Aber punk­tuell find­et sich auch der Aus­druck fake news in dieser Bedeu­tung, z.B. in Frank Kel­ly Richs Buch „The Great­est Sto­ry Ever Sold: The Decline and Fall of Truth in Bush’s Amer­i­ca“, in dem eine fake news fac­to­ry der Bush-Regierung beschrieben wird, in der fake jour­nal­ists Pro­pa­gan­da im Nachricht­enge­wand erstellen.

Die Bedeu­tungsen­twick­lung des Aus­drucks geht dann aber zunächst in eine andere Rich­tung – immer häu­figer beze­ich­net er bewusste Falschmel­dun­gen in sozialen Net­zw­erken, die entwed­er in kom­merzieller Absicht ver­bre­it­et wer­den – um Klicks auf Seit­en mit Wer­beanzeigen zu erzeu­gen –, oder schlicht aus Freude daran, Men­schen beispiel­sweise mit erfun­de­nen Tode­sanzeigen Promi­nen­ter zu verwirren.

In dieser Bedeu­tung taucht der Aus­druck seit eini­gen Jahren ab und zu auch in deutschen Tex­ten auf. Ein früh­es Beispiel ist ein Bericht im Juli 2014 über eine Mel­dung, dass Manuel Neuer im Finale der Fußball­welt­meis­ter­schaft aus­fall­en werde. Allerd­ings gab und gibt es im Deutschen für solche Mel­dun­gen schon Wörter wie Hoax-Nachricht oder Hoax-Mel­dung, gegen die sich der Neuankömm­ling Fake News nicht durch­set­zen konnte.

Erst im Novem­ber 2016 schafft Fake News einen plöt­zlichen und hefti­gen Durch­bruch in den all­ge­meinen Sprachge­brauch. Dieser geht ein­her mit ein­er weit­eren Bedeu­tungsver­schiebung: Das Wort beze­ich­net im Englis­chen inzwis­chen wieder die Art von Manip­u­la­tion­s­ab­sicht­en und Wun­schvorstel­lun­gen getriebene Pro­pa­gan­da, die schon im Erst­be­leg über Napoleons Flucht anklingt – erweit­ert um den Aspekt der Ver­bre­itung über die Sozialen Medi­en, der auch für der Ver­wen­dung zur Beze­ich­nung von Hoax-Mel­dun­gen charak­ter­is­tisch ist. Ins öffentliche Bewusst­sein und in den all­ge­meinen Sprachge­brauch gelangt es in Diskus­sio­nen um die Ursachen­find­ung zum Wahler­folg des US-Präsi­den­ten Don­ald Trump, der ange­blich auf Fake News zurück­zuführen gewe­sen sei (was inzwis­chen von wis­senschaftlich­er Seite bezweifelt wird).

Das Wort Fake News – im Deutschen auch Fake-News oder sog­ar Fak­e­news geschrieben – füllt damit dif­feren­zierend eine Lücke zwis­chen den etablierten Wörtern Falschmel­dung und Pro­pa­gan­da. Anders als die Falschmel­dung, die ja sowohl absichtlich als auch unab­sichtlich falsch sein kann, sind die Fake News immer absichtlich falsch. Und anders als die Pro­pa­gan­da, die das Ziel hat, das öffentliche Bewusst­sein sys­tem­a­tisch und tief­greifend zu bee­in­flussen, sind die Fake-News eher auf die Bestä­ti­gung beste­hen­der Vorurteile bei bes­timmten Ziel­grup­pen aus­gerichtet. Ganz im Sinne eines post­fak­tis­chen Zeit­geistes geht es häu­fig auch gar nicht darum, dass die Fake News tat­säch­lich geglaubt, son­dern nur, dass sie für möglich gehal­ten wer­den und so ein Gegengewicht zu den tat­säch­lichen Nachricht­en in den „etablierten“ Medi­en (vul­go „Lügen­presse“) bilden können.

Diese Lücke kann das Wort unter anderem füllen, weil das Wort fake, anders als das Wort falsch in Wörtern wie Falschmel­dung oder dem neu geprägten Falschnachricht ein­deutig die bewusste Fälschung und Täuschungsab­sicht hin­ter den Fake News anspricht. Anders als falsch (oder das englis­che false) beze­ich­net das Adjek­tiv fake bewusste, in Täuschungsab­sicht hergestellte Nach­bil­dun­gen von Din­gen – Pelze, Pässe, Bärte, Wim­pern, Geld, Schmuck, Schnee und nun eben auch news. Dieses bedeu­tungs­d­if­feren­zierende Poten­zial hat das Adjek­tiv fake schon vor drei Jahren auf die Short­list zum Anglizis­mus des Jahres gebracht und es ist auch Bestandteil der einzi­gen Ein­deutschung des Wortes Fake News, der wir Erfolg prog­nos­tizieren: Fak­e­nachricht­en.

Wörterwolke Anglizismus 2016

Kandidaten für den Anglizismus 2014: Internet of Things

Von Kristin Kopf

Wie jedes Jahr im Jan­u­ar beteili­gen wir uns an der Wahl zum Anglizis­mus des Jahres, indem wir die Kan­di­dat­en der Endrunde auf ihre Tauglichkeit zum Sieger abklopfen. Bere­its abge­han­delt haben wir Social Freez­ing, Phablet und Big Data, heute ist Inter­net of Things an der Reihe.

In meinem Fre­un­deskreis kur­siert seit Jahren ein irres Konzept: Mehmet, Maike und Amaru haben sich irgend­wann über­legt, dass man  zusam­menge­hörige Sock­en per RFID wiedervere­ini­gen kön­nte und dann gle­ich weit­er, dass auch die Auswahl passender Klei­dungsstücke darüber erfol­gen kön­nte. Das ging so weit, dass ein Ampel­sys­tem bei Wet­ter- oder Mode­un­tauglichkeit das Ver­lassen der Woh­nung ver­hin­derte (rot) oder hin­ter­fragte (gelb, “Wollen Sie das wirk­lich tun?”).

Irgend­wann fan­den die drei her­aus, dass das alles gar nicht so weit ab der Wirk­lichkeit war — und ich fand her­aus, dass es zum Inter­net of Things gehört, unseren heuti­gen Kan­di­dat­en für den Anglizis­mus des Jahres 2014: Weit­er­lesen

Kandidaten für den Anglizismus 2014: Big Data

Von Anatol Stefanowitsch

Wie jedes Jahr im Jan­u­ar beteili­gen wir uns an der Wahl zum Anglizis­mus des Jahres, indem wir die Kan­di­dat­en der Endrunde auf ihre Tauglichkeit zum Sieger abklopfen. Bere­its abge­han­delt haben wir Social Freez­ing und Phablet, heute ist Big Data an der Reihe.

Das Wort Big Data beze­ich­net sowohl Daten­men­gen, die so groß sind, dass sie mit herkömm­lichen Meth­o­d­en nicht mehr hand­hab­bar sind, als auch die Spe­ich­er- und Rechen­meth­o­d­en, die zur Lösung dieses Prob­lems entwick­elt wur­den und wer­den (diese Bedeu­tun­gen find­en sich im Oxford Eng­lish Dic­tio­nary für das Englis­che, und unser Jury-Mit­glied Michael Mann hat sie im let­zten Jahr in sein­er Analyse auch für den deutschen Sprachge­brauch gefun­den – im Duden ste­ht das Wort noch nicht).

Big Data ist zum zweit­en Mal in der Endrunde für den Anglizis­mus des Jahres, ver­passte im let­zten Jahr aber deut­lich einen vorderen Platz (dafür lan­dete es bei der Wort-des-Jahres-Wahl auf Platz 5). Sehen wir uns an, inwieweit es den Kri­te­rien unseres Wet­tbe­werbs genügt und ob es vielle­icht in diesem Jahr ein aus­sicht­sre­ichen Kan­di­dat für das lexikalis­che Siegertrep­pchen ist. Weit­er­lesen

Deutsch für Podcast

Von Susanne Flach

Der Vere­in Deutsche Sprache (VDS) sucht über seinen wöchentlichen Strompostrund­brief auch regelmäßig nach Alter­na­tiv­en für Anglizis­men. Damit führen sie auf eine gewisse Art diese pein­liche „Aktion le-he-he-he-bendi­ges Deutsch“ fort. Und warum nicht mal ein paar alte Klas­sik­er aufspüren?

Nun hat also der VDS gestern in seinem Info­brief 19/2014 dazu aufgerufen, ein „deutsches“ Wort für Pod­cast zu find­en. Weil das natür­lich längst keine/n Sprachlogleser/in mehr hin­term Ofen vom Hock­er haut, blieb mir für einen lau­ni­gen Kom­men­tar nur Twit­ter: Weit­er­lesen

Service ist Service bleibt Service

Von Susanne Flach

ERLANGEN (sl). Die Deutsche Bahn ist zur Sprach­pan­scherin des Jahres gekürt wor­den. Das teilte die DEUTSCHE SPRACHWELT diese Woche in Erlan­gen mit. Den alljährlich ver­liehenen Neg­a­tivpreis erhält das Reise­un­ternehmen für 2013, weil es das präg­nante deutsche Wort Ser­vice aus dem Unternehmenslexikon gestrichen hat. „Die Ver­drän­gung ver­ständlich­er deutsch­er Sprache schre­it­et unaufhalt­sam voran. Wir wollen das nicht länger hin­nehmen“, begrün­det Thomas Paulwitz, Chefredak­teur der ver­lei­hen­den Insti­tu­tion für Sprach­pflege, das Urteil.

Seit die Bahn Mitte des let­zten Jahres angekündigt hat­te, dass im Zuge ein­er größeren unternehmensin­ter­nen Sprachre­form der Ser­vi­ce­Point aus­ge­di­ent hat und in DB Infor­ma­tion umbe­nan­nt wer­den wird, sei die Deutsche Bahn um eine präg­nante Beze­ich­nung ärmer. DB Infor­ma­tion, so die Sprachex­perten, sei kein adäquater Ersatz für den großen Kat­a­log an Leis­tun­gen, die man an den Schal­tern erhal­ten könne, die meist weit über Infor­ma­tio­nen zu Fahrplä­nen, Ver­spä­tun­gen oder Zugaus­fällen hin­aus­gin­gen. Die Umbe­nen­nung könne bei Reisenden deshalb in Zukun­ft zu großer Ver­wirrung und Des­ori­en­tierung führen. „Der qual­i­ta­tive Aspekt des DB-Ser­vice hat bei unser­er Entschei­dung über die Äch­tung der unheil­vollen Fremd­wort­flut aber keine Rolle gespielt“, ver­sichert die Jury, „Ser­vice auf Abstell­gleis ist ein­fach so ein däm­lich­es Wortspiel“.

Mit dieser Ausze­ich­nung wird der Deutschen Bahn die Ehre zuteil, die bis­lang lediglich ihren Vorstän­den Hart­mut Mehdorn (2007) und Johannes Ludewig (1999) vor­be­hal­ten war, die eben­falls für die Über­nahme von unver­ständlichen und unzure­ichend beschreiben­den Lehn­wörtern gerügt wur­den. „Das war also über­fäl­lig“, war aus gut informierten Sprach­pflegerkreisen zu hören.

Äh, wartense mal.

Wie? Sprachwahrerin? Ach so, son Pos­i­tivpreis dies­mal? Aso­ja, äh, janö, nadann, also wir haben uns schon gewun­dert. Aber in dem Fall macht die Ausze­ich­nung ja voll Sinn. Und den Ster­nen, Foki und Rund­funken der Welt ist auch nicht die sprach­pflegerische Höch­stleis­tung aufge­fall­en, hier eine Max­i­mal­bankrot­terk­lärung zu würdi­gen, die die Hot­line ab sofort — man will’s eigentlich gar nicht so genau wis­sen — durch Ser­vice-Num­mer ersetzt.

Für die Moral: Sprach­wahrerin mit Movierungssuffix.

Blogspektrogramm 51/2013

Von Susanne Flach

So, kurz vor Wei­h­nacht­en machen wir das infor­ma­tiv und schmer­z­los, ganz ohne Wei­h­nachts­duse­lei und mit Per­son­al­pronomen, Akzen­ten, Poli­tis­chem und einem self­ie:

  • Auf THE LAST WORD ON NOTHING beschreibt Michelle Nijhuis, wie sie auf Wun­sch ihrer Tochter beim Vor­lesen vom „kleinen Hob­bit“ aus Bil­bo Bag­gins ein Mäd­chen gemacht hat. Dazu passend: Ana­tol hat vor eini­gen Jahren schon über seine vor­leserischen Redak­tion­sentschei­dun­gen geschrieben.
  • Und wer dann immer noch glaubt, geschlechterg­erechte Sprache (hier: Per­son­al­pronomen) sein ein Prob­lem des Deutschen, der wende sich dieser Diskus­sion zu: im Vere­inigten Kön­i­gre­ich ver­han­delte man he vs. they let­ztens im Ober­haus, Geof­frey Pul­lum antwortet in LINGUA FRANCA.
  • In den Nieder­lan­den wurde self­ie zum Wort des Jahres gewählt. Damit erk­lären wir es zum heißesten Anwärter zum „Welt­wort des Jahres 2013“.
  • Zur Rede des Jahres wählte das Sem­i­nar für Rhetorik der Uni­ver­sität Tübin­gen Gre­gor Gysis Bun­destagsrede zum NSA-Skan­dal vom 18. Novem­ber. Die überzeugte die Jury nicht nur inhaltlich, son­dern auch in Struk­tur und Vor­tragsweise. Endlich ein­mal eine „X‑des-Jahres“-Wahl, der wir uns ganz uniro­nisch anschließen können.
  • Wo wir ger­ade vom X‑des-Jahres reden: Auch die Anglizis­mus-des-Jahres-Jury war wieder fleißig und hat die näch­sten vier Wortkan­di­dat­en besprochen: Land Grab­bing, Gam­i­fi­ca­tion, per­for­men und insta­gram­men.
  • Eigentlich eher aus dem Bere­ich Sprach­brock­en Absur­dis­tan kommt die Mel­dung, dass das Ver­wal­tungs­gericht Neustadt (ver­mut­lich meint man Neustadt an der Wein­straße) eine Klage abgewiesen hat, die sich gegen die Ver­wen­dung der Beze­ich­nung „Job­cen­ter“ richtete. Da hat — ohne Witz — jemand geklagt, weil die Amtssprache ja „deutsch“ sei und Job­cen­ter nicht dazu gehöre. Also entwed­er haben wir ger­ade genug zu tun oder wir find­en das beson­ders absurd, aber erin­nert sich noch wer hier­an, Punkt 3?
  • Ist es jet­zt eine große Große Koali­tion oder eine kleine große Koali­tion? Mit dieser Frage beschäftigt sich knapp Dr. Bopp.